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DENISE BUSER: Dichten gegen das Vergessen

In “Dichten gegen das Vergessen” erzählt die Basler Autorin Denise Buser von zwölf Lyrikerinnen aus ganz verschiedenen Epochen und Kulturen. Doch eines hatten sie alle gemeinsam: Als schreibende Frauen mussten sie sich gegen zahlreiche Widerstände durchsetzen.

Für ihr neues Buch hat die Basler Autorin und Juristin Denise Buser ein Thema gewählt, das einerseits vollkommen zeitlos ist: die auch Jahrhunderte überdauernde Kraft des lyrischen Gedichts. Zugleich aber passt es auch in die aktuelle Genderdebatte – denn anhand von zwölf Lyrikerinnen aus zwei Jahrtausenden zeigt Denise Buser auf, mit welchen Schwierigkeiten gerade Dichterinnen in verschiedenen Kulturen und Zeiten zu kämpfen hatten.

In «Dichten gegen das Vergessen», das aktuell im Zytglogge Verlag erschienen ist, erzählt Denise Buser von den Stern- und Schattenstunden von zwölf Dichterinnen aus unterschiedlichen Zeiten und Weltregionen, die sich für ihre künstlerische Berufung gegen zahlreiche Widerstände und Hindernisse durchsetzen mussten. Empathisch und pointiert widmet sich die Autorin dabei, selbst mit viel literarischer Experimentierfreude und poetischer Empathie ausgestattet, den faszinierenden, teilweise erschütternden Lebensläufen dieser Frauen und erörtert, weshalb ihr Werk zum Teil vollkommen zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist.

Dabei hat Buser nicht etwa zwölf Kurzbiographien oder zwölf literaturgeschichtliche Essays verfasst, sondern sich auf jede dieser zwölf Frauen auf ganz eigene Weise eingelassen. Im Vorwort schreibt sie: «Das Eintauchen in das Werk … eröffnete mir faszinierende Zwischenräume, in denen die Dichterinnen wieder lebendig wurden. Lange blieb ich dort, bis ich ihre Stimmen vernahm. Ja, sie sprachen zu mir. Die Dichterinnen sprachen durch die Gedichte zu mir.»

Das Resultat ist ein faszinierendes und immer wieder überraschendes Buch:  So ist etwa das Kapitel «Verhängnisvolle Reise» über die wegen einer Russlandreise (1953) lange Zeit verfemte Schweizer Lyrikerin Helene Bossert ganz in der Ich-Form erzählt, wobei sich Denise Buser hier auf reiches Archivmaterial stützen konnte: «Das ist meine Geschichte. Die Geschichte eines glücklichen Lebens. In der Halbzeit aber wurde mein Glück lebendig begraben.» Im Kapitel über die argentinische Lyrikerin Alejandra Pitzarnik («Bordell für Künstlerinnen») dagegen diskutieren zwei Literaturprofessorinnen mit einem Psychiater und einer Doktorandin in Buenos Aires über das Leben und die Gedichte der schwer depressiven, 1972 verstorbenen Poetin. Der Text über Vittoria Colonna, die berühmteste Dichterin der Renaissance, besteht aus Erinnerungen eines fiktiven Sekretärs an ein Gespräch mit Michelangelo und der gefeierten Vittoria. Eingeblendet sind kurze Mails der Autorin an einen Freund, in denen die wichtigsten Lebensstationen der Lyrikerin erwähnt werden. 

Eine schöne Auswahl von Gedichten der besprochenen Autorinnen und ein sehr persönlicher Brief an die «Verehrte Sappho», gewissermaßen die geistige Mutter aller dieser mit schwierigen Lebensumständen, Ausgrenzung oder männlicher Nichtachtung kämpfenden Frauen, runden den Band ab.

«Dichten gegen das Vergessen» enthält Beiträge über und Gedichte von al-Khansā (7. Jh.), Comtessa Beatriz de Dia (12. Jh.), Vittoria Colonna (1490/92–1547), Sibylla Schwarz (1621–1638), Anna Louisa Karsch (1722–1791), Akiko Yosano (1878–1942), Gabriela Mistral (1889–1957), Gertrud Kolmar (1894–1943), Helene Bossert (1907–1999), Lenore Kandel (1932–2009), Audre Lorde (1934–1992), Alejandra Pizarnik (1936–1972).


