Die Edition Faust erhält beim Hessischen Verlagspreis den Sonderpreis. Ausgezeichnet wird damit vor allem das Engagement des Verlags für künstlerisch herausragende Graphic Novels.
Die hessische Kunst- und Kulturministerin Angela Dorn hat heute die Juryentscheidung für den Hessischen Verlagspreis bekanntgegeben: Der mit 15.000 Euro dotierte Hauptpreis geht an den Regionalverlag Henrich Editionen. Den Sonderpreis in Höhe von 5.000 Euro bekommt Edition Faust für den Bereich Graphic Novel. Beide Verlage haben ihren Sitz in Frankfurt. Der Hessische Verlagspreis wird seit 2018 gemeinsam mit dem Landesverband Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V. vergeben.
Einblick in die Graphic Novel “Faust I”, illustriert von Alexander Pavlenko
„Die diesjährigen Preisträger des Hessischen Verlagspreises zeigen eindrucksvoll die große Bandbreite, den Mut zum Außergewöhnlichen und die hohe Qualität des verlegerischen Arbeitens in Hessen“ so Kunst- und Kulturministerin Angela Dorn. „Ein Schwerpunkt des literarischen Programms der Henrich Editionen ist Frankfurt und Umgebung: In liebevoll gestalteten Werken zeigt uns der Verlag frische Seiten der Gegend, führt Lesen mit kreativen und interaktiven Ansätzen zusammen und schafft es, dass sowohl Einheimische als auch Zugezogene die Rhein-Main-Region immer wieder neu entdecken.”
Werke der Weltliteratur neu präsentiert
“Die Edition Faust hat die Werke der Weltliteratur im Blick, die mit ihren Konflikten und Problematiken uns nach wie vor umtreiben, aber oft nicht einfach zugänglich sind. Mit seinen Graphic Novels schafft es der Verlag, diese großartigen Texte auf ungewohnte Weise zu präsentieren und so auch einem breiten Publikum näherzubringen. Ich gratuliere den Preisträgern herzlich zu diesem Erfolg und wünsche ihnen, dass die Auszeichnung dazu beiträgt, sie in ihrer Arbeit nachhaltig zu unterstützen – vor allem nach den schweren Pandemiejahren brauchen die hessischen Verlage unsere Aufmerksamkeit mehr denn je.“
Lothar Wekel, Vorsitzender des Landesverbandes Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland des Börsenvereins, ergänzt: „Im Herzen von Frankfurt verlegen die Henrich Editionen, die entstanden sind aus dem Traditionshaus Henrich Druck + Medien, seit 2010 hochwertige Bücher, Hörbücher und Nonbooks mit Themen rund um ebendies faszinierende Frankfurt und das Rhein-Main-Gebiet, in der Überzeugung, dass Publikationen ein Vergnügen für alle Sinne sein können. Und genau dies löst Frau Henrich-Kalveran mit ihren vielseitigen wie schönem Programm ein.”
Magische Bilderwelt
“Die Edition Faust hat seit 2014 mit seiner Graphic-Novel Reihe literarisches Urgestein durch die künstlerischen Arbeiten von Andrea Grosso Ciponte in eine magische Bilderwelt hinein entfaltet, die gerade auch jüngere Leser*innen in ihren Bann zieht – für dieses, aber auch für die anderen spannenden Programmbereiche arbeiten Ulla Bayerl, Werner Ost und Michele Sciurba in großer Begeisterung. Wir dürfen einmal mehr dem Hessischem Ministerium für Wissenschaft und Kunst und insbesondere der Ministerin Angela Dorn für dieses so wunderbare Engagement danken, der Öffentlichkeit einmal mehr die Schönheiten der hessischen Verlagswelt mit diesem Preis näherzubringen.“
Die Jury beeindruckte bei Edition Faust besonders die Aktivitäten des Verlags im Bereich Graphic Novel: „Die Edition Faust innerhalb der Faust Kultur GmbH engagiert sich seit fast 20 Jahren für die Veröffentlichung aktueller und klassischer Motive in Literatur und Kunst sowie die Aufbereitung gesellschaftlicher, philosophischer und politischer Themen. Hier werden Werke der klassischen Literatur oder Personen der Weltgeschichte an ein neues, zeitgenössisches Format adaptiert und grafisch visualisiert. Mit den Künstlerduos Dacia Palmerino/Andrea Grosso Ciponte sowie Alexander Pavlenko/Jan Krauß hat der Verlag Partner*innen gefunden, die es hervorragend verstehen, die Inhalte bekannter Klassiker in der heutigen Zeit neu zu erzählen. Seien es Goethes Faust, Teil 1 oder Novellen von Theodor Storm und E.T.A. Hoffmann, durch die sprachliche Anpassung und die gewaltige Bildwelt des modernen Genres kommt es zu ganz neuen Interpretationen und Lerneffekten. Darüber hinaus sind Gesamtgestaltung und Herstellung der Bücher sehr gut gelungen.“
Der Verlagspreis ist Teil einer Initiative zur Verlagsförderung des Landes Hessen und des Landesverbandes Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V. Er verfolgt das Ziel, die kulturelle Vielfalt der Verlage in Hessen zu würdigen, sie zu unterstützen und zu erhalten. Außerdem sollen mit ihm die Verbreitung und der Vertrieb von Büchern gefördert und die komplexe und herausfordernde Verlagsarbeit in einer anspruchsvollen Phase sämtlicher Digitalisierungsaktivitäten in den Mittelpunkt gestellt werden.
Goethes Faust als Graphic Novel? Mit einer von Jan Krauß behutsam adaptierten Textfassung und den meisterlichen Zeichungen von Alexander Pavlenko kann man diesen Klassiker jungen Leserinnen und Lesern nahe bringen.
