James Fenimore Cooper: Der letzte Mohikaner

„Der letzte Mohikaner“, 1826 erschienen, ist wohl einer der ersten amerikanischen Bestseller. Zwei Übersetzungen des Klassikers im Vergleich.

bison-60592_1920
Bild von WikiImages auf Pixabay

„Bücher!“, gab Falkenauge mit eigentümlicher, kaum verhohlener Verachtung zurück. „Haltet ihr mich für ein greinendes Kind, das am Rockzipfel von einem von Euren alten Mütterchen hängt, und diese gute Büchse hier auf meinen Knien für die Schwungfeder einer Gans, mein Ochsenhorn für ein Tintenfass und meinen Ledersack für ein kariertes Schneuztuch, in dem mein Abendbrot steckt? Bücher! Was hat einer wie ich, der ein Krieger der Wildnis ist, wenn auch ein Mann ohne fremdes Blut, mit Büchern zu schaffen! Ich hab nur in einem gelesen, und die Worte, die darin stehen, sind zu einfach und zu klar, als dass man dafür eine Schule besuchen muss“.

Hanser Verlag, 2013, neu übersetzt von Karin Lauer

„Buch!“, wiederholte Falkenauge mit auffallender, unverhohlener Verachtung; „haltet Ihr mich für einen wimmernden Knaben, der einer Eurer alten Großmütter an der Schürze hängt; und die gute Büchse auf meinem Knie da für eine Gänsefeder, mein Pulverhorn für ein Tintenfass und meine Jagdtasche für ein kariertes Taschentuch, mein Essen drin in die Schule zu tragen? Was hab` ich, ein Krieger der Wildnis, obgleich ein Mann von reinem Blut, mit Büchern zu schaffen? Ich las immer nur in einem, und die Worte, welche in diesem geschrieben sind, sind zu einfach und zu klar, um vieler Schulen zu bedürfen“.

Fischer Taschenbuch, 2008, in der Übersetzung  von Johann Friedrich Leonhard Tafel (1800-1880).

Den letzten Mohikaner las ich zuletzt vor 35 Jahren als Kinderbuch. Hängen blieb: Edler Wilder rettet zwei Jungfrauen, stirbt, der väterliche ältere Freund (Lederstrumpf) trauert. Knall bumm, Herzschmerz, tot. Schmissig, fand ich es, abenteuerlich und natürlich voll romantisch: Der edle Wilde und die weiße Maid. Dieser Karl-May-gefärbte Gesamteindruck wird wohl auch damit zusammenhängen, dass ich, wie viele andere auch, den Mohikaner in einer gekürzten, für den Jugendbuchmarkt zurechtgestutzten Fassung vor mir hatte. Nun also die erste Neuübersetzung seit mehr als hundert Jahren, erschienen 2013 beim Hanser Verlag, inzwischen auch als dtv-Taschenbuch erhältlich.

Original in der Übersetzung oft einschneidend gekürzt

Karin Lauer hat den Roman, den zweiten und populärsten aus der fünfteiligen Lederstrumpf-Reihe, vollständig übertragen – mehr als 550 Seiten hat das Gesamtwerk, das in früheren Ausgaben oftmals um mehrere hundert Seiten gekürzt worden war. Das tut man natürlich gar nicht.  Aber an Karin Lauers Arbeit lag es dennoch nicht, dass ich der vollständigen Fassung wenig Reiz abzugewinnen vermochte. Es lag schon am Original. Denn der Roman an sich ist streckenweise langatmig, redundant, in einer beinahe gravitätisch anmutenden Sprache gehalten, eine Langsamkeit, die die Übersetzerin gut eingefangen hat. Die aber nicht jede Leserin zu fesseln vermag.

Eine blutgetränkte Geschichte

Der Kern der Geschichte ist freilich von Blut und Aktion getränkt: „Der letzte Mohikaner“ spielt während des britisch-französischen Krieges in Nordamerika. Im Sommer 1757 machen sich die beiden Töcher eines schottischen Militärs, Cora und Alice, aus einem belagerten Fort heraus auf eine Flucht durch die Wildnis. Nur begleitet von einem britischen Offizier und Gentleman, einem verwirrten Wanderprediger sowie einem Irokesen-Führer, der das Quartett prompt auch verrät. Gerettet – und das nicht nur einmal – werden die drei vom Trapper Nathaniel „Natty“ Bumppo alias Falkenauge alias Lederstrumpf sowie dem Mohikanerhäuptling Chingachgook und dessen Sohn Uncas. Nebst Kriegs- und Überfallsszenerien, Grausamkeiten und Gefahren bietet die Flucht  durch die undurchdringlichen Wälder Cooper jedoch auch Gelegenheit für lange Reden und Dialoge. Die rasende Hatz im Wechsel mit bedächtiger Konversation – eine zuweilen auf mich merkwürdig wirkende Entdeckung der Langsamkeit.

