Auguste Hauschner: Der Tod des Löwen

Auguste Hauschner zählt, wie andere Frauen auch, zu den vergessenen Autorinnen. Eine Wiederentdeckung lohnt: Dies zeigt auch eine düstere Novelle um Rudolf II.

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Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

„… Es war dem Kaiser, als griffe eine kalte Hand in sein Genick. Sein Bewusstsein, das noch zögernd an der Schwelle eines Traums stand, schreckte zitternd auf.
Er musste viele Stunden lang geschlafen haben, die Lichte hatten lange Schnuppen, und eine Öde schwebte in der Luft, als hielte die Zeit am Scheideweg zweier Tage ihren Atem an.
Wieder streifte den Kaiser der Schauder einer eisigen Berührung, seine Haare sträubten sich. »Ist jemand hier?«
Plötzlich begriff er – der Tod war hinter ihn getreten.“

Auguste Hauschner, „Der Tod des Löwen“, 1916


Die (Wieder-) Entdeckung ganz besonderer Texte, die Herausgabe ganz besonders schöner Bücher, in denen handwerkliche und literarische Leidenschaft steckt: Meist ist dies das Werk kleiner, unabhängiger Verlage, die trotz des verlegerischen Risikos statt Massenware Schmuckstücke veröffentlichen. Ein ganz besonderes Juwel ist ein „vergessener Prag-Roman“, den der bayerische homunculus verlag passend zum Länderthema Tschechien bei der Leipziger Buchmesse vorstellte. „Der Tod des Löwen“ erschien erstmals 1916 mit Illustrationen von Hugo Steiner-Prag, der sich unter anderem mit Bildern zu Andersens Märchen, zu E.T.A. Hoffmann und dem erst ein Jahr zuvor erschienenen „Golem“ von Gustav Meyrink einen Namen gemacht hatte. Sein Faible für dunkel-mystische Erzählungen prädestinierte ihn also auch für die Illustrationen zum Roman Auguste Hauschner. Und der Verdienst der Verlagsleute ist es auch, dass sie diese besonderen Bilder, die die melancholische Stimmung des Buches wiedergeben, druckfähig aufbereitet und in die Neuauflage des Romans übernommen haben.

Auguste Hauschner (1850 – 1924), deutschsprachige-böhmische Schriftstellerin, war einst eine der tonangebenden Personen der Prager Literatur und später der Berliner Literatur- und Kunstszene, in Berlin führte sie einen lebendigen Salon, der zur ersten Adresse unter anderem für Gustav Landauer, Max Liebermann und Max Brod, Kafkas Freund und späterer Herausgeber, wurde. Trotz eines umfangreichen Werks, das auch prägend war für die Prager Dichter späterer Generation, teilt Auguste Hauschner das Schicksal vieler schreibender Frauen: Wird heute auf den „Prager Kreis“ verwiesen, fallen die Namen etlicher Männer (Kafka, Oskar Baum, Rilke, Werfel, Meyrink), aber Auguste Hauschner, die von der Literaturwissenschaftlerin Ingeborg Fiala-Fürst als „Urgroßmutter“ der deutschsprachigen Literatur aus Prag bezeichnet wird, wird nicht erwähnt.

Wiederentdeckung der Autorin überfällig

Dabei lohnte sich eine Wiederentdeckung des Werks, das auch von sozialkritischen und feministischen Zügen geprägt ist, sicherlich. „Der Tod des Löwen“ gilt als Ausnahme im gesamten literarischen Schaffen Auguste Hauschners, es ist der einzige historische Stoff, dem sie sich zuwandte. Durch die zeitliche Nähe zu Meyrinks „Golem“ wird oft eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen den beiden Büchern hergestellt – aber bis auf die fantastisch-mystische Stimmung beider Romane sind sie inhaltlich doch deutlich unterschiedlich.

„Der Tod des Löwen“ ist im Grunde eine fein ausgearbeitete psychologische Studie, die den geistigen Verfall von Rudolf II. (1552 – 1612), Kaiser des Heiligen Römischen Reichs und König von Böhmen, nachvollzieht. Rudolf war jener Habsburger, der sich in der Prager Burg verkroch und von dort aus so unglücklich agierte. Auguste Hauschner schreibt über drei Tage im Winter – jahreszeitlich so verortet, aber auch auf das Leben Rudolfs zu beziehen. Beeindruckend ist vor allem ihre Sprache, mit der sie das wintergraue Prag als unheimliche Silhouette dieser Erzählung, die in bester Novellen-Manier eine eigentümliche Spannung in sich birgt, zu zeichnen vermag. Über der neblig-kalten Stadt thront unheilschwanger zudem ein Komet am Firmament.