Alle Welt kennt den Gelehrten Faust, der einen Pakt mit dem Teufel schloss. Übersetzt liegt der Tragödie erster Teil in sämtlichen europäischen und vielen weiteren Sprachen vor, so beispielsweise in Chinesisch, Persisch, Urdu, Georgisch etc. Einige Zitate aus dem großen Werk sind Teil unserer Umgangssprache geworden.
Hätte Goethe diese Geschichte in unseren Zeiten erfunden, würde sie als Drehbuch für einen Film oder ein Game dienen. Jedoch fordert das Original sowohl hinsichtlich der Sprache als auch in Teilen der inhaltlichen Bezüge dem heutigen Leser viel ab, ist ohne Interpretationshilfen schwer in Gänze zu verstehen. Damit wird DAS deutsche Standardwerk vor allem bei Schülern immer unbeliebter und unbekannter. Die Graphic Novel FAUST will hier Abhilfe schaffen und das Meisterwerk jedem zugänglich machen.
Jan Krauß hat das sehr deutsche Lyrik-Werk vorsichtig sprachlich entstaubt, sensibel in Prosa transferiert und eine dramaturgisch gekonnte Fassung geschaffen, die Leser generationenübergreifend fesselt. Goethe-Experten haben die Textadaption kritisch gegengelesen. Von Jan Krauß liegen bereits der Nietzsche-Remix „Der dritte Dionysos“ und das Kinderbuch „Thors Hammer“ (Edition Roter Drache) vor. Dem international erfolgreichen Künstler Alexander Pavlenko gelingt es mit meisterlich gezeichneten Szenen wie aus einem kühnen Historienfilm, Goethes zentrales und exemplarisches Drama mit seinen verschiedenen Sphären, Milieus und Zeiten sinnfällig in entsprechenden Stilen zu visualisieren. So dass auch Wagner, Fausts Famulus, schwärmen kann: „Es ist ein so großes Vergnügen, sich in den Geist der Zeiten zu versetzen.“ Von Alexander Pavlenko erschien zuletzt die Graphic Novel „Herzl“ im Suhrkamp Verlag.
Informationen zum Buch:
Graphic Novel von Alexander Pavlenko und Jan Krauß nach Goethes FAUST I Edition Faust, Frankfurt November 2021 Format: 175 x 230 mm Gebunden. Vierfarbig. 162 Seiten. 24,– € ISBN 978-3-945400-78-4 https://editionfaust.de/produkt/faust/
Stimmen zum Buch:
Eine ausführliche Besprechung von Florian Balke erschien in der FAZ.
“Diese Graphic Novel erschließt uns dieses sehr deutsche Werk mit meisterlich gezeichneten Szenen wie aus einem kühnen Historienfilm. Dem international erfolgreichen Künstler Alexander Pavlenko gelingt es, Goethes exemplarisches Drama mit seinen verschiedenen Sphären, Milieus und Zeiten sinnfällig in entsprechenden Stilen zu visualisieren. Jan Krauß hat Goethes Lyrik adäquat in Prosa transferiert.” – Kronen Zeitung
“Zum Verlieben schön”, urteilt Lorenz Gatt in “Strandgut”.
“Es gelingt der Graphic Novel Ausgabe, genau dort anzusetzen, wo vor allem jüngere Leserinnen und Leser den originalen “Faust” zur Seite legen würden. Hier wird gezeigt, dass wir noch so Einiges mit diesem nur scheinbar eingestaubten Heinrich Faust zu schaffen haben.” – Lesering
“Ich bin mir (…) sicher, dass die Graphic Novel dazu motivieren kann, Goethes spannende Tragödie in die Hand zu nehmen und das Original (mit viel Freude) zu lesen.” – Blog Travel Without Moving
“Der Faust als Graphic Novel hat eine alte spannende Geschichte zu bieten und vermeidet eine Sprache, die als Hemmschwelle davor liegt, wenn man nicht gerade an alten Texten interessiert ist. Aufgrund der Bilder kann sie sehr gut für sich selber stehen. Auch wenn ich keine eifrige Faust-Leserin bin, fände ich es schön, wenn dieses Werk Lust aufs Original machen könnte.” – Heike Baller, Kölner Leselust
“Wer den Original-„Faust“ will, wird indes in vielen Ausgaben fündig. Zu Recht wohl ist der Verlag, der sogar Edition Faust heißt, jüngeren Generationen entgegengekommen, die hier einen spannenden Historienfilm erleben.” – Irmtraud Gutschke, Literatursalon
“Wie zeitlos und aktuell Goethes Tragödie ist, zeigt diese von Jan Krauß textlich adaptierte und von Alexander Pavlenko unvergleichlich gestaltete Graphic Novel.” – Katharina Strauß, Lesendes Federvieh
“Die überaus lesenswerte und empfehlenswerte Graphic Novel vermittelt auf bemerkenswerte Weise auch weniger Lesebegeisterten ein Stück klassischer Literatur, wobei sich Text und Bild zu einem eigenen Kunstwerk neu verbinden.” – Bildungsserver “Lesen in Tirol”
“Krauß wie auch Pavlenko schaffen es auf 162 Seiten Goethes Faust ein neues Gesicht zu geben und befreien das Werk von seinem angestaubten Image des schwer zu interpretierenden Werkes. Durch die kühne Transferierung der Sprache, sowie der gekonnten Visualisierung bereitet diese Version jedem, der das Werk wieder oder auch komplett neu für sich entdeckt ein wahres Lesevergnügen.” – booknerds.de
Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für den Verlag
Armin Strohmeyr zeichnet in seiner Biographie ein lebendiges, liebevolles Portrait von der ersten deutschen Berufsschriftstellerin.
