Inger-Maria Mahlke: Archipel

Mit ihrem “rückwärts erzählten” Familienroman errang Inger-Maria Mahlke 2018 den Deutschen Buchpreis. Zu Recht – das Experiment ist gelungen.

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„Hellgrau leuchten die Wolldecken im von der Mauer zurückgeworfenen Mondlicht, sonst haben sie die gleiche stumpfe Farbe wie Kittel, Schürzen und Nachthemden. Die neue Farbenlehre. Soldaten sind khaki, verwaschen blau die Falange, die Polizisten grau, Guardia Civil graugrün, die Armen staubfarben, die Pfarrer schwarz, Seminaristen chorhemdweiß, violett ist der Bischof. Rot ist niemand mehr.“ (1944).

Inger-Maria Mahlke, „Archipel“


Die neue politische Farbenlehre Spaniens, eingeführt nach dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs und dem Putsch gegen die Republik, beginnend mit dem Aufstieg der Faschisten. Sie wird noch Generationen überdauern, das Land und seine Menschen über Jahrzehnte prägen. Kunstvoll verknüpft Inger-Maria Mahlke die Schicksale mehrerer Familien auf der Insel Teneriffa in ihrem Roman „Archipel“, mit dem sie 2018 den Deutschen Buchpreis erhielt. Nicht zu Unrecht, ist dieses Buch doch sowohl erzählerisch als auch formal als gelungen zu betrachten.

Der Roman setzt ein 2015: Felipe Bernadotte González, Sprössling einer der über das Wasser und die Insel herrschenden Familie, in ewiger Opposition zu den kolonialistisch tätigen Vorfahren lebend, verbringt seine Tage süffelnd in einem Club, Ehefrau Ana ist in einen Politik- und Korruptionsskandal verwickelt und Tochter Rosa, so heißt es lapidar im Personenregister, „macht irgendetwas mit Kunst.“ Anas Vater Julio Baute, einst von den Faschisten verfolgt, hütet als betagter, aber rüstiger Portier die weniger rüstigen Alten im Heim, Eulalia, die Haushaltshilfe der Familie González, hat angesichts der Wirtschaftskrise noch ganz andere Sorgen.

„Ein Freistaat, so hat Sidney sich die Zukunft der Insel immer vorgestellt, wenn schon keine britische Kolonie, dann ein Freistaat. Keine Zölle, keine Steuern. Um die Straßen von den Packstationen zu den Verladekais, um die Erweiterung des Hafens würden sich die Firmen kümmern, in ihrem eigenen Interesse. Die tägliche Portion Gofio wäre den Einheimischen sicher.“ (1919).

Von diesem Ausgangspunkt in der Gegenwart aus erzählt Inger-Maria Mahlke rückwärts, hinein bis in das Jahr 1919, als die Insel wirtschaftlich fest in der Hand der Briten und Amerikaner war. Die feudale Gesellschaftsordnung begünstigt den Aufstieg einzelner Familien, die auch die Zeit der wirtschaftlichen Isolation während der Franco-Diktatur unbeschadet überstehen. Statt Land- und Wasserrechten und dem Export von Bananen und Tomaten bringt die Demokratie und die Öffnung des Landes neue wirtschaftliche Möglichkeiten: Tourismus ist die neue Währung.

Ein opulenter Familienroman

Doch, so zeigt es Inger-Maria Mahlke in ihrem Experiment eines Familienromans, von der Entwicklung profitiert keiner: Die González, die für die „upper class“ stehen, wirken degeneriert, auch ob Rosa eine Hoffnungsträgerin wird in ihrer „irgendwas-mit-Kunst-Opposition“ ist ungewiss. Die Mittelschicht muss durch alle Jahrzehnte hinweg um ihren Platz bangen, ist den Wogen der Politik ausgeliefert wie ein Boot auf dem Ozean. Und die unteren Zehntausenden, repräsentiert durch Eulalia, ihre Mutter Merche und deren unbenannte, nur als „Katze“ bezeichnete Mutter, bleiben dort, wo eine auf Kapitalismus und durch den Katholizismus geprägte Gesellschaft sie vorgesehen hat: Unten.