Stimmen zum Buch:

“Denise Buser (…) stellt in ihrem Husarenstück “Dichten gegen das Vergessen” nur Dichterinnen vor, die es verdienen (immer wieder) erinnert zu werden. (…) Busers Zustang ist ein persönlich-subjektiver, ein literarischer.” – Alexandru Bulucz im Magazin Buchkultur/Dezember 2023

“Das Buch ist freilich keines, das laute Reden schwingt. Sondern eins, das Stille einfordert und sich einem verschliesst, will man es zu fahrig durchblättern. Zu lesen sind die einzelnen Kapitel für sich: Jede Figur erhält ihre eigene Erzählperspektive und ihre Form. Das ergibt mal einen stillen Nachruf auf die jüdische Dichterin Gertrud Kolmar, mal einen empörten Briefwechsel zwischen der Kuhhirtin Anna Louisa Karsch und ihrem späteren Verleger, oder mal einen (gar zu) schwärmerisch-verklärten Dialog von Vittoria Colonna mit Michelangelo im Rom der Renaissance. Das Buch liest sich damit auch als Enzyklopädie der Schreibstile und als Zeugnis davon, was Sprache alles kann.” – Kathrin Singer in der Basellandschaftlichen Zeitung


Zur Autorin:

Denise Buser ist Autorin und Juristin und hat in verschiedenen Funktionen als Unidozentin und als Strafrichterin gearbeitet. Neben wissenschaftlichen Texten und Kulturreportagen publiziert sie Belletristik und Lyrik. Sie lebt in Basel, zeitweilig in Berlin und Tanger (Marokko).

Bild: Markus Sutter


Informationen zum Buch:

Denise Buser
Dichten gegen das Vergessen
Lyrikerinnen aus zwei Jahrtausenden.
Zytglogge Verlag, Bern
Oktober 2023
Format 21.5 x 13.8 cm, Gebundene Ausgabe,
264 Seiten, Abbildungen
ISBN: 978-3-7296-5144-9.



Informationen zum Buch beim Verlag


Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für die Autorin

Neu im axel dielmann – verlag: Drei Romane, drei Facetten des Lebens und Lesens

Mit drei neuerschienenen Romanen rundet der axel dielmann – verlag sein diesjähriges Literaturprogramm ab. Und zeigt damit alle Facetten des Lebens und Lesens – vom aufregenden Spionagethriller über eine Künstlerbiographie bis hin zum Einblick in den Tag einer Familie.

Nach einem kühnen, aber erfolgreichen Lyrik-Halbjahr im Herbst 2022 und dem großen Auftritt mit 16 Titeln in der »BOX – die wilden Slowenen« zum Gastlandauftritt bei der Frankfurter Buchmesse, konzentriert sich der axel dielmann – verlag aktuell in diesem Bücherherbst ganz auf Romane. Man kann sich auf drei Neuerscheinungen freuen:
Dierk Wolters, Kultur-Chef der Frankfurter Neuen Presse, veröffentlicht bei dielmann seinen zweiten Roman »dienstag«, nachdem sein Debüt bei Weissbooks erschienen war;
Jakob Sturm, Künstler und Raumaktivist, legt im axel dielmann – verlag sein nun drittes Künstler-Buch vor, die Neu- und Umschreibung seines Weges in der Kunstwelt;
Siegfried Schröpf, Schriftsteller und Solar-Unternehmer in Amberg, ist mit seinem vierten Band der »Schöngeist-Serie« bei dielmann, und sein nur selten heldenhafter Anwalt-Protagonist Thomas Schöngeist lotet diesmal gemeinsame Vergangenheiten von Chile und Deutschland aus.

Im Frühjahr werden, um die editorische Vielfalt auch in dieser Hinsicht ins Gleichgewicht zu stellen, drei großartige Autorinnen mit ihren Büchern im axel dielmann – verlag erscheinen.


