#MeinKlassiker (21): Norman Weiss ist für Kabale und Liebe

Für die Reihe #MeinKlassiker stellt Norman Weiss vom Blog „Notizhefte“ ein Drama vor: „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller.

sculpture-3776834_1920
Bild von Fritz_the_Cat auf Pixabay

Norman Weiss berichtet auf seinem Blog Notizhefte über Bücher, Museen, Ausstellungen, Theaterbesuche und alles sonst, was das Leben bereichert. Eine Kulturwebsite im besten Sinne also. Dass bei ihm die Klassiker in vielerlei Form lebendig sind und gepflegt werden, sieht man an seiner Buchauswahl.
Norman war einer der ersten Blogger, der von sich aus signalisierte, er würde gerne mit einem Beitrag an der Reihe #MeinKlassiker beteiligt sein – was mich sehr gefreut hat. Und als kleiner Wink an alle Mitlesenden: Wer Lust hat und seinen Klassiker vorstellen will, ist herzlich eingeladen.

Die Aktion #MeinKlassiker, die Birgit von Sätze&Schätze erfolgreich ins Leben gerufen hat, ist eine feine Sache mit sehr interessanten Ergebnissen und Auswahlentscheidungen. Ich habe mich für einen Text entschieden, der sich kontinuierlich auf den deutschen Bühnen hält und seinen Status als Klassiker in wechselnden Umgebungen behauptet.

bildschirmfoto-2016-11-19-um-09-43-46

Mir persönlich bedeutet das Stück sehr viel:

Das 1784 uraufgeführte Stück „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller begleitet mich seit der Oberstufe, damals las ich natürlich zum Vergleich auch die ältere „Emilia Galotti“, aber sie konnte sich nicht gegen Luise Millerin durchsetzen. Im Schultheater war ich alternierend Ferdinand („Du bist blaß, Luise?“) und sein Vater („Wenn ich auftrete, zittert ein Herzogthum!“), bei Lesungen im Deutschunterricht glänzte ich als Hofmarschall („Wenn Sie sich noch des Hofballs entsinnen – es geht jetzt ins einundzwanzigste Jahr – wissen Sie, worauf man den ersten Englischen tanzte, und dem Grafen von Meerschaum das heiße Wachs von einem Kronleuchter auf den Domino tröpfelte – Ach Gott, das müssen Sie freilich noch wissen!“) und als Kammerdiener der Lady Milford („Legt’s zu dem Übrigen!“). Das prägt für ein Leben und macht es dem Lessingschen Text heute noch schwer.

So schrieb ich im Januar 2014 in einem Beitrag über Lessings Emilia Galotti.

Schiller, der jugendliche Rebell und Idealist, der studierte Mediziner und Militärarzt, der unbesoldete Professor für Geschichte, Briefpartner und künstlerischer Widerpart Goethes, Zeitschriftenherausgeber, Dramatiker – ihm wird 1792 von der französischen Nationalversammlung das Bürgerrecht der Französischen Republik verliehen, 1802 erhebt ihn der Herzog von Weimar in den Adelsstand. Er stirbt 1805, sechsundvierzig Jahre alt.

„Kabale und Liebe“ wird 1784 in Mannheim uraufgeführt. Es thematisiert Gegenwartsthemen der damaligen Zeit: Hofintrigen, Verschwendungssucht, Mätressenwirtschaft, Gewaltherrschaft und Willkür, Standesschranken. Alles Themen, die für Schiller und seinen Helden Ferdinand ihre Rechtfertigung verloren haben. Der junge Mann, dem die privilegierte Standesposition das Nachdenken ermöglicht und nicht ausgetrieben hat, stellt die Systemfrage und will sich nicht arrangieren. Nicht beruflich, nicht persönlich. Seine Träume sind ohne Realitätsbezug, von übersteigerter Schwärmerei – letztendlich ist er, so wird es sich zeigen, ein Schwächling.