In „Der Tagesspiegel“ wurde der Roman von Carsten Otte hervorgehoben:

„Der Roman heißt nicht nur „Archipel“, er ist auch in ästhetischer Hinsicht eine Art Inselgruppe mit sehr unterschiedlichen Eilanden, die unterirdisch miteinander verbunden sind und von Mahlke sowohl in literarischer Lupenansicht als auch aus einer Art Helikopter-Perspektive untersucht werden. Als wäre dies nicht allein eine literarische Herausforderung, bietet der Roman formal und inhaltlich ein alles überwölbendes Hauptthema, und das besteht im beeindruckenden Versuch, Geschichte und Lebensgeschichten gegen die bedingungslose Macht der Zeit zu erzählen.“

Hinzuzufügen ist, dass das Buch, auch wenn die Vielzahl an Personen und die Technik des Rückwärts-Erzählens kein Easy-Reading ermöglichen, durch seine bildkräftige Sprache und den beinahe lakonischen Stil der Autorin (die in Lübeck und Teneriffa aufgewachsen ist) überzeugen. Alles in allem: Excelente!


Informationen zum Buch:

Inger-Maria Mahlke
Archipel
Rowohlt Verlag, 2018
ISBN: 978-3-498-04224-0

Dörte Hansen: Mittagsstunde

Der zweite Roman von Dörte Hansen ist bevölkert von knorrigen Typen. Aber die Geschichte wirkt etwas dröge, vage, unfertig.

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„Der große Büffelschädel, der neuerdings an einer Wand des Brinkebüller Tanzsaals hing, gab Gasthof Feddersen ästhetisch endgültig den Rest. Am rechten Horn des Schädels hing ein Spinnennetz, und Ingwer war schon drauf und dran, das Staubtuch und die Trittleiter zu holen, um es wegzumachen. Putzperle Feddersen! Er pfiff sich gerade noch zurück. Ein Staubtuch hätte sowieso nichts mehr genützt, es konnte nicht mehr schlimmer werden. Die Hässlichkeit des Raumes hatte ihre maximale Sättigung erreicht, es kaum auf ein paar Spinnennetze nicht mehr an.“

Dörte Hansen, „Mittagsstunde“


Vor nicht allzu langer Zeit habe ich, wie viele andere auch, „Altes Land“, das Debüt von Dörte Hansen, mit Begeisterung gelesen. Es brauchte allerdings keine maximale Anstrengung dafür, es war neu, frisch, unaufgeregt geschrieben und für eine Bayerin mit wenig Kenntnis des hohen Nordens beinahe schon exotisch. Hängen geblieben ist allerdings nicht viel. Es ging irgendwie um Norddeutschland, ums Dorf, die Invasion der Städter, die Verstrickungen und Verirrungen der Dorfleute um- und miteinander. Und nun „Mittagsstunde“: Nach der maximalen Unterhaltung durch die knorrigen Typen im alten Land ein neuer nördlicher Ausflug, geprägt allerdings von minimaler Anstrengung. Wieder was mit Norden, Dorf, Städtern, Verstrickungen. Beim Lesen jedoch mein Ankämpfen gegen minimale Müdigkeit. Und einen minimalen Ärger.

Brinkebüll ist ein Klischee

Als ärgerlich empfinde ich es, dass in nicht wenigen Rezensionen zu diesem Buch herausgehoben wird, es vermeide Klischees. Für mich wurde jedoch dieses ganze fiktive Brinkebüll beim Lesen zu einem einzigen Klischee: Angefangen vom stets alkoholisierten Junggesellen, Dauergast im Gasthof Feddersen, über den stocksteifen Lehrer bis hin zu all den ganzen anderen entweder knorrigen oder aber „halfbackenen“ Typen, die dieses Buch bevölkern. Das Dorf, Keimzelle des Originellen, Absonderlichen. Und dabei alle „genügsam wie ein Torfmoos“. Ich warte nun auf ein Pendant aus dem Bayerischen, aus Adelschlag etwa oder Etzelwang, das könnte „Abendmesse“ lauten und wäre bevölkert mit irgendwie grantigen, derben, vor allem aber knorrigen Typen.

