
EIN GASTBEITRAG VON VERONIKA ECKL
Neugierig erwartet wurde der Debütroman von Karen Köhler. Doch als er dann da war, brach in der Literaturkritik Ratlosigkeit aus. Jan Drees fand im Deutschlandfunk zum Phänomen der gehypten Romane deutliche Worte.
Immerhin: “Miroloi” schaffte es auf die Longlist beim Deutschen Buchpreis, unter den sechs Finalisten ist er jedoch nicht mehr zu finden. Warum, das lässt der Gastbeitrag von Veronika Eckl erahnen.
Also. Da war diese Entdeckung im Herbst vor fünf Jahren, Karen Köhler, eine noch jung zu nennende Autorin aus Hamburg. Sie hatte einen Band mit Erzählungen geschrieben, Wir haben Raketen geangelt, die mit raketenartigem Temperament und einem ganz besonderen Sound daherkommen und im Gedächtnis haften bleiben, weil sie ungewöhnlich sind und häufig auch witzig konstruiert, immer mit einer unerwarteten Wendung. Es geht darin um junge Ich-Erzählerinnen in Ausnahmesituationen, die stets einen harten Cut machen: Die eine versucht eine Trennung dadurch zu überwinden, dass sie auf einem Kreuzfahrtschiff als Qualle im Bordmusical jobbt – und kurzentschlossen auf den Lofoten aussteigt. Eine andere setzt alles daran, herauszufinden, wer die junge Frau ist, die das Herz ihres verstorbenen Freundes bei einer Transplantation eingepflanzt bekommen hat. Wieder eine andere schreibt ihrem Freund Postkarten aus Italien, neben den Ansichten von Neapel, Ischia und Stromboli entfaltet sich so ein ganzes Seelenpanorama weiblicher Verlorenheit. Das muss man nicht immer alles ganz groß finden, aber gut zu lesen sind die neun Stories, temporeich, mit einer sensiblen Wucht verfasst. Alle weiblichen lesenden Freundinnen waren von dem Buch angetan, alle männlichen lesenden Freunde schnauften und sagten, es sei wohl mehr was für Frauen. Nur eine Erzählung fanden alle gleichermaßen ein wenig befremdlich: Die, in der sich eine junge Frau auf einem Hochsitz im Wald 27 Tage lang zu Tode hungert. Naja, eine Geschichte von neun, extrem, etwas übers Ziel hinausgeschossen vielleicht, aber das ist natürlich Geschmackssache.
Miroloi bedeutet Totenklage
Und jetzt: Herbst 2019, der erste Roman von Karen Köhler, Miroloi lautet der Titel, was in der Tradition der griechisch-orthodoxen Kirche eine Totenklage bedeutet. Und leider, es geht befremdlich weiter in Köhlers Schreiben. Erneut ist die Protagonistin eine junge Frau, die auf einer vage griechisch wirkenden Insel in einer unbestimmten Zeit ihr Dasein fristet, und zwar als Findelkind ohne Namen in einer archaischen Gesellschaft. Sie wächst beim religiösen Oberhaupt des Dorfes auf, der das Mädchen gut behandelt und es gegen die Anfeindungen einer gehässigen Gemeinschaft verteidigt, ihm sogar das Lesen beibringt, was streng verboten ist: Auf der Insel, auf der man ohne elektrischen Strom auskommt, dürfen Frauen nicht lesen und schreiben, Männer nicht singen und kochen, obwohl sie alle immerhin in einer Zeit leben, in der es bereits Klimaanlagen gibt und Plastikflaschen, die von „drüben“ angespült werden. Auf Regelverstöße stehen brutale Sanktionen, was auch die Heldin schon zu spüren bekam, der als Kind ein Bein zerschlagen wurde. Fast überflüssig zu sagen, dass sexueller Missbrauch, arg klischeehaft natürlich vom Lehrer des Dorfes betrieben, aber auch von anderen Männern, an der Tagesordnung ist. Es ist eine Insel, auf der die Frauen unglücklich sind und die Männer auch; interessant daran ist, wie allmählich deutlich wird, dass das männliche Unglück das weibliche bedingt. Die Männer immerhin dürfen in einer Art religiösem Ritual Wunschzettel schreiben, die dann vom Ziehvater der Protagonistin heimlich gelesen und verbrannt werden.
Eine Emanzipationsgeschichte
Als die junge Außenseiterin sich in einen Betschüler verliebt, mit dem sie sich immer bei Vollmond (hm) in den Bergen trifft, als ihr väterlicher Beschützer stirbt und neue Machthaber beschließen, dass Frauen sich verhüllen und nach Einbruch der Dunkelheit das Haus nicht mehr verlassen dürfen – da keimt die Rebellion in der jungen Frau; und als sie schwanger wird, kommt es zur recht vorhersehbaren Katastrophe. Eine Emanzipationsgeschichte also, die Beschreibung eines Aufbegehrens in einer von Männern dominierten Welt, und dass diese Emanzipation über die Entdeckung des eigenen Körpers und über die Sprache geschieht, ist nachvollziehbar, aber so richtig ans Herz greift es einem nicht.
