Erich Mühsam: Sich fügen heißt lügen

„Sich fügen heißt lügen.“ Nach diesem Motto lebte der Schriftsteller und Anarchist Erich Mühsam, der von den Nationalsozialisten ermordet wurde.

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Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

Der Gefangene

Ich hab’s mein Lebtag nicht gelernt,
mich fremdem Zwang zu fügen.
Jetzt haben sie mich einkasernt,
von Heim und Weib und Werk entfernt.
Doch ob sie mich erschlügen:
Sich fügen heißt lügen!

Ich soll? Ich muß? – Doch will ich nicht
nach jener Herrn Vergnügen.
Ich tu nicht, was ein Fronvogt spricht.
Rebellen kennen bessre Pflicht,
als sich ins Joch zu fügen.
Sich fügen heißt lügen!

Der Staat, der mir die Freiheit nahm,
der folgt, mich zu betrügen,
mir in den Kerker ohne Scham.
Ich soll dem Paragraphenkram
mich noch in Fesseln fügen.
Sich fügen heißt lügen!

Stellt doch den Frevler an die Wand!
So kann’s euch wohl genügen.
Denn eher dorre meine Hand,
eh ich in Sklavenunverstand
der Geißel mich sollt fügen.
Sich fügen heißt lügen!

Doch bricht die Kette einst entzwei,
darf ich in vollen Zügen
die Sonne atmen – Tyrannei!
dann ruf ich’s in das Volk: Sei frei!
Verlern es, dich zu fügen!
Sich fügen heißt lügen!

Erich Mühsam, August 1919.

„Erich wie? Mühsam. Erich Mühsam. Tatsächlich wissen heute Viele mit dem Namen nichts mehr anzufangen. Auch in den Reihen der Buchhandlungen sucht man meist vergeblich nach ihm. Ein Symptom dafür, dass die kulturelle Erinnerungsarbeit außerhalb einiger kleiner linksintellektueller Kreise hier jahrzehntelang geschlafen hat. Oder – schlimmer Verdacht – gar schlafen wollte?“

So stand es 2003 in der „Zeit“ zu lesen, als zum 125. Geburtstag des Schriftstellers und Anarchisten Erich Mühsam ihm die Stadt München eine Ausstellung widmete. 2018 lenkt zumindest das Gedenkjahr an die 100 Jahre zurückliegende Revolution in Bayern und das kurze Experiment der Räterepublik wieder das Augenmerk auf diese Namen: Erich Mühsam, Gustav Landauer, Kurt Eisner. Eine Regentschaft der Poesie, schnell niedergeknüppelt.

Wer war dieser Mann, der zeitlebens den aufrechten Gang übte?
Biographisches in aller Kürze:
1878 in Berlin geboren, Kind jüdischer Eltern (1926 trat er aus dem Judentum aus), aufgewachsen in Lübeck. Dort wird der sprachlich begabte Schüler, der früh schon eigene Texte schreibt, 1896 vom Gymnasium wegen „sozialistischer Umtriebe“ verwiesen. Dem Wunsch des Vaters – der eine zeitlang die Lübecker Löwen-Apotheke, heute auch aufgrund ihrer Ausstattung ein Anziehungspunkt für Touristen, betrieb – beginnt Mühsam eine Lehre zum Apothekergehilfen. Das Verhältnis zum Vater bleibt schwierig, wie aus Mühsams Tagebüchern zu erlesen ist:

„Meines Vaters zweiundsiebzigster Geburtstag. Das Datum weckt in mir Gefühle, die fernab sind von kindlicher Freude und fröhlicher Mitfeier. Bei allen guten Gefühlen, die ich mir noch für meinen Vater erhalten habe, bei allem Respekt vor vielen Zügen seines Charakters, bei aller Sympathie, die wohl im Blut liegt, bei allem Mitleid an den mancherlei Nöten die er trägt, an denen selbst, zu denen ich Ursache bin – das Gefühl der Dankbarkeit, das doch im Empfinden des Kindes gegen die Eltern als das natürlichste gilt, ist mir völlig verloren gegangen. Wenn ich mich frage, wofür soll ich ihm danken? so fällt mir in der Tat nichts weiter ein außer der Tatsache, daß er mich gezeugt hat, und die Gedanken, die sich hieran anschließen, sind so bitter, daß sie mir Franz Mohrsche Betrachtungen nahelegen. Wahrhaftig! Daß er mich ernährt hat, erhebt ihn, der es ohne Not konnte, nicht über andre Menschen, nicht über arme Tagelöhner, die viele Kinder vor Hunger schützen und liebend betreuen. Daß er mir einige Schulbildung ermöglichte, solange bis ich selbst mich voll Ekel aus der Schule davonmachte, das ist kein Grund zu Dankgesängen. Tat er es doch gewiß nicht, um mich zu dem zu machen, was ich werden wollte und mußte, zu dem, was ich ward. Für seine Erziehung? Es steigt etwas wie Haß in mir auf, wenn ich daran zurückdenke, wenn ich mir die unsagbaren Prügel vergegenwärtige, mit denen alles, was an natürlicher Regung in mir war, herausgeprügelt werden sollte. Man kannte meine Neigung, Bücher zu lesen. Nie erhielt ich welche geschenkt, und als man dahinter kam, daß ich nachts heimlich aufstand, an den Bücherschrank der Eltern ging und mir die Werke Kleists, Goethes, Wielands, Jean Pauls herausholte, da verschloß man den Schrank und nahm mir die einzige Möglichkeit, meine tiefe Sehnsucht zu befriedigen. Geld bekam ich nie in die Hand.“

