Ferdinand von Schirach: GOTT

Wem gehört unser Leben? Und wer entscheidet über unseren Tod? In dem Buch „GOTT“ von Ferdinand von Schirach“ wird in einem fiktionalen Ethikrat über diese Fragen diskutiert. Florian Pittroff hat sich das Buch genau angesehen.

Bild: Florian Pittroff

Ein Beitrag von Florian Pittroff

Wem gehört unser Leben? Und wer entscheidet über unseren Tod? In dem Buch „GOTT“ von Ferdinand von Schirach“ wird in einem fiktionalen Ethikrat über diese Fragen diskutiert. Florian Pittroff hat sich das Buch genau angesehen.

Der 78-jährigen Richard Gärtner will nach dem Tod seiner Frau nicht mehr weiterleben: „(…) das Leben bedeutet mir nichts. Nichts mehr. Und ich will nicht irgendwann an Schläuchen hängen, ich will nicht aus dem Mund sabbern und ich will nicht dement werden. Ich will als ordentlicher Mensch sterben, so, wie ich gelebt habe“.

Richard Gärtner will sein Leben durch ein Medikament und mit Hilfe seiner Ärztin beenden. Rechtlich ist das nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts seit Februar dieses Jahres möglich, die ethische Debatte darüber ist aber natürlich noch nicht beendet.

Das zweite Theaterstück Schirachs

„Gott“ ist nach „Terror“ Schirachs zweites Theaterstück. Wieder heißt die alles überdeckende Frage, was „Richtig“ und was „Falsch“ ist.

In „Gott“ werden so viele Fragen aufgeworfen, so viele Lösungen angeboten und so viel wieder verworfen, dass es manchmal scheint, man verliert den Durchblick. Kostprobe: Was hat das für Folgen, wenn ein Arzt beim Suizid hilft? Geht das überhaupt? Soll der Arzt nicht den Menschen helfen? Ist der Arzt dann noch ein Arzt, wenn er beim Suizid hilft? Oder hat der Arzt dann sogar dem Menschen geholfen? Alles scheint richtig und alles ist auch irgendwie falsch.

Rechtssachverständige Litten sagt: „Der Suizid selbst ist in unserem Recht keine Straftat. Ein Tötungsdelikt setzte immer den Tod eines anderen Menschen voraus. Bei einem Suizid (…) stellt sich also nur die Frage ob und wie sich ein Helfer strafbar machen kann“. Über dieses Strafbarmachen wird in der Sitzung des Ethikrates intensiv diskutiert. Wenn der Patienten wünscht, dass seine Behandlung abgebrochen wird, der Arzt tut das, dann ist das eine „Unterlassung“. Das Gegenstück zur „Unterlassung“ ist das aktive „Tun“, also wenn der Arzt dem Patienten aktiv das Mittel verabreicht. „(…) bei einer Beihilfe zum Suizid will ich den Tod herbeiführen. Bei einem Behandlungsabbruch nehme ich ihn nur in Kauf“.

Wissenschaftliche Essays im Abspann

Es ist überaus spannend, die verschiedenen Positionen der unterschiedlichen Protagonisten zu verfolgen, wie man sich automatisch auf die eine Seite schlägt, diese dann wieder wechselt und doch letztlich eine Meinung dann für besser hält. Die Essays von Wissenschaftlern am Ende des Buches geben noch einmal interessante Einblicke und Informationen.

Rechtsanwalt Biegler ergreift gegen Ende noch einmal das Wort: „Nein, es geht nicht um Beihilfe, nicht um unterlassene Hilfeleistung, nicht um Tötung auf Verlangen. (…) Es geht um eine einzige, sehr einfache und sehr klare Frage. Vielleicht ist es sogar die wichtigste Frage überhaupt. Diese Frage lautet: Wem gehört unser Leben?

Gehört es einem Gott, gehört es dem Staat, der Gesellschaft, der Familie, den Freunden. Oder gehört es nur uns selbst?“

Das Buch, das eigentlich ein Theaterstück ist, hat mich sehr ergriffen und nachdenklich gemacht. Es wirft viele Fragen auf und ist wie immer bei Schirach absolut lesenswert.


Informationen zum Buch:

Ferdinand von Schirach
Gott. Ein Theaterstück.
Luchterhand Verlag, 2020
Hardcover mit Schutzumschlag, 160 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-630-87629-0


Über den Gastautor:

Florian Pittroff ist Magister der Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte und arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Journalist und Texter. Seine Buchbesprechungen waren unter anderem zu lesen im Kulturmagazin „a3kultur“ und im deutschsprachigen Männermagazin „Penthouse“.  Er verfasste Kulturbeiträge für das Programm des „Parktheater Augsburg“, war unter anderem verantwortlich für die Medien- & Öffentlichkeitsarbeit des kulturellen Rahmenprogramms „City Of Peace“ (2011) und die deutschsprachigen Slam-Meisterschaften (2015) in Augsburg. Florian Pittroff erhielt 1999 den Hörfunkpreis der Bayrischen Landeszentrale für neue Medien für den besten Beitrag in der Sparte Kultur.