Die drei Romane:

Siegfried Schröpf
Schöngeist und die Chilenin
Spionagethriller

Ein neues Mandat in Chile weckt bei Anwalt Thomas Schöngeist wehmütige Erinnerungen an die leidenschaftliche Liebesbeziehung zu einer Deutsch-Chilenin und an eine wilde Zeit, in der Schöngeist während seines Jura-Studiums in einen Strudel zeitgeschichtlicher Ereignisse gezogen worden war. Doch nun scheinen die kulturellen Differenzen zu María Pilar, Enkelin eines vor den Nazis geflohenen jüdischen Molkerei-Unternehmers, unüberbrückbar: Ein düsteres Geheimnis klingt da an, das nie restlos aufgeklärt wurde. Eine deutsch-jüdische Familiensaga, die in Unterfranken unter dem Hakenkreuz ihren Anfang nimmt und in der Nacht des Wahlsiegs Salvador Allendes in Chile eine dramatische Katharsis erfährt. Unter der Hand entfaltet sich ein verwickelter Spionagethriller, bei dem nicht nur Augusto Pinochets Geheimdienst eine unrühmliche Rolle spielt. Mit von der historischen Partie sind ebenso der amerikanische CIA wie der westdeutsche BND und die Ostberliner Stasi. Siegfried Schröpf, der selbst zwei Jahre lang in Santiago de Chile gelebt hat, entfaltet ein komplexes Panorama deutsch-chilenischer Geschichte im mörderischen 20. Jahrhundert.

Mehr zum Buch hier.


Jakob Sturm
Die geteilte Zeit

Autobiographischer Roman

Jakob Sturm ist Künstler, Raumaktivist und Autor. Er arbeitet u.a. als Initiator von Projekten, die sich mit der Neudefinition und Formatierung bestehender Architekturen und Räume im sozialen und urbanen Kontext, deren Möglichkeiten und Nutzungen beschäftigen. Auch mit seinem dritten Roman bleibt er bei dem, was ihn schon in den beiden vorigen Büchern »Orte möglichen Wohnens / Meine Geschichte, mein Weg in die Kunst und von der Utopie« von 2020 und »Abschied vom Vater – Gegenwart / Ein persönlicher Essay über Kunst« von 2022 umgetrieben hat. Das Schreiben, die Reflexion des Er-Schreibens seiner familären und künstlerischen Hintergünde fließen in eine neue Geschichte ein. Realität und Fiktion gehen ineinander über, Kunst und Leben treffen sich:
»Die Kunst war das Realitätsprinzip, die Familie lebte im Unmöglichen. Leben war plötzlich etwas Ideelles.«

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Dierk Wolters
dienstag
Roman


Die Uhr tickt, läuft durch einen offenbar ganz normalen Tag, einen Dienstag. Von dessen Morgen an bis in den Abend springt Dierk Wolters’ Erzählzeiger zwischen sechs Mitgliedern einer Familie hin und her, lässt hören, was sie umtreibt. Aber Dierk Wolters kratzt in seinem zweiten Roman weit mehr als einen repräsentativen Wochentag frei.
Vom Großvater bis zum Nesthäkchen, von mütterlichen Versorgungssorgen bis zum Ärger im Altenheim, von Freizeitsport bis Berufsnot reichen diese inneren Stimmen, und selbstverständlich nehmen sie auch einander aufs Korn. Unabhängig davon, ob es sich um Gedankensplitter eines der Familienmitglieder oder um eine innere Suada handelt, die teils amüsant, teils tiefgehend, teils bestens vertraut, teils schrullig sind – interessant ist es vor allem, das zu belauschen, was zwischen den Figuren geschieht. Oder eben auch nicht.

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Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für den Verlag.

NICHITA DANILOV: Die blinden Adler

Der 1952 in der Bukowina geborene rumänische Dichter und Prosaist Nichita Danilov gehört zu den wichtigsten lyrischen Stimmen seines Landes. Übertragen von Jan Koneffke erscheint nun eine Auswahl seiner Gedichte bei der edition pudelundpinscher.

Am 30. Oktober erscheint in der Schweizer “edition pudelundpinscher” mit dem Band “Der blinde Adler” eine ins Deutsche übertragene Auswahl mit Gedichten aus dem Gesamtwerk von Nichita Danilov. Der Schriftsteller und Übersetzer Jan Koneffke hat das Werk des Rumänen, einem der wichtigsten Lyriker aus dem Kreis der legendären rumänischen “80er Generation”, intensiv studiert: 

