Dinçer Güçyeter: Aus Glut geschnitzt

Schon der Titel dieses Buches lässt die Leidenschaft erahnen, die diese Verse prägen. „Aus Glut geschnitzt“ heißt der Gedichtband von Dinçer Güçyeter.

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Bild: (c) Michael Flötotto

Liebste!
werden wir es wagen
barfuß zu laufen
über dieses Feuer

Schon der Titel dieses Buches lässt die Leidenschaft erahnen, aus denen diese Verse geschmiedet sind. Es sprühen die Funken in diesen Zeilen: „Aus Glut geschnitzt“ hat Dinçer Güçyeter seinen inzwischen dritten Gedichtband genannt. Sie sind ganz offenbar einem Herzen und Hirn entsprungen, das glüht, das brennt, das sich manchmal auch verbrennt:

Auf einem trockenen Kastanienzweig
hat mich der Morgenwind vergessen
mein aufgebraustes Dichterherz
bleibt die Brücke über alle Flüssen

Nicht mehr/weniger als diese Gedichte – das stellt Dinçer Güçyeter als denkbar knappste Selbstvorstellung auf dem Buchumschlag seinem Portraitfoto zur Seite. Was auch sagen will: Hier, in diesen Zeilen, steckt mein ganzes Ich, mit Herzblut geschrieben, aus Glut geschnitzt.

Es ist keine sachlich-nüchterne Lyrik, sondern Poesie – manchmal zart, manchmal brachial, manchmal verletzlich und gewalttätig zugleich. Und natürlich drehen sich viele der Verse um eine der elementarsten, wenn nicht gar die elementarste menschliche Leidenschaft: Die Liebe.

welche Erinnerung ich auch aufschlage
deine zitternde Handschrift flickt die Gegenwart
die Sonne küsst meine Brust
mit aufgerissenen Lippen

Mag sein, dass diese Zeilen an eine Geliebte gerichtet sind. Es mag aber auch sein, sie sind eine Widmung an die Mutter, den Vater. Denn Güçyeter wechselt immer wieder die Sichtweise, die Perspektive, den Adressaten in diesem Gedichtband, der vor allem auch eine Reminiszenz an das verlorene Paradies der Kindheit ist. Beeindruckend der Tonfall im Gedichtreigen „Konzert für Kinder und Nächte“, anrührend die Erinnerungen „an den Jungen, den Jungen mit der grünen Strickjacke“ – der Junge, in Deutschland geboren, der hier selbst zum Vater wird, in diese Kultur hineinwächst und dennoch den Samen der anderen Kultur mit den Eltern eingepflanzt bekam. Diese doppelte Prägung machen auch die Faszination der Gedichte aus: Da hat einer keine Scheu, fast schon ornamentale Sprachgewinde zu knüpfen, da pocht das Erbe der Märchenerzähler an die Tür, das dann wiederum durchbrochen wird durch alltägliche Szenerien, durch ein ganz und gar prosaisches Bild.

der verirrte Pfau klopft in der Morgendämmerung ans Fenster
jeder weiß: eine Brotdose kostet hier 3 Überstunden
aber dafür …

Dinçer Güçyeter, der 1979 in Nettetal zur Welt kam, hat anatolische Wurzeln: Seine Eltern kamen als Arbeitsmigranten nach Deutschland. Ihnen hat der Dichter mit diesem Band ein Denkmal gesetzt – voller Liebe für die Mutter, voller Respekt, wie sie ihr hartes Arbeitsleben bewältigte. Im Ringen und in der Abgrenzung, aber auch mit Hingabe an den Vater, der in manchen Bildern fremd und distanziert erscheint.

keiner will es glauben, aber…
der Tod eines Vaters ist die zweite Geburt des Sohnes

Und so rührt es auch sehr an, wenn der Schreibende seinem eigenen Sohn etwas auf den Weg mitgibt:

höre auf deinen Papa: sei ein Schmetterling, finde die Blütenlichter
nimm nicht den gleichen Weg, aber höre auf den verlorenen Dichter
(…)
warte nicht auf bessere Zeiten, nie auf das milde Wetter
springe auf den Schlitten, spalte den Schneesturm
ruhe nie im süßen Apfel, die Messer sind scharf

„Sei Schnitt, sei Schlitz, sei Wunde“: Die Verse von Dinçer Güçyeter sind dies. Viel Anerkennung bekam dieser auch optisch augenfällige und außergewöhnliche Gedichtband von Gerrit Wurstmann bei Signaturen:

„Hör zu“, fordert uns der Dichter auf, und was er zu erzählen hat, ist oft erschütternd. Seine Verse sind ein Brennglas auf die Untiefen der Realität; das Schöne findet sich nur als Wunsch, Fantasie, Erinnerung, hier und da blitzt oder glüht es auf zwischen all den Schrecken von Flucht, Ausbeutung und Gewalt, denen als Kontrapunkt die unschuldige Naivität des kindlichen Blicks entgegengesetzt wird.

