Kurt Tucholsky: Was darf Satire? 16 Satiren in der neuen “Edition Lettara”

Kurt Tucholskys Satiren sind unvergänglich. Und auch heute noch stimmig und mit Genuss zu lesen. Dies zeigt ein Band mit 16 Satiren aus der neugegründeten Edition Lettara.

“Es ist ein Unglück, daß die SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands heißt. Hieße sie seit dem August 1914 Reformistische Partei oder Partei des kleinern Übels oder Hier können Familien Kaffee kochen oder so etwas – : vielen Arbeitern hätte der neue Name die Augen geöffnet, und sie wären dahingegangen, wohin sie gehören: zu einer Arbeiterpartei. So macht der Laden seine schlechten Geschäfte unter einem ehemals guten Namen.”

Allein dieses Zitat zeigt doch, wie unvergänglich Kurt Tucholskys Texte sind: Man kann sie auch heute noch mit Gewinn lesen, sich an der Bissigkeit, der Treffsicherheit freuen, sich aufregen oder darüber nachdenken, sich amüsieren oder echauffieren. Kurzum: Sie lassen nicht kalt.

Dass ich Peter Panter, Ignaz Wrobel, Theobald Tiger oder auch Old Shatterhand alias Kurt Tucholsky immer wieder zur Hand nehme, ist auf diesem Blog unverkennbar. Umso mehr freute mich die Email-Anfrage eines Verlegers vor einiger Zeit, ob ich für eine geplante Ausgabe mit Tucholsky-Satiren ein Nachwort beisteuern könnte. Allein, mir fehlte die Zeit, ich war eingedeckt mit Arbeit und lehnte dankend ab. Jetzt flatterte mir dieser Tage die Post ins Haus: Mit dem Tucholsky-Band “Was darf Satire”, dazu beigelegt noch einige wundervolle, vom Verleger selbst gestaltete Kunstpostkarten. Eine schöne Geste!

Der Band beinhaltet 16 prägnante Satiren Tucholskys, von “Der Mensch”, auch hier auf dem Blog zu lesen, über einige seiner “Wendriner”-Geschichten, die er zwischen 1922 und 1930 für die Weltbühne schrieb, bis hin natürlich zu dem bereits 1919 veröffentlichten Schlüsseltext “Was darf Satire?”. Dem einen oder anderen möchte man dieses Heft in die Hand drücken: Bitte sehr, mal Hausaufgaben machen, schauen, was Satire ist:

“Warum sind unsere Witzblätter, unsere Lustspiele, unsere Kömodien und unsere Filme so mager? Weil keiner wagt, dem dicken Kraken an den Leib zu gehen, der das ganze Land bedrückt und dahockt: fett, faul und lebenstötend.”

Tucholsky nahm kein Blatt vor den Mund. Das zeigt sich auch an einigen Texten in diesem Band, die man vielleicht nicht auf dem Schirm hat, außer man ist Mitglied der Tucholsky-Gesellschaft oder liest nichts anderes und kennt ihn daher in- und auswendig. Jedenfalls kann man sich beim Wieder- oder Erstentdecken von “Yousana-wo-bi-räbidäbi-de?” oder “Die Katz” herrlich amüsieren. Und wer sich bei “Weltbild, nach intensiver Zeitungslektüre” nicht auch ein wenig selber wiederfindet, der heuchelt wohl ein bißchen.

Im Grunde sollte dieser Text für sich selber stehen: Wen das Buch interessiert, der schaut es sich an. Aber in diesem besonderen Fall kann ich nicht anders, als noch einen ganz und gar “unliterarischen” Werbeblock hinzuzufügen: Erst im Laufe des Email-Austausches stellte sich heraus, dass dieser Verleger ein sehr junger Mann ist – so jung, dass er noch nicht einmal die “Hier können Familien Kaffee kochen” – Partei wählen könnte (oder nicht). Ich war verblüfft, erstaunt, begeistert: Ein so junger Mensch, der sich für Literatur dieser Art interessiert, der darüber hinaus auch graphisch talentiert ist und eine kleine Edition auflegt, das finde ich aller Achtung wert. Und das hat Unterstützung verdient: Also, gehet hin und lest Tucholsky!

