Literarische Orte: Beat it like Karlsruhe

„On the Road“: Das 36 Meter lange Manuskript war Kernstück einer Ausstellung zur „Beat Generation“ im Centre Pompidou in Paris und im ZKM Karlsruhe.

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Danger – Portrait von William S. Burroughs vor dem Odéon Theater, Paris 1959 Courtesy „The Barry Miles Archive“ © Foto: Brion Gysin, Naked Lunch Serie, Paris, Oktober 1959

Wer träumt manchmal nicht davon, sich einfach in ein Auto oder den nächsten Zug zu setzen und auf und davon zu brausen? Ohne Ziel, sehen, wohin einen die Straße bringt. Alle Grenzen sprengen, Konventionen hinter sich lassen – frei sein von Terminen, Zwängen, Druck, Anforderungen. Ich jedenfalls schon. Wenn die Mühlen des Alltags sehr, sehr mürbe mahlen, dann bietet zumindest die Literatur eine Chance auf kleine Fluchten. Und dabei erst recht die der „Beat Generation“: Autoren und Künstler, die diese Freiheit lebten – ohne Kompromiss und auch bereit, jeden Preis dafür zu zahlen.

Jack Kerouac und seine Schreibmaschine

Einer der bekanntesten Schriftsteller dieser Strömung ist Jack Kerouac, der Roman, der für die Beat Generation steht, ist „On the road“. Er tippte das Buch wie im Rausch und ohne Atempause, klebte ein Blatt an das andere, um in seinem Schreibfluss nicht unterbrochen zu werden. Das 36 Meter lange Manuskript ist nun Kernstück einer Ausstellung zur „Beat Generation“, die zuerst im Centre Pompidou in Paris zu sehen war und jetzt noch bis Ende April im ZKM (Zentrum für Kunst und Medien) Karlsruhe zu besuchen ist.

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Corso, Grégory There is No More Street Corner… ,1960 Poem, unveröffentlichtes Manuskript. 200 x 200 cm © DR photo: © Archives Jean-Jacques Lebel

Das zog mich on the road, auf die Straße nach Karlsruhe – wenn auch mit einer Portion Skepsis im Gepäck. Kann man eine kulturelle Strömung, die so lebendig, weil sie subversiv, anarchistisch, verspielt war, museal präsentieren? Die beinahe schon sakrale Überhöhung, die den DADA-Objekten bei der Jubiläumsausstellung im vergangenen Jahr in Zürich zukam, nahm viel von der Lebendigkeit des Dadaismus weg. Das Wilde ging in Erstarrung über. Und auch Jack Kerouac, Allen Ginsberg und William S. Burroughs – das bekannte Dreigestirn der Beat Generation – sind vor Vereinnahmung nicht sicher. Sage und schreibe 5,5 Millionen Dollar soll ein New Yorker vor einigen Jahren bezahlt haben, als das Kerouac-Manuskript bei Christie`s unter den Hammer kam. Immerhin stellte der gutbetuchte Literaturliebhaber es nun für die Ausstellung – die erste umfassende Retrospektive zum Beat in Europa – zur Verfügung.

Beat Generation im Museum

Gleich vorneweg: Die Befürchtungen vor zu viel „Musealisierung“ waren unbegründet. Nur wenige „Kultgegenstände“ – so Kerouacs Manuskript und die Underwood von William S. Burroughs – hinter Glas, dafür eine Präsentation im Rhythmus des Beat: Den Besucher überrascht eine Flut von Sinneseindrücken: Überall hängen scheinbar freischwebende Leinwände im Raum. Musik, Stimmen, Bilder vermischen sich zu einer eigenartigen Kakophonie, die in sich schon wie ein Werk der Beat Generation wirkt.

Vor allem durch das Medium Film und Fotografie folgen die Ausstellungsmacher dem Weg der „Beatniks“, zeichnen geographisch die Stationen dieser kulturellen Gegenbewegung nach. Wegweisende Orte und Länder sind die USA mit New York und San Francisco, sind Mexiko und Algier, London und Paris. Der Besucher ist selbst gefordert, bei dieser Reise mit der Beat Generation dem Lebensgefühl dieser Künstler auf den Grund zu gehen – Gedichttexte, Romanauszüge, Fotografien, Filme, vor allem aber das gesprochene Wort transportieren den Sound des Beat. Dabei wird offenbar, dass zu den Beat-Protagonisten weitaus mehr Künstler gehörten als das bekannte „Dreigestirn“ Kerouac, Ginsberg und Burroughs. Und dass die Welle mehr erfasste als ausschließlich die Literatur – das Lebensgefühl schlug sich in Fotografie, Bildender Kunst, Film, Musik nieder, wurde zum Gesamtkunstwerk.

