Lesezeichen von: Paul Auster

1974 ersteht Paul Auster eine Reiseschreibmaschine: Auf ihr schreibt er immer noch. Und setzte ihr ein kleines Denkmal mit diesem Buch.

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“Also blieb ich bei meiner Schreibmaschine, und die achtziger Jahre gingen in die neunziger über. Einer nach dem anderen stiegen meine Freunde auf Mac oder IBM um. Allmählich kam ich mir vor wie ein Fortschrittsfeind, der letzte heidnische Posten in einer Welt voller digitalen Konvertiten. (…) Bis dahin hatte ich mich meiner Schreibmaschine nicht sonderlich zugetan gefühlt. Sie war einfach ein Werkzeug, das mir erlaubte, meine Arbeit zu tun; aber jetzt, da sie zu einer gefährdeten Spezies geworden war, zu einer der letzten überlebenden Gerätschaften des Homo scriptorus des 20. Jahrhunderts, begann ich eine gewisse Zuneigung zu ihr zu empfinden.”

Paul Auster/Sam Messer, “Die Geschichte meiner Schreibmaschine”, Rowohlt Verlag, 2005, Hardcover mit zahlreichen Bildtafeln.

1974 ersteht Paul Auster von einem Freund für 40 Dollar eine Olympia-Reiseschreibmaschine, “hergestellt in Westdeutschland. Dieses Land gibt es nicht mehr, aber seit jenem Tag im Jahr 1974 ist jedes Wort, das ich geschrieben habe, auf dieser Maschine getippt worden”. Wahrscheinlich gilt diese Aussage auch heute noch, 14 Jahre nach Erscheinen des amerikanischen Originals dieses kleinen Bildbandes: Denn Auster erstand vorsorglich 50 Farbbänder für seine Olympia. Technisch unbegabt, scheute der Schriftsteller die Anschaffung eines Computers. Das allein ist jedoch nicht der Grund für die immer intensiver gewordene “Beziehung” zu seinem Schreibgerät: “Ich hatte nie die Absicht, meine Schreibmaschine zu einer Heldin zu machen. Das ist das Werk von Sam Messer, einem Mann, der eines Tages in mein Haus kam und sich in die Maschine verliebte.”

Der New Yorker Künstler begann “Portraits” der Olympia zu malen, manchmal durfte auch Paul Auster mit ins Bild. Und so ist “Die Geschichte meiner Schreibmaschine” vor allem eine bildhafte, schöne Liebeserklärung an diesen Gegenstand, der immer mehr aus unserem Alltag verschwindet.

Lesezeichen von: Ossip Mandelstam

Ossip Mandelstam berichtet vom Bücherschrank seiner Eltern: Für ihn der Zugang zu einer ganzen Welt der Sprache und Erlebnisse.

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„Und inmitten der spröden Einrichtung dieses Arbeitsraumes stand ein kleiner Bücherschrank mit Glastür und einem grünen Taftvorhang. Von dieser Bücheraufbewahrung möchte ich nun erzählen. Der Bücherschrank der frühen Kindheit ist ein Begleiter des Menschen für sein ganzes Leben. Die Anordnung seiner Fächer, die Auswahl der Bücher, die Farbe der Buchrücken gilt ihm als die Farbe, Höhe und Anordnung der Weltliteratur selbst. Ja, jene Bücher, die nicht im ersten Bücherregal gestanden haben, werden es nie schaffen, ins Weltgebäude einzudringen, das die Weltliteratur bedeutet. Ob man will oder nicht, ist jedes Buch im ersten Bücherschrank klassisch, und auch nicht einen einzigen Buchrücken könnte man daraus entfernen.“

Ossip Mandelstam, „Der Bücherschrank“, zitiert nach: „Bahnhofskonzert. Das Ossip-Mandelstam-Lesebuch“, Herausgeber Ralph Dutli, Fischer Taschenbuch 2015.

Ossip Mandelstam schrieb dies über den Bücherschrank seiner Eltern. Literarisch eine privilegierte Kindheit: Neben den fünf Büchern Mose versammelte sich da „das in Staub gestürzte jüdische Chaos“, darüber die klassischen Deutschen Schiller, Goethe und auch Kerner, Shakespeare in deutscher Sprache, und natürlich die Russen: Puschkin, „auf Dostojewski lag ein Verbot, eine Art Grabplatte, und man sagte von ihm, dass er schwer sei.“ Turgenjew mit „seinen gemächlichen Gesprächen“ war dem jungen Ossip dagegen erlaubt.

