John Fante: Little Italy

Mit einer gelungenen Mischung aus Lakonie und Humor erzählt John Fante aus dem Milieu amerikanischer Einwanderer in den Vereinigten Staaten.

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Bild von StockSnap auf Pixabay

„Sie waren beide etwa gleich alt, aber während man in Mamas Gesicht statt der fünfunddreißig gut fünfundvierzig Jahre ablesen konnte, erschien Coletta wie fünfundzwanzig. Mamas Gesicht war von vier Kindern gezeichnet, ja sogar von Hugo; man konnte darin Jahrhunderte voller Aufregung entdecken, Generationen voller Plackerei und eine Ewigkeit mit Arbeit und Sorgen.“

Aus: „Eine Braut für Dino Rossi“ in:
John Fante, „Little Italy“

Als 2016 „1933 war ein schlimmes Jahr“ in der Übersetzung von Alex Capus erschien und es sogar in das „Literarische Quartett“ schaffte, schien es, als sei hier ein vergessener Autor geradezu aus dem Nichts wieder aufgetaucht. Tatsächlich aber gab es schon zuvor einige der Bücher des amerikanischen Schriftstellers John Fante, den Charles Bukowski als „seinen Gott“ bezeichnete, auch in deutschen Übersetzungen zu entdecken, unter anderem im Goldmann Verlag und bei dem Indie-Verlag aus Augsburg, der seit Jahrzehnten das Andenken amerikanischer Autoren wie  Bukowski, Ginsberg und eben auch Fante pflegt. So erschien 2016 im MaroVerlag der Band „Little Italy“  mit 20 Erzählungen, die auf Anregung Bukowskis bei der „Black Sparrow Press“ 1985 unter dem Titel „The Wine of Youth“ herausgegeben wurden, im Herbst folgte der Roman „Westlich von Rom“.

Milieu der italienischen Einwanderer

Der Erzählband „Little Italy“ ist ein durchaus geeigneter Einstieg in den fantesken Themenkreis, in dessen Büchern abwechselnd zwei Familien im Mittelpunkt stehen, die Bandinis und die Molises, italienische Einwandererfamilien, die sich mehr schlecht als recht in den Vereinigten Staaten durchschlagen. Armut, Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung wegen der Herkunft, harte Väter, abgearbeitete Mütter und dazwischen junge Männer, gefangen in den Widersprüchen der katholischen Kirche, die in den Familien eine große Rolle spielt, und den eigenen Leidenschaften (die da sind Baseball, Mädchen und kleine Gaunereien).

„Er wollte diesen Handschuh haben, aber er wusste auch, dass er ihn sich nicht kaufen konnte, darum hätte er die ganze Sache besser vergessen sollen. Tat er aber nicht. Er stand vor dem Schaufenster, und man will es nicht glauben, da ist der Teufel vorbeigekommen. Ich weiß, wie sich der Junge gefühlt hat, ich habe selbst oft genug die Stimme des Teufels in mir gehört und es sieht so aus, als lungert der immer da vor den Schaufenstern herum und wartet auf Opfer (…).“

Armut und Arbeitslosigkeit

Es ist diese Mischung aus lakonischer Flappsigkeit, gekoppelt mit einem subtilen Humor, der für Fantes Erzählweise einnimmt – eine Mischung, die auch über die dunkleren Seiten im Kosmos der Familie Bandini, von der in „Little Italy“ erzählt wird, hinwegträgt. Denn man kommt von ganz unten, muss sprichwörtlich jeden Cent zweimal umdrehen, hangelt sich durch. In „Ein Maurer im Schnee“ heißt es:

„Der Winter in Colorado war erbarmungslos. Jeden Tag rieselte der Schnee vom Himmel, und abends tauchte die untergehende Sonne die Rockies in ein deprimierendes Rot. (…) Mein Vater war Maurer. Wegen des Schnees konnte er allerdings nicht arbeiten. Sein Mörtel gefror, bevor er abbinden konnte, und seine Finger waren in der Kälte kaum zu gebrauchen. Dabei war er ein Mann der Tat und brauchte immer Beschäftigung. Je länger der Schnee liegen blieb, desto ungenießbarer wurde Vater zu Hause.“

