Hildegard Keller & Christof Burkard: Frisch auf den Tisch

„Diese in allen Wassern gewaschenen Nudeln müssen 20 Minuten über leichtem innerem Feuer des Lesers aufgesetzt werden. Die Mahlzeit ist nahrhaft wie ein Märchen.“

Walter Benjamin

Essen und Lesen gehen nicht nur phonetisch gut zusammen. Beides hat im besten Falle mit Genuss zu tun, beides schafft Pausen vom Alltag, bringt Zeiten der Muse. Ein gutes Buch macht meist Appetit auf mehr. Nicht umsonst spricht man von Lesefutter. Und die Gerüche und Gewürze eines leckeren Essens können einen für kurze Zeit in andere Länder und Welten entführen – etwas, das auch beim Kopfreisen mit guter Literatur passiert.

Dass Literatur auch durch den Magen geht, das beweisen die Maulhelden: Hildegard Keller, die Literaturwissenschaftlerin und Autorin, die Lesenden unter anderem durch den Literaturclub im Schweizer Fernsehen und vom Bachmannpreis bekannt sein wird, bildet mit ihrem Ehemann, dem Juristen Christof Burkard, in der Küche und auf der Bühne ein kongeniales Gespann.

Hinter die Kulissen, sprich auf den heimischen Herd des Paares, durfte das „Tagblatt“ blicken und berichtete:

“Ihre Aufgabenteilung: «Hildegard ist das literarische Gewissen», sagt Christof Burkard, «Christof ist der Menü- und Geschichtenerfinder», ergänzt Hildegard Keller. Gekocht wird aber nicht einfach, was in den Romanen gegessen wird, die beiden übersetzen Werke und Autoren in kulinarisch-literarische Performances.”

Etliche der kurzen Streifzüge durch die Literatur und die leckeren Rezepte, die davon inspiriert sind, veröffentlichten Keller & Burkard als Kolumne im „Literarischen Monat“. Sie gründeten zusammen 2019 auch die „Edition Maulhelden“, deren zweiter Titel „Frisch auf den Tisch“ eben nun jene „Weltliteratur in Leckerbissen“ serviert, ergänzt durch drei neue, weitere Gänge mit Max Frisch, Rosa Luxemburg und Walter Benjamin sowie einem ausführlichen Küchengeplauder der beiden Herausgeber.

Die Kolumnen drehen sich also um die großen Hechte der Weltliteratur und Kultur: Um den oben zitierten Walter Benjamin, viele Schweizer Autoren wie Friedrich Glauser, Gottfried Keller und Max Frisch sind vertreten, aber auch Ingeborg Bachmann, Hannah Arendt und Hildegard von Bingen haben ihren Auftritt an der literarisch-kulinarischen Tafel.

Ein abwechslungsreiches Menü, das den Leserinnen und Lesern da serviert wird, die einzelnen Gänge ganz unterschiedlich gewürzt: Mal mit einer dezenten Prise Ironie wie bei Max Frisch, mal mit Gewürzen und Gerüchen aus Nordafrika angereichert wie bei Glausers Taboulé oder einem Dessert, das wie ein Gedicht ist, für Ingeborg Bachmann. Allerdings eines, das sowohl Könnerschaft als auch Mut erfordert:

„Und wehe, wenn der Ofen während des Backens geöffnet wird, scheint Ingeborg Bachmann zu flüstern. Profiteroles sind Poesie pur und werden nicht ganz angstfrei hergestellt. Man kann an ihnen scheitern.“

In den locker-luftig geschriebenen Essays erfährt man auch allerlei Neues zu Leib- und Magendichtern. Von Robert Walsers Liebe zur Wurst ahnte ich bislang nichts. Wie man dagegen Kartoffelstock zu essen hat, das weiß man vielleicht bereits aus Kellers „Seldwyla“. Meine Lieblingsstelle in diesem Buch jedoch ist die, mit der Max Frisch ganz vortrefflich charakterisiert wird:

„Wie bringen wir diesen Frisch auf den Teller? Das Ringen mit der Form und der Kantigkeit des Lebensbei gleichzeitigem Hoffen auf die wahre Essenz lässt nur ein Gericht zu: Die gefüllten Teigtaschen à la Max – im Volksmund Ravioli – sind nichts anderes als Architektur auf dem Teller. Sie bilden ab, wie Faber sein Leben durch diese ziemlich schiefe Liebe erneuern will. Wilder Inhalt ist gebändigt im bürgerlichen Rechteck und schwimmt schließlich doch in einer schönen Brühe.“

Guten Appetit!

Übrigens: Das Buch im handlichen Format ist sehr schön gestaltet und ist mit seinen vielen liebevollen Details – freigestellten Zitaten, Illustrationen von Hildegard Keller und den Rezepten von Christof Burkard – etwas für literarische Feinschmecker.

Informationen zum Buch:

Hildegard Keller & Christof Burkard
Frisch auf den Tisch. Weltliteratur in Leckerbissen
Edition Maulhelden, Zürich, 2020
14×21,5 cm, gebunden, zweifarbiger Druck, Rezeptseiten in Farbe, mit bedrucktem Vorsatz, 13 Zeichnungen in Farbe, mit Lesebändchen, 144 Seiten
24,80 CHF, 21,— € (D), 21,50 € (A)
ISBN: 978-3-907248-01-0


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Literarische Orte: Heidelberg und die Romantiker.

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Bild von Heidelbergerin auf Pixabay

Lange lieb ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust,
Mutter nennen, und dir schenken ein kunstlos Lied,
Du, der Vaterlandsstädte
Ländlichsschönste, so viel ich sah.

Wie der Vogel des Walds über die Gipfel fliegt,
Schwingt sich über den Strom, wo er vorbei dir glänzt,
Leicht und kräftig die Brücke,
Die von Wagen und Menschen tönt.

