Friederike Manner: Die dunklen Jahre

Bereits 1948 erschien dieser Exilroman: Ein berührender, authentischer Bericht vom täglichen Überlebenskampf einer Familie auf der Flucht.

street-3043895_1920
Bild von www_slon_pics auf Pixabay

„Ich erinnere mich, daß ich vor Monaten einmal einen Flüchtling aus der Slowakei sah, der sich zu Fuß über Ungarn bis Belgrad durchgeschlagen hatte. Der Beamte der Kultusgemeinde hatte ihn schroff abgewiesen und gesagt: „Wir können nichts für sie tun. Die Slowakei ist kein Emigrationsland.“ Der Mann ging ohne ein weiteres Wort … Ich sprang den Beamten an: „Es kommt vielleicht der Tag, an dem sie bettelnd vor einer Tür stehen, und man wird Ihnen antworten: Jugoslawien ist kein Emigrationsland –„ und lief dem Manne nach, um ihm wenigstens ein paar Dinar zu geben; aber er war wie vom Erdboden verschluckt, ich fand ihn nicht mehr. Ausverkauf und Weiße Woche in Menschenschicksalen …“

Friederike Manner, „Die dunklen Jahre“


Am Tag, als der Reichstag brannte, weiß die gebildete Wienerin Klara, dass auf sie und ihre Familie finstere Zeiten zukommen werden. Und die Ereignisse überschlagen sich: Bald ist Österreich angeschlossen, bald beginnen auch hier die ersten Pogrome gegen Juden. Sie wäre davon nicht betroffen, aber ihr Mann Ernst, ein anerkannter, jüdischer Arzt und ihre beiden kleinen Kinder, als „Mischlinge“ eingestuft, bekommen den Hass schnell zu spüren. Obwohl das Paar in Trennung lebt, bietet die Ehe noch einen hauchdünnen Schutz für Mann und Kinder.

Schnell entscheiden sie sich, zu flüchten: Zunächst geht Klara mit den Kindern zu Verwandten in die Schweiz, dann folgt sie ihrem Mann nach Belgrad – aber auch die „weiße Stadt“ wird, nachdem die Bevölkerung gegen die Unterzeichnung des „Dreimächtepaktes“ revoltiert hatte, von den Nationalsozialisten unterworfen und besetzt. Als „Arierin“ bleibt Klara zwar relativ unbehelligt, aber Ernst wird inhaftiert und stirbt in einem jugoslawischen Lager. Klara kehrt mit den Kindern 1945 in das zerstörte, hungernde Wien zurück – in eine Heimat, die keine mehr ist, als Exilantin mit ihren ganz eigenen Erfahrungen wieder eine Fremde unter denen, die während der Kriegsjahre zuhause geblieben sind.

Ein autofiktionales Buch

Bereits 1948 veröffentlichte die Lektorin Friederike Manner (1904 – 1956) unter dem Pseudonym Martha Florian ihren Roman „Die dunklen Jahre“. Gewissermaßen ein autobiographisches Buch – wie Klara ist die Autorin mit einem jüdischen Arzt verheiratet, hat zwei Kinder und flüchtet mit der Familie nach Jugoslawien – in Romanform, zugleich eine Mischung aus Tatsachenbericht und Dokumentation. Vor allem aber ist das Buch ein sehr authentisches, anrührendes Zeugnis für das, was Flucht und Exil in Zeiten des Krieges für die betroffenen Menschen bedeutet.

Wieder kommt ein Winter auf uns zu – der wievielte ist es nun, seit wir von daheim fort sind? Ich habe zu zählen aufgehört. Ich weiß längst, daß das Daheim keine Heimat mehr ist, auch wenn wir eines Tages zurückkehren. Irgendwie ist es zu spät – die Wurzeln, die uns hier halten, sind karg und dünn, die Wurzeln der Heimat sind abgestorben. Ich verstehe jetzt, wie den Weltfahrern zumute ist, die überall frösteln  und fehl am Platze sind. Was innerlich längst mein Schicksal war, ist nun auch nach außen hin besiegelt. „Ich bin ein Fremdling überall …“

Der Roman erzählt vom täglichen Überlebenskampf in einem fremden Land: Zwar schlüpft Klara alias Friederike in einer von Jugoslawen geleiteten Behörde der Besatzungsmacht unter, doch es mangelt an allem, Essen, Kleidung, Wohnraum. Und auch ihre „geistige Nahrung“, die ihr zuweilen Trost und Halt gibt, stellt sie manches Mal in Frage:

Ich frage mich, wozu diese ganze Kultur eigentlich gut war, da sie doch nicht vermochte, den Menschen zu ändern. All diese Jahrhunderte deutscher Blüte in Architektur, Bild, Ton und Wort ersaufen nun in Blut.