Schiller zeichnet seine Figuren mit dem breiten Pinsel: Hofmarschall von Kalb ist die (bravourös gestaltete) Karikatur des Höflings, den nicht einmal sein Spießgeselle, der Präsident, ernst nimmt. Dieser, eigentlich eine Vorbildfigur des Ançien Regime (er hat studiert, arbeitet rational und methodisch), wird vor allem im Konflikt mit dem Sohn als überholt, als verstockt und unmenschlich gezeichnet und damit insgesamt negativ konnotiert. Lady Milford, die Mätresse des bühnenabwesenden Fürsten, wird pathetisch als stolze Tochter Britanniens mit Resten von Anstand und Moral, die sich unter dem Luxusleben erhalten haben, präsentiert, scheint aber doch dem Untergang geweiht. Luise ist eigentlich eine Nichtgestalt, die meist recht passiv Gerechtigkeit erbittet. Im Gespräch mit der Lady gewinnt sie stärker Kontur. Die Eltern Luises geben Raum für Zeitkolorit und lassen Schiller Kritik üben („Halten zu Gnaden!“). Wurm – der Name sagt eigentlich schon alles – ist Profiteur und Diener der Macht; Luise hat für ihn nur Abscheu übrig.

Politischer Wandel, Rebellentum und Generationenkonflikt lassen das Stück auch nach mehr als zweihundert Jahren aufführungswürdig und zugänglich erscheinen. Doch das Pathos der Schillerschen Sprache ist für manche Leser und Zuschauer ein kaum zu überwindendes Hindernis, wie ich schon oft in Gesprächen gehört habe. Das führt immer häufiger zu einem Stück „nach Schiller“, aber dann kann ich mir auch den Tatort anschauen.

Ein bürgerliches Trauerspiel, so untertitelt Schiller sein Drama, und unterstreicht damit seinen aufklärerischen, weltverändernden Anspruch. Die Gesellschaftsstruktur ist überlebt, von innen faul und reif für ihre Ablösung. Sie soll freilich durch edle Geister, so wie Ferdinand sich sieht, menschenfreundlich reformiert werden. Konkreter wird es nicht, gefährlich genug war der Text in den Augen der Zeitgenossen bereits.

Neben den politischen Aspekten des Wandels thematisiert Schiller aber auch den Generationenkonflikt und ergreift eindeutig Partei für die Jungen. Die alten Männer sind entweder schlecht (Präsident), lächerlich (Kalb) oder zwar gut, aber von gestern (Miller), die Mutter Luises ohne Überblick, die nicht mehr ganz junge Lady Milford ist nicht eindeutig eine Verworfene, sondern die Umstände wecken ihr lange verschüttetes Ehrgefühl und Gerechtigkeitsempfinden.

Das Gespräch der Lady mit dem Kammerdiener des Fürsten in der zweiten Szene des zweiten Aktes, in dem es um den Handel mit Soldaten an den König von England geht, der sie in Amerika gegen die Aufständischen einsetzt, ist kurz, aber immer wieder eindringlich. Schiller thematisiert in zugespitzter Form Vorkommnisse, die damals hoch umstritten, aber nicht unüblich waren: Am 15. Januar 1776 hatte Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel  mit seinem Schwager König Georg III. von England sogenannte Subsidienverträge geschlossen und sich verpflichtet, ihm etwa 12.000 Mann zu überlassen. Dabei handelte es sich jedenfalls nicht ausschließlich oder überwiegend um Zwangsrekrutierungen. Schiller nutzt die Darstellung, um die absolutistische Herrschaft des Fürsten besonders deutlich zu machen. Er erfaßt damit eigentlich sehr gut, was Reinhart Koselleck wie folgt formuliert:

„Der Staat hatte sich gewandelt; er wurde korrupt: aber nur, weil er absolutistisch blieb. Das absolutistische System, die Ausgangssituation der bürgerlichen Aufklärung, blieb erhalten bis zum Ausbruch der Revolution: es bildet die eine Konstante unserer Untersuchung. An ihr wird sukzessiv und in verschiedenen Beispielen die politische Entfaltung der Aufklärung gemessen. Die Aufklärung entwickelte ein Eigengefälle, das schließlich zu den politischen Bedingungen selber gehörte. Der Absolutismus bedingt die Genese der Aufklärung; die Aufklärung bedingt die Genese der Französischen Revolution.“(Reinhart Koselleck, Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, 1959, Diss.Heidelberg 1954, Taschenbuchausgabe 1973, S. 4f.)

