Paul Klee: Gedichte

Dichter malen mit Worten. Maler schreiben mit Bildern. Manche können beides. So Paul Klee (1879-1940), der dichtende Maler, malende Dichter, Dichtermaler.

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„Der Luftballon“, 1926. Bildquelle: Wikimedia Commons

„Je schreckensvoller die Welt ist, desto abstrakter die Kunst, während eine glückliche Welt eine diesseitige Kunst hervorbringt.“

Paul Klee


Dichter malen mit Worten. Maler schreiben mit Bildern. Manche können beides. So Paul Klee (1879-1940), der dichtende Maler, malende Dichter, Dichtermaler. Er wirkt nicht nur durch sein bildnerisches Werk. Auch durch seine Tagebücher. Vor allem jedoch durch seine Gedichte. Klee war schon früh ein intensiver Leser, verfasste bald eigene Texte. Das Schreiben wird intensiver, als er seine spätere Frau Lily Stumpf kennenlernt. In den Tage-, den sogenannten „Geheimbüchern“, sind um die Jahrhundertwende zahlreiche Gedichte an und über „Eveline“ zu finden. Und, so meint sein Sohn Felix später, der vielfach Begabte sei sich „in seiner künstlerischen Entwicklungszeit“ nicht immer in klaren gewesen, „ob er zur Musik, zur Malerei oder zur Dichtung“ greifen sollte. Die Malerei wird sein Hauptmedium werden – doch der spielerische, fast schon dadaistische Umgang mit Sprache bleibt ein Erkennungsmerkmal Klees, sei es in seinen verschnörkelten Bildtiteln oder in den „Schriftbildern“.

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Paul Klee als Soldat, 1916. Bildquelle: Wikimedia Commons

In diesem Beitrag möchte ich mich auf eine Lebensphase Klees konzentrieren, die für ihn – wie für andere Künstler seiner Generation – prägend wurde: Die Katastrophe des Ersten Weltkrieges.

Auch Paul Klee wird von der Kriegsmaschinerie erfasst, ist ab 1916 zum Militärdienst verdonnert. Er kommt als Kunstmaler bei den „Königlich-Bayrischen Fliegertruppen“ an verschiedenen Orten in Einsatz, muss die Tarnbemalung der Kampfflugzeuge ausbessern.

Ab Januar 1917 ist er auf einem Flugplatz bei Augsburg stationiert, auch hier als Maler, Schreiber und gelegentlich als Fotograf.

Wenn Flugschüler vom Himmel fallen

Perversion des Krieges: Flugschüler fallen ständig mit ihren Maschinen vom Himmel, verunglücken tödlich während der Ausbildung. Das Flugzeug als neues technisches Kampfmittel wird hinter der Front erprobt, auch hier um den Einsatz des Lebens. Klee muss diese Trümmerreste fotografisch dokumentieren, hält sich das mit kaum verdeckten Zynismus vom Leib:

“Habe heute den kaputten Aeroplan aufräumen helfen, auf dem zwei Flieger vorgestern ihr Leben lassen mußten. Er war übel zugerichtet. Die Arbeit war ganz stimmungsvoll.”

Sich wappnen durch Distanz zum Geschehen?

„Ich bin gewappnet,
ich bin nicht hier,
ich bin nicht in der Tiefe,
bin fern…
ich bin so fern…
Ich glühe bei den Toten.“ (1914).

(Alle Gedichtzitate aus: „Gedichte“, Paul Klee, Herausgeber Felix Klee, erschienen im Arche Verlag)

Wie jedoch das Schreckliche in der Kunst ausdrücken? Wie das Grauen, das eine Katastrophe auslöst, in Wort und Bild festhalten? Klee, der noch 1914 mit August Macke zur berühmten Tunisreise aufbricht – „Die Farbe hat mich!“ – kommt zurück in ein Europa, das bereits brodelt. Wenige Monate später ist nichts mehr, wie es vorher war. Anders als seine Malerkollegen Franz Marc und August Macke lässt Klee sich nicht vom Hurra-Patriotismus anstecken. Klee bleibt der kühle Skeptiker, dem diese Aufwallungen wohl schon vom Charakter her fremd sind. August Macke fällt bereits im September 1914 in der Champagne, Franz Marc am 4. März 1916 in Verdun. Dieses Datum hat für Klee eine besondere Bedeutung: Einen Tag später, am 5. März, erhält er seinen Einberufungsbefehl.