Eine Gedenktafel der Bildhauerin Ulla M. Scholl erinnert in Augsburg an die Jugendjahre, die Sophie von La Roche hier verbrachte. Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay
„Aber vorher muß ich Ihnen noch das Bild meiner jungen Dame malen. Sie müssen aber keine vollkommene Schönheit erwarten. Sie war etwas über die mittlere Größe; vortrefflich gewachsen; ein länglich Gesicht voll Seele; schöne braune Augen, voll Geist und Güte, einen schönen Mund, schöne Zähne. Die Stirne hoch, und, um schön zu sein, etwas zu groß, und doch konnte man sie in ihrem Gesichte nicht anders wünschen.“
Aus: „Geschichte des Fräuleins von Sternheim“ von Sophie von La Roche
Dass Sophie von La Roche ihrem Fräulein (das übrigens ebenfalls den Vornamen Sophie trägt) wohl ihre eigenen Züge verliehen hat, das drängt sich beim Betrachten ihrer Portraits förmlich auf. Und auch wenn die junge Romanheldin in unerhörte Abenteuer gezwungen wird (ein Fürst begehrt sie zur Mätresse, sie wird Opfer einer Intrige, die zu einer Scheinehe führt und wird sogar in ein Verließ gesperrt), die ihre Schöpferin selbst niemals erlebte, so gibt es mehr als rein optische Gemeinsamkeiten: Am Ende siegen Tugend und Tatkraft, zwei Charaktereigenschaften, die Sophie von La Roche ihrer „papierenen Tochter“ verlieh und wohl selbst in gutem Ausmaß besaß.
Ihr zwar etwas weniger romanhaft-abenteuerliches, aber durchaus bewegtes Leben zeichnet der Schriftsteller und Publizist Armin Strohmeyr nun in der aktuell veröffentlichten Biographie „Sie war die wunderbarste Frau…“ – Das Leben der Sophie von La Roche detailreich nach. Kenntnisreich und mit viel Sympathie für die Frau, die zur bekanntesten Schriftstellerin ihrer Zeit wurde, schildert Strohmeyer deren Lebensweg: Maria Sophia Gutermann kommt 1730 in Kaufbeuren als Tochter eines schwäbischen Arztes zur Welt. Dass sie später einen Haushalt führen sollte, in dem sich die literarische Crème de la Crème jener Zeit die Klinke in die Hand gab – unter anderem fand der junge Goethe bei der Gallionsfigur der „Empfindsamkeit“ Inspiration für seinen Werther – und zur ersten deutschen Berufsschriftstellerin wurde, das war ihr durchaus nicht in die Wiege gelegt.
Auch in ihrer Geburtsstadt Kaufbeuren wird an Sophie von La Roche erinnert.
Strohmeyr, selbst in der Nähe Augsburgs geboren, in dem Sophie ihre Jugendjahre verbringt, bereichert die Lebensgeschichte der „La Roche“ mit viel Hintergrundwissen und Einfühlungsvermögen in die Welt, in der die bildungshungrige und wissensdurstige Sophie aufwuchs und sozialisiert wurde. Wie sehr sie geprägt war von diesem bürgerlichen, pietistischen Umfeld, das wird, wie Strohmeyr deutlich macht, in ihren späten Jahren offensichtlich: Vom „Sturm und Drang“ eines Schillers wendet sie sich mit Abscheu ab, die Auswüchse der französischen Revolution erschüttern sie nicht nur wegen deren gewaltsamen Folgen, sondern auch, weil ihr Weltbild denn doch gewisse Grenzen hat.
Doch bis dahin ist es ein langer Lebensweg – Sophie stirbt, 76-jährig, im Februar 1807 in Offenbach am Main – den Strohmeyr auf unterhaltsame und informative Weise, manchmal auch mit mildironischer Distanz zu seinem „Sujet“, nachvollzieht. Entscheidend für ihre Entwicklung sind zwei Ereignisse ihrer Jugend: Die frühe Liebe zu einem älteren, katholischen Italiener, die der pietistische Vater streng unterbindet, und die Begegnung mit Christoph Martin Wieland, die 1750 in eine Verlobung mündet. Dass das zum Scheitern verurteilt ist, liegt allerdings weniger am gestrengen Vater denn am wankelmütigen Verlobten. Doch für beide ist die Begegnung prägend: Wieland schreibt später, ohne sie wäre er wohl nicht zum Dichter geworden. Er wiederum unterstützt sie beim Verfassen ihrer Geschichte des Fräuleins von Sternheims und fungiert als Herausgeber, als das Werk 1771 noch anonym erscheint. Sophie von La Roche ist da bereits seit rund 18 Jahren mit dem katholischen und etwas älteren Verwaltungsbeamten Georg Michael Frank von La Roche, den sie in Augsburg kennengelernt hatte, verheiratet. Keine Liebesheirat, aber eine Partnerschaft, die bis zum Tod von La Roche von gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist. An der Seite ihres Mannes, der als Geheimer Rat des Trierer Kurfürsten Clemens Wenzeslaus Karriere macht, lernt Sophie andere Kreise kennen, verkehrt unter aufgeklärten Adeligen und Intellektuellen. So beginnt sie selbst zu schreiben, ein Vorhaben, in dem sie von Wieland unterstützt wird.
Armin Strohmeyr ordnet den Erfolg ihres ersten Romans auch literaturhistorisch ein:
„»Empfindsamkeit« ist das Zauberwort der Zeit. Uns Heutigen mag die Handlung des Romans zum Teil abstrus erscheinen, das zeitgenössische Publikum verschlang das Buch. Der Roman bot nicht nur eine spannende Handlung, erzähltechnisch durch mehrere Perspektiven differenziert, er bediente auch die geistigen Bedürfnisse der Zeit: Erziehung des Menschengeschlechts, Selbstfindung der Frau, Verbindung von aufgeklärtem Wissensdrang und frommer Ehrfurcht vor Gottes Schöpfung, von Ratio und Seele, alles abgemildert im Lichte einer Bewegung, die sich selbst als «Empfindsamkeit» deklarierte.“
Ist die Sternheim noch rein aus der Lust am Formulieren und einem gewissen Sendungsbewußtsein heraus entstanden, stehen die späteren Veröffentlichungen von Sophie von La Roche auch unter einem handfesten merkantilem Stern: Denn ihr Mann stürzt über die von ihm verfasste aufklärerische Schrift „Briefe über das Mönchwesen“, das elegante Leben in Ehrenbreitstein bei Koblenz ist jäh vorbei. Die plötzlich mittellose Familie kommt bei einem Freund in Speyer unter und hier beginnt Sophie um des Erwerbs willen zu schreiben.
