Daniela Engist im Gespräch: Das Paar am Strand

Bei der #indiebookchallenge im Mai stehen Bücher mit einem Gemälde auf dem Cover im Mittelpunkt. Daniela Engist wählte für ihren Roman ein Bild des Malers Alex Colville. Im Interview erklärt sie, warum ihre Wahl auf das Paar am Strand fiel.

Im Frühjahr 2021 veröffentlichte Daniela Engist ihren Roman “Lichte Horizonte” im Kröner Verlag. Das Cover ziert ein Gemälde des Malers Alex Colville, “Couple on beach”. Warum ihre Wahl auf dieses Bild fiel und wie es mit dem Roman korrespondiert, darüber spricht Daniela Engist im Interview:

Wie kamen Sie auf dieses Gemälde?

Auf den Maler Alex Colville hat mich Peter Stamm gebracht, der mir mal ein Bild zeigte, das er gerne für eines seiner Bücher gehabt hätte, woraus aus gewissen Gründen aber nichts geworden ist. Es war ein seltsames Bild, aber seltsam schön, und ich habe ein wenig gestöbert, was Colville sonst noch gemacht hat. Kunsthistorisch wird er zum Magischen Realismus gezählt, Tiere spielen in seinem Werk eine große Rolle. Vor allem aber hat er Porträts von Menschen in alltäglichen Situationen gemalt, sie sind altmeisterlich nach strengen Regeln komponiert, minutiös in der Ausführung und zurückhaltend in der Farbgebung – aber emotional stark, berührend.

Als es ums Cover für „Lichte Horizonte“ ging, habe ich mich daran erinnert und bin direkt an „Couple on Beach“ hängen geblieben. Das Bild stammt von 1957 und zeigt den Künstler und seine Frau Rhonda am Strand, ein sogenanntes verdecktes Doppelporträt. Verdeckt, weil man die Gesichter nicht sieht. Die Figuren sind ganz bei sich, abgewandt vom Betrachter.

Welche Assoziationen löste es aus?

Die Intimität, die diesem Bild eingeschrieben ist, hat mich sofort fasziniert. Es ist ein inniger Moment, auch ein Moment der erotischen Anziehung, aber ohne jede Anzüglichkeit, eine Art erotische Zugehörigkeit, wenn es das denn gibt. In Colvilles Bildern ist es ganz häufig so, dass sich die Figuren einander nicht direkt zuwenden, sie bleiben in einem Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Distanz.

Welche Verbindungen hat das Bild zum Roman?

Nähe und Distanz spielen auch im Roman eine zentrale Rolle. Lasse ich mich auf einen anderen Menschen ein und wie weit gehe ich dabei? Wieviel von mir muss ich in eine Beziehung hineingeben, damit sie gelingen kann? Ab welchem Punkt gehe ich mir selbst verloren?

Und dann die Frage der gegenseitigen Wahrnehmung. Das Paar auf dem Gemälde nimmt sich nicht in den Blick. Sie hat einen Sonnenhut über dem Gesicht, scheint zu schlafen, bei ihm ist kaum zu sagen, ob er auf ihren Körper blickt oder nicht doch aufs Meer hinaus. Auch die Figuren in meinem Roman machen sich ihr Bild vom anderen, ohne allzu genau hinzuschauen, versuchen mit geschlossenen Augen zu sehen. Das erinnert an die Grundidee des Magischen Realismus selbst, die Synthese von gegenläufigen Wirklichkeiten, zu der auch meine Ich-Erzählerin tendiert. An einer Stelle sagt sie: „Ich habe eine Neigung, ein Bedürfnis sogar, die Welt anders sehen zu wollen, als sie ist. Manchmal würde ich gerne allen ins Gesicht schreien: Die Welt ist nicht so, wie ihr sagt!“

Wie korrespondieren Titel und Cover?

Daniela Engist. Bild: Anja Limbrunner

Im Versuch ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen, beschließt Anne, die Erzählerin ihrer eigenen Geschichte zu werden. Dabei entfernt sie sich mehr und mehr von ihrem Mann Alexander, innerlich und äußerlich. Geografisch gesehen geht die Bewegung immer weiter nach Westen bis ins bretonische Finistère, wo sie ihr Buch zu Ende schreibt, während sie auf Stéphane wartet. Dort gibt es nur noch Meer und Himmel und Horizont – so wie auf Colvilles Gemälde. Der Strand am „Ende der Welt“ ist ein Ort, an dem man eine Weile unschlüssig auf und ab wandern kann, von dem aus es aber nur noch den Aufbruch zu neuen Ufern oder die Umkehr gibt. Und es ist ein Ort, den man verändert verlassen wird, egal für welchen Weg man sich entscheidet.

Warum ist das Bild auf dem Cover gedreht?

Das gehört zu den glücklichen Zufällen, die sich im ersten Moment wie eine Katastrophe anfühlen. In der Programmvorschau sah das Buch ja noch ein bisschen anders aus. Kurz vor Drucklegung ließ die National Gallery of Canada den Verlag wissen, dass sie nun doch nur das ganze Gemälde und keinen Ausschnitt, wie ursprünglich geplant, verwenden dürften. Vom Ansinnen her verständlich, es ging um die Integrität des Kunstwerks. Aber der Zeitpunkt! Praktisch über Nacht waren wir alle gezwungen, eine neue Perspektive einzunehmen, auf die ohne diesen Impuls niemand gekommen wäre. Der Grafiker hat fantastische Arbeit geleistet. Mich macht das gegen die Sehgewohnheiten gedrehte Cover, das dem Buch so sehr entspricht, ganz glücklich. Es ist tatsächlich nochmal besser als der ursprüngliche Entwurf.

