„Später erinnert er sich nicht mehr daran, wie alles an diesem Morgen aussah, wie bald seine Kindheit versinken sollte in den Scherben des Kommenden, doch an die Hand der Mutter, diese herbe, harte, warme Hand, die sich noch einmal in seinen Nacken legte, als wolle sie ihm einen kleinen Trost spenden, an diese Hand erinnerte er sich immer, selbst dann noch, als dieser Tag schon zurückgesunken ist in die ferne und fremde, entfärbte und zauberische Welt, die man Kindheit nennt, wenn ihre Geborgenheiten und Gefährdungen verschwunden sind hinter den Wüsten, die ein langes Leben schafft.“
Florian L. Arnold, „Pirina“, Mirabilis Verlag, 2019
Wir sehen sie jeden Tag in unseren Städten und Dörfern: Junge Männer meist, die ziellos durch die Straßen treiben, auf der Suche nach sich selbst, auf der Suche nach Verlorenem, auf der Suche nach einer Zukunft. „UmA`s“ nennt man sie im nackten Behördendeutsch, „Unbegleitete minderjährige Ausländer“, junge Leute, kaum der Kindheit entwachsen, ohne Familie, ohne eine Hand, die hält, in ein fremdes Land gespült. In seinem neuesten Roman vermag der Schriftsteller und Zeichner einem dieser Suchenden eine ganz besondere Stimme zu geben.

„Pirina“ erschien wenige Tage vor der Leipziger Buchmesse und lag dort, praktisch druckfrisch am Stand des kleinen, aber feinen „Mirabilis Verlag“, dem Hausverlag des Ulmer Autors, bereit – vielleicht ist der Roman heute noch nicht in vielen Buchhandlungen zu bekommen, dennoch aber ist er meine große Empfehlung zum diesjährigen Indiebookday.
Florian L. Arnold erzählt – übrigens wie in seinem Vorgängerroman „Die Ferne“ – von Menschen, die in die Welt geworfen werden, von einer Odyssee durch namenslose Länder und Städte. Vom Suchen und Ankommen: Erst als der junge Mann neben einer Unbekannten eine Wohnstatt findet, erst als eine Annäherung zwischen diesen beiden jungen Menschen stattfindet, erst dann wagt er es, seinen Namen auszusprechen, die Bedeutung seines Nachnamens zu erklären: SCHWARZES LAND UNTER WEISSER WOLKE.
Geschichte einer Liebe auf Zeit
Er und Pirina, so heißt die Nachbarin, tauschen ihre Geschichten aus, erzählen einander vom frühen Verlust und der allzu frühen Begegnung mit Gewalt und Grausamkeit.
„Er war ohne Namen und ohne Sprache in dieses Land gekommen. Wenn er Familien zusammen sah, wenn die Eltern ihren Kindern über die Köpfe strichen, trösteten oder tadelten, sah er sich, sah sich in diesen Eltern, er sah sich in den Kindern. Er schlüpfte hinein in Fremdes und Niegewesenes, träumte sich durch die Tage. Was er vermisste, konnte er nicht sagen. Manchmal glaubte er, den Gedanken an alles Verlorene nicht ertragen zu können, erfühlte sich krank und schwach, wenn er an die eigene Familie dachte.“
Wie die beiden Menschen sich annähern, sich für eine abgemessene Zeit Trost und Halt zu geben vermögen, wie in diese Liebesgeschichte aber auch schon ein Ende eingeschrieben ist, das beschreibt Florian L. Arnold ein einer wundersamen poetischen Sprache, die Orte und Zeit der Handlung in etwas Mystisches einwebt. So aktuell das Thema ist, so zeitlos, ja beinahe auch überzeitlich wird es geschildert: Die Länder haben keine Namen, die Namen der Menschen dagegen wirken archaisch, geheimnisvoll, Figuren, wie aus fernen Vergangenheiten kommend. Aber auch das ist stimmig: Den Krieg, Gewalt, Flucht sind überzeitliche Themen, prägen die Welt, seit es Menschen gibt.
Doch nicht nur in die ganz individuelle, eigentümliche Sprache des Autoren kann man sich beim Lesen förmlich einspinnen – bereichert wird das Buch durch die Bilderwelt Arnolds, Illustrationen, die die Magie der Sprache wiedergeben und spiegeln.
Meine große Empfehlung zum #indiebookday: „Pirina“!
Bibliographische Angaben:
Florian L. Arnold
Pirina
Mirabilis Verlag 2019
18, 00 Euro, 192 Seiten, Klappenbroschur, mit zahlreichen Illustrationen
ISBN 978-3-947857-00-5
Mehr Informationen:
https://www.indiebookday.de/
https://mirabilis-verlag.de/
Homepage des Autoren:
http://www.florianarnold.de/
Stimmen zum Buch:
“Es ist eine empfehlenswerte Lektüre für Menschen, die nicht nur bereit sind, sich auf ernste Themen einzulassen, sondern auch anspruchsvolle Literatur erwarten und Wert auf eine sorgfältig polierte Sprache legen.” – Dieter Wunderlich
“Dem Autor gelingt es, diese Erzählung völlig undramatisch zu schildern, oft in Andeutungen, und in wunderbar poetischen Worten wie jenen, dass Tage zerbrechliche Brücken sein können zwischen den bedrohlichen Strömen des Schlafes.” – Augsburger Allgemeine
“Arnolds Roman, kunstvoll gefügt, ratlos machend und manchmal auch verstörend, berichtet von einer Spurensuche ganz eigener Art. Zu anderen Zeiten wäre diese Liebesgeschichte bleischwer als Fügung des Schicksals bezeichnet worden, mit zugehöriger Wucht dargeboten, mit melodramatischer Musik unterlegt. Doch Arnold inszeniert nicht, sondern er zeichnet – und fügt tatsächlich auch Zeichnungen ein, die für sich betrachtet kleine Kunststücke sind, sehenswerte, nachdenklich stimmende Beigaben, einige düster und dunkel, andere opak und undurchsichtig.” – Thorsten Paprotny bei literaturkritik.de
“Florian L. Arnold hat mit Pirina ein Buch geschrieben, welches sich in die Magengegend gräbt. Vor allem, da es eher die leisen, poetischen Töne anschlägt, um das Unvorstellbare zu beschreiben, verlangen die Szenen einem beim Lesen noch viel mehr ab.” – We Read Indie
“Fast wirkt „Pirina“ wie ein 192-seitiges Gedicht. Mal mehr, mal weniger rhythmisch. Doch immer ästhetisch.” – Simone Derichsweiler
Im Rahmen meiner Pressearbeit für den Mirabilis Verlag.
Das klingt vielversprechend. Vielen Dank für die Leseempfehlung!
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