Wie von Göttern gesandt, fesselt` ein Zauber einst
Auf die Brücke mich an, da ich vorüber ging,
Und herein in die Berge
mir die reizende Ferne schien,

Und der Jüngling, der Strom, fort in die Ebne zog,
Traurigfroh, wie das Herz, wenn es, sich selbst zu schön,
Liebend unterzugehen,
In die Fluten der Zeit sich wirft.

Quellen hattest du ihm, hattest dem Flüchtigen
Kühle Schatten geschenkt, und die Gestade sahn
All` ihm nach, und es bebte
Aus den Wellen ihr lieblich Bild.

Aber schwer in das Tal hing die gigantische,
Schicksalskundige Burg nieder bis auf den Grund
Von den Wettern zerrissen;
Doch die ewige Sonne goss

Ihr verjüngendes Licht über das alternde
Riesenbild, und umher grünte lebendiger
Efeu; freundliche Wälder
Rauschten über die Burg herab.

Sträuche blühten herab, bis wo im heitern Tal,
An den Hügeln gelehnt, oder dem Ufer hold,
Deine fröhlichen Gassen
Unter duftenden Gärten ruhn.

Friedrich Hölderlin

Immer wieder suchte der ewig vor sich und anderen flüchtende Friedrich Hölderlin (1770 – 1843), bis er dann seine zweite Lebenshälfte in seinem Tübinger Turmzimmer verbrachte, auch die kühlen Schatten der Stadt Heidelberg auf. 1788 war sein erster Besuch in der Neckarstadt, 1800 entstand sein Gedicht, kurz nachdem die Alte Brücke über den Neckar fertiggestellt worden war. Es ist wohl das berühmteste Heidelberg-Poem. Mit den Zeilen „schicksalskundige Burg nieder bis auf den Grund von den Wettern zerrissen“ bezieht sich Hölderlin auf einen Blitzschlag, der 1764 das Heidelberger Schloss, kaum dass es nach der teilweisen Zerstörung durch die Franzosen 1693 wieder aufgebaut worden war, vollends beschädigte. (Ein ausführlicher virtueller Rundgang durch das Schloss, den Schlossgarten bis hin zum berühmten Riesenfass findet sich hier.)

Wie die „Weimarer Klassik“ gibt es auch für Heidelberg den Begriff einer Literaturepoche, der mit der Stadt verbunden ist: Die „Heidelberger Romantik“. Hölderlin war ein Vorbote, verknüpft ist sie vor allem mit Clemens von Brentano und Achim von Arnim, die zweitweise in Heidelberg lebten (datiert wird die Heidelberg Romantik für die Jahre zwischen 1804 und 1818), dort an „Des Knaben Wunderhorn“ arbeiteten und die „Zeitung für Einsiedler“ herausgaben. Darüber hinaus studierte Joseph von Eichendorff von 1807 bis 1808 ebenfalls in Heidelberg, hatte aber wohl keine Kontakte zu Brentano/Arnim.

Die Romantik als Literaturepoche zeichnet sich durch Kritik an der Vernunft und auch in der Abgrenzung zur Aufklärung aus, zielt auf die Aufhebung der Trennung zwischen Philosophie, Literatur und Naturwissenschaften ab, greift die einfache Sprache des Volkes und seine Erzählungen auf – kurz: Zurück zur Natur, back to the roots.

Heidelberg, die „Ländlichschönste“, bot dafür das ideale natürliche Ambiente. Und weil die Romantiker auch gerne schwelgten, so ist es denn kein Wunder, dass manch einer von ihnen sich hier auch unglücklich verliebte – Joseph von Eichendorff beispielsweise in Käthchen Förster, die ihn wahrscheinlich zu „In einem kühlen Grunde“ inspirierte.

Die Ära der Heidelberger Romantik ging vorüber, literaturwissenschaftlich gesehen. Die Romantik in Heidelberg jedoch blieb. Jahrzehnte später traf es Gottfried Keller, der sich in die Tochter eines Heidelberger Politikers und Philosophieprofessors verschaute, als er sich von 1848 bis 1850 in der alten Universitätsstadt aufhielt. Auch ihm wurde die berühmte Brücke zu einer Metapher:

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Bild von Ramon Perucho auf Pixabay

Schöne Brücke, hast mich oft getragen,
Wenn mein Herz erwartungsvoll geschlagen
Und mit dir den Strom ich überschritt.
Und mich dünkte, deine stolzen Bogen
Sind in kühnerm Schwunge mitgezogen
Und sie fühlten mein Freude mit.

Weh der Täuschung, da ich jetzo sehe,
Wenn ich schweren Leids hinübergehe,
Daß der Last kein Joch sich fühlend biegt;
Soll ich einsam in die Berge gehen
Und nach einem schwachen Stege spähen,
Der sich meinem Kummer zitternd fügt?

Aber sie, mit anderm Weh und Leiden
Und im Herzen andre Seligkeiten:
Trage leicht die blühende Gestalt!
Schöne Brücke, magst du ewig stehen
Ewig wird es aber nie geschehen,
Daß ein bessres Weib hinüberwallt!

Gottfried Keller

Joseph von Eichendorff, Gottfried Keller und viele mehr erwischte es in Heidelberg (Goethe war natürlich auch da, aber der war sowieso immer in irgendjemand verliebt) – die Stadt mit ihren engen Gassen, dem meist milden Klima, den vielen Kneipen, dem lebendigen Universitätsleben, sie lädt ein wenig zum „dolce vita“ ein. Wen wundert es daher, dass der Schlager „Ich hab mein Herz in Heidelberg“ verloren, bis heute seine Wirkung tut …

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