Ja, ich weiß: Normalität, das Alltägliche, der Allerweltsmensch, das eignet sich für das romanhafte Erzählen für die meisten Schriftsteller nicht. Und obgleich das Buch eine eigentlich ganz alltägliche Geschichte – ein nicht mehr ganz junger Mann kehrt inmitten einer Selbstfindungskrise in das Dorf seiner Kindheit zurück – erzählt, und obwohl Dörte Hansen dies irgendwie „norddeutsch“-unaufgeregt erzählt, wie dieser nicht mehr ganz junge Mann seine gebrechlichen Großeltern pflegt und dabei die Familiengeschichte aufgeblättert wird, ja obgleich, obwohl – das Ganze ist mir etwas zu angestrengt „aufgepeppt“ durch knorrige Typen und bleibt denn doch irgendwie im Vagen, Ungefähren. So unentschlossen wie sein Protagonist Ingwer (das bleibt vom Buch beim Kochen nun zumindest hängen, dass einer so heißen kann), so offen wie sein Ende.

Charaktere bleiben zu sehr Typen

Bleiben die Charaktere (vielleicht einfach auch zu viel davon) irgendwie diffus, manche zwar, wie Lehrer Steensen etwas tiefer auserzählt, etliche jedoch einfach zu sehr „Typ“ mit Nebenauftritt, so mangelt es mir an der Geschichte an sich auch an Tiefe. Es wirkt so unfertig und ein wenig dröge wie sein Held Ingwer.

Es ist die Sprache von Dörte Hansen, die über manches hinwegträgt. Aber auch da findet sich in diesem Roman ein wenig zu viel des Guten: Es scheint mir fast, als wäre die Autorin in einen Beschreibungsrausch gefallen. Das alte Dorf ist niemals nur eng, sondern es gibt das  „ganze Enge, Schiefe und Beschränkte“, es ist nicht am Verschwinden, sondern es wird „ausradiert, berichtigt und begradigt“, man sitzt in „Kellern, Gruften oder Höhlen“, man plaudert, schludert, tratscht, man fühlt ein Brennen, Schuld und Scham, es geht zu wie Kraut und Rüben, großes Kuddelmuddel. Heilige Dreiwortigkeit. Es erschien mir fast, als habe die Autorin ihrer eigenen Sprachkraft nicht mehr über den Weg getraut. Dabei kann sie Bilder zeichnen von großer Einprägsamkeit, in Sätzen, die auf die Aufzählungsversicherung verzichten können:

„An den Koppelrändern standen Kühe mit gesenkten Köpfen wie Melancholiker an Bahnsteigkanten, sie suchten unter den Büschen Schutz und starrten kauend auf die durchgeweichten Felder, die Hufe tief im nassen Grund. Sie stellten sich beim Melken an, als würden sie belästigt.“


Informationen zum Buch:

Dörte Hansen
Mittagsstunde
Penguin Verlag, 2018
Hardcover mit Schutzumschlag, 320 Seiten
22,00 Euro
ISBN: 978-3-328-60003-9

Kurz&knapp: Kinderbücher von Erika Mann, Marlen Haushofer und Hilde Domin

Sie verfassten moderne Literatur für Erwachsene – und ganz zauberhafte Kinderbücher: Hilde Domin, Erika Mann und Marlen Haushofer.

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Bild: (c) Michael Flötotto

Ihre Namen bringt man mit herausragender Lyrik in Verbindung, mit einem Klassiker der zeitgenössischen Literatur, mit engagiertem politischen Schreiben, mit Exilliteratur, mit Kabarett und modernen Romanen – kurzum mit Erwachsenenliteratur. Doch Hilde Domin, Erika Mann und Marlen Haushofer, sie alle drei schrieben auch ganz bezaubernde und bemerkenswerte Bücher für Kinder und Jugendliche.

