THERES ESSMANN: Literaturstipendium Baden-Württemberg für die Autorin

Eine tolle Anerkennung erhielt nun Theres Essmann für ihre literarische Arbeit: Sie kann sich über ein Literaturstipendium des Landes Baden-Württemberg freuen.

Eine tolle Anerkennung erhielt nun Theres Essmann für ihre literarische Arbeit: Heute teilte die baden-württembergische Kunststaatssekretärin Petra Olschowski mit, dass Theres Essmann eines der Literaturstipendien des Landes Baden-Württemberg erhält. Außerdem kann sich Frank Rudkoffsky über ein Vollstipendium freuen sowie die beiden Stipendiaten Cihan Acar und Valentin Moritz, die sich ein Stipendium teilen. Mit der Auszeichnung ist eine gemeinsame Lesereise in Baden-Württemberg verbunden.

Theres Essmann beeindruckte die Jury mit ihrem ausgereiften Stil, ihrer treffenden Sprache und der gekonnt aufgebauten Handlung der klassischen Novelle „Federico Temperini“. Das Debüt erschien im Frühjahr beim Verlag Klöpfer, Narr. Mehr zum Buch findet sich hier:
Theres Essmann, “Federico Temperini”.

Mit den Literaturstipendien zeichnet das Land Baden-Württemberg Nachwuchsautorinnen und -autoren aus, die mit ihrer schriftstellerischen Arbeit überzeugen und eine Affinität zu Baden-Württemberg haben, beispielsweise durch Geburt, Wohnort, Ausbildung oder Schwerpunkt ihres Schaffens.

Der Jury gehörten als fachkundige Persönlichkeiten des kulturellen und geistigen Lebens in diesem Jahr Oswald Burger (Literarisches Forum Oberschwaben), Dr. Beate Laudenberg (Literaturwissenschaftlerin an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe), Annette Maria Rieger (freischaffende Journalistin und Autorin), Ruth Wieczorek (Stadtbibliothek Stuttgart) und Werner Witt (Förderkreis deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg) an.

Bild: Rüdiger Nehmzoff

Theres Essmann, 1967in Nordwalde geboren, studierte Germanistik und Philosophie in Tübingen. Sie arbeitet seit vielen Jahren in der freien Wirtschaft und als Referentin für kreatives Schreiben, konzentriert sich aber zunehmend auf ihr Schreiben. 2018 erhielt sie ein Arbeitsstipendium des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg. Sie lebt in Stuttgart.


Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für die Autorin

THERES ESSMANN: Bernhard Ulbrich über Konflikt, Krise, Kehrtwende und Katharsis

Ein Gastbeitrag von Bernhard Ulbrich: Er beschäftigte sich mit der Novelle “Federico Temperini” von Theres Essmann, die er für seinen Lesekreis analysierte.

EIN GASTBEITRAG VON BERNHARD M. ULBRICH

Jürgen Krause ist Taxifahrer in Köln, lebt alleine, hat Probleme. Er ist schon länger geschieden. Sein geliebter Sohn Leon lebt bei seiner ex-Frau Irene, die vor Jahren mit Ulrich eine neue Beziehung eingegangen. Er kämpft um die Gunst seines postpubertären Sohnes. Beide planten, eine Tour durch Kanada zu machen, was nun der Stiefvater mit Leon realisiert. Jürgen fühlt sich abgehängt.

Der Anruf eines Kunden mit Namen Federico Temperini bringt Änderung in Gang. Er ist ein Mann alter Schule, der ihn als Chauffeur für die Fahrten zu den Konzerten in der Philharmonie bucht. Die Gespräche während der Fahrten sind zunächst reserviert. Es entspinnt sich aber bald eine wundersame, die Leben von Fahrer wie Fahrgast durchleuchtende Geschichte. Wir werden neugierig gemacht.

Als ich ihn so am Arm hatte, kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass der alte Herr etwas von mir wollte. Und dass ich keinen blassen Schimmer hatte, was. Nur dass es mehr war als Taxifahren. (39)

Man wird förmlich in die Entwicklung hinein gezogen. Jürgens Freund Wolfgang meint:

Der Typ hat dich ganz schön am Wickel.“ Und Jürgen selber denkt sich: Und zieht mich in etwas hinein, … (56)

Wir merken wieder auf: Da muss noch etwas Unerwartetes kommen. Und die Neugier lässt uns weiterlesen. Nebenbei erfahren wir etwas über Paganini und sein enormes, musikalisches Talent, denn:

Am Ende führten alle Wege zu Paganini. (38)

Microsoft PowerPoint - lbRez_Essmann-Plot-200524-brmuEs erhellen sich die Hintergründe, weil der Alte peu-à-peu Informationen über sein Leben mitteilt. Das bringt Jürgen des Nachts ins Träumen:

Ein Taxi hält am Wiesenrand, als ob er ein Bürgersteig wäre, die Fond-Tür geht auf und Paganini steigt aus, seine Geige in der Hand. Er sieht aus wie Temperini, trägt seinen Hut, seinen Mantel. (59)

Noch ein Fingerzeig. Aber wofür?