Homepage: https://flo-job.de/

Ferdinand von Schirach: Terror

Ferdinand von Schirachs „Terror“ ist von bedrückender Aktualität. Der Text stellt die Frage nach Sicherheit versus Freiheit, der Leser wird zum Geschworenen.

Florian_Schirach
Bild: Florian Pittroff, https://flo-job.de/

Ein Beitrag von Florian Pittroff

Ferdinand von Schirachs „Terror“ ist ein Buch von bedrückender Aktualität. Plötzlich hat man Paris wieder vor Augen. Der Text stellt die Frage, wie wir künftig leben wollen. Muss man sich in Zeiten wie diesen für die Freiheit oder für die Sicherheit entscheiden? Ist die Würde des Menschen trotz Terror unantastbar oder doch antastbar? Schirach macht die Leser zu Geschworenen.

Entführtes Passagierflugzeug als Waffe

Der Plot: Auf dem Flug von Berlin nach München bringt ein Terrorist eine Lufthansa-Maschine in seine Gewalt und will sie über der Allianz-Arena bei München abstürzen lassen. Und zwar während eines Länderspiels. Die Arena ist mit 70.000 Menschen restlos ausverkauft. Zwei Kampfjets der Luftwaffe versuchen, das Flugzeug zur Landung zu zwingen – ohne Erfolg. Sie eskortieren die Maschine und kurz vor dem Stadion beschließt einer der beiden Eurofighter-Piloten, den Airbus abzuschießen. Die 164 Insassen werden alle getötet – die 70.000 im Stadion werden jedoch durch den Abschuss alle überleben.

Aufgearbeitet wird die ganze Geschichte in einer Gerichtsshow. Das Spannende daran ist, dass der Leser als mündiger Bürger quasi im Saal dabei ist, in Entscheidungsprozesse eingebunden wird und Entwicklungen mitbekommt, in einem Moment noch den Verteidiger, im anderen Augenblick aber auch die Staatsanwältin versteht, sich in den Gewissenskonflikt  des Piloten einfühlen kann – oder eben nicht. Jeder kann für sich entscheiden.

Rede zum Attentat auf Hebdo

Die Aufgabe des Lesers wird durch die Plädoyers des Verteidigers und der Staatsanwältin nicht leichter. Oft hat man Aha-Erlebnisse, ist sich plötzlich ganz sicher: „Ja so ist das – man kann niemals ein Leben gegen ein anderes aufrechnen“. Und nur einen kurzen Moment später denkt man: „Doch das kann man nicht nur, das muss man sogar“. Der Zwiespalt wächst, die Unsicherheit wird größer, der Gewissenskonflikt hat einen fest im Griff: Wie wiegt man Menschenleben gegeneinander auf? Ferdinand von Schirach hält uns mit seinem Buch genau diese Frage vor Augen.

Ein tiefgründiges Buch, in dem Nüchternheit groß geschrieben wird. Für Emotion und Gefühl ist der Leser zuständig. Schirachs Rede auf Charlie Hebdo ist ebenfalls in diesem Band enthalten. Alles unbedingt lesenswert!

In der dramatischen Fassung geht „Terror“ bereits um die Welt, das Theaterstück war und ist an zahlreichen Bühnen im In- und Ausland zu sehen. Und die Zuschauer werden jeweils direkt vor die Gewissensfrage gestellt: Was ist Schuld?


Informationen zum Buch:

Ferdinand von Schirach
Terror
btb Verlag, 2106
ISBN: 978-3-442-71496-4


Über den Gastautor:

Florian Pittroff ist Magister der Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte und arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Journalist und Texter. Seine Buchbesprechungen waren unter anderem zu lesen im Kulturmagazin „a3kultur“ und im deutschsprachigen Männermagazin „Penthouse“.  Er verfasste Kulturbeiträge für das Programm des „Parktheater Augsburg“, war unter anderem verantwortlich für die Medien- & Öffentlichkeitsarbeit des kulturellen Rahmenprogramms „City Of Peace“ (2011) und die deutschsprachigen Slam-Meisterschaften (2015) in Augsburg. Florian Pittroff erhielt 1999 den Hörfunkpreis der Bayrischen Landeszentrale für neue Medien für den besten Beitrag in der Sparte Kultur.

Homepage: www.flo-job.de