2. September 1910

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Gedenktafel für Erich Mühsam an einem Wohnblock in Oranienburg, Berliner Straße Ecke Erich-Mühsam-Straße. Bildquelle: By Jumbo1435 – Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=14039283

Ab 1901 lebt er in Berlin, lernt dort den Schriftsteller Gustav Landauer (Ehemann von Hedwig Lachmann) kennen, zu dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbindet. Hier fällt die Entscheidung, dem bürgerlichen Beruf nicht nachzugehen, hier wird Erich Mühsam zum freischaffenden Schriftsteller.

„Ich wollte Schriftsteller werden, beichtete ich meiner Mutter, als ich glaubte, ich würde es in der Apothekerlehre nicht mehr aushalten. Tränen, Begütigungen, Aufregungen. Schließlich hieß es: gut, mach dein Gehilfenexamen, dann darfst du Schriftsteller werden. Die Mutter starb. Um den Vater in seinem Gram nicht zu kränken, gab ich meiner Schwester Margarete das heilige Versprechen, bis zum Examen würde ich mich von aller Literatur und allen Interessen, die mich bewegten fernhalten, bis zum Gehilfenexamen. Ich hielt das Versprechen. Was es mich gekostet hat, kann kein Mensch ermessen. Ich machte auch das Examen. ¾ Jahre darauf tat ich, was ich tun wollte und mußte. Ich ging nach Berlin als Gehilfe und sprang von dort heraus – in die Neue Gemeinschaft. Jetzt war ich Schriftsteller. Mein Vater in Verzweiflung. Er wollte mich aushungern.“

2. September 1910

Nach Wanderjahren, die ihn nach München, Wien, Paris, Zürich führen, kommt er 1909 nach München. 1915 heiratet er Kreszentia Elfinger, seine „Zensl“: Obwohl anderen Frauen nach wie vor nicht abgeneigt, wird sie seine innige Lebensgefährtin, die ihm auch während der Jahre der Haft Stütze und Hilfe ist. Eines seiner humorvollen Gedichte gibt vielleicht auch die Richtung dieser Beziehung vor:

So warb der Sportsmann Max sein Weib Marie:
“Willst du es mit mir wagen, meine Teure?
Begleite mich zur ewigen Kahnpartie:
Ich rudre dich durchs Leben, und du steure!”

1918 wird Erich Mühsam erstmals zu sechs Monate Festungshaft wegen politischer Betätigung verurteilt. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, nach der Entlassung wieder politisch aktiv zu werden. 1919 wird er, an der Seite seines Freundes Gustav Landauer, einer der führenden Köpfe der Münchner Räterepublik. Nach deren Niederschlagung wird Mühsam zu 15 Jahre Festungshaft verurteilt, fünf Jahre davon, bis zur Amnestie, verbringt er im Gefängnis in Niederschönenfeld (das Gefängnis zwischen Augsburg und Donauwörth existiert heute noch).

Am 15. Oktober 1921 schreibt er in sein Tagebuch:
„Vorgestern waren 30 Monate herum, seit ich von Zenzls Seite aus dem Bett geholt wurde. 2½ Jahre in Haft! Eine nette Spanne Zeit, die mir vom Leben gestohlen wurde. Heut aber ist ein Jubiläum, das auch nicht stillschweigend übergangen werden soll: 1 Jahr Niederschönenfeld! Der Teufel hol’s. Ein Jahr Daumenschrauben, immer fester, immer enger.“

1924 kaum entlassen, nimmt Mühsam, der inzwischen nach Berlin zurückgekehrt ist, seine politischen Tätigkeiten sofort wieder auf. Unmittelbar nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wird Mühsam verhaftet, seine Bücher vom Regime verbannt und verbrannt. Knapp anderthalb Jahre „Schutzhaft“ übersteht Mühsam, ohne von seinen politischen Überzeugungen einen Deut abzurücken. In der Nacht vom 9. auf 10. Juli 1934 wird er von SS-Leuten im KZ Oranienburg ermordet. Zu Tode geprügelt und dann aufgehängt, erzählen Überlebende der KZ-Haft später.