Der Pafizist im erzwungenen Kriegsdienst

Dabei ist er Pazifist. Heute wird dazu oft der Zusatz gestellt: Ein „passiver“. Was hat das zu bedeuten? Kriegsdienstverweigerung gab es zu Zeiten des 1. Weltkrieges nicht. Verweigern gab es in einem Staat, der letztendlich Militärstaat war, nicht. Wer verweigerte, wurde als Psychopath eingestuft, von Militärärzten wieder fronttauglich gemacht. Klees deutscher Vater hatte sich nie um die Einbürgerung seines Sohnes in die Schweiz, wo Klee geboren war, bemüht. Also war für den Künstler, der damals in München lebte, der Weg vorgezeichnet. Er hatte Frau und Kind. Hätte er desertieren sollen?

Traum

Ich finde mein Haus: leer,
ausgetrunken den Wein,
abgegraben den Strom,
entwendet mein Nacktes,
– gelöscht in die Grabschrift.
Weiß in weiß.
(1914).

Spurensuche im Werk: Da ist der Widerstand durchaus zu spüren.

 “Ich habe diesen Krieg längst in mir gehabt. Daher geht er mich nichts an. Um mich aus meinen Trümmern herauszuarbeiten, mußte ich fliegen. Und ich flog. In jener zertrümmerten Welt weile ich nur noch in der Erinnerung, wie man zuweilen zurückdenkt. Somit bin ich abstract mit Erinnerungen’.”

Dieser Tagebucheintrag von 1915 wird oftmals dafür angeführt, dass Klee ein kühler, beinahe distanzierter Beobachter des von ihm als „wahnsinnig“ bezeichneten  Krieges gewesen sei, fast ungerührt geblieben sei von der „Urkatastrophe“. War es so?

Es scheint auch, als verlasse die in Tunesien gefundene Farbe wieder das Bild. Kleinformatige Zeichnungen, oft auf amtlichem Vordruckpapier, auf Flugzeugmaterial hergestellt, Entwürfe ohne Farbe, aber nicht farblos. Dies war freilich auch dem Materialmangel geschuldet. Und inhaltlich eben durchaus nicht distanziert vom Geschehen rings um ihn. Schon die Titel sprechen Bände: „Die beiden Schreie“, „Der Tod für die Idee“ oder auch „Fitzlibutzli“, diese Ironisierung des Kaisers Wilhelm II, der Titel angelehnt an das Gedicht von Heinrich Heine, an den „vitzlibutzli“.

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„Fitzlibutzli“, 1918, Bildquelle: Wikimedia Commons

Klee desertiert anders, muss wohl auch Abstand nehmen durch die Flucht nach Innen. Denn während der gesamten Einsatzzeit hängt wie ein Damoklesschwert die Möglichkeit, dass er doch an die Front versetzt wird, über ihm. Nicht von ungefähr in dieser Zeit auch seine Lektüre, beispielsweise „Robinson Crusoe“. Kleine Fluchten mit Hilfe der Literatur? Oder der Künstler, gefangen auf einer seltsamen Insel? Denn dem Grauen an der Front gegenüber steht der langweilige Alltag, der Stumpfsinn und Bürokratismus in der Kaserne, die Entfernung zur Familie, der Stubendienst. Anhand vieler Postkarten, die Klee an seine Frau und den Sohn schreibt, wird deutlich, welche Einschränkungen die kreative Seele in dieser fremden Welt erleben muss. Aber er hat auch Glück – Vorgesetzte, die sein Talent respektieren, ihm gewisse Freiheiten geben. Selbst die Arbeit an Ausstellungen ist möglich. Es entstehen „Schubladenbilder“ – Skizzen, die er in der Schreibstube fertigt, die er schnell in eine Schublade schieben kann, wenn jemand kommt.