„Ich lebte auf einer Insel, die war ganz anders als die Inseln, die ihr kennt. Nachmittags pünktlich um fünf flogen Papageien über das Haus, eine grüne Wolke. Wie Tauben, aber eben grün. Sie kreisten nicht, sie flogen vorbei, und sie unterhielten sich sehr laut, in ihrer eigenen Sprache.“

Hilde Domin, „Die Insel, der Kater und der Mond auf dem Rücken“, 1966

Hilde Domin (1909-2006) verbrachte 22 Jahre ihres Lebens im Exil – einen Großteil davon in der Dominikanischen Republik. Domin, die mit Mädchennamen Löwenstein hieß und nach ihrer Verheiratung Hilde Palm, veröffentlichte ihre Gedichte nach der Rückkehr nach Deutschland 1954 unter dem Pseudonym „Domin“. Abgeleitet von der Insel, auf der sie zum Schreiben fand, die zum Zufluchtsort geworden war. Doch nicht zur reinen Insel der Seligen: Das Andersbleiben in der Fremde, das Leben zwischen verschiedenen Welten, dies kommt auf ganz poetische Art und Weise auch in den Erzählungen über den kleinen Kater Gogh zum Ausdruck. Der Lyrikerin war auf der Insel selbst ein einohriger Kater zugelaufen, der sie Jahre später zu der Geschichte inspirierte. Gogh ist der sprichwörtliche „schwarze Kater“, dem, weil er anders ist als andere Katzen, alles Unheil zugeschrieben wird. Das „Anderssein“: Ein Thema, mit dem Hilde Domin zunächst als Jüdin in ihrem Heimatland, dann als Exilantin auf der Flucht ständig konfrontiert war. Aber auch ein Thema, das Kinder immer wieder bewegt.

Hilde Domin hatte ansonsten nur für Erwachsene geschrieben. Die Texte um den Kater Gogh blieben eine Ausnahme. 1966 wurde sie von der Kinderbuchverlegerin Gertraud Middelhauve gebeten, einen Text für Kinder zu verfassen. So entstand der »Bericht von einer Insel«, der in der Anthologie »Dichter erzählen für Kinder« veröffentlicht wurde. Unter dem Titel „Die Insel, der Kater und der Mond auf dem Rücken“ wurde die Geschichte zum 100. Geburtstag der Dichterin im Jahr 2009 vom S. Fischer Verlag veröffentlicht, illustriert von Alexandra Junge.

„Seit Christoph Bartel zehn Jahre alt war, durfte er allein bei den Booten sein und aufpassen. Er hatte auch eine schwarze Ledertasche umhängen wie ein erwachsener Straßenbahnschaffner und wußte genau, daß eine halbe Stunde Kahn fahren dreißig Pfennige kostete, wenn die Leute selber ruderten. Wenn aber er ruderte, Christoph– Stoffel, kostete sie fünfzig Pfennige, und in diesem Fall war er besonders stolz. Natürlich ging das alles nur nachmittags, denn vormittags war Schule, und Stoffel war sogar ein ziemlich guter Schüler. «Vom Schlechtsein hat man bloß Ärger», pflegte er zu sagen, «und schließlich sind die Lernsachen ja alle ganz ulkig – man muß sie sich nur richtig zurechtlegen.»“

Erika Mann, „Stoffel fliegt übers Meer“, 1932

Eine ganz andere Seite zeigte die sonst so scharfzüngige Kabarettistin und Journalistin Erika Mann (1905-1969) in den insgesamt sieben Kinderbüchern, die sie schrieb. Vor allem das erste davon, das 1932 erschienene „Stoffel fliegt übers Meer“ (als Taschenbuch beim Rowohlt Verlag erhältlich) fand großen Anklang. Gewidmet war es ihren jüngeren Geschwistern Elisabeth und Michael: „Für Medi und Bibi, weil sie meine Geschwister sind, und weil sie es gerne wollten“. Die Illustrationen dazu steuerte ihr Jugendfreund Richard Hallgarten bei. Das Buch erschien kurze Zeit nach dem Suizid des Malers und Grafikers, der sich im Mai 1932 das Leben genommen hatte – eigentlich wollte Erika Mann Hallgarten mit diesem Projekt Lebensmut geben, doch er war nicht zu halten.

Das Buch erzählt vom zehnjährigen Stoffel, der zum Unterhalt seiner Familie durch Bootsvermietungen etwas beisteuert. Die Weltwirtschaftskrise macht sich auch in der ländliche Idylle bemerkbar: Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Daher will Stoffel den reichen Onkel Sepp im sagenhaften Amerika besuchen. Er gelangt über verschiedene Stationen tatsächlich in den Zeppelin nach New York und erlebt dabei etliche Abenteuer – mit Happy End.

