Bewegt von der ernsthaften Sorge um die ethische Integrität von Literatur, die immer dann am stärksten gefährdet zu sein scheint, wenn Schriftsteller*innen in die Klauen der Politik geraten und zwischen Gehorsam und Widerstand wählen müssen, ist Stanisław Barańczaks frühe Essaysammlung Ethik und Poetik (EA 1979) das Zeugnis eines literarischen und kritischen Ringens mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts – ein Ringen um die Literatur und deren erhofften Rolle bei der Wiederherstellung eines ethischen Wertesystems. An Klassikern wie Thomas Mann, Ossip Mandelstam, Dietrich Bonhoeffer, Czesław Miłosz, Miron Białoszewski, Wisława Szymborska, Zbigniew Herbert und anderen mehr zeichnet Barańczak in “Ethik&Poetik” jene poetischen Überzeugungen nach, für die deren Autor*innen mit Schreibverbot, Exil oder Tod bezahlen mussten.

„Auf dem großen Gruppenfoto des polnischen Geistes im 20. Jahrhundert, wie wir es kennen, war immer eine Leerstelle, ein weißer Fleck: Er war für Stanisław Barańczak reserviert, den leidenschaftlichen Dichter, Denker, Übersetzer und Essayisten – sowie politischen Aktivisten bereits vor der Solidarność-Zeit. Zusammen mit Ryszard Krynicki, Adam Zagajewski, Julian Kornhauser, Ewa Lipska und anderen bildete er eine „neue Welle“ der polnischen Kultur, in der Ethik und Ästhetik einen unauflöslichen Pakt eingegangen waren. Zu meiner großen Freude erscheint nun die erste Auswahl von Barańczaks Arbeiten in deutscher Sprache. Wer diesen gastfreundlichen Intellektuellen Nimmersatt nicht mehr persönlich kennenlernen konnte, hat nun endlich Gelegenheit, ihm über seine Arbeit näherzukommen. Und das Gruppenfoto ist nun (fast) vollständig“ schreibt Michael Krüger, einer der Herausgeber zu diesem Buch, das nun in der Edition Faust erschienen ist.
Stanisław Barańczak wurde 1946 in Posen geboren. Er studierte Polonistik an der Adam-Mickiewicz-Universität, an der er 1973 mit einer Dissertation über Miron Białoszewski promovierte. Sein Debüt als Dichter lieferte er bereits 1965. Er gehörte 1976 zu den Gründern des KOR (Komitee zur Verteidigung der Arbeiter). Der prominente Vertreter der polnischen Neuen Welle / Generation 68 gilt als einer der bedeutendsten Lyriker, Übersetzer und Essayisten der polnischen Gegenwartsliteratur und wurde mehrfach national wie international prämiert. Stanisław Barańczak ist 2014 in Newtonville, Massachusetts, gestorben.
Informationen zum Buch:
Stanisław Barańczak
Ethik und Poetik
Essays
Herausgegeben von Alexandru Bulucz, Ewa Czerwiakowski, Michael Krüger
Aus dem Polnischen von Jakub Gawlik undMateusz Gawlik
Mit einem Vorwort von Adam Zagajewski und einem Nachwort von Krzysztof Biedrzycki
Broschur, 416 Seiten, € 28,–
ISBN 978-3-945400-46-3
https://editionfaust.de/produkt/ethik-und-poetik/
Stimmen zum Buch:
“Das ist schließlich das große Wunder mutiger und aufrichtiger Menschen, zu denen wir Baranczak zählen dürfen: Jahrzehntelange allumfassende Propaganda konnte nicht verhindern, dass sie existieren, sich entwickeln und aufklärerisch tätig werden; und das heißt, dass es unter allen Umständen immer Hoffnung gibt, so düster die Gegenwart auch aussehen mag. Baranczak war mit seiner Kritik am kommunistischen Polen, die er in seinen vielen Texten übt, ein ethischer Visionär: Er wusste, dass er auf der Seite der Guten steht, und dass seine Sache eines Tages notwendig gewinnen musste.” – Arne-Wigand Baganz
Ein Beitrag im Rahmen meiner Pressearbeit für den Verlag.
Vielen Dank, Birgit,
für Deine anregende Vorstellung. Respekt für den Autor! Magst Du vielleicht noch ein Zitat aus dem Text dazu teilen?
Gute Wünsche und Grüße
Bernd
Lieber Bernd, es ist einigermaßen schwierig, aus einem Essayband ein Zitat herauszunehmen, das ein passendes Bild vom Buch ergibt.
ein versuch: Die sprachliche Wachsamkeit
bedeutet für den Dichter eine Form der dauerhaften
ethischen Alarmbereitschaft, auf die er nicht verzichten darf,
vor allem in der heutigen Welt nicht, einer Welt der rundgeschliffenen
Kanten und der verwischten Grenzen zwischen Gut
und Böse. Ein Dichter – aber nicht einer, den Woroszylski in
seinem Gedicht „Der Mensch Eichmann hört die Stimme des
Dichters“ [Człowiek Eichmann słucha głosu poezji] verhöhnt,
sondern ein Dichter, der sich dessen bewusst ist, dass auch er,
„sprechend oder schweigend“, Geschichte erschafft – muss diese
unaufhörlich verschwimmende Grenze immer wieder aufs
Neue nachzeichnen.