Patricia Highsmith: Zeichnungen

Die Malerin Patricia Highsmith stellt sich in einem ganz anderen Licht dar als der mürrische Mensch Highsmith: Hell, verspielt, harmoniebedürftig.

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Bild: (c) Michael Flötotto

„Warum sollte es erstaunlich sein, daß viele Schriftsteller gerne zeichnen oder bildhauern? Vielleicht versuchen sich einige hie und da auch im Komponieren. Alle Künste sind eins, und jede Kunst – auch das Ballett – ist ein Mittel, Geschichten zu erzählen.“

Patricia Highsmith, „Zeichnungen“


„Sie war nicht nett“: Mit diesem Satz beginnt die 2014 in deutscher Übersetzung erschienene Patricia Highsmith-Biographie von Joan Schenkar („Die talentierte Mrs. Highsmith“, Diogenes Verlag). Das Buch, immerhin über 1000 Seiten stark, zeichnet das Portrait einer ebenso talentierten wie schwierigen Persönlichkeit: Eine misanthropische, geizige, kinderhassende (dafür Katzen und Schnecken liebende), ab und an seltsam dümmlich antisemitische, gruselige Person. Wenn ich auch erst im zweiten Drittel der Biographie stecke – ja, für Highsmith-Fans ist sie empfehlenswert, schon wegen  der Materialfülle und weil es sonst wenig mehr über die amerikanische Schriftstellerin gibt. Zwar hat die Biographie ihre Mängel – manches wird ausgewalzt, wiederholt sich, sie ist, trotz des Umfangs, stark auf den Charakter konzentriert und vernachlässigt die literarische Interpretation der Highsmith-Werke – aber Joan Schenkar hat ihr „Objekt“, die talentierte Mrs. Highsmith gut im Griff. Ihr gelingt die Gratwanderung, die dunklen Seiten der Autorin so darzustellen, dass dies den Respekt für die literarische Leistung nicht mindert. Und – je nach Leser – auch Verständnis wächst für die psychischen Auffälligkeiten der am Ende ihres Lebens von Alkoholmissbrauch und Depressionen gezeichneten Frau.

Die Einsiedlerin im Tessin

„Sie war nicht nett“: Nein, beileibe nicht. Aber sie war trotz (oder hinter) ihrer Schroffheit, ihrer Menschenfeindlichkeit ebenso ein Mensch mit einer harmoniebedürftigen, humorvollen, liebevollen, zärtlich-sehnenden Seele. Die jedoch nicht ans Licht durfte, zu sehr überlagert von der gewachsenen Weltablehnung der Einsiedlerin im Tessin.

Man sollte dennoch beim Lesen der Biographie oder einem der Highsmith-Thriller ein besonderes Buch griffbereit haben: 1995 erschienen, ebenfalls beim Diogenes Verlag, „Zeichnungen“ von Patricia Highsmith. Ließ sie in ihren Texten ihren mörderischen, psychopathologischen Anlagen ihren freien Lauf, so stellt sich die Malerin Patricia Highsmith in einem ganz anderen, helleren Licht dar.

Auch Karriere als Graphikerin war denkbar

In jungen Jahren schwankte Highsmith, die aus einer Graphiker-Familie stammte, zwischen ihren beiden Talenten: Malen oder Schreiben? Wohin die Waagschale ausschlug, wissen wir, spätestens ab dem Erfolg von „Der Fremde im Zug“ war der Zug abgefahren und Patricia Highsmith hauptsächlich, hauptberuflich Autorin. Den Zeichenstift zückte sie vor allem nur noch für das Privatvergnügen, Ausstellungen lehnte sie überwiegend ab. Es war daher eine besondere Geste, dass sie 1994 ihrem Verleger Daniel Keel Einblick gab in ihr bildnerisch-künstlerisches Schaffen. Auch weil die unzähligen Bilder die Geschichte ihres Lebens schreiben. Darunter sorgfältig ausgearbeitete Aquarelle, aber auch flüchtige Bleistiftskizzen, sie alle aber halten Lebensstationen, Orte, Menschen, die geliebten Katzen, Reiseskizzen, Begegnungen, Träume fest – die Highsmith, die sonst in der Öffentlichkeit kaum Privates und Persönliches preisgab, öffnete damit ein Stück ihres Innenlebens. Und sie zeigt ein anderes Gesicht: Die Bilder haben nämlich eines gemeinsam – sie sind überwiegend anmutig-heiter, verspielt.