Alles stellt Klara, die Scharfsichtige und zuweilen auch Scharfzüngige, auf den Prüfstand: Ihre eigenes Leben, ihr eigenes Tun – beziehungsweise Nicht-Handeln, die Wehrlosigkeit, mit der sich ganze Völker der Brutalität der Nationalsozialisten ergeben. Immer wieder hadert sie mit ihrem eigenen Status quo. Was ist wichtiger: Die eigene Familie zu retten oder Widerstand? Mit ihren Fragen, ihren Selbstzweifeln, ihren Anklagen bleibt sie isoliert, bleibt sie fremd. Und vor allem ihre Überzeugung, dass die Menschheit, die Menschen auch aus dieser Katastrophe nichts lernen wird, dass es nach der Katastrophe keine Veränderung geben wird, vor allem dies bringt sie zur Verzweiflung.

Ohne die Kinder wäre der Lebenswillen früher erlöscht

Wären die Kinder nicht, so lohnte es sich nicht mehr zu leben, der Suizid eine Option: Mehrfach wird dies in dem Buch, das bereits in den Kriegsjahren entstand, angedeutet. Umso tragischer die Realität: 1956 nimmt sich Friederike Manner, auch aus Enttäuschung von der mangelnden „inneren Auseinandersetzung mit der Diktatur“ das Leben.

Im Nachwort zur Wiederauflage des Romans – der ersten, sieben Jahrzehnte nach Ersterscheinung des Buches – weist Evelyne Polt-Heinzl darauf hin:

„Friederike Manner sei an der „geistigen Verlogenheit, der sie sich nicht beugen konnte, noch wollte, zugrunde gegangen“, schrieb Oskar Wiesflecker nach ihrem Freitod am 6. Februar 1956.“

Das Wissen um dieses traurige Lebensende stellt diesen autobiographischen, dokumentarischen Roman (der im Übrigen auch einen interessanten Einblick auf die politischen Umstände im ehemaligen Jugoslawien und den Konflikten zwischen Serben und Kroaten bietet) in ein besonderes Licht: Soviel Wille zum Überleben, soviel Überlebenskampf und Durchhaltevermögen, immer mit der Angst vor Verfolgung und Verhaftung, solange übersteht Friederike Manner Krieg und Exil – um am Ende an den Verhältnissen im „Frieden“ zu verzweifeln.

Der österreichische Schriftsteller Erich Hackl wird vom Verlag mit diesen Worten zitiert:

„Friederike Manners Roman „Die dunklen Jahre“ ist vieles in einem: Roman der Selbstfindung und Selbstbehauptung einer Frau, Roman von Verfolgung, Flucht und Widerstand, Exilroman, Politthriller, Tagebuch einer Mutter, Chronik der laufenden Ereignisse.
Ein Roman auch über das Versäumnis – und die Folgen dieses Versäumnisses -, nicht rechtzeitig für, sondern nur gegen etwas gekämpft zu haben. Also einer über uns und unsere Gegenwart. Einer der besten Romane überhaupt.“


Informationen zum Buch:

Friederike Manner
Die dunklen Jahre
Edition Atelier Wien
28,00 Euro
ISBN: 978-3-99065-008-0
Auch als E-Book erhältlich

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

3 Gedanken zu „Friederike Manner: Die dunklen Jahre“

  1. „Ich bin ein Fremdling überall…“ – manchmal steckt alles in ein paar Worten. Was für eine beeindruckende Geschichte, die ja auch stellvertretend steht für so viele anderen Flucht-Geschichten bis heute.
    Viele Grüße, Claudia

  2. Wie Claudia schon sagte, manchmal steckt alles in ganz wenigen Worten. Und wie deprimierend, dass sich nichts ändert. Nur die Orte, aber die Menschen müssen immer noch diese Erfahrungen erleben und durchleiden. LG, Anna

    1. Liebe Anna, ja, die Geschichte wiederholt sich und wiederholt sich und man könnte meinen, nichts wird daraus gelernt.
      Viele Grüße von Birgit

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.