Kurt Tucholsky
Was darf Satire? 16 Satiren
Edition Lettara
2021, 68 Seiten, Softcover, 9,99€

Informationen zur Edition gibt es hier: https://editionlettara.jimdofree.com/
Und die Kunstpostkarten können hier bewundert werden: https://walzalexanderart.jimdofree.com/


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Kurt Tucholsky: Herr Wendriner und das Lottchen

Von 1922 bis 1930 ließ Kurt Tucholskys in der „Weltbühne“ mit Herrn Wendriner einen Spießer par excellence zu Wort kommen: Volkes Stimme, satirisch überspitzt.

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Dieser Herr sieht irgendwie aus wie ein Wendriner. Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

„Man kommt zu gar nichts mehr. Ich denk jetzt so oft an den Tod. Quatsch. Doch, ich denk oft an den Tod. Das kommt von der Verdauung. Nein, das kommt nicht von der Verdauung. Man wird älter. Wie lange sind wir jetzt schon verheiratet…Nu, für sie ist ja ausgesorgt, so weit bin ich schon, Gottseidank. Wenn ich tot bin, wern sie erst erkennen, was sie an mir gehabt haben. Man wird viel zu wenig anerkannt, im Leben. Hinterher ist zu spät. Hinterher wern sie weinen. Damals, beim alten Leppschitzer warn ja enorm viele Leute. So viel kommen bei mir mindestens auch…“

Kurt Tucholsky, “Herr Wendriner kann nicht einschlafen”, 30. März 1926, “Die Weltbühne”

Der Herr, der hier nicht einschlafen kann, ist der Herr Wendriner. Ein Geschäftsmann und Familienvater im besten Alter, der Spießbürger par excellence. Und wenn Herr Wendriner uff Jedanken kommt, dann wird es ein wenig schräg. So führt Schlaflosigkeit zu solchenen Lebens- resp. Todesweisheiten.

„Schrecklich, wenn man nicht einschlafen kann. Wenn man nicht einschlafen kann, ist man ganz allein. Ich bin nicht gern allein. Ich muss Leute um mich haben, Bewegung, Familie, Arbeit…Wenn ich mit mir allein bin, dann ist da keiner. Und dann bin ich ganz allein. Hinten juckts mich. Ich kenn das. Jetzt wer ich gleich einschlafen. Schlafen…Na, denn gut`n –„

Zwischen 1922 und 1930 erscheinen die Wendriner-Texte aus der Feder Kurt Tucholskys in der „Weltbühne“. Gesellschaftskritische Kurzgeschichten, Monologe, in denen einer vor sich hinschwadroniert und dabei unbewusst in seine kleine Seele blicken lässt. Nach außen hin braver Familienvater, versucht sich auch der Wendriner mal an einer Geliebten und guckt selbst im klassischen Theater den Schauspielerinnen lieber auf die Beine als ins Textbuch. Zumeist schwadroniert er übers Geschäft und – wenig fachkundig – über Politik: Politik ist letztlich das, was das Geschäft nicht stört. So sind ihm die Sozis ein Gräuel, die Bewegungen am rechten Rand notiert er in einer Mischung zwischen Furcht und Bewunderung – Bewunderung für deren „Ordnungssinn“.

