Vicki Baum: Makkaroni in der Dämmerung

Sie bezeichnete sich selbst als „erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte“. Dabei ist die leichte Muse hohe Kunst – und das beherrschte Vicki Baum perfekt.

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Bild von Polly Guimaraes auf Pixabay

„Ihr Männer – sagen die Frauen – lebt überhaupt noch in einem anderen Jahrhundert wie wir. Ihr seid altmodisch, verlogen und nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Ihr wollt Fransen und Draperien der Achtzigerjahre um die Liebe. Ihr wollt blauen Dunst machen und blauen Dunst vorgemacht bekommen. Ihr liebt gar nicht uns Frauen von Fleisch und Blut, ihr liebt nur euren Traum von uns. Gut, wir haben Geduld. Wir wollen gerne noch fünfzig Jahre warten, bis ihr kapiert hat, daß wir auch ohne Schwindel miteinander auskommen können.“

Vicki Baum, „Makkaroni in der Dämmerung“
Zitat aus „Variationen der Liebe“, ursprünglich erschienen 1928 in „Die Dame“

Zugegeben: Manches wirkt inzwischen etwas aus der Zeit gefallen an diesen Feuilletons. Dies eben nicht nur, wenn Vicki Baum von aktuellen Kulturereignissen erzählt oder von den angesagten Modetrends der Zwischenkriegszeit, sondern insbesondere dann, wenn die gutbürgerliche Bildung aus ihr herausbricht, sie von der Disziplin kleiner Ballettelevinnen schwärmt oder über das Kleid einer Schauspielerin und dessen Schicksal sinniert. Da schmiegt sich einmal zu oft ein Stoff „zärtlich“ an die Trägerin, da weht eine Brise zu viel Parfüm durch die Zeilen.

Aber dennoch: Der Stempel der bloßen Unterhaltungsschriftstellerin, der hängt der 1888 in Wien geborenen Hedwig Baum zu Unrecht an. Denn aus ihren Texten spricht ebenfalls die Stimme einer unabhängigen, willensstarken Frau, die ihre Umgebung mit milde-kritischen Augen betrachtet. Und die, wenn sie in ihren Augen obsolet und hinderlich sind, bereit ist, über Konventionen hinwegzugehen. Das macht insbesondere manche ihrer Feuilletonbeiträge alters- und zeitlos – wer beispielsweise ihren journalistischen Selbstversuch liest, bei dem sie sich einer Hormonbehandlung als Jungbrunnen-Wunderkur unterzieht, der wird den ironischen Unterton genießen. Und an den Botox-Wahn unserer Tage denken.

Schriftstellerin mit enorm hohen Auflagen

Dass sie mehr war als eine unterhaltsame Schriftstellerin, die hohe Auflagen erzielte – allein das macht Autoren ja bis heute noch in gestrengen Kritikerkreisen „verdächtig“ – wird besonders an einer Textart deutlich, mit der man ihren Namen heute nicht mehr unmittelbar verbindet. Bekannt sind nach wie vor einige der rund 30 Romane – allen voran natürlich „Menschen im Hotel“ -, die sie neben zahlreichen Drehbüchern und Theaterstücken in Europa und den USA verfasste und die immer wieder aufgelegt werden. Wie bei allen „Vielschreibern“ ist da manches stärker, manches schwächer in der Form. Wie sehr sie jedoch die Klaviatur des Schreibens beherrschte, zeigen die Essays und Artikel, die Vicki Baum für Zeitschriften und Magazine verfasste. Sie war eine sehr gute Handwerkerin, die bei aller Produktivität Form und Sprache nicht vernachlässigte, an ihnen feilte, bis ihren Artikeln dieser spezifische Hauch von Leichtigkeit anhing – und man weiß ja: Schwer ist oft das Leichte.

Nach dem Roman, der ihr den Durchbruch brachte, „Stud. chem. Helene Willfüer“, 1928 beim Ullstein Verlag erschienen, wurde Vicki Baum von Ullstein als Vertreterin der neuen Frau aufgebaut. Unter anderem wurde sie Leiterin der literarischen Beilage der Frauenzeitschrift „Die Dame“ und wurde damit zum Zugpferd für eine neue Generation von Leserinnen. Und vor allem hier, in der „Dame“, aber auch in anderen Publikationen der Weimarer Republik konnte Vicki Baum sich der „kleinen Form“ widmen, jener essayistisch-literarischen Form, die hohe Könnerschaft und Beherrschung des Handwerks voraussetzt: Denn die Kürze zwingt zur Konzentration, jeder Satz, jeder Punkt muss sitzen, für langatmige Abschweifungen ist kein Raum.

