Ein Gastbeitrag von Frank Duwald
Was für eine beeindruckende, was für eine mutige und intelligente Frau muss Jane Austen doch gewesen sein. In einer Zeit, in der Frauen eher als schmückendes Beiwerk ihrer Männer wahrgenommen wurden, schrieb sie mit Stolz und Vorurteil einen Roman über eine Frau, die anders ist. Eine Frau, die sich selbstbewusst und mit gesundem Menschenverstand über die Anstandsregeln setzt, die sie persönlich für sinnlos oder inakzeptabel erachtet. Dabei reflektiert sie gar nicht übermäßig, sondern verhält sich intuitiv einfach so, wie sie wirklich ist.
Eine unsterbliche Romanfigur
Elizabeth Bennet ist einer dieser unsterblichen, für immer geliebten Romanfiguren, bei denen man nicht anders kann, als sie ins Herz zu schließen. Sie ist durch und durch nonkonformistisch und einfach zu klug, sich dem Kuhhandel einer altersabsichernden Verheiratung zu unterwerfen. Ihr schräger Vater liebt sie dafür umso mehr, genau wie wir Leserinnen und Leser.
So amüsant sich all die Heiratsverwicklungen der Bennet-Töchter auch lesen, so grundernst ist dagegen der reale Hintergrund des Ganzen. Ginge es nach der geistig arg begrenzten Mrs. Bennet, würden alle ihre Töchter in einer Art lukrativem Familiengeschäft an den Bestverdienenden verschachert werden. Aber Elizabeth hat die Stirn, zwei lukrative Heiratsanträge zurückzuweisen und damit ihrer individuellen Linie treu zu bleiben. Ohne Getöse unterwandert sie das geläufige Schicksal junger Frauen ihrer Zeit, und den erhabenen Mr. Darcy reizt sie mit ihrer Kratzbürstigkeit sogar so weit, dass er schließlich bereit ist, eine kritische Selbstüberprüfung durchzuführen.
Individuelle Charaktere und unvergessliche Nebenfiguren
Die wirkliche Besonderheit von Stolz und Vorurteil ist die radikale Entdramatisierung des klassischen Liebesstoffes. Gewalt und Tod begegnet man nicht. Die Integrität des Individuums steht an erster Stelle. Was sich durchaus in Richtung eines Schmachtfetzens hätte entwickeln können, entfaltet sich zu einem minutiös durchkomponierten Werk mit einnehmenden Humor und herrlich individuellen Charakterbildern, die bis in die kleinste Nuance ausgeleuchtet sind. Gerade auch die Nebenfiguren sind unvergesslich: der schleimige Mr. Collins; die sich ständig daneben benehmende Mrs. Bennet, für die ihre Töchter sich in der Öffentlichkeit schämen; oder der Ruhe suchende, vor der Überspanntheit der Damen in seine Bibliothek flüchtende Mr. Bennet. Alles ist so außergewöhnlich wahrhaftig. Wir begegnen Situationen und Charakteren, die wir alle kennen und an denen sich bis heute nichts geändert hat.
Über allem thronen die beiden Liebesgeschichten des Buches. Diejenige Elizabeth‘, scheint zu Anfang jenseits des Vorstellbaren (und man rechnet natürlich genau deswegen damit, dass sie stattfinden wird) und wirkt überraschenderweise am Ende bei weitem nicht so romantisch wie vielleicht erwartet. Zweifel an der Echtheit von Elizabeth‘ Gefühlen beschleichen mich, sowie die Frage, ob Stolz und Vorurteil tatsächlich die schrankenlose, standesübergreifende Erfüllung einer großen Liebe darstellt, an die zu glauben der Roman uns, einem Märchen gleich, nahelegt. Elizabeth benimmt sich nach meinem Empfinden nicht wirklich wie eine Liebende und nährt damit den Verdacht, dass sich letztlich vielleicht doch selbsterhaltende Überlegungen in ihr Denken eingeschlichen haben. Elizabeth‘ persönliche reale Vorteile dieser Heirat liegen auf der Hand: Sie wird nie mehr um ihre Existenz bangen müssen, und sie bleibt in unmittelbarer Nähe ihrer geliebten Schwester Jane. Jane Austen nimmt Stolz und Vorurteil damit subtil aber gnadenlos die verklärende Illusion einer “Und-wenn-sie-nicht-gestorben-sind“-Romantik und legt den Finger in die schwärende Wunde der patriarchalischen Ordnung und der damit einhergehenden Repressionen gegen Frauen.
Zur Reihe:
Der Autor und Blogger Frank Duwald bespricht in dieser Reihe – “Liebesreigen der Literatur” – einige ausgewählte Romane.
Diese Bücher werden vorgestellt:
Jane Austen – Stolz und Vorurteil
Sylvia Brownrigg – Geschrieben für dich
F. Scott Fitzgerald – Der große Gatsby
Kazuo Ishiguro – Was vom Tage übrigblieb
Richard Lorenz – Frost, Erna Piaf und der Heilige
Michael Ondaatje – Der englische Patient