Ginge es nach dem Bücherschrank meiner Kindheit und der Theorie Mandelstams, dann wären Uta Danella, Konsalik und Johannes Mario Simmel Bestandteil der Weltliteratur – meine Eltern waren Mitgliedern in Buchclubs. Ein Schiller stand da zwar auch herum, da ein gebürtiger Württemberger – aber ansonsten war wenig Klassik im Hause. Insofern kann ich Mandelstam nur bedingt zustimmen – der Bücherschrank der Kindheit ist ein Schrank auf dem Weg – aber die Schranktüren der Literatur stehen in einer freien Gesellschaft glücklicherweise jedem, der will, jederzeit offen.

Lesezeichen von: Ian McEwan, William Butler Yeats & Benjamin Britten

Wie Ian McEwan einen mit seinem Roman “Kindeswohl” auf die Spuren von William Butler Yeats führt. Literatur und Musik treffen sich im Roman und im Leben.

„Das melancholische Lied und wie es hier gespielt wurde, so hoffnungsfroh, so roh, stand für alles, was sie an dem Jungen zu verstehen begann. Sie kannte die reuevollen Worte des Dichters auswendig. Doch ich war jung und töricht … Adams Spiel rührte sie, verwirrte sie aber auch. Mit der Geige oder irgendeinem anderen Instrument anzufangen war ein Ausdruck von Hoffnung, implizierte Zukunft.“

Ian McEwan, „Kindeswohl“, 2014

„Sprachlich, stilistisch ist an einem McEwan nie etwas zu bemängeln, auch dieses Mal nicht. Strukturell hat er mich mit seinem letzten Roman Honig, der für mich nur als Spionagegeschichte getarnt eher ein doppelbödiges Spiel mit den Ebenen darstellt, überrascht und für sich eingenommen. Mit Kindeswohl aber hat er mich getroffen und zwar richtig, mitten ins Herz“, schrieb Bri in ihrer Besprechung des Romans beim „feinen, reinen Buchstoff“.

Das Yeats-Gedicht ist nicht von ungefähr gewählt: Beiden, sowohl Fiona und Adam, ist es nicht gegeben, das Leben von einer leichteren Seite zu nehmen.

Down by the Salley Gardens

Down by the salley gardens
my love and I did meet;
She passed the salley gardens
with little snow-white feet.
She bid me take love easy,
as the leaves grow on the tree;
But I, being young and foolish,
with her would not agree.

In a field by the river
my love and I did stand,
And on my leaning shoulder
she laid her snow-white hand.
She bid me take life easy,
as the grass grows on the weirs;
But I was young and foolish,
and now am full of tears.

William Butler Yeats

Lesezeichen von: Hans Magnus Enzensberger

Ein kreativer Kopf wie Hans Magnus Enzensberger legt auch mal Flops hin. Beispielsweise den “Fountain of Poetry” in der Wüste.

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“Es gibt Erfindungen, die schwer zu verbessern sind, wie zum Beispiel den Löffel, das Fahrrad und das Buch. Man braucht sie nicht zu verteidigen. Sie sind nicht heilig, nur sehr brauchbar. Bücher zum Beispiel. Sie brauchen keine Chips, keine Bedienungsanleitung, keine Batterie, keine Antenne, kein Paßwort, und ihr Betriebssystem ist extrem dauerhaft; man braucht sie nicht alle paar Jahre durch neue Hart- und Weichwaren aufzurüsten.
Trotzdem bringt die Sprache und damit auch die Poesie manches hervor, was auf keiner Seite Platz hat. Das liegt daran, daß das Papier nur zwei Dimensionen hat. Wie wäre es also mit einer dritten? Dazu müßte man Objekte bauen, die einen anderen Gebrauch möglich machen. Zum Beispiel einen Poesie-Automaten oder allerhand komplizierte Wort-Spielzeuge. Das habe ich auch getan. Solche Sachen wurden sogar gebaut und ausgestellt, und hie und da hat sich ein Publikum gefunden, das daran Geschmack fand. Weniger Glück hatte ich mit meinem Fountain of Poetry.”