Werkdaten

Alex Colville, Couple on Beach, 1957
Material: Kaseintempera auf Hartfaserplatte
Abmessungen: 73,4 x 96,4 cm
National Gallery of Canada, Ankauf 1959

Weiterführende Informationen zu Colville

http://alexcolville.ca

Wo kann man Colville im deutschsprachigen Raum sehen?

Museum Ludwig in Köln
Nationalgalerie in Berlin
Museum der modernen Kunst in Wien

Trivia

Vier Colville-Bilder spielen in Stanley Kubricks The Shining eine Rolle. Kein Zufall.

Admiral Mahić: Flirrende Visionen

Es ist, als habe die Bora selbst diese Gedichte an Land gespült: Sie sind nicht aus Worten geschrieben, sondern aus den Elementen gemacht.

Sarajevo. Bild von Chris Spencer-Payne auf Pixabay

Rab bei Bora

Wohl dem der die Bora liebt,
auch auf einer ankernden Fähre.
Stahlharte Matrosen springen herab
wie Gewitterhummeln.
Bei der Kapelle essen zwei kleine Mädchen
aus einer Papiertüte gezuckerte Hostien.
Die göttliche Vernunft pflanzt Menschen an
wächst mit ihnen und besänftigt die Panik.
Wolken ballern, die Dunkelheit rauscht
den Weinberg entlang, über dem aufgerissenen Meer.
„Ich besitze eine Blume, die niemand pflücken kann“
Alles ist Staub außer dem Wohlsein.
Alles ist Glut und Salz.

Aus: „Flirrende Visionen“ von Admiral Mahić


Es ist, als habe die Bora selbst, dieser harsche Küstenwind an der Adria, diese Gedichte an Land gespült: Sie sind nicht aus Worten geschrieben, sondern aus den Elementen gemacht. Feuer, Wasser, Erde, Luft. Da ist einer, der das Leben und die Liebe feiert, auch deren schmerzhafte Seiten und dies in ekstatische Lieder gießt.

Vielsagend ist bereits das erste Gedicht dieses Bandes, der ein ganzes Leben in einem Tag unterbringt. Die „Memoiren eines jungen Banjalukaners“ umfassen das poetische Konzept dieses Dichters, der die Tradition des Volkssängers mit der Moderne verbindet:

„Genau um 9.29 am 19. Jänner
vor Christus und Mohammed sprang ich aus einer fliegenden Untertasse
auf das vereiste Dach der Gebärklinik von Banja Luka…“

Und von dort aus führt uns der Dichter im rasenden Galopp durch ein Land, das geprägt ist von seinen Traditionen, von den politischen Verwerfungen älterer und jüngster Zeit, in der Liebe und Gewalt Hand in Hand gehen.

Der bosnische Dichter Admiral Mahić (1948 – 2015) war Mitbegründer des P.E.N. Zentrums von Bosnien-Herzegowina, Herausgeber des Magazins „Republika poezije“ und einer alljährlich stattfindenden Künstlerkarawane durch die Herzegowina. Vor allem aber war er, so der Verlagstext, ein „Philanthrop und Weltbürger“, „Vertreter einer ekstatischen Poesie, die das Leben feiert, aber auch Echoraum für das multikulturelle Milieu Bosniens und die historischen Verwerfungen in diesem Raum“ sind.

Deutlich wird dies beispielsweise an einem Gedicht, das vergleichsweise kurz und sehr konkret ist und sich auf die Brücke bezieht, an der 1914 das Attentat verübt wurde, das die Welt erschütterte:

Princips Brücke

Wasser tropft
aus einem jungfräulichen Speier.
Es brennt mir in der Hand.

Der Brücken-Attentäter
taumelte in die Denkerstube.
Eine Waffe kann
auch eine Abenteuerreise bescheren …

Die Türen der Tramway
öffnen sich:
Archivalien steigen aus
unter der Achsel des Richters.

Da wo Princip stand
befinden sich jetzt zwei Ampeln
und Verkehrszeichen
die auf Passanten schießen.

Wie oben bereits bemerkt, bildet dieses Gedicht in seiner Konkretheit beinahe eine Ausnahme unter den „flirrenden Visionen“, die von Wind, Glut und Kraft dieser europäischen Region geprägt sind, von einem Dichter geschrieben sind, der von sich selbst sagt:

Falls ich noch in diesem Leben weile
muss ich mich vergiftet haben
mit den Geräuschen des Surrealen …

„Flirrende Visionen“ heißt demnach auch der zweisprachige Band, der eine Art Vermächtnis für dieses dichterische Werk ist. Ausgewählt und übersetzt wurden die Gedichte von Barbara Sax, die Lektorin am Institut für Slawistik und am Institut für Bildungs- und Erziehungswissenschaften in Graz ist.


Informationen zum Buch:

Admiral Mahić
Flirrende Visionen
Mit einem Nachwort von Faruk Ŝehić
danube books, Ulm, 2019
Hardcover, Fadenheftun, 164 Seiten, 18 Euro
ISBN 978-3-946046-16-5