
Lange lieb ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust,
Mutter nennen, und dir schenken ein kunstlos Lied,
Du, der Vaterlandsstädte
Ländlichsschönste, so viel ich sah.
Wie der Vogel des Walds über die Gipfel fliegt,
Schwingt sich über den Strom, wo er vorbei dir glänzt,
Leicht und kräftig die Brücke,
Die von Wagen und Menschen tönt.
Wie von Göttern gesandt, fesselt` ein Zauber einst
Auf die Brücke mich an, da ich vorüber ging,
Und herein in die Berge
mir die reizende Ferne schien,
Und der Jüngling, der Strom, fort in die Ebne zog,
Traurigfroh, wie das Herz, wenn es, sich selbst zu schön,
Liebend unterzugehen,
In die Fluten der Zeit sich wirft.
Quellen hattest du ihm, hattest dem Flüchtigen
Kühle Schatten geschenkt, und die Gestade sahn
All` ihm nach, und es bebte
Aus den Wellen ihr lieblich Bild.
Aber schwer in das Tal hing die gigantische,
Schicksalskundige Burg nieder bis auf den Grund
Von den Wettern zerrissen;
Doch die ewige Sonne goss
Ihr verjüngendes Licht über das alternde
Riesenbild, und umher grünte lebendiger
Efeu; freundliche Wälder
Rauschten über die Burg herab.
Sträuche blühten herab, bis wo im heitern Tal,
An den Hügeln gelehnt, oder dem Ufer hold,
Deine fröhlichen Gassen
Unter duftenden Gärten ruhn.
Friedrich Hölderlin
Immer wieder suchte der ewig vor sich und anderen flüchtende Friedrich Hölderlin (1770 – 1843), bis er dann seine zweite Lebenshälfte in seinem Tübinger Turmzimmer verbrachte, auch die kühlen Schatten der Stadt Heidelberg auf. 1788 war sein erster Besuch in der Neckarstadt, 1800 entstand sein Gedicht, kurz nachdem die Alte Brücke über den Neckar fertiggestellt worden war. Es ist wohl das berühmteste Heidelberg-Poem. Mit den Zeilen „schicksalskundige Burg nieder bis auf den Grund von den Wettern zerrissen“ bezieht sich Hölderlin auf einen Blitzschlag, der 1764 das Heidelberger Schloss, kaum dass es nach der teilweisen Zerstörung durch die Franzosen 1693 wieder aufgebaut worden war, vollends beschädigte. (Ein ausführlicher virtueller Rundgang durch das Schloss, den Schlossgarten bis hin zum berühmten Riesenfass findet sich hier.)
Die Heidelberger Romantik
Wie die „Weimarer Klassik“ gibt es auch für Heidelberg den Begriff einer Literaturepoche, der mit der Stadt verbunden ist: Die „Heidelberger Romantik“. Hölderlin war ein Vorbote, verknüpft ist sie vor allem mit Clemens von Brentano und Achim von Arnim, die zweitweise in Heidelberg lebten (datiert wird die Heidelberger Romantik für die Jahre zwischen 1804 und 1818), dort an „Des Knaben Wunderhorn“ arbeiteten und die „Zeitung für Einsiedler“ herausgaben. Darüber hinaus studierte Joseph von Eichendorff von 1807 bis 1808 ebenfalls in Heidelberg, hatte aber wohl keine Kontakte zu Brentano/Arnim.
Die Romantik als Literaturepoche zeichnet sich durch Kritik an der Vernunft und auch in der Abgrenzung zur Aufklärung aus, zielt auf die Aufhebung der Trennung zwischen Philosophie, Literatur und Naturwissenschaften ab, greift die einfache Sprache des Volkes und seine Erzählungen auf – kurz: Zurück zur Natur, back to the roots.
Ländlich-schönes Heidelberg
Heidelberg, die „Ländlichschönste“, bot dafür das ideale natürliche Ambiente. Und weil die Romantiker auch gerne schwelgten, so ist es denn kein Wunder, dass manch einer von ihnen sich hier auch unglücklich verliebte – Joseph von Eichendorff beispielsweise in Käthchen Förster, die ihn wahrscheinlich zu „In einem kühlen Grunde“ inspirierte.

Die Ära der Heidelberger Romantik ging vorüber, literaturwissenschaftlich gesehen. Die Romantik in Heidelberg jedoch blieb. Jahrzehnte später traf es Gottfried Keller, der sich in die Tochter eines Heidelberger Politikers und Philosophieprofessors verschaute, als er sich von 1848 bis 1850 in der alten Universitätsstadt aufhielt. Auch ihm wurde die berühmte Brücke zu einer Metapher:
Schöne Brücke, hast mich oft getragen,
Wenn mein Herz erwartungsvoll geschlagen
Und mit dir den Strom ich überschritt.
Und mich dünkte, deine stolzen Bogen
Sind in kühnerm Schwunge mitgezogen
Und sie fühlten mein Freude mit.
Weh der Täuschung, da ich jetzo sehe,
Wenn ich schweren Leids hinübergehe,
Daß der Last kein Joch sich fühlend biegt;
Soll ich einsam in die Berge gehen
Und nach einem schwachen Stege spähen,
Der sich meinem Kummer zitternd fügt?
Aber sie, mit anderm Weh und Leiden
Und im Herzen andre Seligkeiten:
Trage leicht die blühende Gestalt!
Schöne Brücke, magst du ewig stehen
Ewig wird es aber nie geschehen,
Daß ein bessres Weib hinüberwallt!