Abscheu vor den Spießern

Der Wendriner kam schon bei Erscheinen nicht durchwegs gut an. Zu spitz, zu satirisch und Tucholskys Wort – „Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel“ – bewies sich einmal mehr. Aber auch nach Tucholskys Tod und nach dem Ende des Nationalsozialismus war lange Zeit eine unvoreingenommene Rezeption der Geschichten schwierig: Denn Herrn Wendriner ist ein deutscher Jude. Tucholsky wurde der Vorwurf des Antisemitismus gemacht. Dabei, so arbeitete auch sein Biograf Rolf Hosfeld heraus (nur zu empfehlen: „Tucholsky – Ein deutsches Leben“, Rolf Hosfeld), war es vor allem die Abscheu vor dem Spießertum, die den Schriftsteller und Satiriker antrieb. Aus einem Interview der Jüdischen Allgemeinen mit Rolf Hosfeld:

Zu denen, die versagt hatten, zählte für Tucholsky auch die deutsche Judenheit. Kurz vor seinem Tod 1935 hat er einen Brief an Arnold Zweig geschrieben. Da liest man: »Der Jude ist feige. Er duckt sich.« Tucholsky hatte offenbar einen ziemlichen Abscheu vor den deutschen Juden.

Nicht unbedingt vor den deutschen Juden. Aber vor einem bestimmten Typus des jüdischen Spießers, ja. Herr Wendriner zum Beispiel, ja. Tucholsky hatte eine enorme Abneigung gegen den damals verbreiteten Typus des deutschnationalen Juden. Etwa, wenn Herr Wendriner den SA-Mann vor seinem Geschäft hofiert. Bei Wendriner spielen aber noch andere Aspekte hinein. In seinem ungeordneten Weltbild hat er auch sympathische Züge. Die Wendriner-Geschichten sollten übrigens als Buch erscheinen. Tucholsky unterhielt sich mit Edith Jacobson darüber, wer sie illustrieren könnte. George Grosz wollte Tucholsky nicht, der war ihm zu karikaturenhaft; andere vorgeschlagene Zeichner waren ihm zu antisemitisch.

Das Interview in voller Länge, in dem es um Tucholskys Haltung zum Judentum geht, findet sich hier: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/12535.

Hellsichtige Skizzen

Bereits Edith Jacobsohn, die Frau des Weltbühnen-Herausgebers Siegfried Jacobsohn, plante in ihrem Verlag eine Wendriner-Ausgabe. Zustande kam sie schließlich nicht, selbst ihr waren manche Texte zu scharf. 1927 erschienen dann die bis dahin in der Weltbühne gedruckten Texte bei Rowohlt, in dem Sammelband „Mit 5 PS“. Nicht darunter ist selbstverständlich der interessanteste der Wendriner-Texte, weil erst 1930 entstanden: „Herr Wendriner steht unter Diktatur“. Geradezu hellsichtig skizziert Tucholsky das Heraufziehen einer neuen Gesellschaftsordnung mit Herrenmenschen und lässt seinen literarischen Wendehals bei einem Kinobesuch den Salto zur Unterordnung machen – auch Wendriner ist einer jener, die zu jener Zeit noch glauben, als „Schutzbürger“ und mit der rechten Gesinnung geschähe ihnen nichts.

Der Verlag vbb – verlag für berlin-brandenburg hat nun in einem schmalen Bändchen die Wendriner-Texte neu herausgegeben. Ergänzt durch eine weibliche Stimme: Mit den „Lottchen“-Geschichten lässt Tucholsky eine für diese Zeit typische freche Frauenstimme, emanzipiert, witzig und schlagfertig, zu Wort kommen. “Lottchen” war im eigentlichen Leben Lisa Matthias, eine alleinerziehende Journalistin, die Tucholsky 1927 kennenlernte. Ihr widmete er „Schloß Gripsholm“.

Abgerundet wird das Buch durch den Briefwechsel Tucholskys mit Edith Jacobsohn zu ihrem geplanten Buchprojekt, der in dem Bändchen erstmals veröffentlicht wird. Allein schon diese briefschriftliche Auseinandersetzung zwischen den Beiden ist von hohem Amüsemang und macht das Buch zu einer kleinen Petitesse:

„Lieber dicker Tucho, was is mit Wendrinern, nuuh?“, fleht die Verlegerin namens Franziska Damenbart, und der Tucho antwortet dem „geliebten Weib“, der Wendriner werde schon mit besonderer Sorgfalt verarztet werden.