“Das Ungewöhnliche seiner visionären und fantastischen Verse wurde im Übrigen auch von der heimatlichen Kritik hervorgehoben. Sie konstellieren das Material eines an der Grenze verbrachten Lebens, an der Grenze zwischen Kulturen und Sprachen, vor allem auch zwischen Gestern und Heute: Von der archaischen Dorfwelt der Kindheit, in die der Proletkult einbrach, dem repressiven Regime der Kommunisten und seinem gewaltsamen Umsturz von 89, der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit der Transformationszeit bis zu den jüngsten Erschütterungen imperialer Aggression in der Nachbarschaft, konstellieren all diese Beben und Brüche der rumänischen Welt mit der von weither überlieferten Glaubenswelt. Deshalb klingen Gedichte wie ‘Der Präsident’ oder ‘Die blinden Adler’, die sich einer archaischen und zugleich ironischen Bildersprache bedienen, nach lyrischen Echos sowohl auf erinnerte als auch auf ganz aktuelle Erfahrungen von totalitärer Herrschaft und Krieg”.

“Der Schnee fällt nun stärker.
Große Flocken bedecken den Körper des Kindes.
Große Krähen kreisen über dem Buch der Geschichte.
Leise verlassen die Zuschauer den Saal.”
(Finita la commedia) 

Eine Leseprobe findet sich hier unter diesem Link.


Stimmen zum Buch:

“Bildstark, sprachmächtig, melancholisch, ironisch”, findet Hermann Barth die Lyrik Nichita Danilovs. Und meint in seiner Kritik im Stadtmagazin InMünchen (Ausgabe 11/2023): “Eine (grandiose) Auswahl, erstmals auf Deutsch – und mit einem instruktiven Nachwort – von Jan Koneffke.”

“Danilovs Lyrik lässt einen ratlos zurück, aber nicht verzweifelt. Sie ist gläubig, aber nicht fromm. Melancholisch, aber nicht verzweifelt. Sie geht ins Große, vergisst aber das Kleine nicht.” – Paul Hübscher gibt bei litteratur.ch ein große Empfehlung für “Die blinden Adler” aus: “Summa summarum ein allen Liebhaber:innen von Lyrik überaus zu empfehlendes kleines Büchlein.”

“Und also ist Lyrik, das zeigt uns Danilov, einmal mehr auch ein Beleg dafür, wie das Spiel mit Sprache in früher Kindheit, als Abzählreim, als Finger- oder als Kniereiterspiel uns alle lebenslang prägt und unsere Phantasie nährt.” – Eric Giebel bei Vitabu Vingi


Zum Autor:

Nichita Danilov, geboren 1952 im rumänischen Dorf Climăuți (Bukowina) an der ukrainischen Grenze, Dichter, Prosaist und Essayist, studierte Wirtschaftswissenschaften in Iași. Seine Gedichte wurden in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt. Seit 1980 veröffentlichte er zwölf Gedichtbände, fünf Romane und eine Reihe von Büchern mit Erzählungen, Prosa, Essays, literarischen Porträts und Pamphleten. Nichita Danilov lebt in Iași.
Bild: Privat


Jan Koneffke, geboren 1960 in Darmstadt,
Lyriker, Schriftsteller, Kinderbuchautor,
Publizist, Übersetzer aus dem Rumänischen und Italienischen, studierte Philosophie und Germanistik
in Berlin.
Zuletzt erschienen: Als sei es dein, Gedichte,
Heidelberg 2018; Die Tsantsa-Memoiren, Roman, Berlin 2020; Dudek, Jugendroman, Zürich 2023.
Bild: Johannes Kauper


Bibliographische Angaben:


Nichita Danilov
Vulturii orbi / Die blinden Adler
Poezii / Gedichte
Übersetzung aus dem Rumänischen: Jan Koneffke
Umschlag: Niklaus Lenherr und mondo Messmer
232 Seiten, zweisprachig, 17.6 x 13.2 cm
ISBN 978-3-906061-35-1
28 Franken, 28 Euro
30. Oktober 2023
Mit einem ausführlichen Nachwort von Jan Koneffke

Zum Verlag:
edition pudelundpinscher
Al Puntígn 4
CH-6682 Linescio
T 041 879 00 05
post@pudelundpinscher.ch
www.pudelundpinscher.ch
Verlagsvorschau Herbst 2023


Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für den Verlag. Anfragen für Rezensionsexemplare oder Interviews gerne direkt an mich oder den Verlag.