Die schwach konstruierte Intrige – Ferdinand soll Luise abspenstig gemacht werden – gelingt, weil der Mann eifersüchtig und eitel ist. Luise, die unter Zwang und aus Angst um Vater und Mutter einen Liebesbrief an den Hofmarschall schreibt, erscheint ihm als lasterhafte Schlange und Metze. Verblendet wie er ist, erkennt er ihre Liebe nicht.

Am Ende sterben Luise und Ferdinand an vergifteter Limonade, der Präsident wird nach Ferdinands Anklage abgeführt und letztendlich wird sich nur der Fürst noch einmal über die Runden retten können, sich aber eine neue Mätresse suchen müssen.

Norman Weiss
https://notizhefte.com/

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

6 Gedanken zu „#MeinKlassiker (21): Norman Weiss ist für Kabale und Liebe“

  1. Auch meine erste Begegnung mit dem Stück Kabale und Liebe fand in der Oberstufe statt, jedoch eher analytisch statt vortragend. Und natürlich stellte auch unsere Deutschlehrin im Vergleich Emilia Galotti vor. Das stand bestimmt in den 70iger auf dem Lehrplan.
    Mehr Erinnerung habe ich an die Aufführung des Stücks im Schillertheater in Berlin, es war mein erster Theaterbesuch und so kann ich mich gut an die Stimmung erinnern. Ich war mit einer versierten Theaterbesucherin bei der Vorstellung und staunte, über ihre Kommentare zu Schauspielerinnen und Schauspieler, dem Sekt und das kleine Schwarze.
    Danke für die Erinnerungen, Norman, die dein Beitrag bei mir hervorrief.

    Birgit, ich schreibe gerne einen Beitrag über meinen Klassiker 🙂 aber es braucht noch etwas Zeit. 🙂

    Einen schönen Tag von Susanne

    1. Liebe Susanne,
      wir hatten einen ähnlichen Lehrplan, auch mir begegneten die Kabale als erstes in der Schule, später folgten Aufführungen in Ulm, München, Augsburg – natürlich kein Vergleich zu Berlin 🙂 Aber dennoch: Vor einigen Jahren war ich als Begleitperson mit einer Lehrerin und deren Schulklasse im Theater bei diesem Stück – und es ist erstaunlich, wie lebendig Schillers Sprache immer noch wirkt, wie es die jungen Leute mitgerissen hat (bis auf einen, der eine Chipstüte mit ins Theater brachte!!! – nun, meine Lehrerin-Freundin hat ihm nachdrücklich beigebracht, was der Unterschied zu einem Kino ist). Über einen Beitrag von Dir freue ich mich – das hat aber keine Eile, die Serie läuft und läuft und läuft erfreulicherweise. Liebe Grüße, Birgit

    1. Das mit Schiller und Goethe ist wie die Stones und Beatles – früher war das fast schon eine Glaubensfrage. Und als gebürtige Württembergerin ist klar, wer mein Held war 🙂 Aber mit den Jahren, steigender Vernunft und mehr Wissen legt sich natürlich so ein Schwarz-weiß-Bild. Dennoch bleibt Schiller für mich als Schriftsteller ein „Held“, der Mann der Freiheit. Allerdings habe ich an seinem privaten Frauenbild zu knabbern und er war auch, was seine handschriftlichen Vermerke zur Haushaltsführung etc. belegen, ein echter Schwabe 🙂

      1. Naja, das Geld war knapp – und das Frauenbild sicherlich weit verbreitet – für mich ist und bleibt er ein Renegad und das fasziniert nach wie vor 😉

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.