Ein Kaiser im Taumel des Wahns

Erzählt wird also von jenen drei Tagen, in denen beim menschenscheuen Rudolf vollends der Wahnsinn ausbricht. Am Ende steht das Ghetto in Flammen, sterben Menschen, brüllen die Raubtiere in den Gittern des kaiserlichen Geheges, zürnen die Götter. Das alles erinnert auch an das brennende Rom – und nicht zuletzt wie bei Nero wurde auch Rudolf später von  Wissenschaftlerin Wahnsinn attestiert. Man vermutete Schizophrenie, eine Diagnose, die sich heute natürlich nicht mit absoluter Sicherheit stellen lässt.

Hauschner zeichnet den Kaiser als einen buchstäblich Irrenden – er irrt durch seinen Palast, nachts und inkognito auch durch die Stadt, auf der Suche nach etwas, das ihn hält, auf der Suche nach Erlösung. Die Furcht des von vielfachen Ängsten und Phobien gebeutelten Kaisers ist ins Unermessliche gesteigert: Nicht nur der bedrohliche Komet, auch das Siechtum seines Lieblingstieres, eines Löwen, macht ihn schaudern. Denn so will es die Sage: Stirbt der Löwe, dann sind auch des Herrschers Tage gezählt. Geschickt webt so die Autorin etliche der Mythen, die die Geschichte und Literatur Prags prägten (Tycho Brahe hat seinen Auftritt, Rabbi Löw spielt eine entscheidende Rolle und auch der „Golem“ geistert durch die Zeilen), in die Handlung ein.

Doch hatte die Autorin mit ihrer Novelle wohl kein Schauermärchen oder Historienspiel ohne Hintergrund im Sinn, wie Veronika Jičínská im Nachwort zur Neuauflage betont:

„Der Tod des Löwen kann man trotzdem nur mit Vorbehalt als eine historische Novelle bezeichnen; Hauschner ist vielmehr bemüht, in dem Zusammenbruch des geistesgestörten Kaisers symbolisch das Ende einer ganzen Epoche darzustellen.“

Diese Weltuntergangsstimmung wird verstärkt durch die beinahe schon eigentümliche Sprache Auguste Hauschners, die eine ganz eigene Magie entwickelt. Sie hebt die Erzählung zeitweise durchaus in das Fantastische, hat zugleich aber auch einen ganz irdischen Ton in sich.

Geheimnisvolles altes Prag

Die zeitliche Nähe – „Der Golem“ von Gustav Meyrink erschien 1915, „Der Tod des Löwen“ 1916 – legt es nahe, dass man Parallelen zwischen den beiden Büchern zieht. Zwar gibt es Gemeinsamkeiten, angefangen beim Handlungsort Prag bis hin zum Aufgreifen einiger Prager Mythen, doch ist Hauschners Buch eher dem psychologischen Erzählen zuzuordnen, während „Der Golem“ auf einem ganz eigenen, rein fantastischem System ruht. Meyrinks Roman ist eher mit „Die andere Seite“ von Alfred Kubin, 1909 erschienen, zu vergleichen.

Näher liegt es, eine Verbindung von Auguste Hauschners Buch zu dem opulenten Werk eines anderen Prager Autoren zu ziehen: 1953 veröffentlichte Leo Perutz seinen Novellenroman „Nachts unter der steinernen Brücke“, an dem er Jahrzehnte geschrieben hatte. 14 Erzählungen, in denen sich historische Gegebenheiten mit fantastischen Szenen vermischen, lassen das Zeitalter des Goldenen Prags wieder auferstehen, im Mittelpunkt steht dabei die Traumliebe des Kaisers Rudolf II. zur schönen Jüdin Esther, eine Liebe, die sowohl für die jüdische Bevölkerung als auch für den Monarchen katastrophale Ereignisse nach sich zieht.