„Herr Wendriner und das Lottchen“, Kurt Tucholsky, vbb, 2014, 96 Seiten, Halbleinen, Format: 12,5 x 20,5 cm, ISBN: 978-3-945256-01-5.


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Kurt Tucholsky – Augen der Großstadt

Tucholsky verband zu Berlin eine Art Hassliebe. Die Anonymität, die Hektik, den Rhythmus der Stadt brachte er kongenial in “Augen der Großstadt” zum Ausdruck.

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Bild von Caro Sodar auf Pixabay

Wenn du zur Arbeit gehst
am frühen Morgen,
wenn du am Bahnhof stehst
mit deinen Sorgen:
da zeigt die Stadt
dir asphaltglatt
im Menschentrichter
Millionen Gesichter:
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider –
Was war das? vielleicht dein Lebensglück…
vorbei, verweht, nie wieder.

Du gehst dein Leben lang
auf tausend Straßen;
du siehst auf deinem Gang, die
dich vergaßen.
Ein Auge winkt,
die Seele klingt;
du hast’s gefunden,
nur für Sekunden…
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider –
Was war das? Kein Mensch dreht die Zeit zurück…
Vorbei, verweht, nie wieder.

Du mußt auf deinem Gang
durch Städte wandern;
siehst einen Pulsschlag lang
den fremden Andern.
Es kann ein Feind sein,
es kann ein Freund sein,
es kann im Kampfe dein
Genosse sein.
Er sieht hinüber
und zieht vorüber …
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider –
Was war das?
Von der großen Menschheit ein Stück!
Vorbei, verweht, nie wieder.

Kurt Tucholsky

Es war eine Art Hassliebe, die Kurt Tucholsky mit seiner Geburtsstadt verband. Immer wieder ist Berlin Thema seines Schreibens, immer wieder nimmt er den Berliner und dessen Alltag satirisch-kritisch unter die Lupe:

“Der Berliner schnurrt seinen Tag herunter, und wenn`s fertig ist, dann ist`s Mühe und Arbeit gewesen. Weiter nichts. Man kann siebzig Jahre in dieser Stadt leben, ohne den geringsten Vorteil für seine unsterbliche Seele.”

(Ignaz Wrobel, Berlin! Berlin!, 1919)

Die Stadt und ihre Lichter, die Stadt und ihre dunklen Ecken, die Hektik, der Trubel, die Anonymität: Häufig machte er dies zum Thema seiner Gedichte. Im Falle der Großstadt-Augen könnte man auch schreiben: Seiner Lieder. Dieses Liedgedicht, das mit seinem wiederkehrenden Refrain einen ganz eigenen Rhythmus hat, singt eine bittersüße Melodie vom Großstadtleben, von der Flüchtigkeit der Begegnungen.

Es entstand 1930 – in dem Jahr, als Tucholsky sich entschloss, dauerhaft nach Schweden zu ziehen. So könnte man das Lied auch als herbsüßen Abschied von einer eigenartigen, flatterhaften Geliebten interpretieren: Augen-Blicke in einer hektischen, pulsierenden Metropole, flüchtige Begegnungen, Verheißungen, das sich Finden und Vergehen. Die Großstadt als unbeständige, unnahbare Gefährtin.

“Kurt Tucholsky, obwohl ein geborenes Großstadtkind, suchte zeitlebens die Stille, Orte der Abgeschiedenheit, die ihm ein Gleichmaß des Arbeitens versprachen (…). Den Berlinern und ihrer übernervösen hektischen Lebensart konnte Tucholsky nie ausweichen, er selbst war ja vom Lebensstil der Moderne infiziert und musste sich dem Rhythmus der Stadt beugen, wenn er nicht gerade auf Reisen war.”