Erzählt wird aus der Perspektive des jungen Arturo – ganz offensichtlich ein Alter Ego John Fantes – der zwischen Familienzugehörigkeit und Ausbruchswillen schwankt. Auch als er nach Los Angeles geht, um Schriftsteller zu werden, lassen ihn die familiären Bande nicht los, bleibt er ein Produkt seiner Herkunft. Sei es bei einer Begegnung mit einem Priester während eines Erdbebens in Los Angeles (die Story trägt bezeichnenderweise den Titel „Zorn Gottes“), sei es bei Gebeten an die Mutter Gottes um Geld für die Miete, Aufträge für Drehbücher und Vergeltung an einem Jugendfeind, sei es in den verfahrensten Situationen down in Hollywood: Glaube und Familie sind Himmel und Hölle zugleich, Gefängnis und Sicherheitsnetz:

„Dann ging ich in die andere Richtung und verschmolz langsam mit der hysterischen Menge, ließ mich mittreiben und wusste, dass ich allein war und dass mein Sündenregister bald wieder ausgeglichen sein würde, dank meiner Kirche, die vor allem ein feiner Kerl war.“

Manch einem mögen diese Stories, die so detailreich aus einem bestimmten Milieu erzählen, zu redundant erscheinen, zu wenig abwechslungsreich in der Thematik. Für echte Fantianer dagegen und solche, die in diesen Kreis eintreten wollen, bieten sie eine Essenz des Werks Fantes, authentisch, lebendig, menschlich auch an den düstersten Stellen.

Vorwort von Charles Bukowski

Den von Kurt Pohl und Rainer Wehlen übersetzten Erzählungen hat der Verlag ein Vorwort von Charles Bukowski aus dem Jahr 1979 vorangestellt. „The dirty old man“ bewunderte den Schriftsteller, pilgerte täglich an seiner Tür vorbei:

„Fante war mein Gott, und ich wusste, dass man die Götter in Ruhe zu lassen hatte, man klopfte nicht an ihre Tür. (…) Bedingt durch andere Umstände lernte ich dieses Jahr den Autor endlich kennen. Es gibt noch viel, viel mehr über John Fante zu erzählen. Eine Geschichte, die von schrecklichem Glück und einem schrecklichen Schicksal und von einem seltenen, natürlichen Mut handelt. Eines Tages wird sie erzählt werden, aber ich hab das Gefühl, es wäre ihm nicht recht, wenn ich sie hier wiedergeben würde. Ich will nur soviel sagen, dass die Art seiner Worte und seine eigene Art sich gleichen: stark und gut und warmherzig.“

So ist es, so sind diese Stories aus Little Italy in Colorado: Stark und gut und warmherzig.

Informationen zum Buch:

John Fante
Little Italy
Übersetzt von Rainer Wehlen und Kurt Pohl
MaroVerlag, 2016
ISBN 978-3-87512-475-0

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

12 Gedanken zu „John Fante: Little Italy“

  1. Sehr schöne Rezension, danke schön. Seitdem ich „Schreie vorm Balkon“ von Bukowski gelesen habe, weiß ich um seine Liebe zu Fante. Bislang habe ich noch nichts (bis auf ein paar Zitate) gelesen. Nun weiß ich, wo ich anfangen kann. Merci.

  2. Bleibt mir, hier noch eine weiterführende Empfehlung aus LA anzuführen: Dan Fante, John’s Sohn veröffentlichte 1996 bei Sun Dog Press den ersten Teil seiner autobiographischen Bruno-Dante-Trilogie CHUMP CHANGE, in dem er auf den Spuren seines Vaters und nach einem Leben voll lausiger Jobs noch immer hofft, eine fette Kellnerin zu heiraten und Mundharmonika zu lernen: Teil 1 erschien auf Deutsch 2003.

    Auch hier (und zwar vice versa) Momente, die den Genius von von Buk und Selby berühren.

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