Vom „Barbaren“ zum „edlen Wilden“

„Der letzte Mohikaner“, 1826 erschienen, ist wohl einer der ersten amerikanischen Bestseller. So war er nicht nur in Amerika bereits nach wenigen Wochen ausverkauft, auch europäische Zeitgenossen wie Goethe und Balzac zeigten sich begeistert. J.F.Cooper (1789-1851) gilt als „Vater“ des amerikanischen Abenteuerromans, sein Werk „The Spy“ (1821) war der erste amerikanische Roman überhaupt, der in der Literaturzeitschrift „North American Review“ vorgestellt wurde. Die Lederstrumpf-Reihe schlug ein wie eine Bombe: Mit Lederstrumpf/Falkenauge wurde der Außenseiter als Archetyp des amerikanischen Helds geschaffen und zudem der „Barbar“ vom „edlen Wilden“ abgelöst. Auch wenn Cooper von Häuptling Kah-Ge-Ga-Ga-Bow das Zeugnis ausgestellt erhielt, kein lebender Schriftsteller sei seinem Volk so sehr gerecht geworden – der „letzte Mohikaner“ ist doch sehr geprägt vom Blick des, wenn auch hier wohlmeinenden, aber dennoch überlegenen weißen Mannes auf den Menschen einer anderen Hautfarbe (vergleichbar zu dieser Zeit: „Onkel Tom`s Hütte“). Und daher ist das Schicksal des letzten Mohikaners vom ersten Moment an glasklar vorgezeichnet – den Blick auf die weiße Frau bezahlt er mit dem Tod, Liebe zwischen zwei Menschen so unterschiedlicher Herkunft darf es nicht geben.

Durch Uncas Liebe zu Cora wird er „zivilisiert“, findet aber zugleich den Tod. In jedem der Lederstrumpf-Romane findet sich zudem dieses Motiv der moralisch zwar unanfechtbaren, aber überaus attraktiven jungen Frau. Interpretiert wird dies zuweilen als auch Metapher des Akts der Landbesiedlung: Denn Cooper war derjenige, der den Typ des Grenzgängers schuf, der zentrale Held aller Romane ist der Pfadfinder, der neue Mensch, der in der amerikanischen Wildnis entsteht. Die Lederstrumpf-Romane sind Beschreibungen einer Inbesitznahme – und bleiben darin durchaus ambivalent, widersprüchlich. Das Recht der „Weißen“, sich diesen Kontinent zu erobern, wird letztendlich nicht in Frage gestellt, auch wenn dies das Blut der indianischen Ureinwohner kostet.

Cooper bediente sich bei älteren Quellen

Kein Roman kann aus seiner Zeit herausgelöst werden. Und doch war diese immer wieder durchscheinende, etwas superiore Haltung des „Weißen“, nebst den langatmigen Passagen, einer der Gründe, die mir einen neuen Zugang zu dieser Geschichte erschwert haben. Die indianischen Ureinwohner werden stereotyp und klischeehaft gezeichnet. Dies mag auch daran liegen, dass Cooper selbst das Wissen über die einzelnen Stämme überwiegend aus zweiter Hand hatte und sich auf ältere Quellen stützen musste. Fehler inklusive: Mohikaner, auch den letzten, gab es nicht, die Bezeichnung war die Erfindung eines Ethnologen.

Cooper`s wesentliche Quellen waren die Missionsgeschichte der Nordamerikanischen Indianer des Herrnhuter Missionars Georg Heinrich Loskiel. Loskiel (1740-1814) berichtet über die Missionsarbeit der Herrnhuter Brüder aus dem Gebiet der Delawaren und Irokesen in Pennsylvania und New York. Außerdem stützte sich Cooper auf die Schriften von John Heckewelder. Heckewelder (1743-1823), ebenfalls Missionar der Brüdergemeine, lebte fast 40 Jahren unter den Indianern. Andererseits: Als Cooper seinen Roman schrieb, war die Ausrottung der indianischen Bevölkerung noch im vollen Gange (ein wichtiges Sachbuch zum Thema veröffentlichte Dee Brown 1970 mit „Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses“). Sahen große Teile der weißen Siedler in den Ureinwohnern wohl nicht mehr als zweitklassige Menschen oder gar Tiere, so bewirkten humanistisch gesinnte Schriftsteller wie Cooper einen ersten Blickwechsel – wenn auch dieser Exotismus den real existierenden Indianern kaum oder wenig geholfen hat.

Lederstrumpf wurden zum nationalen Mythos

Cooper legte mit den Lederstrümpfen den Grundstein für einen nationalen Mythos, der mehr als hunderte Jahre danach in den Westernfilmen weiterwirkte und im Grunde bis heute noch in der amerikanischen Kultur spürbar ist. Der Kampf des Einzelnen, notfalls auch mit Gewalt, für sein Territorium, sein Eigentum, seine Anschauungen – dies ist es auch, was Nathaniel Bumpoo, dieser widersprüchliche Held, verkörpert.

Mag die Anschauungsweise Coopers auf die indianische Welt auch der Zeit  und seinem Erfahrungshorizont geschuldet sein: Der Stil Coopers ist zeitunabhängig. Balzac lobte ihn als „literarischen Landschaftsmaler“. Für meinen Geschmack hat der letzte Mohikaner streckenweise zuviel Landschaft, zuviel Lagerfeuerplauderei, zuviele Pinselstriche.

Informationen zum Buch:

James Fenimore Cooper
Der letzte Mohikaner
Übersetzt von Karin Lau
Hanser Verlag, 2013
ISBN 978-3-446-24135-0