Jürgen beginnt, in Paganinis Biographie zu lesen. So kann er sich auch einbringen:

Ich glaube, Paganini hat seine ganze verdammte Seele in das Geigenspiel gepackt. (98)

Das drückt er zwar burschikos aus, trifft aber den Kern der Sache. Genie als die vollkommene Einheit von Wollen, Können und Tun.

Wir erfahren auch, dass der kauzige Alte, der sich wie Paganini in Schwarz kleidet, ebenfalls ein begnadeter Geiger war. Er nennt es:

Kongenial. Die Kritiker nannten mein Paganini-Spiel immer wieder kongenial. (109).

Und ebenso wie Paganini musste er seine Karriere wegen einer unheilvollen Erkrankung der linken Hand aufgeben. Die Ähnlichkeiten mehren sich, bis Jürgen sein Heureka-Erlebnis hat. Er liest alte Rezensionen.

Und dann las ich: „Federico Temperini, Solist.“ Ich schaute in die schwarze Leere vor meinem Fenster, …, und ich dachte: Natürlich. Natürlich, du Depp. (101)

An dieser Stelle legt man das Buch zur Seite und denkt verwundert: wieso Depp? Und der Blick fällt auf das Cover mit der offenen Hand und auf den Begriff „Novelle“. Ist sie nicht charakterisiert durch die vier „K“: Konflikt, Krise, Kehrtwende, Katharsis? Und plötzlich winken Parallelen. Bezogen auf unsere Hauptfigur Jürgen stellt sich der Konflikt mit seiner Frau Irene dar als das Gerangel um die Zeit, die Jürgen mit seinem Sohn Leon verbringen darf. Dieser Konflikt steigert sich über die Jahre bis zur Krise, denn Leon wird mit seinem Stiefvater statt mit Jürgen die Kanadareise unternehmen. Jürgen fürchtet, auch noch die Liebe seines Sohnes zu verlieren. Und dann der innere Wendepunkt, ausgelöst durch Temperini, der Jürgen den Horizont erweitert und ihn von den persönlichen Problemen ablenkt, wie ein Katalysator. Dank seiner hat Jürgen eine Erkenntnis: Natürlich, Natürlich, du Depp.

Dieser Katalysator namens Federico Temperini wird in der Novelle derart gleichartig zu Niccolò Paganini im äußeren Erscheinungsbild wie im musikalischen Talent gezeichnet, dass man stutzt: Das ist gewollt! Könnte es sein, dass uns die Autorin im Realismus des heutigen Stadtlebens einen magischen Aspekt untergeschoben hat? Eine Inkarnation des Paganini? Die Beziehungsprobleme werden dadurch relativiert, der Protagonist wird „ver“-führt, sich mit der Genialität von Paganini zu befassen. Für ihn eine unerwartete Horizonterweiterung. Neuer Blick auf das eigene Leben, auf das Verhältnis zu seinem verstorbenen Vater wie auch das zu seinem Sohn.

Es stellt sich eine Entspannung ein, eine Katharsis. Sein ach so klein geratener Vater hatte nämlich auch dem großen, noch genial geigenden Herrn Temperini als Chauffeur gedient. Jürgen ist verwundert:

Was wissen Söhne schon über ihre Väter. (121)

Diese Erkenntnis gilt auch für das Verhältnis zu seinem Sohn Leon.

Auch wenn es wehtat. Was immer passiert war oder noch passieren würde, es war nur ein Ausdruck dessen, was war, wie es war: Leo hatte zwei Väter. Ich war einer von beiden. (134)

Auf dieser Basis müsste man sich zusammenraufen können.

Wenn Sie nun wissen wollen, wie alles ausgeht, nehmen Sie die Novelle in die Hand und lesen selbst. Es lohnt sich!

© 31.5.2020  Bernhard R. M. Ulbrich / litbiss.de


THERES ESSMANN: Federico Temperini

Theres Essmann gibt mit dieser Novelle ein Debüt, das von einem musikalischen Gespür für Sprache und Rhythmus zeugt. „Federico Temperini“ entfaltet auf knappen Raum, gekonnt verdichtet, das Leben zweier Männer, erzählt von gescheiterten Lebensentwürfen und vom Neubeginn sowie von einer ungewöhnlichen Freundschaft.

