Henning Kreitel: im stadtgehege

Im Grunde ein unwirtlicher Ort: Die Metropole. Henning Kreitel begibt sich mit Wort und Bild auf Ruhesuche „im stadtgehege“ Berlins.

Bild von melancholiaphotography auf Pixabay

in morgendlicher bahnsteigkälte
gehetztes schnäuzen
gewissenloses husten
dem nächsten ins gesicht

geborgen hauche ich ans fenster
zeichne umrisse
in den bunten scheibenschleier
einiges wird klarer

Henning Kreitel, „im stadtgehege“


Oftmals holt die Wirklichkeit die Poesie ein: Der Gedichtband „im stadtgehe“ des Fotografen und Schriftstellers Henning Kreitel erschien bereits im November 2019, als Corona eine Erkrankung war, die noch weit entfernt war. Und nun verwandeln auch unsere Städte ihr Gesicht: Ungewohnt still, beinahe unbelebt.

Die Stadt, ansonsten ein Gehege, in dem das Leben pulsiert, mit allen seinen Schattenseiten: Die Gedichte Kreitels kreisen unverkennbar um die Metropole Berlin, ein Ort an dem „saftiges schreigespräch“, „handygegröl“ und „huptumult“ dominieren. Der Spaziergänger „im auswegkreislauf auf ruhesuche“ findet keinen rückzugsort. Nur ab und an, vor allem morgens, eine „arie am morgen“ und „einsamer amselgesang“.

„Berlin ist im Übergang und generiert seine neuen Ortsgefühle und widersprüchlichen Emotionen“, schreibt Frank Eckardt, Professor für Stadtsoziologie an der Bauhaus-Universität Weimar, im Vorwort zu diesem Gedichtband. So zeugten auch Kreitels Gedichte von „Ambivalenz und schwieriger Aneignungsfähigkeit“.

Im Stadtgehe entscheidet sich nachts in einem Augenblick, ob man „raubtier oder beute“ ist, derweil die „lustentkernten kiezbewohner“ ankämpfen gegen die Leere ihres Lebens. Die Stadt: In diesem Buch zwar ein belebter, aber nur in Teilen lebenswerter Ort.

Der Unruhe städtischen Lebens, die er mit Worten vermittelt, setzt Henning Kreitel Illustrationen von großer Ruhe entgegen: Stille Ecken, aufgenommen in den großen Berliner Parks. Rückzugsorte, so in den Erläuterungen, die „als Steckdosen“ dienen, um wieder Energie zu tanken und vom stressigen Stadtalltag abzuschalten.

Kreitel bearbeitete seine Bilder im Eisendruckverfahren, der Cyanotypie, deren charakteristischer das „Berliner Blau“ ist. Die Serie „Auf Ruhesuche“ ist, so der Fotograf, noch nicht abgeschlossen. Die Suche geht weiter.


Informationen zum Buch:

Henning Kreitel
im stadtgehege
Mitteldeutscher Verlag 2019
Broschiert, 112 × 186 mm, 110 Seiten, Cyanotypien, 12,00 Euro
ISBN 978-3-96311-312-3

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

Ein Gedanke zu „Henning Kreitel: im stadtgehege“

  1. Was Poeten und Literatinnen imaginieren … !
    Danke Birgit, für das Eingangsgedicht und die Buchvorstellung mit stadtsoziologischen Ausblicken.
    Gute Wünsche nach Berlin, Augsburg, München und a. a. O.
    aus Nürnberg
    Bernd

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