Veronika Hofeneder stellte die Feuilletons zusammen

Dass man diese Leichtigkeit nun an einem Stück genießen kann, ist der Literaturwissenschaftlerin Veronika Hofeneder zu verdanken, die die Feuilletons aus den drei großen Stationen von Vicki Baum – Wien, Berlin und Hollywood – als Herausgeberin für den Band „Makkaroni in der Dämmerung“ zusammenstellte und mit einem klugen Vorwort versah. Sie ordnet die Rolle der Autorin, die für viele Zeitgenossinnen imagebildend wurde – Ehefrau und Mutter mit eigener beruflicher Karriere und Selbständigkeit – in den gesellschaftlichen Kontext ein:

„Baums Artikel über Mode, Kosmetik und Schönheit sind mehr als bloße Lifestyle-Kolumnen, sie nutzt diese geschickt, um den zeitgenössischen Diskurs über ein neues Geschlechterrollenverständnis kritisch zu beleuchten. So anerkennt sie zwar die vielfältigen Errungenschaften und Freiheiten, die durch die neue Frauenrolle etabliert werden konnten, sieht aber auch gleichzeitig die erneute Vereinnahmung dieses Potenzials durch männliche Denkweisen, die die Neue Frau wieder als Konstrukt einer patriarchalischen Gesellschaftsordnung missbrauchen.“

Oder, wie Vicki Baum sagen würde: Die Männer behängen auch die Neue Frau mit ihren Fransen und Draperien.

Protest gegen die Mode

Fransen und Draperien: Alltäglichster Ausdruck für geschlechtsspezifische Rollenfestlegungen ist die jeweils aktuelle Mode, die gar das Zeug zum „Diktat“ hat. In ihrem lebhaften „Protest gegen die Mode“, 1929 in der „Vossischen Zeitung“ veröffentlicht, entfaltet Vicki Baum ihr ganzes essayistisches Temperament. Und zeichnet dabei ein plastisches Bild vom Leben einer berufstätigen Frau der Weimarer Republik:

„Büro, Geschäft, Laboratorium, Amt, Sprechstunde oder was sonst es ist, wo die Majorität der Frauen ihre Zeit zubringt, wenn sie nicht Hausfrau ist und in Marktgängen, Küche, Kinderzimmer und Flickwinkel ganz bestimmt kein kostspielig konstruiertes Zipfelkleid verwenden kann. Man hat nicht nur am Vormittag zu tun, sondern auch am Nachmittag und oft auch noch abends. Man rennt Autobussen nach, fährt Untergrundbahn, trifft sich für eine halbe Stunde im Kaffeehaus, wenn es hochkommt, man jagt vom Büro in Vorträge, mal auch ins Theater – wie soll man das machen, mit dem langen Schlurz untenrum, den die Mode für den Abend diktiert?“ (…)

Man kann auf die Frau von 1930 nicht die Mode von 1900 propfen; ebenso gut könnte man hingehen und auf unsere Autos gußeiserne Ornamente löten oder Gipsfassaden auf die neuen, glatten Häuserfronten kleben. Ich mache da nicht mit – wer noch?“

In diesem kurzen Textauszug sind auch weitere Themen zu finden, die die Literatur der Weimarer Republik prägten, das Pulsieren der Großstadt, der Rhythmus der Zeit – und diesen hielt Vicki Baum in vielen ihrer Feuilletonbeiträge fest, die inhaltlich weit breiter aufgestellt sind, als zu ahnen ist.

Keine Angst vor Kitsch

Dennoch hing ihr zeitlebens und hängt ihr bis heute der Ruf an, „eine erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte“ (ihre Selbstcharakterisierung) zu sein. Wie sehr sie das wohl beschäftigte, ist auch ihrem 1931 im „Uhu“ erschienenen Beitrag „Angst vor Kitsch“ abzulesen: Ein beinahe trotziges Bekenntnis der Autorin, ein Plädoyer, Mut zum Gefühl zu zeigen (auch in der Literatur). Herrlich zu lesen für jeden, der ebenfalls ab und an von Sentimentalitäten geplagt ist – leicht, ironisch und herzerwärmend:

„Was den Geschmack betrifft, da kann man sich immer blamieren, so oder so. Aber was das Gefühl angeht: Wohl dem, der hat, und das ist meistens richtig.
Und dann, ihr Lieben: Macht euch nicht so wichtig. Kompliziert euch das Dasein nicht unnütz. Habt nur Courage. Spürt nur. Lebt nur.
Auf alles andere kommt es so gar nicht an.“