In Speyer gibt Sophie von La Roche die erste deutsche Frauenzeitschrift heraus. Im “Hohenfeldtischen Hof” erinnert heute eine kleine Dichterstube an die Schriftstellerin.
Armin Strohmeyr:
„Hier fällt der Name des Projekts, das die La Roches aus der Geldnot führen soll, und das neben der Geschichte des Fräuleins von Sternheim zu Sophies bekanntestem und bedeutendstem literarischen und kulturgeschichtlichen Beitrag wird: Die Zeitschrift Pomona für Teutschlands Töchter erscheint monatlich von Januar 1783 bis Dezember 1784 in insgesamt 24 Heften zu je sechs Bogen (96 Seiten), herausgegeben, zum größten Teil aber auch verfasst von Sophie von La Roche. (…) Es ist die erste deutsche Zeitschrift, die von einer Frau für Frauen erstellt wird.“
An diesem Projekt zeigt sich, dass die Schriftstellerin nicht nur eine empfindsam „Verschwebte“ war, sondern auch ihre bodenständige, tatkräftige Seite hatte und zudem, wie man es heute nennen würde, bestens vernetzt war. Auch wenn die Ausdrucksweise ihrer Schriften heute überkommen ist – ihr sprachliches Talent lässt sich nicht verkennen. Vielmehr aber noch sind es ihre Produktivität, ihre Disziplin und das Selbstvertrauen in das eigene Können, das sie im Lauf der Jahre entwickelte, die sie zu einer Pionierin der deutschen Literatur werden ließ.
Eine Pionierin in den Grenzen ihrer Zeit, wie Armin Strohmeyr in seiner gelungenen Biographie herausarbeitet:
„Pomona ist nicht nur ein Periodikum mit dem Anspruch auf Unterhaltung und Bildung, es ist in seinem erzieherischen Aspekt auch Ausdruck einer erstarkten weiblichen Seite bürgerlicher Aufklärung in Deutschland. Wenngleich die gebildete Frau nach Sophie von La Roches Vorstellung nie versuchen sollte, sich an Mannes statt in Wissenschaft und Vita activa zu setzen, so ist das keineswegs Ausdruck von Selbstbescheidung. (…) Sophie von La Roches Frauenbild mag noch wenig mit dem Emanzipationsgedanken späterer Zeit zu tun haben, es hebt die »moderne« Frau des aufgeklärten 18. Jahrhunderts aber doch ab von der verwöhnten und ausgehaltenen Mätresse des Fürstenhofes.“
Die gesellschaftlichen Bedingungen über ihre aufgeklärten Grenzen hinaus weiter zu verändern, dies blieb (so wie es auch heute ist) Auftrag der nachkommenden Generation, bei Sophie von La Roche sprichwörtlich der Enkelgeneration – denn nicht zuletzt ist die erste deutsche Berufsschriftstellerin auch die Großmutter von Bettine von Arnim und Clemens Brentano gewesen.
Bibliographische Angaben:
Armin Strohmeyr „Das Leben der Sophie von La Roche“ Südverlag Konstanz, 2019 24,00 Euro, gebunden mit Schutzumschlag, 304 Seiten ISBN 978-3-87800-126-3
Für E.T.A. Hoffmann waren die Jahre in Bamberg eine einzige Katastrophe. Aber erst dort entdeckte der Jurist, Musiker und Zeichner sein eigentliches Talent.
„Meine Lehr- und Marterjahre sind nun in Bamberg abgebüßt, jetzt kommen die Wander- und Meisterjahre.”
Dies sagte E. T. A. Hoffmann über seine Zeit in Franken. Es waren tatsächlich von außen betrachtet katastrophale Jahre in einem viel zu kurzen, wilden, phantastischen Leben. Aber es waren auch die Jahre, in denen die Saat für ein literarisches Werk gelegt wurde, das bis heute fasziniert und andere Schriftsteller beinflusst.
Ruf an das Bamberger Theater
1808 kommt der in Königsberg geborene Hoffmann nach Bamberg, nachdem der 32jährige nach dem Jurastudium in das von den Preußen besetzte Polen delegiert worden war. Die Juristerei war ein Beruf, der Musik galt seine Liebe: Nicht von ungefähr änderte Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann seinen dritten Vornamen in Amadeus ab. Die Flucht aus dem Brotberuf und dem polnischen Exil gelang ihm, unterbrochen von einer kurzen Zeit der Arbeitslosigkeit in Berlin, durch einen Ruf an das Bamberger Theater.
Das Bamberger Theater leistete sich als eine der ersten deutschen Bühnen ein festes Ensemble. Im Jahr, als Hoffmann nach Bamberg kam, war gerade ein neu gebautes Theatergebäude am Schillerplatz eröffnet worden.
Skulptur in Bamberg: E.T.A. Hoffmann als Kreisler mit dem Kater Murr auf dem Rücken. Bild: Birgit Böllinger
Hoffmann kam ursprünglich als Musikdirektor in die oberfränkische Stadt. Doch wurde er bald Opfer von Intrigen und ins Abseits gestellt. Er durfte nur eine Oper dirigieren, wurde nach einem zwischenzeitlichen Bankrott des Theaters entlassen, 1810 aber wieder als „Mädchen für alles“ angestellt: So war er, im besseren Fall, ab und an als Dramaturg tätig, aber eben auch als Kartenabreißer und Kulissenmaler.