JAN KUHLBRODT: Krüppelpassion oder Vom Gehen

Heute erscheint “Krüppelpassion oder Vom Gehen”. Jan Kuhlbrodt wurde für den Text bereits im Mai 2023 mit dem Alfred Döblin-Preis ausgezeichnet. In diesem Buch setzt sich der Schriftsteller und Philosoph mit seiner MS-Erkrankung auseinander – direkt und ungeschönt.

Für “Krüppelpassion oder Vom Gehen” wurde der Schriftsteller und Philosoph Jan Kuhlbrodt bereits im Mai mit einem der renommiertesten deutschen Literaturpreise ausgezeichnet.  Im Literarischen Colloquium Berlin überzeugte er die Jury mit seiner Lesung aus dem Text und wurde dafür mit dem diesjährigen Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet.

Jan Kuhlbrodt stellt sich in seinem neuen Buch mit großer Unerschrockenheit, erstaunlicher Komik und theoretischem Witz der eigenen MS-Erkrankung. Er beschreibt in vielschichtiger Prosa, wie es ist, mit dieser Erkrankung zu leben, aber auch den defizitären Umgang der Gesellschaft mit Menschen mit Behinderung.

„Jan Kuhlbrodt hat mit Krüppelpassion einen Roman geschrieben, der eine wahnsinnige gesellschaftspolitische Relevanz hat. Er erzählt von Jan Kuhlbrodts eigener MS-Erkrankung und über den ganz prekären, mangelnden Umgang unserer Gesellschaft mit so einer Erkrankung”, betonte Wiebke Porombka in der Sendung “Lesart” in Deutschlandfunk Kultur am 22. August 2023.

Jan Kuhlbrodt meint selbst zu seinem Buch: „Man könnte mein neues Buch als Chronik eines sich ankündigenden Todes verstehen. Aber der Blick auf den Tod sperrt sich der chronologischen Schreibweise. Im Text versuche ich zwar, seine Zeichen zu erkennen. Bisweilen gelingt das aber erst, wenn sie schon lang nicht mehr leuchten. So enthält mein künftiges Sterben ein Moment der Erinnerung an das Leben davor. Aber da es im Leben drunter und drüber geht, Mitmenschen und Umstände einem immer wieder physische und seelische Einschränkungen vor Augen führen, steht im Buch Erinnerung und Slapstick an der Seite des Philosophie, aber auch des Zorns. So versuche ich in meinem Krüppeltext mit Mut und Humor vom langsamen Rückzug des Lebens aus meinem Körper zu schreiben als eine Begegnung von all diesen Momenten.“ 


Zum Autor:

Jan Kuhlbrodt, geboren 1966, studierte Philosophie in Frankfurt am Main und Literatur am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, lehrte dort auch als Dozent und Gastprofessor. Er lebt als freier Schriftsteller und Herausgeber in Leipzig.


Stimmen zum Buch:

Die Literaturredaktion des Deutschlandfunks wählte “Krüppelpassion” unter die zehn besten Romane des Jahres 2023.

Die Fachjury wählte “Krüppelpassion” auf Platz 2 der SWR-Bestenliste im Dezember 2023:
“Der Text ist eine Mischung aus Selbstreflexion, Alltagsbeschreibung, philosophischen Erkundungen und Autobiografie. Und er ist erstaunlicherweise immer wieder durchsetzt von einem beißenden Humor, der sich abwechselt mit Sarkasmus, Zorn und Erkenntnisdrang.”

Daniela Strigl, Shirin Sojitrawalla und Jan Wiele diskutierten über die Bücher beim SWR-Literaturtalk: “Eine überwältigende Lektüre”, so Jan Wiele.

“Ein Memento mori durchzieht den ganzen Text.” – Sieglinde Geisel im “Büchermarkt” beim Deutschlandfunk

“Es ist ein formal eigenwilliger Text, lyrische, erzählende und theoretische Passagen wechseln einander ab, es werden längere Zitate aus der Bibel, aus philosophischen und anderen Werken eingebunden und spiegeln den Versuch, das, was dem Ich geschieht und geschehen ist, gedanklich wie künstlerisch zu fassen. Dass die Textteile am Ende keine erzählerische Linie ergeben, der Erkrankung zwar einen zeitlichen Verlauf, aber eben keinen inneren Zusammenhang verleihen, ist so konsequent wie schlüssig.” – Katharina Herrmann, Kulturgeschwätz