Vicki Baum hatte sie wohl, diese Courage – und brauchte sie auch. Denn in ihrem eigenen Leben kostete das Jonglieren – einerseits disziplinierte Familienfrau, andererseits die erfolgreiche, reiselustige und berufstätige Autorin – einen hohen Preis. Die Fassade der perfekten Frau erhielt sie lange Jahre ihres Lebens trotz ihrer Alkohol- und Tablettenabhängigkeit aufrecht – oder vermochte dies vielleicht nur mit diesen Hilfsmitteln aufrecht zu erhalten. Sie wollte um jeden Preis funktionieren: Auch darin, über die individuelle Lebensgeschichte hinaus, ist sie eine typische Vertreterin vieler Frauen ihrer Generation. Depressionen, Zusammenbrüche und eine 1950 diagnostizierte Leukämie prägen ihre letzten Lebensjahre. Und dennoch charakterisieren sie die Geschwister Erika und Klaus Mann als eine Frau, deren hervorstechende Eigenschaft Furchtlosigkeit war.

Und deshalb ein Appell an furchtlose Leser(innen): Lest Vicki Baum, lest sie genau und ohne Vorbehalte im Kopf – ein Gewinn kann dann die Erkenntnis sein, wie zeitlos gut auch leichte Unterhaltung sein kann.

Informationen zum Buch:

Vicki Baum
Makkaroni in der Dämmerung
Herausgegeben von Veronika Hofeneder
edition atelier, Wien, 2019
ISBN: 978-3-99065-025-7

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

16 Gedanken zu „Vicki Baum: Makkaroni in der Dämmerung“

  1. Liebe Birgit, was für eine schöne schöne Besprechung!! Ich lese derzeit auch noch wohl dosiert – und ja, dass Leichtigkeit leider auch heute ein Gschmäckle hat, obwohl sie doch so wichtig und gar nicht so leicht zu erreichen ist, ist schade. Aber dagegen werden wir angehen :). Danke für diese wirklich tolle Rezension. Vicki Baum ist eine meiner Heldinnen – auch wenn sie wie wir Frauen oft, perfekt sein wollte und funktionieren, ich kann Erika und Klaus Manns Eindruck der Furchtlosigkeit nur teilen. LG, Bri

    1. Danke! Ich glaube, dieses skeptische Beurteilen der „leichten Muse“, das ist schon sehr typisch deutsch – gestern wie heute.

  2. Liebe Birgit, auch diese Buchbesprechung wieder wunderbar, ich lerne etwas über die Frau, die „Liebe und Tod auf Bali“ oder „Flut und Flamme“ geschrieben hat, diese beiden kenne ich von ihr und es geht darin um so viel mehr als nur Drama vor exotischer Kulisse. Nun rundet und bereichert sich mein Bild von ihr wieder um das Hintergrundwissen über diese kluge, erzählgewaltige Schriftstellerin, das lässt ihre Bücher noch einmal anders, tiefer, im Rückblick auf mich wirken.
    Viele liebe Grüße von Stefanie Karfunkelfee

    1. Liebe Stefanie,
      Liebe und Tod auf Bali liegt schon länger hier, das muss jetzt mal gelesen werden – Vicki Baum war ja auch eine, die viel gereist ist, man kann also getrost von profunden Ortskenntnissen und guten Schilderungen ausgehen – und Bali klingt so verlockend 🙂 Liebe Grüße, Birgit

      1. Liebe Birgit, das ist das Besondere an dem Buch: als ich es aus hatte, war es als sei ich auf Bali gewesen, so genau beschreibt sie diese Welt, die Kultur und die Mentalität. Sie denkt sich tief in ihre Figuren ein und seit diesem Buch weiß ich wie Lepra sich als Krankheit äußert. Die Geschichte, die sie erzählt, ging und geht mir heute noch nah…
        Nun ja. Du wirst es herausfinden und ich beneide Dich grad etwas, weil Du es noch nicht kennst und entdecken darfst. Viel Spaß und Lesefreude wünsche ich Dir dabei.
        Liebe Grüße von Stefanie

  3. Hallo Birgit,

    danke für diese wunderschöne Rezension. Ich bin erstmals vor rund zwei Monaten auf deinem Blog gelandet, wollte nun aber endlich mal das überfällige Lob aussprechen.

    Deine Seite finde ich echt klasse und unterhaltsam.

    Viele Grüße
    Laura

  4. Deine Besprechung ist klasse und macht riesige Lust auf Vicki Baum. Ich kenne nur „Menschen im Hotel“ (habs leider nicht mehr) möchte aber sehr gerne mal wieder was von ihr lesen 🙂

    1. Du kannst ja einige der Essays (z.B. der Selbsttest bei den Verjüngungskuren) in Deine SciFi-Reihe integrieren 🙂

    1. Mach das unbedingt – das passt ja auch zu Deinen Lesevorlieben außerhalb der Neuerscheiunungswelle 🙂

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