Norbert Hummelt: Sonnengesang

In seinen „Sonnengesang“ flicht Norbert Hummelt die Ahnung vom Vergehen des Sommers, den Kreislauf aus Blühen und Vergehen bereits mit ein.

Bild: Michael Flötotto

es ist geschehen u. war kein traum du in
dem immer dunkleren raum wie du für

mich die tarot-karten legst … da ist der mann
wieder mit den drei stäben u. du findest

den gehängten nicht u. es kann gar keine
zukunft geben aber die amsel singt abends (…)

Norbert Hummelt, Auszug „dämmerung“
Aus: „Sonnengesang“


Es ist Juni, als sie sich begegnen, sie wie ein flüchtiger Kohlweißling, der später allenfalls noch eine Windschutzscheibe streifen wird. Und bereits in der Juni-Dämmerung zeichnet sich die Nicht-Zukunft der beiden ab, die kurze, intensive Liebe eines Sommers. In diesem „Sonnengesang“ sind Herbst und Winter bereits eingeflochten, neigt sich alles einem melancholischen Ende zu, ein kurzes Aufbäumen, Bemühen noch – „meine wunde war noch einmal zugegangen“ – und doch über allem das Bewußtsein von Endlichkeit:

im beinhaus zu hallstatt den 3ten august
faßte ich mir an den eigenen Schädel

so seltsam war er mit haut überzogen … oben
wuchsen haare u. selbst augen standen noch

heißt es im sechsten und letzten Zyklus in dem Gedicht „vanitas“.

„Sonnengesang“ – das ist auch das erste Zeugnis der italienischen Literatur, das gleichnamige Gebet des Franz von Assisi, in dem er Gott und die Schöpfung preist. Und so verwebt auch Norbert Hummelt Elemente der Liebes- und Naturlyrik, singt gewissermaßen mit einem melancholischen Unterton freilich, die Sonne an.

Carsten Otte betont in seiner Besprechung beim SWR:

„Mögen sich Rhythmus und Binnenreim in den ersten Zeilen noch nicht aufdrängen, auch weil der Zeilensprung den semantischen Zusammenhang aufbricht, lässt sich aber schon im Eröffnungsgedicht eine Art poetisches Programm erkennen. Hier stellt sich ein lyrisches Ich vor, das von der Natur gerufen wird, um Flora und Fauna zu preisen, und zwar in einer Formensprache, die dem historischen Rondo näher ist als der lyrischen Moderne.“

Und doch sind es die modernen Elemente, die dem Reigen aus Begegnung und Abschied, Blühen und Vergehen ein Quäntchen Hoffnung eingeben:

(…) mein engel hatte mich verlassen.

aber das licht kam von der raumstation, die sich am himmel
über mir bewegte, rascher als der mond u. heller als ein stern.


Informationen zum Buch:

Norbert Hummelt
Sonnengesang
Luchterhand Verlag, 2020
Hardcover mit Schutzumschlag, 96 Seiten, 20,00 €
ISBN: 978-3-630-87630-6

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

2 Gedanken zu „Norbert Hummelt: Sonnengesang“

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