Sunhild Pflug ist für die “Frankfurter Buntbücher” den Spuren Tucholskys durch Berlin nachgefolgt: Von Geburt an bis 1924 wohnt der Schriftsteller und Journalist in verschiedenen Stadtteilen der Metropole, Moabit, Schöneberg, Wilmersdorf und Friedenau, bis es ihn zunächst nach Paris zieht, ab 1930 ist dann sein offizieller Wohnsitz in Schweden. Immer wieder jedoch kehrt er an die Spree zurück, wird hier wie da nicht heimisch, ein Ruheloser. Mal schreibt er: “Berlin ist gräßlich”. Mal bekennt er: “Aber eines kann unsereiner nicht entbehren: die große Stadt, die abends die Lichter anzündet, die Stadt, wo man sich anonym in seine Bestandteile auflösen kann; wo so viele da sind, daß keiner mehr da ist (…)”.

Wo ein Blick alles verspricht und doch nichts halten kann…
Mit den “Augen der Großstadt” steht Tucholsky ganz in der Tradition der Expressionisten und der Literaten, die die Stadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Thema machten – exemplarisch dafür der 1929 veröffentlichte Roman „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin.

Wie eine cineastische Untermalung dazu wirkt „Die Sinfonie der Großstadt“ – dieses großartige, experimentelle Filmportrait Berlins von Walther Ruttmann, das 1927 uraufgeführt wurde. Unbedingt sehenswert:

Im Gegensatz zu Tucholsky und Döblin, der 1933 ins Exil ging, passte sich Ruttmann den Zeitläuften an – er drehte ab 1933 für die Ufa Propagandafilme wie „Blut und Boden“.

Noch ein Wort zu den Frankfurter Buntbüchern: Die Hefte sind eigentlich viel zu schön, um sie als literarische Reisebegleiter in einen Koffer oder Rucksack zu stopfen. Das erste “Buntbuch” erschien 1991, seither gibt es in loser Folge immer wieder ansprechend aufgemachte Ausgaben, die das Verhältnis von Schriftstellern und Orten zum Inhalt haben. “Da stehn die Häuser, und lassen in sich hausen… – Kurt Tucholskys Wohnorte in Berlin” ist die Nummer 56 in dieser Reihe. Neben dem kurzen, aber inhaltsreichen und treffenden Text von Sunhild Pflug überzeugt der Band durch die gelungene Kombination von Fotografien aus dem heutigen Berlin, historischen Aufnahmen, Kartenmaterial und Abbildungen von Dokumenten Tucholskys.

Der Name der Reihe leitet sich von den Buntpapieren ab, die seit Jahrhunderten als Vorsatzpapier oder zum Beziehen eines Bucheinbandes verwendet werden. Für das Tucholsky-Heft wurde ein Marmorpapier-Umschlag gewählt, das nach Mustern aus dem 19. Jahrhundert hergestellt wurde.

Zu den Frankfurter Buntbüchern:
http://www.heinrich-von-kleist.org/kleist-museum/museumsshop/frankfurter-buntbuecher/


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Kurt Tucholsky: Traktat über den Hund

Kaum ein anderer Text von Tucholsky verursachte solch einen Aufruf wie sein “Traktat über den Hund”. Was deutlich machte: Hundehalter verstehen keinen Spaß.

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Bild von Donald Clark auf Pixabay

„Es muss wohl Katzenmenschen und Hundemenschen geben. Magst du den Hund? Ich auch nicht. Er brüllt den ganzen Tag, zerstört mit seinem unnützen Lärm die schönsten Stillen und wird in seiner Rücksichtslosigkeit nur noch von der seiner Besitzer übertroffen. (Protest des Reichbundes Deutscher Hundefreunde. Kusch).“

Peter Panter, Brief an einen Kater, Vossische Zeitung, 25.11.1927

Kurt Tucholsky liebte das freie Wort, die Frauen und Katzen. Hunde liebte er nicht. Oder präziser: Er liebte nicht, was der Hundehalter, insbesondere der „teutsche“ Hundehalter, aus dem Wesen Hund machte. Und: Der extrem lärmempfindliche Autor, der wegen seiner chronischen Nebenhöhlenentzündungen oft unter höllischen Kopfschmerzen litt, ging an und unter die Decke, wenn in seiner Nachbarschaft Dauergebell zu hören war.

