Philip Kerr: Die Hand Gottes

Der schottische Autor Philip Kerr liefert einen soliden Krimi zur Überbrückung der fußballfreien Sommerpause ab. Ein Gastbeitrag von Florian Pittroff.

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Bild: Florian Pittroff, https://flo-job.de/

Ein Gastbeitrag von Florian Pittroff

Fußballfreie Zeit – außer Confed Cup eben, aber der ist für echte Fans nicht ganz so prickelnd – da hab ich mir mal wieder einen Fußballroman angelacht: „Die Hand Gottes“ von Philip Kerr. Eines vorweg: Wer einen rasanten Thriller erwartet mit Action und Dramatik, bei dem die Spannung über den ganzen Roman hochgehalten wird, der sollte besser zu einem anderen Buch greifen. Dieser Roman ist nun wirklich alles andere als ein Thriller, auch wenn das Buchcover es so anpreist. Den Geschehnissen fehlt die Dramatik, Spannung ist etwas anderes. Der Roman ähnelt eher einer zwar soliden, aber langweiligen WM-Vorrunde, in der sich alle abtasten – ein spannendes Spitzenspiel sieht anders aus.

Hexenkessel im Karaiskakis-Stadion

Der Plot ist dennoch nicht schlecht, so dass man das Buch nach den fast 400 Seiten recht zufrieden weglegen kann: Griechenland im Hochsommer. Die Sonne brennt, auf den Rängen im Hexenkessel des Karaiskakis-Stadions toben die Fans. Scott Manson, Cheftrainer und Ermittler wider Willen und sein Team vom skandalträchtigen Erstligisten London City wollen nur das Champions League Spiel gewinnen und nichts wie zurück ins kühle England. Da bricht Scotts Topstürmer vor laufenden Kameras tot zusammen. Die griechische Polizei stellt die gesamte Mannschaft unter Verdacht, der ukrainische Clubchef und Ex-Mafiaboss Sokolnikow verlangt schnelle Aufklärung. Doch als wenig später ein totes Escortgirl aus dem Hafenbecken von Piräus gefischt wird, weiß Scott, dass der Schuldige nicht unter seinen Spielern, sondern in der Chefetage von London City zu finden ist. Ein Spiel gegen den Gegner aus den eigenen Reihen beginnt.

Hintergrundwissen aus der englischen Fußball-Szene

Der Autor verfügt über gut recherchiertes Hintergrundwissen aus der englischen und internationalen Fußball-Szene. Es ist auch etwas echt Besonderes, in einer fiktiven Geschichte reale Fakten über den aktuellen Profifußball zu erfahren. Und Kerrs Liebe zu Hertha BSC in den Roman einzubauen, ist zudem ein toller Kniff. Im Verlauf der Geschichte gibt es dann sogar einiges über Griechenland in Erfahrung zu bringen, über die dortige Wirtschaft, die Spannungen in der Gesellschaft und die Schwierigkeiten der Bevölkerung.

Allerdings kommen viel zu viele Charaktere vor – sich die Rolle und Bedeutung jeder Figur zu merken, wird durch die Vielzahl der doch recht komplexen, aber dennoch ähnlichen Namen der griechischen Protagonisten nicht gerade erleichtert. Man muss schon „höchschte Konzentration“ bewahren, wie Bundestrainer Löw zu sagen pflegt, und ab und an zurückblättern, um sich nochmals zu vergegenwärtigen, wer nun eigentlich wer ist und was er bisher für eine Rolle gespielt hat. Das unterbricht den Lesefluss und lässt auch die wenigen spannenden Momente meist im vor- und zurückblättern verpuffen, insbesondere auf den ersten einhundert Seiten. Das Ende wirkt auf mich ein wenig zu sehr konstruiert.

Eher ein grundsolider Kriminalroman denn ein echter Thriller. Oder um es mit dem Augsburger Dichter Bert Brecht zu sagen, der mit Fußball nichts am Hut hatte: “Wir stehen selbst enttäuscht und sehr betroffen – den Vorhang zu und alle Fragen offen“.


Informationen zum Buch:

Philip Kerr
Die Hand Gottes
Klett-Cotta Verlag, 2017
ISBN: 978-3-608-50342-5


Über den Gastautor:

Florian Pittroff ist Magister der Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte und arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Journalist und Texter. Seine Buchbesprechungen waren unter anderem zu lesen im Kulturmagazin „a3kultur“ und im deutschsprachigen Männermagazin „Penthouse“.  Er verfasste Kulturbeiträge für das Programm des „Parktheater Augsburg“, war unter anderem verantwortlich für die Medien- & Öffentlichkeitsarbeit des kulturellen Rahmenprogramms „City Of Peace“ (2011) und die deutschsprachigen Slam-Meisterschaften (2015) in Augsburg. Florian Pittroff erhielt 1999 den Hörfunkpreis der Bayrischen Landeszentrale für neue Medien für den besten Beitrag in der Sparte Kultur.

www.flo-job.de

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

9 Gedanken zu „Philip Kerr: Die Hand Gottes“

  1. Vielen Dank für die schöne, augenzwinkernde Rezi (höschste 🙂 ). Mir hat der Vorgängerband eigentlich ganz gut gefallen („Der Wintertransfer“) – kennst Du den zufällig? Wenn ja, wie ist der 2. Scott-Manson-Band im Vergleich mit dem ersten?
    Liebe Grüße!

    1. Ich selbst kenne gar kein Buch von Philip Kerr – ich frag mal Gastautor Florian, wie es mit seiner Einschätzung aussieht 🙂 Höchschte Konzentration, das isch für den Augschburger schon was 🙂

      1. Danke, das wäre lieb! Kerr hat in den 90ern einige fantastische Bücher geschrieben (Krimi-Trilogie im Nazideutschland und „intelligente Science-Fiction“ (wie man das damals nannte: „Das Wittgenstein-Programm“ und „Game Over“) Die späteren Bücher waren immer, hm, okay, konnten mich aber nicht wirklich überzeugen.
        Liebe Grüße!

      2. Gunnar Wolters ordnet das Buch ja in seinem Kommentar etwas ein. Und jetzt, da du es schreibst: „Das Wittgenstein-Programm“ habe ich vor Jaaaaaaahren gelesen, aber nur noch eine undeutliche Erinnerung …

  2. Auf Spiegel Online meinte der Rezensent zum 1.Band „Der Wintertransfer“ sinngemäß: „Es reichte nur zu einem knappen Arbeitssieg“. Genau so habe ich es auch empfunden, die Fußball-Insider-Anspielungen sind ganz gut, aber der Krimiplot eher bieder. Ich probiere es aber nochmal mit diesem Band.
    Philipp Kerr ist ansonsten ein sehr produktiver Autor. Empfehlen kann ich seine Bernie-Gunther-Reihe über einen Privatdetektiv während der NS-Zeit (die etwas düsterere und zynische Variante von Volker Kutschers Gereon Rath).

  3. Ich hab morgen auch was zur Hand Gottes, allerdings zur echten… ;-)))
    Dass es der Kerr auch besser kann, hat er in „Wittgensteinprogramm“ und „Tag X“ bewiesen.
    Liebe Grüße,
    Gerhard

    1. Ich war neugierig und habe Florian gefragt, ob denn die echte Hand Gottes in dem Buch auch irgendwie vorkommt – nö. Na, dann bin ich ja gespannt, was Du über den kleinen Dicken machst 🙂 LG Birgit

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