Es wäre schön, wenn der Dichter noch viele Zuhörer fände: Denn auch wenn man die Lyrik von Dinçer Güçyeter nicht auf diesen einen Kern reduzieren kann, so ist sie doch auch ein Zeugnis jener Ausdrucksform, jener Sprache, die erst zwischen dem Zusammenkommen zweier Kulturen wächst und uns bereichern kann. Immer wieder fühlte ich mich beim Lesen an den berühmten Satz von Max Frisch erinnert: „Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen.“

Menschen, die ein großes Stück ihrer alten Heimat, ihrer Kultur, ihrer Tradition mitbringen und wie in einem Granatapfelkern verschlossen ihren Kindern einpflanzen – und daraus entsteht eine wunderbare Sprache, die beide Welten in sich vereint.

Nicht unerwähnt darf bleiben, dass das Buch auch optisch ein Schmuckstück ist. So wird auf dem „Rosinante Literaturblog“ geschwärmt:

„Überhaupt hat man das Gefühl in einem Märchenbuch zu blättern. Das ist auch der phantastischen Bebilderung dieses farbenprächtigen Bandes geschuldet. Kunstvolle Collagen, Fotos von Yavuz Arslan und Ornamente auf türkisem Grund inszenieren das Zusammenfließen der Magie geträumter Möglichkeiten und den Gesichtern des Alltags in ganz herausragender Weise. Aber sie hüten sich davor zu erschrecken.“

D`accord!

Informationen zum Buch:

Dinçer Güçyeter
Aus Glut geschnitzt
Elif Verlag, 2017
ISBN 978-3-946989-09-7

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

8 Gedanken zu „Dinçer Güçyeter: Aus Glut geschnitzt“

  1. Liebe Birgit,
    danke für diese neuerliche Empfehlung. Die Erfahrung, Stimme und Poesie der „Neuen Deutschen“ bildet die Sprache weiter, das Denken und Leben:
    „welche Erinnerung ich auch aufschlage
    deine zitternde Handschrift flickt die Gegenwart
    die Sonne küsst meine Brust
    mit aufgerissenen Lippen“
    Solch ein Gedicht genieße und meditiere ich, fragend auch, wie das digitale Schreiben samt Emoticons die Handschrift transformiert. Hier präsentierst Du eine junge leibliche Handschrift. –
    Dazu mag ich eine Erinnerung aufschlagen: Vor Jahren war ein besonderes Erlebnis, für den Kulturladen beim Stadtteilfest eine „Gedichtwerkstatt“ zu arrangieren. Die Stiftung Lesen hatte mit mehreren Kooperationspartnern im Gedenken an Schillers 200. Todestag einen Wettbewerb aufgelegt: „Ich schenk dir ein Gedicht.“ Nebenan konnte die „Geschichtswerkstatt“ die neue Stadtteil-Geschichte vorstellen; und an diesem Tisch ging es bei der Gedichtwerkstatt um Gedichte. Spiele mit Buchstaben und Wörtern mit der Einladung, ein Gedicht vorzutragen oder zu schreiben. Einige Erwachsene ließen sich darauf ein, viele Kinder kamen mit Poesie-Alben-Gedichten, und ein Junge lieferte ein komplettes Fontane-Gedicht. Mit meinem Kollegen galt es, die Beiträge zu jurieren und auf der Bühne die Buchpreise zu verleihen. –
    Mit Blick auf die migrantische Dichtung in Bayern möchte ich Dir schließlich gerne den Wahl-Oberfranken Nevfel Cumart ans Herz legen, der nicht nur mit seiner eigenen Lyrik hervortritt, sondern auch mit seinen Schreibwerkstätten, Übersetzungen und kulturellen Brücken: http://www.nevfel-cumart.de/
    Schöne Grüße und Lese-Stunden am Wochenende, Bernd

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