
Nach dem Essen baten er und seine Frau Elisabeth die Gäste ins Herrenzimmer zu Cognac, Likör, Zigarren und Zigaretten.
Kreisleiter Hitzer sagte zu Hans Kramer:
„Eine feste Burg ist Ihre Villa.“
Ortsgruppenleiter Vieweg sagte, zu Elisabeth gewandt:
„Eine gute Wehr für sie und die Kinder.“
Hans Joachim Schädlich, „Die Villa“.
1940 scheint die kleine Welt der Kramers noch in Ordnung. Hans Kramer, aus Überzeugung früh in die Partei eingetreten, unterhält einen florierenden Wollhandel und schafft es durch Fleiß und Ehrgeiz, seine Familie von einem vogtländischen Dorf in eine Villa nach Reichenbach zu verfrachten.
Man richtet sich ein, freut sich, nach drei Buben, darüber, dass endlich ein Mädchen geboren ist, schafft Möbel an, engagiert Personal. Am Frühstückstisch werden die Weltnachrichten besprochen, die Wehrmacht ist in halb Europa einmarschiert, Hans Kramer siegesgewiss, allein Elisabeth stellt ab und an eine leise, ängstliche Frage. Für Irritation sorgt in der heilen Welt allenfalls, dass Fritz, Elisabeths psychisch kranker Bruder, der in einer Anstalt lebt, plötzlich verstirbt.
Eine der wenigen Stellen, da Hans Joachim Schädlich als Erzähler quasi kommentierend eintritt, die Familie den Euthanasie-Tod rückwirkend betrachten lässt. Doch ansonsten erzählt er die Geschichte dieser deutschen Durchschnittsfamilie, ihres Aufstiegs und Niedergangs, in einer nüchternen, sachlichen Sprache. Präzise, auf das Notwendigste beschränkt, auf das Äußerste verdichtet – doch gerade dadurch wird die Banalität des Alltags in der NS-Zeit, die Selbstverständlichkeit, mit der die Menschen das, was auf politischer Ebene geschah, akzeptieren, besonders deutlich.
Da ist der psychisch kranke Bruder, der unerwartet wegen eines Lungenleidens verstirbt. Da ist der Lehrer, der einzige Jude am Ort, der eines Tages eben verschwindet. Und auch der geschäftliche Profit, den Hans Kramer durch die Enteignung jüdischer Unternehmer macht, wird „hingenommen“.

Die Leser werden mit den Gesprächen des Ehepaares, am Frühstückstisch die Zeitungsnachrichten kommentierend, durch die Jahre geführt. Das Glück im eigenen Heim, von vornherein auf zerbrechlichen Beinen stehend – Elisabeth wollte nicht heiraten, wollte keine Kinder, aber ihr Vater ließ nur die Jungen etwas lernen – das Glück ist von kurzer Dauer. Die Welt rückt näher, der Krieg auch und die Villa ist längst nicht die feste Burg, die überdauert.
Wo andere über die große Geschichte schreiben, erzählt Schädlich Geschichten, Alltagsgeschichten, die das große Ganze spiegeln und entschlüsseln. So nüchtern, so lakonisch, auf jedes schmückende Beiwerk verzichtend, oft in Kapiteln, die kaum eine Seite füllen, enthüllt der altersweise Schriftsteller eine ganz einfache Wahrheit: Eine Familie wie die Kramers, das war im Nationalsozialismus der Alltag. „Die Normalität“ (ein Wort, das aktuell wieder viel gebraucht wird), das war, sich anzupassen, mitzulaufen, durchzuwursteln. „Die Villa“: Steinernes Zeugnis für den Versuch, teilzuhaben, steinernes Zeugnis für das Scheitern. Am Ende wird die Villa der Moderne zum Opfer fallen, einer Fabrik für Aktenvernichtung weichen müssen. Ironie des Schicksals: Dank eines Schriftstellers wie Hans Joachim Schädlich überlebt das geschriebene Wort doch.
Weitere Besprechungen:
Eine eingehende Rezension findet sich auch bei „literatur leuchtet“.
Lesenswert ebenso die Besprechungen im NDR von Alexander Solloch und im Deutschlandfunk von Paul Stoop.
Weitere Informationen zum Buch:
Hans Joachim Schädlich
Die Villa
Rowohlt Verlag, 2020
Gebunden, 192 Seiten, Hardcover 20,00 €, E-Book 19,99€
ISBN: 978-3-498-06555-3
Informationen zum Autor: https://www.rowohlt.de/autor/hans-joachim-schaedlich.html
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