“Jan Kuhlbrodt schreibt vom langsamen Rückzug des Lebens aus seinem Körper – er tut es jedoch mit so radikalem Mut, Offenheit, beängstigend klarem Blick, Wut und rabenschwarzem Humor, dass wir Gehenden nicht scheu und verschämt zurückschrecken, sondern diesem Buch nach wenigen Seiten verfallen.” – Nils Kahlefendt im Börsenblatt

“Am meisten aber beeindruckt, wie Jan Kuhlbrodt (…) ein ganz eigenes Format von Wahrhaftigkeit entwirft.” – Jörg Schieke in “Unter Büchern” bei MDR Kultur

“Sehr genau, zuweilen bitter-komisch bekommt die Krankheit in dieser Prosa Gestalt. Kuhlbrodt schreibt biografisch auch von seiner Jugend in der DDR.” – Cornelia Geißler, Berliner Zeitung

“Jan Kuhlbrodts Schreiben in „Krüppelpassion“ ist von der Suche nach Klarheit, Erkenntnis und einem gewissen Galgenhumor getrieben, dabei authentisch, berührbar und berührend – eine bemerkenswerte Leistung.” – Ulrike Schrimpf in Culturmag

“Für mich ist dieses Werk das mutigste, wichtigste und eindrücklichste dieses Literaturherbstes, ein Buch, das exemplarisch von einer Tragödie des Menschseins erzählt, vom jahrzehntelangen Leben mit einer chronischen, fortschreitenden Erkrankung und von der Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben.” – Monika Vasik bei Signaturen

“Schlau, pointiert und bitter” gestalte sich die Lektüre, meint Franz Furtner im Stadtmagazin InMünchen (Novemberausgabe 2023). Und ergänzt, “dass man als Leser gerührt, informiert, erschrocken und auch in vielerlei Hinsicht motiviert aus der Lektüre herausgeht.”

“Wer (…) die Bereitschaft mitbringt, von etwas zu lesen, wovon für gewöhnlich eher geschwiegen wird – und dazu kann ich nur raten -, bei dem wird „Krüppelpassion“ lange nachhallen. Bei mir jedenfalls wird es das.” – Frank Wolf bei Reisswolfblog

“Kuhlbrodt offenbart sich in seinem Text mit einer großen Verletzlichkeit, Wut und Hilflosigkeit. Dem entgegen stehen sein Humor, sein Pragmatismus und sein Mut, sich dem Ende zu stellen. Seine Offenheit und Menschlichkeit haben mich sehr bewegt und berührt!” – Dano Senger bei Lust auf Literatur

“Man sitzt mittendrin, festgepinnt im bücherverstellten Zimmer. Aber die Sache geht trotzdem weiter. Auch wenn wir nur noch im Kopf verreisen. Aber da sind uns keine Grenzen gesetzt.” – Ralf Julke, Leipziger Zeitung

“(…) was es heißt, nicht mehr richtig laufen zu können (…) davon schreibt Kuhlbrodt in diesem Buch, mit bewundernswerter Distanz, die er durch seine Ironie, seinen bisweilen schwarzen Humor und wiederum durch seine manchen sicher erschreckende Direktheit erreicht. Das genau ist einer der Gründe, warum ich dieses Buch liebe, und den Autor wegen seiner Offenheit, seiner distanzierende Distanzlosigkeit und Schamlosigkeit obendrein.” – Literaturagent Guenter G. Rodewald

“Der bereits mit dem Alfred-Döblin-Preis 2023 ausgezeichnete Roman “Krüppelpassion – oder Vom Gehen” von Jan Kuhlbrodt ist in jeder Hinsicht vielschichtige Prosa, die neben den Tatbeständen nicht zuletzt das Doppelbödige und Verräterische wie auch das zuweilen absurd Begrenzte von Sprache aufzeigt (…).” – Büchernachlese

“Jahn Kuhlbrodt hat mit seinem Buch „Krüppelpassion oder Vom Gehen“ eine positive Sicht auf seine MS-Erkrankung geschrieben, das Mut macht. Lesenswert.” – Karl-Heinz-Walloch

“Ein hybrider, vielschichtiger Text”, geprägt von “Unerschrockenheit, Wut, aber auch Wehmut”, mit der der Autor seiner MS-Erkrankung begegnet.” – Miriam Zeh, Deutschlandfunk Kultur

