#MeinKlassiker (31): Bernhard Rusch spaziert mit James Joyce durch Dublin

Bernhard Rusch ist Autor, Zeichner, Verleger, ein Multitalent. Und ein Spaziergänger, der mit James Joyce durch Dublin streift.

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Bild von Couleur auf Pixabay

Autor, Zeichner, Verleger und noch einiges mehr: Bernhard Rusch ist ein Multitalent. Ein Portrait von ihm findet sich hier auf dem Blog paperwork, ein Einblick in seine Arbeiten unter Elwood.

Bernhard Rusch ist zudem Kopf der Vereinigung und Herausgeber des gleichnamigen Magazins applaudissiment.

Beim Blick in das wunderbar gemachte Magazin hätte ich bei Bernhard eher vermutet, als Klassiker kommt ein dadaistisches Manifest oder etwas aus der Zeit des Expressionismus. Doch er überraschte mich mit Joyce! Here we go:

Ich sitze im Zug. Und sinniere über einen Klassiker: Die Dubliner von James Joyce. Und höre zur Einstimmung die Pogues.

Es handelt sich bei dem Buch um eine Sammlung von Kurzgeschichten, die – wen wundert`s bei dem Titel – alle in Dublin spielen. Wie ja alles, was Joyce geschrieben hat.

Es ist das am leichtesten zu lesende seiner Bücher. Was aber nicht bedeutet, dass es sich um leichte Kost handelt.

Der Autor entführt uns ins Dublin um 1900 herum. Um uns mit den Abgründen der menschlichen Seele bekannt zu machen.

Die Orte und Typen dürften ihm aus eigener Erfahrung bekannt gewesen sein. Er verfolgte keine folkloristischen Absichten. Und hatte auch nicht vor, seiner Heimatstadt ein Denkmal zu setzen. Sondern verwendete die Stadt und ihre Einwohner als Rohstoff, mit dem er vertraut war.

Plots sucht man in diesen Geschichten wie seinen späteren Werken vergeblich. Im Kern sind es Geschehnisse, die man in der Kneipe oder auf der Straße austauscht. Nach dem Motto: Hast du schon gehört…

Joyce bezeichnete seine Dubliner als Karikaturen. Das sind sie wohl. Damit auch sein bitterstes Buch. Nicht so verspielt oder humoristisch wie Ulysses und Finnegans Wake. Vielmehr sehen wir die Schattenseiten. Wie Pädophilie. Selbstmord aus enttäuschter Liebe. Oder Kindesmisshandlung als Reaktion auf eigene Unfähigkeit.

Andererseits ist in diesem Buch – wie Souppault richtigerweise feststellt – schon sein ganzes Werk angelegt. Inhaltlich das Panoptikum der menschlichen Seelen. Und stilistisch diese unablässige Suche nach dem richtigen Ausdruck. Der passenden Struktur. Dem einzelnen Wort.

Es sind musikalische und zutiefst lyrische Stücke entstanden. Sie steigern die Empfindung der Realität durch Weglassungen. Sie verzichten auf Erklärungen. Und wirken daher unmittelbar.

Irland steht dabei nicht im Vordergrund. Aber die wenigen eingestreuten „irischen“ Themen strahlen auf das ganze Buch aus. Und geben ihm damit eine klare regionale Heimat.

Und Joyce wird ungewollt zu einer Art Heimatschriftsteller. Dessen Werk zurückstrahlt in die Realität. Und die Wahrnehmung Irlands und der Iren bis heute mit beeinflusst.

Letztendlich sollte man es aber einfach von der besonderen Stimmung einfangen lassen. Die hervorgerufen wird durch das Unabänderliche. Der Alkoholiker verhält sich, wie ein Alkoholiker es eben tut. Und für die Eifersucht des Ehemanns auf eine verstorbene Jugendliebe seiner Frau gibt es keine Lösung. Es geht darum, trotzdem weiterzuleben. Gut oder schlecht.

Und am Schluss fällt Schnee über ganz Irland. Als Zeichen des Trosts.

Bernhard Rusch
https://ttr-verlag.jimdo.com/

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen Aktuelle Rezensionen auf dem Literaturblog

3 Gedanken zu „#MeinKlassiker (31): Bernhard Rusch spaziert mit James Joyce durch Dublin“

  1. Zu diesem Thema ein Hinweis:

    Hagedorn: Warum »Dubliners«?

    Weigoni: Mit dieser Abfolge von Erzählungen gibt Joyce Einblicke in die städtische Gesellschaft Irlands zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Er zeigt darin eine Nation zwischen nationalem Aufbruch und kolonialer Mutlosigkeit, aufstrebendem Bürgertum und Emigration, der Beengtheit des Wohnens und der Sehnsucht nach der sich allmählich zu globalisierenden Welt. Seitdem sind 100 Jahre vergangen. Mein Prosageflecht »Zombies« ist ein prismatisches Spiel, das in vielen Facetten aufleuchten: als leichtfüßige Komödie und ätzende Satire, als Fabel zur gesellschaftlichen Moral zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Es sind Geschichten eines Übergangs: vom Sozial– zum Individualstaat, von der Fürsorgegesellschaft zu Verhältnissen, die jeden auf sich selbst verweisen.

    Das ganze Hintergrundgespräch mit A.J. Weigoni findet sich hier: http://www.lyrikwelt.de/hintergrund/weigoni-gespraech1-h.htm

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