Olga Tokarczuk: Die Jakobsbücher

Überwiegend wurden „Die Jakobsbücher“ im Feuilleton als „Opus Magnum“ der polnischen Schriftstellerin Olga Tokarczuk gefeiert, als ein Roman, der vor allem in Polen – wo das Buch ja auch bei Nationalisten auf heftigen Widerstand und zu Bedrohungen der Autorin führte – zu einem neuen, anderen Blick auf die europäische und polnische Geschichtsschreibung führt. Mich ließ das jüngste Werk der Literaturnobelpreisträgerin jedoch etwas ratlos zurück.

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Bild: Michael Flötotto

Überwiegend wurden „Die Jakobsbücher“ im Feuilleton als „Opus Magnum“ der polnischen Schriftstellerin Olga Tokarczuk gefeiert, als ein Roman, der vor allem in Polen – wo das Buch ja auch bei Nationalisten auf heftigen Widerstand und zu Bedrohungen der Autorin führte – zu einem neuen, anderen Blick auf die europäische und polnische Geschichtsschreibung führt. Mich ließ das jüngste Werk der Literaturnobelpreisträgerin jedoch etwas ratlos zurück.

Zugegeben: Sprachlich und stilistisch (offenkundig auch eine Meisterleistung der Übersetzer Lisa Palmes und Lothar Quinkenstein) ist dieses Mammutwerk faszinierend. Olga Tokarczuk führt einen auf den Spuren des Sektengründers Jakob Frank auf „eine große Reise über sieben Grenzen, durch fünf Sprachen und drei große Religionen, die kleinen nicht mitgerechnet“, wie es der opulente Untertitel des Romans besagt.

Barockspektakel aus Polen

Das „Barockspektakel“ (so Insa Wilke im WDR als eine der wenigen kritischen Stimmen) entfaltet an der Figur dieses Mannes ein Bild vom jüdischen Leben in Polen im 18. Jahrhundert, von der Verfolgung des Judentums zwischen willkürlichen Pogromen und den Versuchen zur Emanzipation oder auch Anpassung. So zeigen die Jakobsbücher auch die Wanderungsströme der Menschen durch Europa und den Orient nach – Frank selbst tritt beispielsweise zwischenzeitlich zum Islam über, bis er seine Anhängerschaft in das Christentum und nach Offenbach am Main führt (hier begegnet er übrigens auch Sophie von La Roche, eine der vielen Personen, die im Roman ihren Auftritt haben).

„Die Jakobsbücher“ bewegt durch eine Recherche, die jüdische Geschichte als europäische Geschichte festschreibt – und es bestürzt durch die Einsicht, dass Wissen allein nicht klug macht“, urteilt Amelia Wischnewski im NDR. Dem kann ich zustimmen. Und dennoch ließ mich die zweiwöchige Lektüre unzufrieden zurück: Warum so viele Menschen auf den faulen Zauber eines Jakob Frank hereinfielen, welche Faszination der Mystizismus  vor allem auf die Ärmsten ausübte, die ihn als Ausweg aus ihrem irdischen Leid begreifen mussten, all dies geht in der Fülle des Romans unter und wäre doch das Kernmotiv.

Für den noch jungen Kampa Verlag, der seit einiger Zeit die Werke von Olga Tokarczuk in deutscher Sprache wieder auflegt beziehungsweise neu herausgibt, war die Verleihung des Literaturnobelpreises an die polnische Schriftstellerin ein Glücksfall. Für die Leserinnen und Leser ist es dies auch – aber ich würde zum Einstieg andere Bücher von ihr empfehlen, unter anderem „Unrast“, das mich vor Jahren wirklich begeisterte oder den von Veronika Eckl besprochenen „Gesang der Fledermäuse“.


Informationen zum Buch:

Olga Tokarczuk
Die Jakobsbücher
Kampa Verlag
Aus dem Polnischen von Lisa Palmes und Lothar Quinkenstein
1184 Seiten | Gebunden |42,00 Euro
ISBN 978 3 311 10014 0 | Auch als E-Book

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

18 Gedanken zu „Olga Tokarczuk: Die Jakobsbücher“

  1. Die „Old Filth“ – Trilogie von Jane Gardam hat mir auch super gefallen. Das war für mich wirklich eine Neuentdeckung und nach Deinem Eindruck von den „Jakobsbüchern“ bin ich jetzt – ehrlich gesagt – fast ein wenig überfordert und lasse den Roman wohl erst mal auf dem Stapel liegen. Derzeit ist mir eher nach „leichterer“ Literatur und nicht nach Büchern, die anstregend klingen. Aber es macht – nach wie vor – Lust, dass zu lesen…. Danke für Deinen Beitrag und die Anregungen (und natürlich die Verlinkung…. 🙂 ). Herzlichen Gruss aus Zürich. A.

    1. Das kann ich gut verstehen – mir war es nach den Jakobsbüchern mehr nach Leichtigkeit. Wobei der Stil nicht das anstrengende ist – die Sprache ist wunderbar, sie hat da wohl auch bewußt einen altertümlichen Ton gewählt und manche Figuren – so ein kleiner polnischer Landpfarrer, der das Wissen der Welt sammeln wind – sind auch liebevoll ironisch gezeichnet. Aber nach 1200 Seiten stellte sich mir dennoch die Frage, was mir das Buch eigentlich sagen will … Naja, leicht ratlose Grüße zurück nach Zürich… Herzlichst, Birgit

      1. Na, ich lass es Dich wissen, ob ich dann auch ratlos bin….. – bewusst altertümlich gewählter Ton klingt für mich aber schon mal prima.und macht Lust….