Das Fliegen als Distanz zur Realität

Klee behält also Bodenhaftung. Das „Fliegen“ in seinen Tagebucheintragungen ist nicht im wörtlichen Sinne zu verstehen. Der Flug, das Abheben, dies meint zum einem die Distanz in der Kunst zur Realität:

 “Um mich aus meinen Trümmern herauszuarbeiten, musste ich fliegen. Und ich flog.”

Auch die religiösen, die mythischen Themen nehmen zu. „Und es ward Licht“ heißt ein Bild. Klee entdeckt später weitere Flugobjekte, in seinen letzten Lebensjahren werden die Engelsbilder zu einem wichtigen Bestandteil seines Schaffens.

Elend

Land ohne Band,
neues Land,
ohne Hauch
der Erinnerung,
mit dem Rauch
von fremden Herd.
Zügellos!
wo mich trug
keiner Mutter Schoß.
(1914)

Doch ganz realitätsabgewandt ist Klee, wie oben schon angeführt, eben nicht.
„Der Krieg fördert die Production im ethischen Sinne“, schreibt er. Was meinen soll: Die Auseinandersetzung mit dem Kriegs-Wahnsinn findet durchaus ihren Niederschlag, wenn auch nicht so eindeutig und plakativ erkennbar wie in Noldes „Soldaten“ oder Beckmanns „Kriegserklärung“. Bei Klee geschieht dies verschlüsselter, weniger deutlich, erkennbar jedoch an einigen stilistischen Mitteln: Winkelformationen, Zickzack-Linien, die auch aggressiv zu deuten sind, tauchen in dieser Zeit auf – und interessanterweise hören die auch kurz nach dem Krieg wieder auf. Symbole für Bedrohung, Angst, für Krieg und Zerstörung. Mit Mitteln des Konstruktivismus gegen die allgemeine Destruktion.

Eine deutliche Sprache spricht das Bild “Der Held mit dem Flügel”: Eine verstörende Radierung, die einen missgestalteten Krieger mit verkümmertem Engelsflügel zeigt.

Klee notiert dazu am Bildrand:

“Von der Natur mit einem Flügel besonders bedacht, hat er sich daraus die Idee gebildet, zum Fliegen bestimmt zu sein, woran er zugrunde geht.”

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

19 Gedanken zu „Paul Klee: Gedichte“

  1. Ich danke dir für diesen wunderbaren Beitrag. Ich verehre Paul Klee sehr und habe doch wieder noch Neues bei dir gelesen-
    herzliche Grüsse
    Ulli

  2. Schließe mich Ulli an – vielen herzlichen Dank. Eine Frage hätt ich noch: Beim ersten Gedicht „Ich bin gewappnet“, endet die dritte Zeile mit dem „b“ vom „bin“ der vierten. Ist das ein Tippfehler von Dir oder eine bewusst aufgebrochene Versstruktur?
    Dank und Grüße!

  3. Paul Klee kannte ich bisher nur als Maler. Dass er auch Dichter war, war mir bisher gar nicht bewusst. Danke für diesen wunderschön geschriebenen Beitrag!

  4. Auch ich kannte Klee bislang nur als Maler und habe mich auch noch nie mit seiner Biografie auseinandergesetzt. Dabei fällt mir auf, wie schwierig es ist, über Menschen in Kriegs- und Aufruhrzeiten zu urteilen. Denn die meisten Familien haben oft keine Wahl und müssen ihren Weg innerhalb des Systems finden. Da gibt es sehr viele Graubereiche, in denen wir uns hoffentlich niemals bewegen müssen. Liebe Grüße und herzlichen Dank für diesen schönen und informativen Artikel, Peggy

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