“Und so ist »Krüppelpassion« nicht nur ein Buch über Krankheit und Ableismus. Kuhlbrodt erzählt am Beispiel seiner Krankheit über die Unbeständigkeit unserer Wahrnehmung. Darüber, wie wir uns unsere eigene Geschichte immer wieder auf neue Weise erzählen. Wie wir nach Zusammenhängen und Verbindungen suchen. Und sie manchmal finden.” – Katharina Bendixen in die “junge welt”

“Dabei ist dieser ebenso existenzielle wie literarische Text ein Paradebeispiel für eine Literatur, die mehr wagt als ihr Autor gewinnen kann, der sein Buch auch als »Chronik eines sich ankündigenden Todes« bezeichnet.” – Thomas Hummitzsch

“Das Prinzip des Textes imitiert das Prinzip der Computertomografie. Der Autor macht es ähnlich wie die rotierende Röntgenröhre. Er sieht sich mit der Krankheit von allen Seiten zu. Das macht es, dass Krüppelpassion im üblichen Sinn kein Roman ist, sondern eine Sammlung kleiner Formen aus allen Gattungen: Prosa, Lyrik, Drama, Essay.” – Michael Hamneter in “Der Freitag”

Bibliographische Angaben:

Jan Kuhlbrodt: Krüppelpassion – oder Vom Gehen
Erscheinungstermin: 2. Oktober 2023
224 Seiten | Hardcover | Fadenbindung
29,90 Euro | ISBN 978-3-946392-34-7

Kontakt Verlag:
www.gansverlag.de

gans@gansverlag.de


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Sven Recker: Der Afrik

Um die Armen loszuwerden, schickten manche Ortschaften in Deutschland ihre Tagelöhner im 19. Jahrhundert als Wirtschaftsflüchtlinge nach Nordafrika. Sven Recker erzählt in “Der Afrik” auf beeindruckende Weise von solch einem Schicksal.

„Die Kutsche fuhr los und aus dem Schwarzwald blies der Schmerzensschrei des Nachtkrapps orkangleich runter ins Tal. Die Wipfel der Tannen flatterten, es regnete Zapfen, im Fallen drehten sie sich wie Derwische, Schrapnellen gleich zerbarsten sie unten im Laub.“

Sven Recker, “Der Afrik”


Das Markgräfler Land steht heute als Synonym für Wohlfühl-Tourismus, Sporturlaube und Freizeitvergnügen. Doch es ist eine harte, archaische Welt, in die Sven Recker mit seinem dritten Roman „Der Afrik“ entführt: Armut, Hunger und Krankheit prägen das Leben der Landbevölkerung im 19. Jahrhundert. In Pfaffenweiler, keine zehn Kilometer von Freiburg entfernt, griff die Obrigkeit zu einer besonderen Maßnahme, um ihre Tagelöhner und deren zahlreiche Kinder loszuwerden: Man versprach ihnen das Blaue vom Himmel, das Paradies auf Erden in fernen Ländern und überredete sie zur Auswanderung nach Algerien.

„Es war Dienstag, der 13. Dezember des Jahres 1853. Die erste von vier Kutschen verließ Pfaffenweiler vom Marktplatz aus um ein Uhr in der Nacht.“

132 Einwohner werden auf eine beschwerliche Reise nach Nordafrika geschickt. Um die Verschiffung von Marseille aus – bis dahin bewältigten die Menschen die Reise weitestgehend zu Fuß, einige überlebten schon dieses nicht – zu finanzieren, wird ein Stück Wald abgeholzt und als Weinberg verpachtet. Noch heute erinnert an diesem Weinberg namens Afrika ein Denkmal an das Schicksal der Zwangs-Ausgewanderten:

„Schwer war das Los in der Fremde und die Hoffnungen zerrannen in Tränen und Bitterkeit wie uns Briefe und Hilferufe berichten.“

Die Hilferufe verhallten ungehört: Für die Verschickten gibt es keinen Rückfahrschein. Unter den Auswanderern ist auch der erst 15-jährige Franz Xaver Luhr mit seiner Mutter. Vom Rest ihrer Habseligkeiten, die sie schon während der Reise größtenteils verkaufen mussten, mieten die beiden für ein Jahr ein Stück Land und eine Hütte im algerischen Nirgendwo, dem Wetter und seinen Unbilden schutzlos ausgesetzt.