Hans Magnus Enzensberger, “Meine Lieblings-Flops”, 2011

Es gehört schon eine gewisse Größe dazu, mit seinen eigenen Reinfällen gelassen umzugehen. Vor allem, wenn man dies auch noch so humorig angeht, wie Hans Magnus Enzensberger in diesem unterhaltsamen Buch: Ganz locker zählt er seine Kino-, Opern- und Theaterflops auf, die verlegerischen und die literarischen Reinfälle. Das Wort “Flops” mag er besonders wegen dessen lautmalerischer Qualität – das kommt besonders schön beim einzigen “Etcetera-Flop” des Buches zur Geltung. Der “Etcetera-Flop”: Das ist jener “Fountain of Poetry”, ein Kunstwerk, das HME technisch schon komplett durchdacht hatte:

Eine Glasplatte, von Wasser überspült, auf die Texte projiziert werden. Fließ-Texte entstehen dabei, das Wasser spielt mit der Poesie. Fehlte nur noch das Geld zur Realisierung. Bei einem Treffen arabischer und deutscher Schriftsteller und Philosophen lernte HME den Scheich Bin Rashid al Maktoum kennen, der große Pläne für Kulturzentren in Dubai hatte, inklusive eines Poesiemuseums. Der Fountain of Poetry – perfekt für Dubai. Wasser das magische und poetische Element der Wüste. Die Pläne des Scheichs für den Brunnen wurden zwar immer gigantischer, aber ebenso engagiert vorangetrieben: “Am Tag unserer Abreise fehlte nur noch eine Unterschrift”, schreibt Enzensberger. Doch: “Wir haben nie wieder von Scheich Mohammed Bin Rashid gehört. Als ein paar Monate später die ersten Meldungen über die Kreditklemme des Emirats über den Ticker liefen, verstanden wir, warum. Keiner meiner Flops war so märchenhaft und so verrückt.”

Lesezeichen von: Isaac B. Singer

In “Eine Kindheit in Warschau” erzählt Isaac B. Singer auch davon, wie die Liebe zum Lesen und zur Literatur in ihm erwachte.

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„Wenn ich jetzt unter dem Apfelbaum im Garten ein neues Buch anfing, hatte ich es bereits am nächsten Tag durchgelesen. Oft saß ich auf einem umgekippten Bücherregal in der Dachkammer und las zwischen alten Töpfen, kaputten Fässern und Stapeln von Seiten, die aus heiligen Büchern herausgerissen worden waren. Ich las alles: Erzählungen, Romane, Theaterstücke, Essays, Bücher in Jiddisch und Übersetzungen. Beim Lesen bestimmte ich für mich, was gut und was mittelmäßig war, was echt klang und was falsch. Zu dieser Zeit schickte Amerika uns Säcke mit Weizenmehl und Werke europäischer Schriftsteller in jiddischer Übersetzung. Diese Bücher faszinierten mich. Ich las Rejsen, Strindberg, Don Kaplanowitsch, Turgenjew, Tolstoj, Maupassant und Tschechow.“

In „Eine Kindheit in Warschau“ lässt Isaac B. Singer eine Welt wieder auferstehen, die untergegangen ist: Die des jüdischen Lebens im Polen vor dem Ersten Weltkrieg. Der spätere Literaturpreisträger wurde 1904 in Polen geboren, wanderte 1935 in die USA aus, wo er 1991 starb. Seine ersten Jahre verbrachte er in Warschau und, als mit dem Krieg in der polnischen Hauptstadt Hunger und Epidemien folgten, in Bilgoraj, von dem Singer im obigen Zitat erzählt.

Die Geschichten schildern Armut und Elend, aber ebenso eine Welt, wie Singer im Vorwort schreibt, „die kaum jemand mehr kennt: reich an Komischem und Tragischem, Besonderem und Weisem, voll Verrücktheit, Ursprünglichkeit und Redlichkeit.“

Und eine Welt voller Hunger nach Wissen, voller Mythen und Spiritualität, gesättigt von Bildung und Büchern, geprägt von Solidarität und Freundschaft:

„Nur die Zeit konnte uns trennen. Alles übrige besorgten die deutschen Mörder.“

„Eine Kindheit in Warschau“ gibt es bei youtube auch als Hörbuch.