Kapellmeister Kreisler wird erschaffen
Um sich und seine Frau Marianne Thekla Michaelina Rorer (Mischa), die er in Posen kennengelernt hatte, über die Runden zu bringen, musste Hoffmann dazu verdienen: So als Kritiker für die „Allgemeine Musikalische Zeitung“ mit Sitz in Leipzig. Für diese Tätigkeit gab er sich ein Pseudonym und entwarf damit bereits sein literarisches Alter Ego, den Kapellmeister Johannes Kreisler.
Zudem verdingte Hoffmann sich als Musiklehrer für die höheren Töchter der Bamberger Gesellschaft. Und so ereilte ihn ein zweites Unglück, eine zweite Kalamität neben den beruflichen Querelen: Er verliebte sich heftig in seine, beim Kennenlernen erst 13-jährige Gesangsschülerin Julia Mark, so sehr und so offensichtlich, dass deren Mutter das Mädchen schleunigst unter die Haube brachte. Auf die Verheiratung reagierte Hoffmann mit einem Nervenzusammenbruch. Julia blieb ihm bis zu seinem Ende im Gedächtnis, sie war seine große Liebe, obwohl (oder vielleicht auch weil) diese Liebe nie ihren Ausdruck fand. Allenfalls in der Poesie: Er widmete ihr ein Sonnett, das schließlich in den Berganza Eintritt fand, sie ist zudem Vorbild vieler seiner Frauenfiguren, so die Cäcilia im Berganza, die Julia im Kater Murr, die Clara im Sandmann.
Immer öfter der Griff zum Alkohol
Am Theater kaltgestellt, die Liebe aussichtslos, die Ehe da schon zerrüttet – Hoffmann griff immer öfter zum vermeintlichen „Heilmittel“ Alkohol. Die bildhaften Hinweise dazu in seinem Tagebuch, das er nach Bamberg nicht mehr weiterführte, vermehrten sich. Als er Bamberg schließlich – beinahe bei Nacht und Nebel, am 21. April 1813, früh um sechs Uhr – verlässt, hofft er auf bessere Zeiten. Tatsächlich entwickelte sich im Anschluss an die Bamberger Zeit seine literarische Karriere beinahe kometenhaft. Doch bereits neun Jahre später stirbt Hoffmann in Berlin an einer Lähmungserkrankung, deren Ursachen unbekannt sind.
Nach Bamberg war er der Musik wegen gekommen und wandte sich aufgrund der Umstände in seinem „Poetenstübchen“ in dem schmalen Haus am heutigen Schillerplatz – übrigens in Blickweite zum Theater – immer mehr dem Schreiben zu. 1809 erschien die Erzählung „Ritter Gluck“, zum ersten Mal sah E.T.A. Hoffmann eines seiner Werke in Druckform. Doch erst in Berlin wird es richtig losgehen.
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Rüdiger Safranski, der 1984 eine vielbeachtete Hoffmann-Biographie veröffentlicht hatte, schreibt in “Romantik – Eine deutsche Affäre” (Carl Hanser Verlag, 2007):
“Er ist Mitte Dreißig, als die aufgestauten Massen musikalischer und literarischer Phantasien losbrechen. Jetzt gibt es kein Halten mehr. Es dauert nur wenige Wochen, dann redet das ganze literarische Deutschland von ihm. Bald nennt man ihn den `Gespenster-Hoffmann´. Er wird der Star der Frauentaschenbücher.”
Kater Murr streift durch das Städtchen
Viele seiner Texte hatte er schon in Bamberg in Grundzügen im Kopf und entworfen. Und so meint man auch, wenn der Kater Murr durch die Straßen und über die Dächer seines Städtchens streift, die Bamberger Altstadt wiederzuerkennen. Immer wieder sind Hinweise auf Bamberg in Hoffmanns Werken zu finden. So beispielsweise das “Äpfelweib”, das den Studenten Anselmus im “Goldenen Topf” verfolgt – der Türknauf war in der Bamberger “Eisgrub”, am Haus seines Freundes Carl Friedrich Kunz zu finden:
“Unerachtet des weiten Weges bis in die einsame Straße, in der sich das uralte Haus des Archivarius Lindhorst befand, war der Student Anselmus doch vor zwölf Uhr an der Haustür. Da stand er und schaute den großen bronzenen Türklopfer an; aber als er nun auf den letzten die Luft mit mächtigem Klange durchbebenden Schlag der Turmuhr an der Kreuzkirche den Türklopfer ergreifen wollte, da verzog sich das metallene Gesicht im ekelhaften Spiel blauglühender Lichtblicke zum grinsenden Lächeln. Ach! es war ja das Äpfelweib vom schwarzen Tor. Die spitzigen Zähne klappten in dem schlaffen Maule zusammen, und in dem Klappern schnarrte es: »Du Narre — Narre — Narre — warte, warte! warum warst hinausgerannt! Narr!« — Entsetzt taumelte der Student Anselmus zurück, er wollte den Türpfosten ergreifen, aber seine Hand erfaßte die Klingelschnur und zog sie an, da läutete es stärker und stärker in gellenden Mißtönen, und durch das ganze öde Haus rief und spottete der Widerhall: Bald Dein Fall ins Kristall!”