„Selbst im kommenden Frühjahr wuchs nichts. Schlimmer war nur der Winter und mit ihm der Regen, der im Januar kam. Bis März floss das Wasser in Bächen durch euer undichtes Dach.“

Die Mutter beginnt Briefe an die Heimat zu schreiben, „doch es nützte so wenig wie ihre Gebete“. Schließlich rafft sie das Fieber dahin, erst 39 Jahre alt, „eine abgemagerte Frau, die einen Stapel Briefe umklammerte, als wären diese ihr Testament.“

Der einzige Rückkehrer wird zum Einzelgänger

Franz verbringt noch einige Jahre in Algerien, nur begleitet von seinem Freund Djilali, den er später auf beinahe wundersame Weise in Karlsruhe als Mitglied von Buffalo Bill’s Wild West Show wiedertrifft, und vom Nachtkrapp, jenem Kinderschreck, dessen Boshaftigkeit nie verstummt. Franz mit dem Nachtkrapp auf dem Rücken ist schließlich der Einzige der Auswanderer, der nach Pfaffenweiler zurückkehrt: Er hat alles verloren, die Heimat, die Mutter und bei der Rückkehr auch seinen Namen, er wird zum „Afrik“, einem Einzelgänger, der einsam in einer Hütte beim Weinberg haust.

Was keiner ahnt: Jahrzehntelang plant dieser einsilbige Mann, der mit anderen kaum mehr als durch „gebellte“ Einzelwörter spricht, seine Rache. Franz gräbt über 30 Jahre hinweg einen Stollen zum Weinberg, stiehlt Sprengstoff, sein einziges Ziel vor Augen ist es, diesen verhassten Weinberg namens „Afrika“, der für sein Schicksal steht, in die Luft zu jagen. Doch da bricht, gleichsam wie eine Naturgewalt, ein neuer Mensch in sein Leben ein: Das Kind Jacob, ein kleiner Junge, so einsilbig und menschenentwöhnt wie der Afrik, sitzt plötzlich vor seiner Hütte, bei sich nur einen Zettel mit den Worten:

„Je m’appelle Jacob. Tu es famille.“

Zunächst gezwungenermaßen, dann aber mit mehr und mehr Anteilnahme beginnt sich der 70-jährige Alte um das geistig verwirrte Kind zu kümmern. Eine anfängliche Zwangsgemeinschaft, die nicht zuletzt auch die Rachepläne des „Afrik“ unter ein neues Licht stellt.

Die Sprache greift das Archaische dieser Welt auf

Sven Recker erzählt diese Geschichte aus der Perspektive des Alten, der sich an sein Leben zurückerinnert, in einer herben Sprache, in der sich das Archaische dieser harten Welt widerspiegelt. Für die Einsamkeit und das Ausgeschlossensein von der Dorfgemeinschaft findet der Schriftsteller den passenden Ton, immer wieder wird der Erzählfluss durch einzelne Ausrufewörter und Aufforderungssätze unterbrochen, „gebellte“ Aussagen des sprachentwöhnten Einzelgängers. Zugleich aber entfaltet sich sprachlich aber auch die ganze Wucht der harten Natur im tiefverschneiten Schwarzwald ebenso wie in der dürren Wüste Algeriens.

Manche Einsprengsel – die Wiederbegegnung mit Djilali, das Wiederfinden eines grünblauen Steins bei einem Indianer, der einst dem Vater von Franz gehört hatte – sowie die Stimme des Nachtkrapp und die letztlich ungeklärt bleibende Herkunft Jacobs verleihen dem Roman zudem etwas Magisches: Eine Reminiszenz an den Aberglauben, der unter der notleidenden Bevölkerung im 19. Jahrhundert noch weit verbreitet war.

Eine beinahe altertümliche, archaische Geschichte, die nicht zuletzt aber auch eindrucksvoll eine Brücke in die Gegenwart schlägt: Es ist noch nicht allzu lange her, dass wir Europäer als Wirtschaftsflüchtlinge durch die Welt ziehen mussten. Die Erinnerung daran und die damit verbundenen Schicksale könnte Empathie wecken für die Menschen heute, die auf der Suche nach einem besseren Leben zu uns kommen.


Bibliographische Angaben:

Sven Recker
Der Afrik
Edition Nautilus
Erscheinungsdatum: 4. September 2023
ISBN 978-3-96054-324-4