Seine Worte brennen heute noch:

„Anarchie ist Freiheit von Zwang, Gewalt, Knechtung, Gesetz, Zentralisation, Staat. Die anarchische Gesellschaft setzt an deren Stelle: Freiwilligkeit, Verständigung, Vertrag, Konvention, Bündnis, Volk.

Aber die Menschen verlangen nach Herrschaft, weil sie in sich selbst keine Beherrschtheit haben. Sie küssen die Talare der Priester und die Stiefel der Fürsten, weil sie keine Selbstachtung haben und ihren Verehrungssinn nach außen produzieren müssen.“

Das Zitat entstammt einem Aufsatz zur Anarchie, erschienen im Kain-Kalender 1912 – die von Erich Mühsam herausgegebene Zeitschrift „Kain“ mit dem Untertitel „Zeitschrift für Menschlichkeit“ erschien von 1911 bis 1919, allerdings nicht in den Kriegsjahren.

Doch das politische Engagement ist nur eine Seite dieses Schriftstellers, der so viele Talente in sich trug – auch als Kabarettist und mit seinen Zeichnungen wußte er zu unterhalten.

Erinnernswert sind beispielsweise seine Schüttelreime:

„Man wollte sie zu zwanzig Dingen
in einem Haus in Danzig zwingen.“

Mühsam schüttelte neben (oder auch trotz) der zeitaufwändigen politischen Agitationsarbeit scheinbar mühelos noch zahlreiche humorvolle, satirische oder auch ganz liebevolle Texte aus dem Ärmel. Unter anderem schrieb er, beispielsweise gemeinsam mit Hanns Heinz Ewers, als „Onkel Franz“ auch für Kinder. Eines seiner Kindergedichte ist „Der Faulpelz“:

Der Faulpelz

Otto, Otto, lerne!
Lerne dein Gedicht!
Tust du es nicht gerne,
Hilft’s dir dennoch nicht.

In der Schule morgen
Weißt du dir es Dank. –
Otto sitzt in Sorgen
Auf der Gartenbank.

Otto sitzt in Kummer
Unterm Lindenbaum;
Und er sinkt in Schlummer,
Weiß es selber kaum.

Fanny und Lenore
Treiben mit ihm Spaß,
Kitzeln ihn am Ohre
Mit dem Zittergras.

Otto’s Geist ist ferne,
Und er merkt es nicht; –
Otto, Otto, lerne!
Lerne dein Gedicht!

Eines seiner bekanntesten Gedichte ist von zeitloser Aktualität:

Der Revoluzzer

War ein mal ein Revoluzzer
im Zivilstand Lampenputzer;
ging im Revoluzzerschritt
mit den Revoluzzern mit.

Und er schrie: “Ich revolüzze!”
Und die Revoluzzermütze
schob er auf das linke Ohr,
kam sich höchst gefährlich vor.

Doch die Revoluzzer schritten
mitten in der Straßen Mitten,
wo er sonsten unverdrutzt
alle Gaslaternen putzt.

Sie vom Boden zu entfernen,
rupfte man die Gaslaternen
aus dem Straßenpflaster aus.
zwecks des Barrikadenbaus.

Aber unser Revoluzzer
schrie: “Ich bin der Lampenputzer
dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!

Wenn wir ihn’ das Licht ausdrehn,
kann kein Bürger nichts mehr sehen.
Laßt die Lampen stehn, ich bitt! –
Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!”

Doch die Revoluzzer lachten,
und die Gaslaternen krachten,
und der Lampenputzer schlich
fort und weinte bitterlich.

Dann ist er zu Haus geblieben
und hat dort ein Buch geschrieben:
nämlich, wie man revoluzzt
und dabei doch Lampen putzt.


Weitere Informationen:

Tagungen, eine Schriftenreihe, ein Erich-Mühsam-Preis, der Aufbau eines Archivs – dem hat sich die Erich-Mühsam-Gesellschaft verschrieben, die einen Platz im Lübecker Buddenbrookhaus fand (Mühsam und Thomas Mann waren am dortigen Katharineum Schulkameraden): www.erich-muehsam-gesellschaft.de

Seine umfangreichen Tagebücher, die einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Zeitgeschichte leisten, sind in den vergangenen Jahren beim Verbrecher Verlag erschienen. Online zu finden sind sie hier.

Bild zum Download: Stolperstein für Erich Mühsam in Lübeck


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Autor: Birgit Böllinger

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9 Gedanken zu „Erich Mühsam: Sich fügen heißt lügen“

  1. Der Lampenpützer ist eins meiner Lieblingsverse. Ich muss immer daran denken, wenn ich mit verbeamteten SozialdemokratInnen diskutiere. 😉 Dabnke für’s Erinnern.

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