      2. Ich wette, wir werden Deine Rastlosigkeit an den Blogbeiträgen erkennen können. Gute Reise 🙂

  2. Ich habe gestern abend „Der Gesang der Fledermäuse“ von Olga Tokarczuk begonnen. Die ersten 2 Kapitel gefielen mir gut, wobei mich Astrologie immer latent nervt 😉
    Freue mich aufs Weiterlesen heute abend. Die dicken Jakobsbücher lasse ich dann auf jeden Fall aus und werde eher Deiner Empfehlung folgen und ggf danach Unrast lesen…

    Ganz liebe Grüße 🙂

  3. Vielen Dank Birgit, die Tante MARTL werd ich auf jeden Fall lesen. Ich habe gestern dieses Bilder-Buch von Olga Tocarczuk bestellt und gleich verkaufen können:
    „Die verlorene Seele“
    Mit Illustrationen von Joanna Concejo
    Aus dem Polnischen von Lothar Quinkenstein
    Kampa Verlag Zürich 2019
    48 Seiten, 22 Euro
    Feine Zeichnungen. Die Jacobsbücher lasse ich vorerst mal……lese gerade LICHT aus dem Osten von Frankopan….mal was sachliches 🙂 und schon lange favorisiertes usw. Wünsche dir noch ein gutes und buntes Lesejahr und freu mich immer auf deine Rezensionen. Liebe Grüße aus der Provinz von Stefanie

    1. Liebe Stefanie, erst einmal dir auch ein tolles neues Lesejahr und ein dickes Dankeschön – ich freue ich immer so über deine Kommentare. Das ist ja toll, dass du bei mir – trotz deiner konsequent anhaltenden Social Media-Abstinenz, die dir hoffentlich gut tut – immer noch die Treue hälst. Ja, das Kinderbuch spricht mich auch an, vielleicht muss ich doch auch mal wieder ein „Kurz&Knapp“ zu tollen Büchern für Kinder und Erwachsene machen … Liebe Grüße aus dem ebenso provinziellen Augsburg von Birgit

  4. Liebe Birgit,
    die Tante Martl fand ich auch sehr gelungen! Gestern kuf ich auf eine Empfehlung von Philipp (glaube ich) die verlorenen Seelen – sooo schön! Heute las ich ein Schnipsel bei einer Freundin, die gerade Taghaus, Nachthaus liest, vielleicht versuche ich es mal damit. Liebe Grüße!

    1. Ja, es gibt von O.T. – die ja auch eine sehr sympathische Frau ist – so tolle Bücher! Es wäre schade, wenn sich Einsteiger durch die Jakobsbücher verschrecken liessen…

  5. Ich lese gerade den Roman „Kein Teil der Welt“. Und er gefällt mir bisher richtig gut. Vor allem die Einblicke in die kruden Regeln der Zeugen Jehovas sind interessant. Von Tokarczuk habe mir unlängst „Unrast“ aus der Bibliothek ausgeliehen. Viele Grüße

  6. Liebe Birgit,
    danke für die vielen Hinweise, die ich gerne aufnehme. Hast du „Der Gesang der Fledermäuse“ von Olga Tokarczuk gelesen? Es ist das einzige Buch von ihr, dass es auch als Hörbuch zu kaufen gibt.
    Kennst du den Zustand? Man möchte etwas lesen, fängt etwas an, legt es weg für später, fängt wieder etwas an und scheint nicht auf das eine Buch zu kommen, das man gerade lesen möchte.
    Inzwischen bin ich nach dieser Odyssee bei „Töchter“ angelangt. Luc Fricke schreibt über Vater / Töchter Beziehungen. Es ist mir fast zu nahe an meinen Problemen dran 🙁 aber irgendwie faszinierend.
    Liebe Grüße nach Augsburg von Susanne

    1. Guten Morgen Susanne, ja, vielleicht ist ja auch was für dich unter diesen Tipps dabei … Den von dir beschriebenen Zustand kenne ich zu gut – und manchmal habe ich den Eindruck, dass ich, je mehr Bücher ich gerade vor mir habe, desto unentschlossener bin. „Töchter“ habe ich sehr gern gelesen und mich auch in manchen Dingen wiedergefunden – aber es ist ein gut zu lesendes Buch. Viel Spaß dabei noch weiterhin, liebe Grüße Birgit

      1. Danke, Birgit, du hast recht, es liest (hört) sich gut. Die Jane Gardam Triologie habe ich schon vor längerer Zeit gelesen. 🙂
        Liebe Grüße von Susanne

  7. Hallo,

    von Olga Tokarczuk wartet hier tatächlich schon „Unrast“ darauf, gelesen zu werden – ich bin schon sehr gespannt. „Die Jakobsbücher“ klingt nach einer interessanten Lektüre, sicher auch einer wichtigen, aber ich glaube, ich lag nicht so falsch damit, erstmal mit „Unrast“ einsteigen zu wollen.

    „Kein Teil der Welt“ steht schon gefühlte Unzeiten auf meiner Wunschliste, das sollte wohl endlich mal wieder nach oben rücken.

    Das beantwortet wohl die Frage, ob wenigstens manche Literaturkritiker selber schreiben können – das ist ja nicht unbedingt zu erwarten, denn auch Restaurantkritiker können nicht unbedingt selber kochen…

    Die Romantrilogie von Jane Gardam werde ich mir mal näher anschauen, die ist bisher irgendwie an mir vorübergegangen.

    LG,
    Mikka

    1. Liebe Mikka, danke für deinen Kommentar – ich bin gespannt, wie dir die Bücher von Velasco und Jane Gardam gefallen. Herzliche Grüße, Birgit

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