Dieses Kranken am deutschen Wesen Hund und an dem von ihm produzierten Lärm ist hier und da in den Texten Tucholskys zu finden. Er dichtete über „Führerhunde“ (1921), über liebestolle Hunde in „Der Lenz ist da“ (1914) und schrieb in „Zwei Lärme“ (1925) über die Quälereien, die am Klavier dilettierende Nachbarfräuleins und bellende Hunde auszuüben vermögen:

„Allmorgendlich versammeln sich zwei singende Klavierspielerinnen und sechs Hunde in meinem Zimmer, treffen dort zusammen, die Hunde heulen Symphonien, die Klaviere bellen, die Sängerinnen jaulen. Sie zerstören das Beste: Die Ruhe.“

Aber in keinem anderen Texte wurde er so deutlich in seiner Abneigung gegen den „besten Freund des Menschen“ (und dessen Halter) wie im 1927 in der Weltbühne veröffentlichtem „Traktat über den Hund“.

„Hundebesitzer sind die rücksichtslosesten Menschen auf der Welt“, beginnt er seine Überlegungen zum „Tierhalter“ und endet mit dem Schluss:

„So ist der treue Hund so recht ein Ausdruck für die menschliche Seele. Allerseits geschätzt; nur selten in der Jugend ersäuft; gehalten, weil sich der Nachbar einen hält, von feineren Herrschaften auch als Schimpfwort benutzt – so bellt er sich durchs Leben. (…) Eine fortgeschrittene Zivilisation wird ihn als barbarisch abschaffen.“

Boah! Was gab das für einen Aufruhr: Tucholsky wurde mit erbosten Leserbriefen überschwemmt, treue Leser kündigten ihre Abonnements der „Weltbühne“ und ließen wahre Schimpftiraden und Verwünschungen über den Autoren los. Der aber bellte und biss gekonnt zurück und ergänzte sein „Traktat“ 1929 um weitere Kapitel:

„Da habe ich über den Hund traktiert, eigentlich mehr über das nervabtötende Gebell dieser Tiere, und man muß schon das Vaterland, das teure, und was an Generalen, Zeitungen und deutschen Männern drum und dran hängt, beleidigen, um einen solchen Lerm zu erleben.“

(Lerm mit „e“ nach Schopenhauer).

Natürlich hatte Tucholsky als begnadeter Satiriker mit seinen Anti-Hund-Tiraden nicht nur das Hundeherz getroffen, sondern vor allem menschliche Eigenschaften bloßgelegt, die er Hund und Halter zuschrieb: „Duckmäusertum, Kadavergehorsam und Anpassung“ (Claus Lorenzen).
Und so hatte sein „Traktat“ wie andere seiner Texte eben auch eine gesellschaftspolitische Komponente. „Ein großer Teil dieser (…) Menschen hat an dem Hund nur einen Untertan“, schrieb Tucholsky 1922 in „Der Hund als Untergebener“.

Dieser Text, das Traktat sowie etliche weitere Beispiele, in denen „Tucho“ auf den Hund kam, gab Claus Lorenzen in einem wunderbar von Klaus Ensikat illustrierten Band 2013 heraus, erschienen bei der Officina Ludi. Das Buch wurde 2016 nochmals als Sonderausgabe nachgedruckt – ein wirkliches Schmuckstück, das nicht nur Tucholsky-Anhängern, Ensikat-Liebhabern, Katzenfreunden, sondern vielleicht auch dem einen oder anderen Hundehalter gefallen könnte.

