Thomas Niederste-Werbeck: Zu Gast auf Mallorca

Gudrun Glock hat ein Faible fürs Reisen und für gutes, gesundes Essen. Beides schlägt sich auch in dem prächtigen Bildband nieder, den sie hier vorstellt.

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Bild: Gudrun Glock

Ein Gastbeitrag von Gudrun Glock

Nachdem die Grenzen sich langsam nach allen Seiten hin wieder öffnen, möchte ich es nicht versäumen, auf dieses kulinarische Reisebuch hinzuweisen.

Der Autor Thomas Niederste-Werbeck, der seit geraumer Zeit selbst auf Mallorca lebt, hat sich seine Begeisterung buchstäblich vom Herzen geschrieben. Wer Mallorca kennt, verspürt umgehend Sehnsucht beim Anblick dieses appetitlichen Reise-Bilderbuches. Und wer Mallorca nicht kennt, den packt schon beim Vorwort des Autors die Reiselust. Ich gehöre zur ersten Kategorie, weshalb ich das Buch am liebsten gar nicht mehr aus der Hand legen mag. Man sieht sie vor dem inneren Auge – die Berge der Serra Tramuntana, die unzähligen Buchten mit Südseeflair und das weite Flachland mit seinen Schafen und alten Windmühlen. Eine sehr gelungene Kombination von Inselinfos, Kulinarik und Geschichten, die meine Erwartungen weit übertroffen hat.

Niederste-Werbeck hat ein Faible für die neue Food Szene und schaut bei seiner außergewöhnlichen Rundreise durch Mallorca nicht nur Profiköchinnen und -köchen, sondern auch kreativen Amateuren über die Schulter. Diese verraten uns außer ihren Rezepten wie beispielsweise „Garnelen mit Erbsencreme“, „Gebackene Auberginen mit Safranjoghurt“ bis hin zum „Fenchelcrumble“ auch ihre ganz persönlichen Geschichten.  Außerdem schwärmen sie von ihren Lieblingsplätzen, erzählen uns, wo man den besten Kaffee findet und warum sie die Monate Oktober und November auf der Insel besonders reizvoll finden.

Da ist zum Beispiel der gebürtige Rheinländer, den das Tal von Sóller, in dem Orangen und Zitronen blühen, inspiriert hat, zu bleiben. Seither betreibt er einen Online-Handel für die nachhaltig erwirtschafteten Zitrusfrüchte dieser Gegend. Wir erfahren von einer Keramikerin in dritter Generation, die erst in New York und London leben musste, bevor sie die Schönheit von Deià wieder nach Hause holte. Ein anderer ist der Bäckermeister aus der Hauptstadt Palma, dessen Profession früher Sozialarbeiter und Psychotherapeut war und der erst spät sein Hobby zum Beruf machte. Und natürlich begegnet man auch Profis, sowie der edlen Gastronomie eines Yoga Refugiums mit holistischem Anspruch. So unterschiedlich die Menschen und ihre Geschichten auch sind, eines eint sie auf magische Weise – die Hingabe an eine gute Ernährung und an den Ort, den sie Heimat nennen.

Die 70 Rezepte sind liebevoll bebildert und zu jeder seiner Empfehlungen liefert Niederste-Werbeck die Öffnungszeiten, sowie Kontaktdaten und Website, was dem Buch eine sehr praktische Note verleiht.


Zum Buch:

Thomas Niederste-Werbeck
Zu Gast auf Mallorca
Callwey Verlag | Erscheinungstermin 20.03.2020
240 Seiten | 70 Rezepte | gebunden
ISBN: 978-3-7667-2451-9


Zur Gastautorin:

Gudrun Glock  lebt und arbeitet bei Augsburg, wo sie für ein Augsburger Magazin  Beiträge, Buchrezensionen und die Kolumne „Nahrungskette“ schreibt. Ihr Hauptinteresse und Betätigungsfeld gilt dem Ernährungsaspekt der Ayurvedischen Lehre. Sie sagt dazu: „Wir kommunizieren während des Essens. Und Essen selbst bedeutet Kommunikation. Deshalb könnte man auch sagen, das zentrale Thema meiner Arbeit ist die Kommunikation, denn das ganze Leben ist Kommunikation.“
Homepage: http://augsburg-ayurveda.de/ 

Heide Hampel: In der Erinnerung sieht alles anders aus

Die künstlerische Auseinandersetzung von Anke Feuchtenberger mit dem Werk von Brigitte Reimann: Eine passende Hommage an eine große Autorin.

20190902_1994„Ich mag Leute, die gern und ausgelassen lachen, die nicht mit sich geizen; ich habe meist gefunden, daß die Verschwender mehr Reserven haben als die Krämer, die ihr Gesicht ängstlich hüten, ihre Kraft und Empfindung rationieren.“

Brigitte Reimann, Zitat aus „Das grüne Licht der Steppen“.


Ein pralles Leben: Vier Ehen, unzählige Affären, dem Heimatland verhaftet und doch mit dessen Enge und dem Eingesperrtsein hadernd, als Stasi-Mitarbeiterin angeworben, später jedoch gegen das System anrennend. Früh literarisch hervorgetreten und ausgezeichnet, gegen Ende des Lebens wegen der angeblichen „Dekadenz“ ihrer Werke mit Veröffentlichungsverboten konfrontiert.

