
Ein Beitrag von Florian Pittroff
Es hätte auch ein dickes, unspannendes Sachbuch werden können. Aber weit gefehlt. Es ist ein außergewöhnliches Buch und ein interessantes zugleich geworden. Volker Weidermann erzählt auf 284 Seiten ein eigentlich trockenes Kapitel der deutschen Geschichte wie einen spannenden Roman, ja fast wie einen Krimi.
Wann gab es das schon einmal – eine Revolution, durch die die Dichter an die Macht gelangten? Doch es gibt sie, die kurzen Momente in der Geschichte, in denen alles möglich erscheint, heißt es im Klappentext. Und das Buch selbst startet mit den Worten: „Natürlich wäre es ein Märchen gewesen, nichts als ein Märchen, das für ein paar Wochen Wirklichkeit geworden war. Und jetzt war es eben vorbei“.
Zur Zeit der Münchner Räterepublik
Wir schreiben das Jahr 1919. Es ist die Zeit der Münchner Räterepublik und der Leser ist immer am Ort des Geschehens. Eben nicht nur dabei, sondern mittendrin als Augenzeuge der Geschehnisse damals in München. Das Buch von Volker Weidermann fängt Stimmen und Stimmungen in dieser hochexplosiven und aufgeladenen Atmosphäre sehr gut ein.
Fast könnte man sagen, der Leser ist auf Du und Du mit Kurt Eisner, Erich Mühsam, Rainer Maria Rilke, Oskar Maria Graf, Thomas Mann und all den anderen. Volker Weidermann erklärt nicht nur, sondern entwickelt eine spannende und gleichzeitig leichtfüßige Geschichte, die eher als Roman denn als Erklärstück durchgeht. So macht Geschichte Spaß. Wäre es so mal in der Oberstufe des Gymnasiums gewesen.
Oskar Maria Graf in seiner Lederhose
Da pilgert zum Beispiel Oskar Maria Graf mit Lederhose durch München, rettet einen Soldaten vor Prügeln, um danach aber irgendwie den Anschluss an die Revolution zu verpassen und lieber im „Franziskaner“ Bier und Wurst bestellt. Da kommt Thomas Mann nicht besonders gut weg: „Hört, ich bin weder eine Jude, noch ein Kriegsgewinnler, noch sonst etwas Schlechtes, ich bin ein Schriftsteller, der sich dies Haus (seine Villa in Bogenhausen) von dem Gelde gebaut hat, das er mit seiner geistigen Arbeit verdient. (…).“ Das mit dem Verdienst durch geistige Arbeit stimmte so nicht ganz: Das Haus hatte noch vor dem 1. Weltkrieg die mit dem reichen jüdischen Mathematikprofessor Alfred Pringsheim verheiratete Schwiegermutter bezahlt. Weidermann: „Mann war in diesen Tagen von antisemitischer Stimmung ganz erfüllt und er war sicher, dass München (…) diese fundamentale Abneigung mit ihm teilte“.
Eine Besonderheit dieses Buches sind eben diese Worte und Sätze, die Weidermann den Protagonisten in den Mund legt. Ob Oskar Maria Graf, Ernst Toller, Erich Mühsam oder all die anderen dies tatsächlich so gesagt haben, dafür gibt es natürlich keine wirklichen Belege. Das tut in diesem Falle auch nichts zur Sache. Die Zitate machen das Buch zu einem einfühlsamen und lebendigen Werk. Sie untermauern die Gefühle, das Denken und die Beweggründe aller Personen, die sich in München in den Jahren 1918/1919 Gedanken umdie Zukunft Deutschlands und Bayern gemacht haben.
Last but not least erfährt der Leser dann in einem Nachwort noch, wie es weitergegangen ist, mit dem einen oder anderen Dichtern nach diesen rauschhaften Tagen.
Informationen zum Buch:
Volker Weidermann
Träumer – Als die Dichter die Macht übernahmen
Kiepenheuer & Witsch, 2017
ISBN: 978-3-462-04714-1
Über den Gastautor:
Florian Pittroff ist Magister der Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte und arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Journalist und Texter. Seine Buchbesprechungen waren unter anderem zu lesen im Kulturmagazin „a3kultur“ und im deutschsprachigen Männermagazin „Penthouse“. Er verfasste Kulturbeiträge für das Programm des „Parktheater Augsburg“, war unter anderem verantwortlich für die Medien- & Öffentlichkeitsarbeit des kulturellen Rahmenprogramms „City Of Peace“ (2011) und die deutschsprachigen Slam-Meisterschaften (2015) in Augsburg. Florian Pittroff erhielt 1999 den Hörfunkpreis der Bayrischen Landeszentrale für neue Medien für den besten Beitrag in der Sparte Kultur.
Danke für diese Besprechung. Teile daraus hatte der Bayerische Rundfunk als Lesung präsentiert.
Nun ist mir nicht recht klar, ob es sich um eine historische Betrachtung handelt mit belegten Zitaten oder um eine Art von Doku-Fiktion nach dem Motto: “So hätte es sein können …”. Darüber etwas Klarheit zu bekommen, hilft mir beim Lesen und Einordnen. Wobei gleichwohl Goethes Motiv anklingt von “Wahrheit und Dichtung”.
Lieber Bernd, ich kenne das Buch selbst (noch) nicht – es ist ja ein Gastbeitrag von Florian. Ich habe nur mal in es reingeschaut, da es mich thematisch interessiert und hatte den Eindruck, es ist, ähnlich wie “Ostende” von Weidermann doch dem Genre Doku-Fiktion eizuordnen. Liebe Grüße, Birgit