„Ich denke mir die Hölle so, daß ich unter Aufsicht eines preußischen Landgerichtsdirektors, der nachts von einem Reichswehrhauptmann abgelöst wird, in einem Kessel koche – vor dem sitzt einer und liest mir alte Leitartikel vor. Neben dieser Vorrichtung aber steht ein Hundezwinger, darin stehen, liegen, jaulen, brüllen, bellen und heulen zweiundvierzig Hunde. Ab und zu kommt Besuch aus dem Himmel und sieht mitleidig nach, ob ich noch da bin – das stärkt des frommen Besuchers Verdauung. Und die Hunde bellen…!
Lieber Gott, gib mir den Himmel der Geräuschlosigkeit. Unruhe produziere ich allein. Gib mir die Ruhe, die Lautlosigkeit und die Stille. Amen.“

Zu den bibliophilen Schmuckstücken der Officina Ludi: http://www.officinaludi.de/


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Albert Londres: Ein Reporter und nichts als das

Albert Londres war das französische Pendant zu Egon Erwin Kisch. Tucholsky würdigte ihn “als Nummer für sich”. Ein rasender Reporter, ein brillanter Literat.

Londres„Er reist wie andere Opium rauchen oder Kokain schnupfen. Das war sein Laster. Er war abhängig von Schlafwagen und Passagierdampfern. Und nach jahrelangen unnötigen Fahrten durch die ganze Welt war er sich ganz sicher, daß weder ein noch so verführerischer Blick einer intelligenten Frau noch die Verlockung eines Geldschranks für ihn den teuflischen Charakter einer einfachen, rechteckigen, kleinen Zugfahrkarte hatten.“

Albert Londres, „Ein Reporter und nichts als das“, Die Andere Bibliothek, 2013.

Liest man die Reportagen von Albert Londres, dann drängt sich der Vergleich zu einem anderen Reporter-Star dieser Zeit, Egon Erwin Kisch (1885-1948), förmlich auf. Während Kisch deutschen Journalisten bis heute ein Vorbild ist und seit 1977 der nach ihm benannte Preis für aufklärenden, investigativen und sprachlich niveauvollen Journalismus, vergeben wird, so ist Londres (1884 – 1932) das französische Pendant: Dort gilt er nach wie als Inbegriff des „rasenden Reporters“, seit 1933 gibt es den Albert-Londres-Preis für investigativen Journalismus.

Tucholsky würdigte den Reporter 1925 in der „Weltbühne“:

„Albert Londres ist eine Nummer für sich. Man stelle sich einen Egon Erwin Kisch vor, der nicht aus Prag stammt – das geht nicht –, also man denke sich einen gebildeten Mann, der von einer großen Reporterleidenschaft wirklich besessen durch die Welt getrieben wird. Londres ist ein Reporter und nichts als das: keine langatmigen Untersuchungen, keine exakten Dokumente, sondern: Wo ist etwas los? Ich will dabei sein! Ihr werdet lesen.”

Doch es musste fast 90 Jahre dauern, bis einige seiner ausgewählten Reportagen in deutscher Sprache erschienen. Vor allem „Die Andere Bibliothek“ kann sich einmal mehr dieses Verdienst anheften. „Ein Reporter und nichts als das“ – der Titel ist dem Tucholsky-Zitat entnommen – bündelt drei Reportagen des Franzosen, die verdeutlichen, warum er ein Vorbild für viele Journalisten – insbesondere jene, die die literarisch gehobene und politische Reiseberichterstattung pflegen – wurde. Die drei Reportagen  „China aus den Fugen“ (1922), „Ahasver“ (1929/1930) und „Perlenfischer“ (1931) sind  journalistische Kunststücke und literarische Juwelen. Brillant geschrieben, von einer stilistischen Eleganz und formalen Vielfalt geprägt, reißen sie den Leser mitten hinein ins jeweilige Herz der Finsternis, nehmen ihn mit auf die Reise und übertragen auf ihn diese Mischung aus kontemplativen Flanieren, Schauen und Beobachten und der Atemlosigkeit, die eintritt, wenn die Ereignisse sich überstürzen und der Reporter sich plötzlich mitten im Auge des Sturms befindet.

