Literarische Orte: Waldeinsamkeit mit dem kleinen Ludwig Ganghofer

Man muss das „Schweigen im Walde“ nicht zwingend gelesen haben, aber man kann es gerne mal auf den Spuren von Ludwig Ganghofer genießen. Waldeinsamkeit pur.

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Alle Bilder: Birgit Böllinger

„Kommt man auf der schwäbischen Poststraße von Augsburg her, und fuhr man an den alten Schlössern von Hamel und Aystetten vorüber, so versinkt die Straße in dunklen Fichtenwäldern, die fast kein Ende mehr nehmen wollen. Das ist der Adelsrieder Forst. In der Mitte des Waldes stand ein Kreuz; da wurde vor hundert Jahren eine Bäuerin mit ihrer Tochter von Wölfen zerrissen. Dann wieder Wald und Wald, bis die dunkelgrünen Schatten sich endlich öffnen zu einem hellen, hügeligen Wiesengelände.

An diesem Tor des Waldes sagte wohl mein Vater damals bei jener Winterreise zu der Mutter: »Schau, Lottchen, da fängt mein Revier an! Und vier Stunden braucht man bis zur anderen Grenze.«

Man fährt an dem Dorfe Kruichen, an dem Mühlweiler Ehgarten vorüber; und nach einem Stündchen, das nur vierzig Minuten hat, kommst du im schmalen Tal der Laugna nach Welden im Holzwinkel.“

Ludwig Ganghofer, „Lebenslauf eines Optimisten“, 1909.

Er war der bayerische Karl May, ein Popstar der Literatur jener Tage: Ludwig Ganghofer (1855 – 1920), mit über 40 Millionen verkauften Büchern der Bestseller-Autor seiner Generation, der die Deutschen mit Kitsch und Bergromantik über Jahrzehnte hinweg versorgte. Schon in den Anfangszeiten des Kinos wurden der „Jäger vom Fall“ und andere Alpenschmonzetten verfilmt. Die cineastische Verarbeitung erreichte in den rührseligen 1950er-Jahren ihren Höhepunkt – aber selbst bis in unsere Tage ist Ganghofer, einer der am meist verfilmten Autoren, ein Fall für die Mattscheibe: 2012 flimmerte die Neuverfilmung „Nur der Berg kennt die Wahrheit“ durch die Wohnzimmer.

In dem meiner Oma selig standen mehrere der dunkelgrünen Bücher, die sie, die lange in Garmisch-Partenkirchen gearbeitet und schließlich einen Gebirgsjäger geehelicht hatte, im Schrank mit dem feinen Porzellan und den Souvenirs verschiedener Alpenausflüge aufbewahrte. Gelesen habe ich als Kind wohl einige, doch die Erinnerung daran komplett verloren. Irgendwas mit Herz, Schmerz, reichen und bösen Grundbesitzern, dekadenten Adeligen und armen, aber ebenso tugend- wie wehrhaften Mägden und Junggesellen.

Ob man das „Schweigen im Walde“ unbedingt gelesen haben muss, sei dahingestellt. Aber man kann es im wortwörtlichen Sinne auf Spuren des ganz jungen Ganghofers zumindest für ein paar Stunden genießen. Im 155. Geburtsjahr des Schriftstellers, der als Förstersohn in Kaufbeuren das Licht der Welt erblickte, wurde nahe bei Augsburg ein „Ludwig Ganghofer Lausbubenweg“ eröffnet. 1859 kam die Familie des „königlichen Revierförsters“ August Ganghofer nach Welden, ein kleiner Ort inmitten der sogenannten „Westlichen Wälder“, heute ein großer Naturpark mit vielen Erholungs- und Erlebnismöglichkeiten.

