Attica Locke: Heaven, My Home

Ein klug konstruierter und spannender Roman, ein erstklassig geschriebener Pageturner, ein Psychogramm der Trump-Ära.

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Bild von Peter H auf Pixabay

„Darren dachte an den blonden Jungen auf dem Foto, versuchte sich die Moral eines Kindes vorzustellen, das die Erwachsenen um sich herum lediglich imitierte. Das war es doch, oder? Er verabscheute die Vorstellung, in einem Land zu leben, das Rassisten heranzüchtete, voller Bosheit und Hass und, noch bevor sie erwachsen waren, hart wie die Erde ihrer Heimat.“

Attica Locke, „Heaven, My Home“


Wer dieser Tage die Bildern von waffenstarrenden Menschen in Tarnanzügen sah, die das Parlament in Michigan stürmten, der sah eindrucksvoll und auf eine beängstigende Art und Weise, wie gespalten das Land unter der Präsidentschaft Trumps bereits ist, wie gewaltbereit seine Anhänger ihren durchaus fragwürdigen Begriff von individueller Freiheit verteidigen wollen. Vieles, was in den USA in den letzten Jahren geschah, ist scheinbar für uns in good old Europe nicht nachvollziehbar – aber wer weiß, welche Zeiten uns nun erwarten?

Wie das Land sich wendete, welche uralten Ressentiments und Vorurteile in der Zeit zwischen der Präsidentschaftswahl und der „Inauguration“ hochkochten, was da an Rassismus nur darauf lauerte, wieder aus der Deckung kriechen zu dürfen: Auch das ist Thema von „Heaven, my home“, dem zweiten Kriminalfall der Schriftstellerin Attica Locke um ihren afroamerikanischen Ermittler Darren Mathews.

Arische Bruderschaft und indianischer Ureinwohner

Der Titel ist nicht bar der Ironie: Denn sowohl Darrens eigene, urinnerste Heimat ist bedroht als auch die der Nachfahren entflohener Sklaven und indianischer Ureinwohner in Hopetown, eine Enklave im Osten von Texas. Weder dort, in den ärmlichen Häusern Hopetowns, noch in den White-Trash-Trailern der Anhänger der Arischen Bruderschaft, die sich illegal auf dem Gelände breitgemacht haben, herrscht der Himmel auf Erden. Beide Gruppen stehen sich unversöhnlich gegenüber, verteidigen ihr Anrecht auf das Land, eine Situation, die sich zuspitzt, als ein Kind der Arischen Bruderschaft über Nacht verschwindet.

Die Unmöglichkeit der Versöhnung ist ein Kernthema dieses Romans, in dem auch die Hauptfigur Darren Mathews vor die Herausforderung gestellt wird, seine Koordinaten neu auszurichten: Es ist nicht alles schwarz oder weiß, „Black And White, Unite! Unite!“ eine Illusion in der Trump-Ärä.

„Vergebung als kollektives Bedürfnis verlangt, den Zorn über die Abwertung und Verletzung zu unterdrücken: Morde, Gewalt und Ungerechtigkeiten hinzunehmen, Loyalität gegenüber den Unterdrückern zu bekunden. Deshalb kann sie helfen, sich der Kriminalität und Grausamkeit systemischer Unterdrückung und Gewalt zu stellen, mit der Vergangenheit abzuschließen. Aber sie kann auch zu einem rituellen Vergessen führen; sie beseitigt die Unterdrückung nicht, fordert keine Reue oder Wiedergutmachung, bringt keine radikalen sozialen Veränderungen“, schreibt Sonja Hartl im Nachwort zu dem Roman.

Grauzonen des Rechts

Dass das Recht nicht Gerechtigkeit schafft, dass es Grauzonen gibt, dass Versöhnung die Bereitschaft beider Seiten anbelangt: Dies alles lernt Mathews sowohl in privaten als auch in beruflichen Belangen schmerzhaft.

„Das war der Teil, der wehtat, der Schmerz, der bis ins Mark ging. Nachdem er jahrelang von dem Glauben an eine universelle Neigung zur Gerechtigkeit eingelullt worden war, sah er, wie wenig Freunde und Nachbar an sein Leben dachten, an sein Anrecht auf dieses Land.
Nach Obama war es Verrat an der Versöhnung.“

Die Gemengelage ist schwierig: Mathews selbst ist privat in einem Mord an einem Mitglieder der arischen Bruderschaft verstrickt, will einen alten Freund der Familie, in dem er den Täter vermutet, beschützen. Seine Mutter, bestes Beispiel für das, was in dysfunktionalen Familien geschieht, nutzt ihr Wissen, um Geld und Zuneigung zu erpressen. Sein Vorgesetzter macht Druck, um den Nazis noch vor der Einsetzung von Trump-Beamten einen Schlag zu versetzen. Das FBI wiederum, verkörpert durch Darrens engen Freund Greg, der vermutlich eine Beziehung zu Darrens Frau hat, will im Fall der Kindesentführung unbedingt ein Mitglied der schwarzen Gemeinde dingfest machen – im vorauseilenden Gehorsam und als Nachweis an die Trump-Beamten, dass man bei den Ermittlungen auf keinem Auge blind ist.

Das alles ist klug konstruiert und spannend aufgebaut bis zum überraschenden Ende. Ein erstklassig geschriebener Pageturner, der tief blicken lässt in den rassistischen Morast, in dem sich die Menschen in Trumps Amerika bewegen. Das Ende zumindest ist für den aus dem Gleichgewicht gebrachten Texas Ranger in einer Hinsicht versöhnlich. Wenn auch auf einer fragilen Ebene. Der Himmel, er muss warten.


Informationen zum Buch:

Attica Locke
Heaven, My Home
Aus dem Amerikanischen von Susanne Mende
Polar Verlag, 2020
Gebunden mit Schutzumschlag, 322 Seiten, EUR (D) 22,00 / EUR (A) 22,50
ISBN 978-3-945133-91-0

Eine weitere Besprechung erschien bei Zeichen & Zeiten – witzigerweise sogar mit demselben Bild: https://zeichenundzeiten.com/2021/02/15/attica-locke-heaven-my-home/

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen Aktuelle Rezensionen auf dem Literaturblog

5 Gedanken zu „Attica Locke: Heaven, My Home“

    1. Genauso habe ich es auch gemacht — mich hat die Rezension sehr neugierig gemacht, aber eine Krimireihe beginne ich am liebsten mit dem ersten Teil.

      1. Ist in diesem Fall ja auch gut machbar, nachdem es erst zwei Bände gibt … 🙂

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