Was will uns Karen Köhler da präsentieren? Eine politische Parabel in Zeiten, in denen Millionen Menschen auf der Flucht sind? Ein Plädoyer für Frauenrechte? Eine Reflexion über totalitäre Gesellschaften? Eine Dystopie à la Margaret Atwoods Der Report der Magd? Da wird viel Unklarheit verbreitet von einer, die eigentlich Klarheit kann. Man merkt, dass Köhler am Theater gearbeitet hat und Theaterstücke schreibt, denn immer wieder ist ihre Sprache sehr präzise, schafft sie in wenigen Worten eine Atmosphäre, einen markanten Dialog, etwa wenn der Bethaus-Vater seinem Zögling tröstend beibringt, was ein Konjunktiv ist: „Eine Distanz in der Sprache, wenn sie nötig ist. Jemand hat gesagt, ich sei eine Missgeburt. Verstehst du? Nicht ich bin. Das rückt das Gesagte von dir weg.“ Dann aber wieder wirkt die Sprechweise der Figuren manieriert – “Ich ziehe mich jetzt zurück“ – und gewollt stilisierte Wortkonstrukte wie „Tausendaugen“ kollidieren mit einem banalen „Arschloch“.
Wie schade, dass die Autorin hier nicht zeigt, was sie an Sprache und Witz und Tempo eigentlich draufhat. Hätte sie statt dieses bemühten feministischen Gesangs einfach Geschlechterbeziehungen in unserer heutigen Zeit, in einem gegenwärtigen Deutschland, aufs Korn genommen – wir wären ihr gern gefolgt, anstatt nach mehr als 400 Seiten leicht verstimmt eine überzogen konstruierte Geschichte und ihre ebenso konstruierte Heldin hinter uns zu lassen.
Informationen zum Buch:
Karen Köhler
Miroloi
Hanser Verlag, 2019
ISBN: 978-3-86484-595-6
Über die Autorin dieses Beitrags:
Veronika Eckl studierte Romanistik und Germanistik. Es folgten journalistische Lehr- und Wanderjahre bei der »Süddeutschen Zeitung«, der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, der »Katholischen Nachrichten-Agentur« und beim »Bayerischen Rundfunk«. Nach ihrer Redakteursausbildung ging sie nach Rom, wo sie längere Zeit als Journalistin arbeitete und das Latium für sich entdeckte. Heute arbeitet sie hauptberuflich als Lehrerin für Deutsch, Französisch und Italienisch.
Karen Köhlers MIROLOI, der Totengesang, war für mich mehr als eine feministische Geschichte. Ich fand ihre Bilder sehr stark und eindringlich. Die wunderbare Sprache Köhlers hatte unglaubliche Klangfarben.
Viele herrliche und kindliche Gedanken der Protagonistin, die zunächst weder lesen noch schreiben kann, aber eine starke Wahrnehmung und Gegenwärtigkeit hat : „Legt euch mal nachts unter den Sternenhimmel, schaut mal vom Berg das Meer an, trinkt mal einen Schnaps, lauscht doch mal den Nachtpfeiffern und esst was Gutes. Das alles, das sind auch die Götter, das Leben ist voll Saft und nicht vertrocknet, schüttelt doch mal eure Strenge ab, probiert mal ein Lächeln, ich verspreche euch, davon geht die Ordnung nicht kaputt.“
Das namenlose Mädchen hat dann eine spannende, kraftvolle und sogar weise Entwicklung genommen. Die Tausendaugen würde ich sinnbildlich für eine Gesellschaft unter Beobachtung sehen. Was ja durchaus aktuell ist. Schockierend auch die brutale Gleichgültigkeit der Dörfler z.b. gegenüber Dissidenten, obwohl alle, hier vor allem Frauen, spüren, dass Unrecht und Unterdrückung und Herrschaft die Situation auf die Spitze treibt. Es werden keine Eingeständnisse zugelassen. Auch nicht bei geliebten Freunden. Im Gegenteil, aus Unsicherheit wird am altbekannten Unrecht, wird an Gesetzen festgehalten die keinerlei Sinn mehr ergeben und Menschen ausgrenzen, umbringen.
Dann die Bilder einer anderen geheimnisvollen Welt die es offenbar eben auch „ noch“ gibt, z.b. an Orten die nur wenigen bekannt sind. Da in einer Grotte nah am Wasser wohnen die guten Geister, da ist Frieden und Heilung für einen kurzen Moment. Da brennt das Lebensfeuer.
Das Buch hat mich sehr berührt und vielleicht kann man es gar nicht „ verstehen“ sondern eher nachspüren, mitfühlen und darüber trauern wozu Menschen letztendlich im Namen der Orthodoxie fähig sind
Liebe Stefanie, danke für deinen Kommentar, der sehr gut klar macht, warum dich das Buch so anspricht – es trifft ja auf sehr geteilte Meinungen. Wahrscheinlich ist es einfach eines jener Kunstwerke, das die einen einfach sofort anspricht, bei anderen aber auf Unverständnis oder Kritik stößt. Viele Grüße Birgit
Danke Birgit,
für Deine zwei Besprechungen und die Kritik mit dem Unbehagen.
Dies teile ich dahingehend, dass die dystopische Situation einerseits von Männern dominiert sei, diese jedoch nicht singen dürften … ?
Stefanie sieht es in ihrem obigen Kommentar etwas anders.
Abendgrüße von Bernd
Lieber Bernd, ich will mich nicht mit fremden Federn schmücken: Der Beitrag stammt ja von Gastautorin Veronika Eckl. Ich habe in das Buch reingeschaut und mein Eindruck ist, dass ich ihre Meinung teilen kann.