Unterschiedliche Auseinandersetzungen mit der Realität

Für das Buch, das es nur noch antiquarisch gibt, wählte der Verleger 106 Bilder in chronologischer Reihenfolge aus. Patricia Highsmith, die im Februar 1995 starb, schrieb noch ein Vorwort. Dort betont sie:

„Ich befasse mich lieber mit der helleren Seite der künstlerischen Nebenbeschäftigung, wie Zeichnen und Malen. Meine eigenen Werke nehme ich nicht ernst.“

Für Anna von Planta, die dem Bildband ein Nachwort hinzufügte, sind Zeichnen und Schreiben bei der Highsmith „zwei verschiedene Konfrontationen mit der Realität.“

„Kunst, so hat die Schriftstellerin in Interviews wiederholt zu Protokoll gegeben, sei eine Möglichkeit, die Realität auszuhalten, sie zu kontrollieren. Ganz offensichtlich meinte und brauchte sie dazu beides: Malen und Schreiben.“

Mit dem Schreiben, so meine ich, kontrollierte Patricia Highsmith, nach Graham Greene die „Dichterin der unbestimmten Beklemmung“ ihre Ängste, ihre Wut, ihren Zorn auf die Welt. Im Malen kam dagegen – diese Sprache sprechen jedenfalls die Bilder – ihre Liebe zum Dasein (oder auch die Sehnsucht nach einem anderen psychischen Da-Sein) zum Ausdruck.

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

22 Gedanken zu „Patricia Highsmith: Zeichnungen“

      1. Da bin ich sehr beruhigt! Aber ich finde es witzig, dass Du das auch gerade im Auge hast – es ist ja keine Neuerscheinung und Highsmith als Malerin liegt nicht gerade in der Luft.

  1. Was für ein schöner Beitrag über eine meiner liebsten Autorinnen. Das Unglück der Künstler ist die Freude der Leser oder Zuschauer. Beides gleichzeitig scheint wohl nicht einfach zu sein. Hätte es eine glückliche Patricia Highsmith geben können, mit ähnlich phantastischem Werk?

    Ich habe hier noch das Buch von Marijane Meaker „Meine Jahre mit Pat“ stehen, das werde ich jetzt auch ganz bald mal lesen. Du schürst immer wieder ganz hervorragend meine Highsmith Gelüste 🙂 Lieben Grüße …
    PS – Hattest Du meine Nachricht auf FB gesehen? 🙂

    1. Das ist eine interessante Überlegung – aber ich konnte mir P.H. nie anders als miesepetrig vorstellen, sicher auch geprägt von den Fotos der Autorin aus den letzten Jahren. Aber eine glückliche Frau schreibt sicher keine solche Bücher – und ja, das stimmt, das Unglück des Künstlers nutzt dem Leser (jetzt werde ich beim nächsten Highsmith-Roman ein schlechtes Gewissen haben 🙂

  2. Wow, ein toller Beitrag. Da es das Buch nur noch antiquarisch gibt, musste ich direkt mal schauen, ob es Bibliotheken anbieten. Ja! Der Link führt zum Karlsruher Virtuellen Katalog. Ich habe die Suche auf Deutschland, Österreich und die Schweiz eingegrenzt. Ihr könnt also auch versuchen, das Buch via Fernleihe in Eurer Bibliothek auszuleihen. 🙂

    https://tinyurl.com/Highsmith-Zeichnungen

    Viele Grüße aus Erkrath von Beate Sleegers

  3. Schöner Beitrag von Dir, liebe Birgit. Diese Autorin verstand es wirklich außerordentlich gut, den Leser mit ihren Geschichten zu fesseln, einige ihrer Romane habe ich förmlich verschlungen. Habe mir deshalb jetzt mal den Titel der Biographie notiert, herzlichen Dank für den Tipp!

    Liebe Grüße
    Constanze

    1. Liebe Constanze, ich hab von ihr ebenfalls etliches verschlungen – und das nicht nur einmal. Manche Krimis liest man nie wieder – bei Highsmith ist das anders. Sie hatte so einen eigenen Stil, etwas spröde, sehr psychologisch, großartige Literatur.

  4. „Meine Jahre mit Pat“ habe ich gerade gelesen – und hatte die kleine Idee für einen Highsmith-Beitrag im Hinterkopf, nur ein zartes Gedankenpflänzchen … 😉 Sie war wirklich nicht nett und dieser fürchterliche Antisemitismus zum Schluss, echt gruselig. Aber natürlich gibt es auch immer eine andere Seite. Highsmith und heiter – eine Überraschung.
    Malen und Schreiben – es gibt wirklich viele Doppelbegabungen. Als wäre die Kreativität so übergroß, dass sie sich an mehreren Stellen Luft verschafft, wie ein Dampfdruckkessel, der explodiert.
    Und wie schön, wenn ein Schriftsteller sein eigenes Buch illustrieren darf, wenn er das denn möchte. (Was jetzt natürlich nicht auf die Highsmith zutraf.) Aber wie ich gehört habe, sehen die Verlage das oft anders und wollen ihre Hausillustratoren.