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Bild von Pexels auf Pixabay

„Tagsüber lag der Geigenkasten auf meiner Rückbank, und ich fuhr mit ihm durch Köln. Ich schaute nicht hinein. Ein Fahrgast sagte: „Reicht wohl nicht, um davon zu leben.“ Ich antwortete nicht darauf.
Abends legte ich ihn vor mir auf den Küchentisch. Das schwarze Leder war abgestoßen, mit der flachen Hand strich ich darüber, spürte die Risse. Der Kasten war locker 50 Jahre alt (…)
Warum von dem, was sein Leben gewesen war, nur noch die Schutzhaut übrig war, und wo seine Geige jetzt war, ich konnte es ihn nicht mehr fragen.“

Theres Essmann, „Federico Temperini“


Unterschiedlicher könnten sie nicht sein, diese beide Männer: Der Taxifahrer Jürgen Krause, der sich die einsamen Abende mit einer Eric Clapton-Biographie vertreibt, und der geheimnisvolle ältere Herr, ein profunder Kenner klassischer Musik, von dem Krause eines Tages als Chauffeur zur Kölner Philharmonie gebucht wird. Und doch verbindet die beiden Protagonisten dieser Novelle eine Gemeinsamkeit: Sie sind, zwar auf sehr unterschiedliche Weise, am Leben gescheitert.

Das Erzähldebüt von Theres Essmann gleicht beinahe einem Kammerspiel: Im begrenzten Raum eines Taxis kommen sich die beiden Männer allmählich näher, lernen sich peu à peu, Fahrt für Fahrt zur Philharmonie ein wenig kennen. Die Schriftstellerin wechselt dabei die Erzähltempi wie in einer wohldurchdachten Sinfonie, beginnend mit einer langsamen Annäherung, endend im Rondo, das zumindest für den Taxifahrer von viel Moll in ein sanftes Dur wechselt.

Besessen von Nicolò Paganini

Bei Krause, der nach einem abgebrochenen Studium und einer Scheidung im Grunde immer noch lebt wie ein ewiger Student, wächst nach und nach die Neugier auf den Hintergrund seines zunächst schroff wirkenden, oftmals abweisenden Fahrgast. Dieser scheint seltsam besessen von Nicolò Paganini, dem Teufelsgeiger, dem Franz Liszt in seinem Nachruf ein „düster trauriges Ich“ bescheinigte. Auch Federico Temperini ist keine Frohnatur: Einsam, verschlossen, die einzige Ausdrucksfähigkeit scheint in der Musik zu liegen.

Zunächst herrscht zwischen den beiden Männern, zumindest auf Krauses Seite, eher Befremden, Distanz und leise Abneigung:

„… und sah, dass der Anrufer Temperini gewesen war. Ich hatte ihn längst zu meinen Kontakten hinzugefügt, aber wann immer sein Name auf dem Display meines Handys erschien, ging es mir damit wie mit seinem Büttenpapier-Umschlag auf meinem Beifahrersitz: Er gehörte da nicht hin.“

Für den Fahrer ist der alte Herr einer, der „wie aus der Zeit gefallen scheint“. Und doch lernen  die beiden Männer sich nach und nach kennen und rücken im Taxi förmlich zusammen – Temperini belegt eines Tages statt der Rückbank den Beifahrersitz. Dies ist mit viel erzählerischem Gespür aufgebaut: Auch beim Leser steigt die Neugier auf diesen Wiedergänger Paganinis, ab und an meint man gar, mitten in einer „gothic novel“ zu sein.

Ein Leben in Armut und Einsamkeit

Das Schicksal Temperinis ist jedoch ganz und gar erdgebunden: Das Leben eines begnadeten Musikers, das durch eine Erkrankung aus der Bahn gebracht wurde und in Einsamkeit und Armut endet. Etwas, was sich dem Taxifahrer jedoch zu spät, erst nach Temperinis Tod, vollständig enthüllt.

Ohne es aussprechen zu müssen (oder besser: „ausschreiben“), führt Theres Essmann die Leser so zum Kern der Geschichte: Krause gibt, auch mit Hilfe der lebensklugen Maria, seinem Dasein eine Wende, zwar nicht durch einen spektakulären Neubeginn, sondern eher durch einen neuen Blick auf das, was ist. Er schüttelt seine Traurigkeit, sein Phlegma, seinen Fatalismus ab – und plötzlich sind viele Wege wieder offen.

Theres Essmann gibt mit dieser Novelle ein Debüt, das von einem musikalischen Gespür für Sprache und Rhythmus zeugt. „Federico Temperini“ entfaltet auf knappen Raum, gekonnt verdichtet, das Leben zweier Männer, erzählt von gescheiterten Lebensentwürfen und vom Neubeginn sowie von einer ungewöhnlichen Freundschaft. Und nicht zuletzt macht diese Erzählung Lust auf eine Taxifahrt durch das nächtliche Köln.


Zur Autorin:

Die 1967 im Münsterland geborene Theres Essmann studierte Literaturwissenschaften und Philosophie, lebt und arbeitet in Stuttgart und Köln. Für ihr Erzähldebüt erhielt sie ein Stipendium des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg.

Homepage der Autorin: https://theres-essmann.de/


Informationen zum Buch:

Theres Essmann
Federico Temperini
Verlag Klöpfer, Narr, 2020
164 Seiten, Festeinband mit Lesebändchen, 18,00 €
ISBN: 978-3-7496-1026-6