Bibliographische Angaben:

Auguste Hauschner
„Der Tod des Löwen“
homunculus verlag, 2019
20,00 Euro, gebunden, 180 Seiten
ISBN 978-3-946120-28-5

Fritz von Herzmanovsky-Orlando: Der Gaulschreck im Rosennetz

„Der Gaulschreck im Rosennetz“ überwältigt mit skurrilem Humor. So barock wie die Erzählung mutet auch das Leben von Fritz von Herzmanovsky-Orlando an.

Galschreck
Bild: (c) Michael Flötotto

„Nie betrat Eynhuf sein Amt anders, als mit einem Gefühl aus freudigem Stolz und gebührender Ehrfurcht gemischt.“

Fritz von Herzmanovsky-Orlando, „Der Gaulschreck im Rosennetz“


Hofsekretär Jaromir Edler von Eynhuf ist, man merkt es alsbald, ein tumber Tor. Und damit im verschnörkelten Hofstaat des österreichischen Kaisers – die „Wiener Schnurre aus dem modernen Barock“ ist in die Zeit um 1820 angesiedelt – nicht einzigartig. Doch Eynhuf, der seinem Kaiser zum Thronjubiläum eine Kette aus Milchzähnen schenken will, schlägt im Verlauf dieser Posse alle Tumbheits-Rekorde: Auf der Jagd nach dem letzten fehlenden Milchzahn, den er der Opernsängerin Höllteufel, einer wahren femme fatale, entreißen will, erlebt er die skurrilsten Abenteuer. Als Schmetterling verkleidet, sprengt er beinahe einen Ball, verfällt natürlich der aussichtslosen Liebe zur Höllteufelin, lässt Liebestränke brauen, verführt Dienstmädchen und stolpert von einem Fettnäpfchen ins andere. Am Ende alles Malaise, Malaise: Ihm bleibt nur, nachdem er mit dem Milchzahnvorhaben scheitert, sich zu erschießen, das sieht die Konvention vor.

Geplant war eine österreichische Trilogie

Fritz von Herzmanovsky-Orlando (bei einem solchen Namen kann man wahrscheinlich nur völlig verrückte Schnurren schreiben) hatte „Der Gaulschreck im Rosennetz“ als Auftakt zu einer österreichischen Trilogie geplant. Tatsächlich erschien zu seinen Lebzeiten (1877 – 1954) allerdings nur der Gaulschreck anno 1928. Den Adelsspross focht dies, zumindest in finanzieller Hinsicht, nicht weiter an: Reich geboren, musste er seinen Lebtag lang nie einem Brotberuf nachgehen. Er tobte sich mit dem Schreiben skurriler Geschichten aus, zeichnete wie sein enger Freund Alfred Kubin  – auch der Gaulschreck ist mit seinen eigenen, ganz annehmbaren Illustrationen erschienen –, gab sich gerne dem Okkultismus hin und hegte leider auch eine große Sympathie für die Ideologie des Nationalsozialismus.

Insofern ist es wiederum eine eigentümliche Wendung der Literaturgeschichte, dass ausgerechnet der jüdische Schriftsteller Friedrich Torberg 1957 eine Gesamtausgabe der H.-O.-Werke besorgte und den schreibenden Adelssproß damit dem Vergessen entriss. Seither hat der Schriftsteller des Skurril-Fantastischen eine kleine, aber treue Fangemeinde – und daran ändern auch postume Erkenntnisse über seine abwegigen Ansichten nichts.

Abgesehen von diesen Begleitumständen: „Der Gaulschreck im Rosennetz“ ist wirklich nur empfehlenswert für Menschen, die diesen skurrilen Humor teilen und barock-abschweifende Geschichten mögen. In den 1980er-Jahren begann der Residenz Verlag erneut mit einer großen Werkausgabe zu Fritz von Herzmanovsky-Orlando – der Gaulschreck ist dabei in einer schönen Ausgabe mit den Illustrationen wieder erschienen. Im Spiegel erschien dazu ein Portrait dieses Dichters, dessen Leben selbst Stoff für einen skurrilen Roman wäre – über H.-O. hieß es:

„Die Torberg-Ausgabe prägte das Bild des Dichter-Dandys Herzmanovsky – eines spielerischen Connaisseurs versunkener Zeiten, eines Virtuosen sprachlicher Mimikry und lässiger, monströser Boshaftigkeit; ein Nestroy für die gehobenen Stände.“

Der Artikel in voller Länge bei Spiegel Online.