
Dennis` Eltern kamen aus New Jersey, und seine Mutter sah sich argwöhnisch in der Wohnung um, als hätte das Zusammenleben mit Jules ihrem Sohn das angetan. „Wo bügelst du?“, wollte sie wissen.
„Wie bitte?“ Sie bügelten kaum etwas, und wenn es doch unbedingt einmal nötig war, legten sie ein Badetuch übers Bett. So leben wir, wollte sie zu Dennis` Mutter sagen. Bügeln ist uns nicht wichtig, wir haben kein Geld, und jetzt verliert dein Sohn dank seiner genetischen Anlagen auch noch die Züge, die ich an ihm geliebt habe. Aber die Boyds schienen Jules die Schuld an seiner Depression zu geben – weil es kein Bügelbrett gab und vielleicht auch weil Jules Jüdin war. (Dennis hatte sie mehr als einmal darauf aufmerksam gemacht, mit welcher Versunkenheit sein Vater Dokumentationen über das Dritte Reich konsumierte).
Meg Wolitzer, „Die Interessanten“
Es gibt Bücher, die hinterlassen den Eindruck, da wollte ein Schriftsteller zu viel. „Die Interessanten“ ist für mich so ein interessanter Fall. Über 600 Seiten, drei Jahrzehnte reingepackt, sechs Einzelschicksale und nebenbei noch auch eine tour de force durch amerikanische Geschichte und Traumata: Nixon, Vietnam, Reagan, Aids, World Trade Center.
Mitte der 70erJahre treffen sich sechs Teenager in einem Sommercamp. Sie sind vielleicht eine Spur kreativer als die anderen, sie sind vielleicht ein wenig außergewöhnlicher, sie fühlen sich (was für Teenager nun allerdings eben durchaus gewöhnlich ist) anders als die anderen. Und taufen sich demnach „Die Interessanten“. Der Kern der Clique bleibt ein Leben lang intensiv verbunden: Das kreative Powerpärchen Ash und Ethan und Jules, die Ethans` erste Liebe, die später den depressiv erkrankten Dennis heiratet. Die weiteren drei Interessanten sorgen zwar am Rande für Spannungen, vorübergehende Spaltungen und Dramatik, bleiben jedoch Randfiguren und nebenstehende Auslöser für gruppendynamische Prozesse. Fast erleichtert muss man dieses registrieren – denn ansonsten wäre das Volumen des Romans noch mehr angeschwollen.
Geschult im creative writing
Nichts gegen den Schreibstil der Autorin und die Lesbarkeit des Romans zu sagen: Meg Wolitzer ist eine der vielen gegenwärtigen amerikanischen Autoren, die durch die Schule des „creative writing“ gegangen sind. Sie hat, wie so viele ihrer Generation, kreatives Schreiben studiert und selbst auch gelehrt. „Die Interessanten“: das ist gut, das ist routiniert geschrieben. Und dennoch – durch die Fülle dessen, was in den Roman gepackt ist, bestand bei mir die Gefahr, das Interesse zu verlieren. Der depressiv erkrankte Ehemann, das autistische Kind, der aidserkrankte Geliebte – alles, was an neuzeitlichen „Geiseln“ die Menschen bedroht, wird in die Leben der drei Hauptpersonen hineingepackt. Dazu noch Drogensucht, Alkoholkrankheit, Flucht in die Arbeitswut, Flucht in wohltätige Aktivitäten wie den Kampf gegen Kinderarbeit in asiatischen Fabriken, das Erbe, das die „Woodstock“-Generation mit ihren „Beatnik“-Eltern aufzuarbeiten hat, der Schock des 11. September. All dies, was diese Generation, die nach den 60ern kam, in den USA prägte, packt Wolitzer in das Schicksal ihrer Interessanten. Durchaus kunstvoll verknüpft – aber alles in allem viel zu viel.
Ein Mangel an stilistischer Originalität
Unisono wird der Roman derzeit in der Presse auf einer Ebene zwischen Jonathan Franzens` „Die Korrekturen“ und den Büchern von Jeffrey Eugenides angesiedelt. Vielleicht kann man ihn in der Mitte einordnen: Franzen schreibt dichter, zielgerichteter. Eugenides fällt in meinen Augen von Buch zu Buch ab. Zieht man den Vergleich zu einer anderen Autorin dieser Generation, Jennifer Egan, dann fehlt Meg Wolitzer der Wagemut, die Originalität des Schreibens.
Doch den Vergleich zu einer anderen Frau suchte Wolitzer nicht unbedingt, wenn man ihre Äußerungen in Interviews zum Maßstab nimmt – mehrfach schon beklagte sie die Situation von schreibenden Frauen (siehe ihr Essay „The second shelf“), das Schubladendenken der Verlage und des Buchbetriebs, das Abgestempelt werden unter dem Etikett „Frauenliteratur“. Mit den Interessanten wollte sie nach eigener Aussage dagegen anschreiben, wollte sie die Männerdominanz – „Große amerikanische Literatur? Ist weiß, männlich und über eins achtzig“ (Quelle: Ein Interview mit Wolitzer in der “Welt”) – eindringen. Vielleicht hat sie einfach zu viel gewollt: Zu viel lenkt ab von den Grundthemen Freundschaft, Erwachsenwerden, das Leben meistern in einer chaotischen Welt. So liest man den Roman durchaus gerne, doch zurück bleibt der Eindruck: Weniger wäre interessanter gewesen.
Bibliographische Angaben:
Meg Wollitzer
Die Interessanten
Übersetzt von Werner Löcher-Lawrence
Dumont Verlag, 2018
ISBN 978-3-8321-6456-0