Der “Äpfelweib”-Türknopf aus der Erzählung “Der goldene Topf” fand sich am Haus seines Freundes und späteren Verlegers Kunz in Bamberg. Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay
Obwohl sie sich bereits früh in Berlin begegneten und gegenseitig in Hoffmanns Bamberger Zeit besuchten, wurden die beiden Dichter in Oberfranken – der bereits etablierte, Jean Paul in Bayreuth, sowie der kommende, E.T.A. Hoffmann in Bamberg – keine Brüder im Geiste. Oder besser gesagt: Die Wertschätzung blieb einseitig. Jean Paul trug durch sein Vorwort zu den „Fantasiestücken in Callots Manier“, die 1815 erschienen, zwar wesentlich dazu bei, den Bekanntheitsgrad Hoffmanns zu steigern, doch äußerte er sich mehrfach beinahe schon abfällig über ihn. In einem Nachwort von Carl Georg von Maassen zu „Lebensansichten des Kater Murrs“ in meiner Ausgabe vom Haffmanns Verlag, mutmaßt dieser, es könne auch Neid im Spiel gewesen sein:
„Jean Paul sah mit scharfem Auge in Hoffmann den bedrohlichen Konkurrenten, und je größer die Beliebtheit des letzteren beim Lesepublikum wurde, um so absprechender und tadelnder wurden Jean Pauls Bemerkungen.“
Goethes vernichtendes Urteil
Damit war dieser nicht alleine: Goethes Verdikt, die Texte von Hoffmann seien „krankhaft“, wirkten lange nach. Andere, wie Adelbert von Chamisso und Heinrich Heine dagegen wussten mehr mit diesem dunklen Humor, mit der dunklen Seite der Romantik anzufangen. Es fiel ihnen wahrscheinlich schlicht und einfach leichter als dem in seinen Konventionen und der eigenen Imagebildung gefangenen Goethe diese „andere Natur“, das dunkle, schwermütige und zuweilen auch böse, das in jedem Menschen steckt, anzuerkennen. Und so ist es mit dem unglücklichen Hoffmann bis heute: Man liest ihn niemals unbeteiligt, man erschrickt, man lacht, man weint, man liebt oder aber man lehnt ihn rundheraus ab.
Nochmals Rüdiger Safranski: “Nicht festgewurzelt in der Literatur, nicht im juristischen Beruf, nicht als Komponist und Maler. Der Preis, den Hoffmann bezahlte: Er wurde nirgends ganz ernst genommen. Er entschädigte sich, indem er auch seinerseits nichts ganz ernst nahm. Bei den großen Autoritäten war er deshalb schlecht angesehen. (…) Wenn es jemanden gab, der dem romantischen Ideal des Spielers, in Leben und Werk, wirklich nahe kam, so war es Hoffmann. (…) Nur so, mit Perspektivenreichtum und Phantasie läßt sich die Wirklichkeit erfassen, die eben immer noch phantastischer ist als jede Phantasie.”
Aber der Blick des Künstlers fällt eben nicht nur auf das Paradies. Sondern auch auf die Hölle, auf Seelenabgründe wie Safranski betont. Hoffmanns Werk ist eben nicht nur “phantastisch”, sondern auch getränkt von einem Blick auf die Welt voller Ironie und schwarzem Humor, Sehnsüchte, gepaart mit Realitätserkenntnis. Safranski:
“E.T.A. Hoffmann, mit dem die Romantik als Epoche abschließt, war ein großer Phantast und darum so romantisch, wie man sich das nur vorstellen kann. Aber er war mehr als das. Er blieb durch einen liberalen Realismus geerdet. Er war ein skeptischer Phantast.”
Mein unangefochtenes Lieblingsbuch von Hoffmann sind und bleiben die “Lebensansichten des Kater Murr”. Hans Mayer bringt die Kernaussage dieses Romanfragments in seinem Beitrag zur einst von Fritz J. Raddatz herausgegeben “Zeit-Bibliothek der 100 Bücher” auf den Punkt:
“Für Künstler ist kein Platz in Deutschland (…) Man kann nicht gleichzeitig in Dresden leben oder anderswo in deutscher Misere, und in Atlantis als dem Reich der Poesie. Die Lebensansichten des Katers Murr” von Hoffmann haben kein anderes Thema als eben dies: die schroffe Antinomie von Kunst und Gesellschaft in Deutschland.”
Der Dichter der schwarzen Romantik
Hoffmann alias Kreisler: Das ist der von der Kleinbürgerlichkeit beinahe zum Wahnsinn getriebene Dichter der Romantik. Die Enge, das Gefängnis aus Zwängen und Konventionen, sie bringen in Hoffmann die düstersten Seiten hervor. In Bamberg, dieser kleinräumigen Stadt, fern von den eigentlichen kulturellen Zentren jener Zeit, muss Hoffmann dies wohl als besonders belastend erfahren haben. Marterjahre.
In Bamberg – das natürlich als UNESCO-Welterbestadt genügend Anreize für einen Besuch bietet – gibt es einen idyllischen Stadtrundgang auf Spuren E.T.A. Hoffmanns, wer möchte, kann auch eine entsprechende Stadtführung mitmachen. Im ehemaligen Wohnhaus ist die einzige deutsche Gedenkstätte für dieses Multitalent zu finden, eine Initiative der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft, die ebenfalls ihren Sitz dort hat. In dem schmalen Häuschen bekommt man auch heute noch einen lebendigen Eindruck davon, unter welchen beengten und wohl auch ärmlichen Verhältnissen das Ehepaar Hoffmann dort leben musste. Da von den ursprünglichen Einrichtungsgegenständen nichts erhalten ist, behilft man sich in dem kleinen Museum mit Nachbauten, mit Faksimile und modernen Werken, die Hoffmanns Schaffen aufgreifen. Nach einem Konzept des Bühnenbildners Wolfgang Clausnitzer passt diese Mischung aus Illusionen und Installationen, die auch die vielen Talente des E.T.A. Hoffmann aufgreifen, durchaus zu dessen versponnener Natur. Allerdings sind die Präsentation sowie die Räumlichkeiten deutlich in die Jahre gekommen, auch könnte museumsdidaktisch noch einiges nachgeholt werden. Schade, dass dafür in der Kulturstadt Bamberg, die im Sommer von bierseligen Touristen überströmt, kein Geld vorhanden zu sein scheint.