Unbeteiligt, unvoreingenommen, aber niemals distanziert blickt Londres, der seine Reporterkarriere beim „Le Matin“ begann, später bei Le Petit Journal und bei Excelsior zu einem der bestbezahlten Vertreter seiner Zunft wurde, auf die örtlichen Begebenheiten, auf die politischen Unruhen, die Ränke der Machthaber, das alltägliche Leid der Unterdrückten, gemäß seinem Wahlspruch:

Notre rôle nest pas dêtre pour ou contre, il est de porter la plume dans la plaie.“
– Unsere Rolle besteht weder in einem Dafür noch einem Wider, wir müssen die Feder an die Wunde setzen.

Dies tut Londres mit etlichen Berichten, die für Aufsehen, politische Diskussionen und Veränderungen sorgen, sei es über die französischen Straflager in Französisch-Guayana, die Zustände in Nervenheilanstalten oder aber auch sein Bericht über die Tour de France, wo er als einer der ersten einen Dopingfall aufdeckt.

Zwar betonte er von sich selbst, ein Reporter sei stets unvoreingenommen, kenne keine Linie, außer der einzigen, der Eisenbahnlinie – doch Londres, so mag man wie Marko Martin im Nachwort des Buches vermuten, ist ein „Herzens-Anarchist“. Zuweilen verlässt er die Position des Beobachters und wirbelt gehörig mit, rettet nebenbei eine Kurtisane („China aus den Fugen“) oder ermahnt die Perlenketten tragenden Damen, angesichts ihres Schmucks („Perlenfischer“) nicht zu vergessen, wieviel Blut das Geschmeide die ausgebeuteten Perlentaucher kostet.

Auch wenn sich Albert Londres wohl gerne weltläufig und kaltschnäuzig gab – er war nicht „nur“ ein Reporter, sondern mehr als das. Spürbar wird dies in der umfangreichsten der drei Reportagen, in „Ahasver ist angekommen“. Obwohl kein Jude, wird die Sympathie des Reporters für das jüdische Volk in diesem Bericht, der ihn rund um die Welt führt, mehr als deutlich. Schon das Unternehmen an sich ist von sagenhaftem journalistischen Ehrgeiz – Londres reist 1929 über London in die Tschechei, die Karpaten und weiter via Czernowitz, Lemberg und Warschau nach Palästina. Er schildert die bedrückende Situation der Ostjuden, die Armut, die Ausgrenzung, die ewige Flucht, aber auch die Kluft zwischen orthodoxem Judentum und den jungen Zionisten, für die Palästina gleichzeitig Sehnsuchtsort und Heilsversprechen ist.

Auch für Londres ist Palästina Endpunkt der Reise, dort angekommen, gerät er mitten hinein in das politische Spannungsfeld zwischen Engländern, Arabern und Juden. Die Reportage, wenige Jahre vor seinem Tod entstanden, ist eines seiner Meisterstücke, eine eingehende Abbildung der bedrückenden Lebenssituation der osteuropäischen Juden kurz vor dem Massenmord.

„Polen, Rumänien sind aus Rußland hervorgegangen. Aber Polen und Rumänien haben aus Rußland ihren Vorrat an Antisemitismus erworben. Ein Jude ist dort immer ein Jude. Unter Umständen ist er ein Mensch, aber in jedem Fall ist er weder Pole noch Rumäne. Und wenn er Mensch ist, dann muss man ihn daran hindern, groß zu werden. Von der ganzen Geschichte der Juden hat Osteuropa nur die von Hiob behalten. (…). Das jüdische Problem ist kompliziert, aber ich glaube, daß es sich in einer Frage nach der Luft zusammenfassen läßt. Atmen oder nicht atmen können. Nicht mehr und nicht weniger.“

Verlagsinformationen zum Buch:
https://www.die-andere-bibliothek.de/Originalausgaben/Ein-Reporter-und-nichts-als-das::631.html

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