    1. Witzig, offenbar liegt Highsmith wirklich in der Luft. Ich hoffe, Du pflanzst das Pflänzchen noch zu einem Beitrag aus 🙂 Wenn ich mal mit den malenden Literaten durch bin, dann werde ich nach musizierenden Autoren forschen – allerdings weiß ich von keinem Schriftsteller, der auch Ballett tanzt, leider 🙂 Das mit den Verlags-Hausillustratoren ist mir neu – wie schade, da vergeben sich die Verlage doch auch eine Chance …

      1. Hihi 🙂 Nacktklettern ist eh schon eine Kunst. Wie wärs mit einer Serie über Schriftsteller, die sich für bestimmte Tätigkeiten immer nackig machten? Da muss doch was zu finden sein 🙂

  5. Liebe Birigt, was für ein schöner Beitrag! Und wie froh bin ich, dass ich nicht nur die Biographie (allerdings noch weitgehend ungelesen), sondern auch das Buch mit den Zeichnungen im Regal stehen habe … Hatte ich eigentlich schon mal erwähnt, dass ich Talent für vollkommen überschätzt halte 😉 Also im Ernst: Ich habe schon sehr oft die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die in einem Bereich professionell kreativ arbeiten, relativ schnell auch in einem anderen Bereich einen eigenen Ton/Strich/Blick/Ausdruck/Ansatz finden … Viele, sehr herzliche Grüße!

    1. Liebe Jutta,
      ja literarisch-bildnerische Doppelbegabungen gibt es einige (Hermann Hesse fällt mir noch ein, auch Dürrenmatt). Aber als Betrachter von außen: Oft haben die Herrschaften instinktiv wohl doch die stärkere Veranlagung zum Hauptthema gemacht. Und das mit dem Talent: Ja, Du erwähntest es. Ganz unwidersprochen kann ich das jedoch nicht lassen. Wie man derzeit bei der Fußball-EM deutlich sieht: Talent ohne Technik, Disziplin, Einsatzbereitschaft, Übung und die nötige Portion Glück führt nicht unbedingt ins Finale – aber ebenso wenig wirst Du da eine vollkommen talentfreie Mannschaft sehen. „Kicken“ kann fast jeder, der körperlich dazu in der Lage ist – aber fußballspielen eben nicht 🙂

      1. Liebe Birgit, hinsichtlich dieser Talent-Frage besitze ich ja eine gewisse Wadenbeißer-Ausdauer, um mal im Kosmos der Fußballmetaphern zu bleiben: Hatte Patricia Highsmith mehr Talent zum Schreiben oder hat sie (viel) mehr Zeit mit Schreiben als mit Malen verbracht? Wirklich enorm viele Untersuchungen belegen, dass wir den Einfluss von Talent systematisch über-, den von Übung/Praxis unterschätzen. Ich würde weniger Engagement in diesen persönlichen Windmühlenkampf investieren, wenn die Folgen dieser Fehleinschätzung nicht so fatal wären: Für wieviele Menschen ist ihr „fehlendes Talent“ Grund genug, um Dinge erst gar nicht auszuprobieren? Welche Auswirkungen hat es auf Kinder, wenn sie überzeugt sind, dass vieles von ihrem Engagement und ihrer Ausdauer abhängt (wie es realistischerweise ist) oder von ihrem Talent?!
        So. Jetzt schalte ich den Prediger-Modus aus und wünsche dir ein ganz schönes Wochenende!

      2. Liebe Jutta,
        wenn wir uns in der Mitte treffen können, ginge ich d`accord. Genauso wie man Menschen von vornherein kein Talent absprechen darf und ihnen damit den Mut nimmt, etwas auszuprobieren, genauso wenig kann man aber nur durch Engagement, Ausdauer und Übung alles erreichen – eine gewisse Neigung und ein „angeborenes“ Können (um jetzt das von Dir nicht so sehr gemochte Wort Talent zu vermeiden) ist glaube ich, ebenso Voraussetzung. Es liegt nicht nur an der Ausdauer und dem Training, dass ich kein Torwart bin oder Kernphysikerin 🙂

      3. Also ein bisschen weiter als zur Mitte würde ich dich schon gerne ziehen wollen – aber mir ist klar, dass sämtliche Denkgewohnheiten dagegen sprechen. Insofern wäre die Mitte vielleicht ja auch schon ein schönes Etappenziel 😉

      4. Also, je länger ich darüber nachdenke, kommt es mir vor, als wenn es vielleicht auch ein Missverständnis zwischen uns gäbe – anders lässt sich diese ungewöhnliche Differenz ja gar nicht erklären ;)) Also in meinen Werkstätten sage ich immer: Gute Nachricht – Talent wird überschätzt; schlechte Nachricht: Bedeutung von Praxis wird unterschätzt. Kurzversion: um es in einem Bereich zur Meisterschaft zu bringen, braucht man etwa 10000 Stunden oder 10 Jahre intensiver Beschäftigung. Oder nochmal anders: NIcht jede/r kann alles, aber was uns limitiert ist vielmehr unsere mangelnde Praxis als unser mangelndes Talent … sehr herzliche Grüße!

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