Weitere Informationen:
DasE.T.A. Hoffmann-Portal bietet umfassende und lesenswerte Informationen über Hoffmanns Bamberger Zeit, inklusive eines virtuellen Stadtrundganges.
20 Jahre, bis zu seinem Tod, lebte Jean Paul in Bayreuth. So lange hatte es ihn noch nie zuvor irgendwo gehalten. Und doch kam er auch hier nicht zur Ruhe.
Alle Bilder: Birgit Böllinger
„Im durchsichtigen Netze seiner Phantasie fing sich jeder vorüberschießende Freuden-Zweifalter – dazu gehörte sogar ein erwachender gelber Schmetterling im Gartenhaus – jeder Stern, der stark funkelte – italienische Blumen, deren deutschen Treibscherben zwischen Schauls er auf der Gasse aufgestoßen – eine bekränzte, zwischen Andacht und Putz glühende Braut – ein schönes Kind – ein Kanarienvogel in der Webergasse, der mitten im deutschen Winter in Kanarieninseln und in Sommergärten hinüberschauen ließ – und alles. Einst an einem Markttage hatt` er halb Italien mit einem ganzen Frühling um sich. Der Tag schien dazu erlesen zu sein. Es war ein sehr kalter und heller Winternachmittag, worin Mücken in den schiefen Strahlen spielen, als er im Hofgarten – den der gute Fürst jeden Winter dem Publikum öffnen ließ – die silbernen Schneeflocken der Bäume unter der blitzenden Sonne in weiße Blüten, die den Frühling überlüden, umdachte und darunter weiterspazierte. So plötzlich auf die Frühlings-Insel ausgesetzt, schlug er in die heitersten Wege ein. Er machte einen nahen an der Bude eines Sämereihändlers vorbei und hielt ein wenig vor dessen Budentisch, nicht um eine Düte zu kaufen – wozu ihm ein Beet fehlte, da alle seine Morgen Lands nur in seinem Morgenland bestanden -, sondern um den Samen von französischen Radiesen, Maienrüben, bunten Feuerbohnen, Zuckererbsen, Kapuzinersalat, gelbem Prinzenkopf zu denken und zu riechen und auf diese Weise (nach Vults Ausdruck, glaub ich) einen Vorfrühling zu schnupfen.“
Jean Paul, „Flegeljahre“, 1804/1805
So wie der selbstgenügsame Walt, der einfach die vielen kleinen Augenblicke lebt, und dem die Welt in seinem fränkischen Paradies genügt, so kann man sich vielleicht auch Jean Paul im Herbst seiner Jahre durch die Bayreuther Gassen flanierend vorstellen: Er, der Rastlose, der Immer-und-ewig-Verliebte, der sprunghaft Assoziierende, der weitschweifige Gedankengänger, hatte lange Lehr-, Wander- und Lebensjahre hinter sich, als er 1804 in die fränkische Kleinstadt übersiedelte. In Bayreuth lebte er dann, bis zum Ende seines Lebens 1825, die längste Zeit. Es waren wohl nicht die glücklichsten Jahre, geprägt von der krisengeschüttelten Ehe mit Karoline Mayer, vom Niedergang des Ruhms und finanziellen Nöten, vom Tod seines Sohnes Max und nicht zuletzt auch von gesundheitlichen Problemen, zu denen wohl auch sein außerordentlicher Bierkonsum beigetragen hatte.
Geboren in Wunsiedel
Und dennoch: Gerade in den „Flegeljahren“ kommt dieses leichte, versponnene, den Tagträumen verhaftete Temperament des Johann Paul Friedrich Richter – unter diesem Namen wird Jean Paul am 21. März 1763 im oberfränkischen Wunsiedel geboren – wunderbar zum Ausdruck. Und man bekommt bei der Lektüre und einem Bummel durch Bayreuth auch heute noch eine Ahnung davon, warum Stadt und Schriftsteller so gut zueinander passten.
Bayreuth, das ist einerseits Provinz, ja. Klein und überschaubar. Und doch atmet hier durch die besondere Architektur und Geschichte, geprägt vor allem vom Markgrafenpaar Friedrich und Wilhelmine, ein besonderer Geist. Da hätte es nicht einmal eines Richard Wagners mit dem alljährlichen Rummel rund um den Hügel gebraucht. Der Bayreuther Rokoko gibt der Stadt rund um das neue Schloss mit seinem Hofgarten, dem Markgräflichen Opernhaus und der Friedrichstraße ein besonderes, ein anmutiges Bild. Und an sonnigen Tagen hat man hier auf dem Marktplatz tatsächlich ein Gefühl von Italien.
Gartenhaus beim Jean Paul-Museum.
Jean Paul hatte es nach zahllosen Lebensstationen – unter anderem wohnte und arbeitete er in Leipzig, Weimar, Berlin und Meiningen – letztlich wieder in das Fränkische gezogen. In Bayreuth hatte er sich schon früh verliebt: Mit 18 Jahren kam er das erste Mal hierher, um eine Prüfung abzulegen – die Reise war mit einer ganz besonderen Erfahrung verbunden.
„In natura sah Jean Paul die Stadt erstmals nach seinem Abitur im Jahr 1781, als er von Schwarzenbach nach Bayreuth reiten mußte. Dort hatte er vor dem Kirchen-Konsistorium eine Prüfung abzulegen, um in Leipzig, d.h. außerhalb des Fürstentums Ansbach-Bayreuth, Theologie studieren zu dürfen. Auch der Ritt gehörte zum Pflichtprogramm und erwies sich für den Prüfling als der schwierigste Teil: Das Pferd wollte partout nicht wie der Reiter – eine Erfahrung von solcher Nachhaltigkeit, daß es Jean Pauls erster und einziger Ritt bleiben sollte.“
Das Zitat stammt aus dem wunderbaren „Jean-Paul-Taschenatlas“, herausgegeben von Bernhard Echte und Michael Mayer, der anlässlich des 250. Geburtstag dieses einzigartigen Schriftstellers im Jahr 2013 erschien. Der Atlas entstand im Zusammenhang mit einer Litfaßsäulenausstellung, die an 25 Orten stattfand – was allein schon die Beweglichkeit dieses literarischen Luftgeistes zeigt. Auf Überbleibsel dieser Ausstellung trifft man in Bayreuth glücklicherweise immer noch und mit dem Atlas (nochmals ein Dank an Herrn Hundfür die Empfehlung) kann man sich auf die Spuren des Dichters machen: Gelegenheit auch für eine wunderbare Rundreise durch Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, um in groben Zügen das örtliche Hin und Her Jean Pauls festzuhalten.