Im Hause Mann hatten Kinderbücher Tradition: Schon Erikas Vater und Onkel – Thomas und Heinrich, müßig zu erwähnen – hatten ihren jüngeren Geschwistern ein „Bilderbuch für artige Kinder“ gewidmet. Erika setzte als älteste Tochter von Klaus Mann diese Tradition fort. Neben Szenen aus den Kinderspielen, die die jungen Manns so trieben, gingen auch viele authentische Erlebnisse in den „Stoffel“ ein, Urlaubsabenteuer im bayerischen Land oder auch die Weltreise, die Erika und Klaus Mann 1927 unternommen haben. Das Kinderbuch ist auch heute noch herzerwärmend und lesenswert. Marcel Reich-Ranicki schrieb 1989 über Erika Manns Texte für Kinder: „Die flotten und phantasievollen Kinderbücher, in denen sie bisweilen den Großmeister dieses Genres, Erich Kästner also, heiter nacheiferte, hatten viele Leser (…). Es seien dem Stoffel daher viele neue Leser gewünscht.“

„Als er noch ganz winzig war, nannten ihn die Menschen Peter. Er lag bei seiner Mutter Tschitschi in einem weichgepolsterten Korb, und es ging ihm sehr gut. Seine Mutter war weich und warm, roch sehr angenehm und versorgte ihn mit süsser Milch. Manchmal juckte ihn etwas, aber er wusste nicht, dass es ein Floh war, und er vergass den kleinen Schmerz gleich wieder. Seine Mutter war eine zarte silbergraue Katze, die sehr viel auf Reinlichkeit hielt und ihn immer wieder sauberleckte. Sein Vater war der ärgste Raufbold der Stadt, sein Grossvater ein riesiger Dorfkater, der berühmt war wegen seiner Stimme, und einer seiner fernen Urahnen war ein Wildkater gewesen. Von ihm stammte die schöne Zeichnung auf Peters Fell und sein unbändiges Temperament.“

Marlen Haushofer, „Bartls Abenteuer“, 1964.

Bei Marlen Haushofer (1920-1970) denkt man unwillkürlich auch an „Die Wand“, das berühmteste Buch der österreichischen Schriftstellerin. Neben ihren Romanen und Novellen veröffentlichte sie jedoch auch eine ganze Reihe Kinder- und Jugendbücher. Lange Zeit war die Wahrnehmung eine andere – die Autorin war nach ihrem Tod zwar noch einigermaßen wegen ihrer Kinder- und Jugendbuchliteratur im Gedächtnis geblieben. Ihre weitaus schwierigeren, dunkleren Werke für Erwachsene wurden vergessen, nach ihrem Tod war es still geworden um ihre literarischen Werke. Erst mit der Neuauflage von “Die Wand” 1983 schenkte man Haushofer als einer Vertreterin feministischer Literatur wieder die ihr gebührende Aufmerksamkeit.

Zurück zu den Kinderbüchern: Das bekannteste davon ist wohl die 1964 erschienene Roman um den kleinen Kater Bartl, der in eine Familie kommt, sich dort zurechtfinden muss und beim Erwachsenwerden einige Abenteuer und kleinere Katastrophen übersteht. Freunde der Autorin versicherten später, der Roman gebe auch ein Abbild von Marlen Haushofers Familie, doch das Ehe- und Familienleben der Autorin waren bei weitem nicht so idyllisch, von Trennungen und Zwistigkeiten geprägt. Über die Hauskatze Iwan, wohl ein Vorbild für den Bartl, sagte Haushofer einmal, er sei das einzige Wesen in der Familie, über das es keine Streitigkeiten gäbe.

Ob nun ein herbeigeschriebenes und –gesehntes Familienidyll oder nicht: Der Roman mit seinem leicht naiven Ton ist dennoch für kleiner Kinder auch heute noch (vor-)lesenswert und stellenweise, um ihn mit diesem altmodischen Ausdruck zu bedenken, auch ganz „entzückend“.