Immer schwankend zwischen den Polen, kettenrauchend, trinkend, feiernd, dann wiederum der Rückzug in das Innere, an den Schreibtisch. Geselligkeit und Einsamkeit im Wechsel: Brigitte Reimann war eine Kerze, die an beiden Enden brannte.

Eine der großen schreibenden Frauen der DDR

Unter den großen Namen der in der DDR schreibenden Frauen taucht ihrer neben denen von Christa Wolf, Monika Maron, Irmtraud Morgner, Sarah Kirsch immer an vorderster Stelle auf. Und dennoch gilt Brigitte Reimann immer wieder, vielleicht auch bedingt durch ihren frühen Tod, als eine, die es „wiederzuentdecken“ gilt. Eine wunderbare Einstiegsmöglichkeit in Leben und Gedankenwelt dieser unbändigen Autorin bietet nun der Steffen Verlag mit dem neu erschienenen Kunstband „In der Erinnerung sieht alles anders aus“.

26 kraftvolle Bilder, „jedes für sich ein inhaltlich wie formal eigenständiges Gebilde“, wie Herausgeberin Heide Hampel in ihrem Vorwort betont, der 1963 geborenen Künstlerin Anke Feuchtenberger bilden eine Art künstlerischen Leitfaden durch die Gedankenwelt der Schriftstellerin. Die Berlinerin, gut eine Generation jünger als die 1933 in der Nähe von Magdeburg geborene Brigitte Reimann, war schon früh eine Leserin des Werks der Älteren, setzte sich insbesondere mit dem späten, unvollendet gebliebenen Roman „Franziska Linkerhand“ auseinander.

„Wir haben gelernt, den Mund zu halten, keine unbequemen Fragen zu stellen, einflußreiche Leute nicht anzugreifen, wir sind ein bißchen unzufrieden, ein bißchen unehrlich, ein bißchen verkrüppelt, aber sonst ist alles in Ordnung.“

Zitat aus „Franziska Linkerhand“.

Sozialistische Kunst wird ironisch aufgegriffen

Von „Ankunft im Alltag“, einem frühen Roman, der die Entwicklung dreier Abiturienten beschreibt, die sich zum Arbeitseinsatz im Kombinat „Schwarze Pumpe“ melden, bis zum formal weitaus spannenderen und inhaltlich vom desillusionierten Blick auf das System geprägten Spätwerk „Franziska Linkerhand“ war es ein langer Weg. Diesen Weg gehen die Bilder Anke Feuchtenbergers mit, farbintensiv, surreal und auch ironisch Züge der „sozialistischen Kunst“ aufgreifend, bei Arbeiter- und Industrieszenen wie „Der Nabel der Welt“, ein Bild, das erst auf den zweiten Blick die doppelte Deutungsmöglichkeit enthüllt.

Den Bildern gegenüber gestellt sind jeweils Zitate aus den Briefen, Tagebüchern und Romanen Brigitte Reimanns, von Herausgeberin Heide Hampel und Winfried Braun aus der Fülle der Texte großartig zusammengestellt. Schlaglichtartig werden da die schriftlich fixierten Haltungen von Brigitte Reimann zu ihrer Rolle als Frau, Geliebte, Arbeitende, als Schriftstellerin sowie als gesellschaftliches und politisches Wesen beleuchtet.

Reimann, ein “Widerspruchsbündel”

„Haltungen“ – den Plural habe ich dabei bewußt gewählt: Ursula Maerz übertitelte 1997 ihren Beitrag in der Zeit über die damals erst erschienenen Tagebücher Brigitte Reimanns mit „Das Widerspruchsbündel“. Eine passende Bezeichnung für eine Frau, die das Leben ausschöpfen wollte – und das ist nun einmal so, die Sache mit dem Leben, dass es sich eben nicht auf eine unwidersprüchliche Formel reduzieren lässt.

„Früher dachte ich an das Leben, an mein unbemessenes Leben, wie an einen Hirsetopf im Märchen, du löffelst und löffelst und kommst nicht auf den Grund, wunderbar, die Hirse quillt von selbst nach, und der Topf wird niemals leer …“

Zitat aus „Franziska Linkerhand“.

Ein schon sehr von Meloncholie geprägtes Zitat, entstand der Roman doch in einer Zeit, als Brigitte Reimann nach langer Krebserkrankung dem Tod entgegensah: 1973 verstarb sie, erst 40-jährig, in Ost-Berlin. „Frauen wie Blumen“ heißt das Bild, das Anke Feuchtenberger zu diesem Zitat gestellt hat – es zeigt eine Krankenhausszene, die Figur der Betrachterin erinnert an eine der Menschen von Käthe Kollwitz, es ist plastisch und zart dabei zugleich. Und ist ein gutes Beispiel dafür, wie die intensive Auseinandersetzung der bildenden Künstlerin mit der schreibenden Kollegin ein Gesamtkunstwerk ergibt, eine Buchveröffentlichung, die die passende Hommage an das „Mädchen auf der Lotusblüte“ ist.


Bibliographische Angaben:

Heide Hampel | Brigitte Reimann
„In der Erinnerung sieht alles anders aus“
Steffen Verlag, 2019
ISBN 978-3-95799-078-5

Zur Homepage von Anke Feuchtenberger: http://www.feuchtenbergerowa.de/