Das Leben des Quintus Fixlein
Doch wie gesagt: Dreh- und Angelpunkt der letzten 20 Lebensjahre war und blieb Bayreuth, der Stadt, der er schon zuvor immer wieder ein lobendes literarisches Zeugnis ausgestellt hatte, so im „Leben des Quintus Fixlein“ und im „Siebenkäs“ (1797):
„Die neueste kann erst kommen, nämlich Du selber zu mir nach Baireuth, wenn ich und der Frühling miteinander (denn übermorgen reis ich ihm nach Italien weit entgegen) wiederkehren und wir, ich und der Lenz, gemeinschaftlich die Welt auf eine Art ausschmücken, daß Du gewiß in Baireuth selig sein wirst, so sehr sind dessen Häuser und Berge zu loben.“
Auch wenn die Stadt nach seiner Übersiedlung dorthin Jean Paul bald zu eng wurde und seine Begeisterung merklich abnahm, hielt es in dort. Ausschlaggebend dafür dürfte wohl auch gewesen sein, dass seine zwei längsten, altvertrautesten Freunde dort wohnten: Der Jurist Christian Otto, der fast 30 Jahre lang der Mann war, der Jean Pauls Texte als erster lesen durfte und dessen Kritik er gerne annahm. Und der jüdische Kaufmann Emanuel, „eine Freundschaft auf den ersten Blick“, wie im Atlas zu lesen ist:
„Die Beziehung zu Emanuel gehört zu den erstaunlichsten Seiten von Jean Pauls Leben; es war eine Freundschaft auf den ersten Blick (…) Obwohl Emanuel als jüdischer Händler zu einer rechtlosen Klasse gehörte und keinen Zugang zu höheren Bildungseinrichtungen hatte, war er für Jean Paul von Beginn an ein ebenbürtiger Gesprächspartner – auch in literarischen und philosophisch-theologischen Belangen.“
Dass er dort in Bayreuth seine Vertrauten hatte, zu denen er auch unabhängig von gesellschaftlichen Konventionen und einem gewissen höfischen Protokoll Kontakt haben konnte, dies mag für Jean Paul entscheiden gewesen sein. Hatte er sich doch oft genug schon als Außenseiter fühlen müssen: So beim Studium in Leipzig, das er nach dem frühen Tod seines Vaters nur mit Müh und Not finanzieren konnte. Dem Dünkel mancher Kommilitonen trat er durch auffallende Kleidung und extravagantes Verhalten entgegen.
Kein Anklang bei den Weimarer Klassikern
Und auch in Weimar – da war er schon einer der meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit nach dem Erscheinen des „Siebenkäs“, des „Quintus Fixlein“ und des vergnügten „Schulmeister Wutz“ – traf er auf Vorbehalte: Schiller und Goethe konnten mit diesem Freigeist und seinem mäandernden Stil wenig anfangen, sie lehnten seine Texte eher ab, wie auch Kurt Wölfel als Herausgeber eines Jean Paul-Lesebuchs (eine gute Heranführung an seine Texte) erläutert:
„Jean Pauls kompositorische Extravaganz hatte nicht nur alle Fürsprecher einer rationalistischen Regelpoetik gegen sich, auch die Weimarer Klassiker reagierten auf seine ästhetische Illegitimität mit Verdruß. Unter den „Xenien“, der Sammlung von Epigrammen, mit denen die Weimarer Klassiker ihr ästhetisches Programm polemisch gegen die Zeitgenossen erklärten, gibt es einige, die sich auf Jean Paul beziehen.“
Bayreuth also der Freundschaftshafen, der Ruhepunkt der letzten Jahre, auch wenn es ihn da selten an einem Ort hielt, er immer wieder die Behausung wechselte. Wobei die meisten Reisenden leider nicht wegen des Schriftstellers kommen – während in der benachbarten „Villa Wahnfried“ ein deutlicher Rummel herrscht, kann man sich im 2013 neu eingerichteten Jean-Paul-Museum in aller Ruhe umtun. Schade eigentlich, denn die Ausstellung ist bemerkenswert reichhaltig und sehenswert, gibt einen guten Abriss über Leben und Werk, Einblicke in das Privatleben dieses sensiblen Exzentrikers und bettet dies alles in historische Zusammenhänge ein. Ein Besuch ist sehr zu empfehlen. Und wer dann noch Zeit hat, sollte auf jeden Fall mit Jean Paul zur Rollwenzelei wandern: Hier verkehrte der Dichter fast täglich, dort fand er beim Bier die Ruhe zum Schreiben, oftmals auf der Flucht vor der fordernden Gattin.
Seine letzte Ruhestätte hat der Ruhelose natürlich auch in Bayreuth, ein unscheinbarer Gedenkstein, kaum vergleichbar mit dem Bombast der ebenfalls dort vorhandenen Grabstätten von Franz Liszt und den Wagner-Nachfahren.
Weitere Informationen:
Zum Lesen und Reisen: “Jean Paul-Taschenatlas”, herausgegeben von Bernhard Echte und Michael Mayer, 2013, vergriffen, nur noch antiquarisch erhältlich.