Von der Kleinstadt Kaufbeuren in die Westlichen Wälder

Der kleine Ludwig wurde mit der neuen Umgebung – vom städtischen Kaufbeuren in die 800-Seelen-Gemeinde Welden war es schon ein großer Schritt – gleich heimisch. Fast fünf Jahrzehnte später erinnert sich Ganghofer noch bildhaft und bildkräftig an seine Kindheit im „Holzwinkel“, an Land und Leute in seiner mehrteilig erschienenen Autobiographie „Lebenslauf eines Optimisten“:

„Der Schwabe – das ist ja an sich schon freundliche und gutmütige Menschenart. Und in dem stillen, aus dem Lärm der Welt hinausgeschobenen ›Holzwinkel‹ hatte sich dieser gute Schlag seit Urväterszeiten ungefährdet erhalten. Mit dem liebenswürdigen Temperament des Schwaben paart sich noch das heiter Nivellierende seiner Sprache. Alles Grobe bekommt da eine drollige Milderung. Besonders schön klang das Staudenschwäbisch da draußen im Kolzwinkel freilich nicht. Aber ungefährlich klang es. Und wenn ich in einem Nachbarsgarten auf den Birnbaum kletterte, jagte mir’s keinen sonderlichen Schreck ein, wenn der Bauer vom Scheunentor herüberdrohte: »Geahscht raa, odr i kei di naa!«“

Der Wald rund um Welden wurde zu seinem Refugium, hier zog er los, um mit seinen Freunden allerlei Unsinn zu treiben. An die „Lausbubenstreiche“ (mit seinem Vornamensvetter Ludwig Thoma hatte Ganghofer vieles gemein, später unter anderem auch den unverhohlenen Patriotismus und Kriegsverherrlichung) erinnert der Weg, der mit seinen rund 3,5 Kilometern keine allzu große Herausforderung darstellt und auch mit Kindern gut machbar ist. Trotz der Bemühungen des Tourismusverbandes, auch den Ganghofer im schwäbischen Bayern für die regionale Werbung zu nutzen: Allzu viel los ist auf den Wegen glücklicherweise nicht und so lässt sich bei einem Rundgang ein Hauch von Waldeinsamkeit spüren, so lässt sich auch nachvollziehen, was Ganghofer mit dem, mit „seinem“ Wald verband:

„Es mag wohl bald im ersten Sommer zu Welden geschehen sein, daß ich sehnsüchtig diesem winkenden Grün entgegenzappelte. Des Tages, der mir den Wald gegeben, weiß ich mich nicht mehr zu entsinnen. Aber ich glaube, daß dieser Tag mir den ersten Seelenrausch, das erste klingende Gefühl meines Lebens gab. Denn so weit ich mit klarem Erinnern zurückschaue in die Kindheit: immer steht mir zwischen schönen Dingen der Wald als das Schönste, und immer war mir da ein frohes Zittern im Blute, ein Jubelschrei in der Kehle, ein Staunen in den Augen, ein Gefühl der Erlösung in allen Sinnen, ein geflügelter Traum in all meinem Leben. Und das ist seit meiner Kindheit so in mir geblieben bis zum heutigen Tage – durch ein halbes Jahrhundert.“

Wer übrigens den Rundgang mit einem schwäbischen Essen beschließen will: Eine Adresse dafür wäre der „Landgasthof zum Hirsch“ in Welden, in dem auch eine kleine Ganghofer-Gedenkstätte zu finden ist.

Auch wenn Ganghofer später so brav über die Landschaft seiner Kindheit schrieb, er wollte, in mehr als einem Sinne des Wortes, hoch hinaus, nicht im kleingliedrigen Schwaben verbleiben. Lebens- und Wirkungsstätte wurden München und die Gegend um den Tegernsee im bayerischen Oberland sowie das österreichische Gaistal – wahre Fans finden auch hier ein Museum, in dem der Jäger vom Wald gewürdigt wird.

Weitere Informationen:

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

3 Gedanken zu „Literarische Orte: Waldeinsamkeit mit dem kleinen Ludwig Ganghofer“

  1. Ein Wohl der Bloggerin, die uns auf solch wundermilden Weg in wilde Wälder lockt. 😉 Der Ganghofer liest sich gar nicht schlecht. Aber ich mag ja auch Eichendorff.

    1. Naja, wild sind die Wälder rund um Augsburg auch nicht mehr so – also, ich hab nun nicht gerade Kopf und Kragen für diesen Blogbeitrag riskiert 🙂

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