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Neal Cassady, Los Gatos, Californie, 1962 Silbergelatineabzug (2016) 20 x 20 Centre Pompidou, MNAM-CCI, Bibliothèque Kandinsky, Fonds Sottsass © Adagp, Paris, 2016 photo: © Centre Pompidou, MNAM-CCI, Bibliothèque Kandinsky, Fonds Sottsass

Natürlich ist in der Ausstellung auch Ginsbergs Gedicht „Howl“ zu hören: Dieser Aufschrei, das „Geheul“, bringt das Gefühl einer Generation zum Ausdruck, die im amerikanischen Kapitalismus der 1950er Jahre zu den ausgeschlossenen gehörte, zugleich aber auch gegen jede Vereinnahmung rebellierte. Sie war auf der Suche nach neuen Bewegungen – durchaus auch sozial geschlagen („beat“), aber ebenso den eigenen Rhythmus, die eigene Bewegung, den eigenen Beat angebend.

Paris ein Zentrum der Dichter

Dieses Aufbegehren kommt gerade durch die moderne multimediale Präsentation gut zum Ausdruck, zeigt auch, wie genresprengend und experimentierfreudig die Künstler der Beat Generation waren. Jean-Jacques Lebel, einer der Kuratoren der Ausstellung, hat einige der Protagonisten hautnah erlebt, ist der Strömung verbunden geblieben – das macht sich bemerkbar. Der französische Künstler lernte Allen Ginsberg, William Burroughs, Brian Gysin und andere im „Hotel Beat“ im Pariser Quartier Latin kennen.

„Die Pariser Zeit war von fundamentaler Bedeutung für die Geschichte der Beat Generation. Ginsberg schrieb die erste Version seines berühmten „Kaddish“-Gedichts auf einer Café-Terrasse am Montparnasse und im „Beat Hotel“. Und es ist schon sehr merkwürdig, dass vor allem die akademische Forschung in den USA das nie erwähnt. Insofern sehe ich es als eine Art poetische Rache, dass diese Ausstellung jetzt in Paris zu sehen ist.“

Jean-Jacques Lebel, Quelle: Deutschlandfunk

„Es gibt überall doch nur noch Blut, Massaker, Schrecken. Krieg und Brutalität sind eine Art Normalzustand geworden. Die Beat Generation mit ihrer entschieden anti-militaristischen Poesie, ihrem Internationalismus und Anti-Nationalismus, ihrer Vision eines kollektiven Unbewussten – diese kreative, rebellische, subversive Beat Generation kann da vielleicht ein wenig Hoffnung geben.“

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Gysin, Brion Calligraphie, 1960 Tusche auf Papier Marouflage auf Leinwand 192 x 282 Collection Galerie de France © Galerie de France © Jonathan Greet / Archives Galerie de

Zwar unterscheidet sich die Karlsruher Präsentation in einigen Punkten von der Pariser Ausstellung – beispielsweise ist hier nicht das Zimmer Nr. 25 aus dem „Beat Hotel“ zu sehen, dafür wird auf die Einflüsse, den die Beat Generation auf deutsche Dichter und Autoren hatte, eingegangen – aber auch im Badischen wird seit jeher der Beat gepflegt, wurden in den vergangenen Jahren William S. Burroughs und Allen Ginsberg Ausstellungen gewidmet.

Auch in den „Stuttgarter Nachrichten“ wird in einem ausführlichen Beitrag über die Ausstellung auf die gegenläufige Kraft der Beat Generation und ihren Stellenwert heute aufmerksam gemacht:

„Ginsbergs Langgedicht „Howl“ (1956), Kerouacs Reiseerzählung „On The Road“ (1957) und Burroughs psychedelische Groteske „Naked Lunch“ (1959) schrecken das Amerika der McCarthy-Ära auf und stehen heute noch für eine Gegenkultur, deren rebellische Kraft im neuen Trump-Amerika dringender denn je gebraucht wird.“

Man beachte in dem Artikel auch den Auftritt von Ernst Jandl – einer der überraschenden Bezüge, die mir die Ausstellung ebenfalls bot: „Auf der Durchreise“, Stuttgarter Nachrichten, 20. Januar 2017.

Zwar ist nun Karlsruhe, die „Residenz des Rechts“ weitaus weniger denn Paris als Hort der Revolution bekannt – aber wer in diesen Zeiten, die geprägt sind von politischem Revanchismus und Nationalismus, etwas rebellische Luft tanken will, der mache sich auf den Weg ins ZKM.

Alle Bilder zur Verfügung gestellt im Pressebereich des ZKM.

 

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

14 Gedanken zu „Literarische Orte: Beat it like Karlsruhe“

  1. Wie stets wunderbar geschrieben, prall gefüllt mit Informationen und sehr engagiert – meinen Dank! Wie ich sehe, läuft die Ausstellung noch bis Ende April, mal schauen ob das machbar ist. Lust habe ich Dank Dir auf jeden Fall bekommen. Liebe Grüße!

  2. Warum habe ich bei deinen Ausstellungsbeschreibungen immer das Gefühl, dass ich in Berlin die schönsten Sachen verpasse, und der echte Beat im Süden läuft ? 😉
    Über die Beat-Generation gab es lange Zeit einen Blog von „Beat Company“ der aber leider verstummt zu sein scheint.

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