#MeinKlassiker (16): Florian L. Arnold reist in die Gelehrtenrepublik

Der Autor, Zeichner und Verleger Florian L. Arnold nennt ein Buch seinen Klassiker, das ihn nie losließ: „Die Gelehrtenrepublik“ von Arno Schmidt.

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Bild von Achim Scholty auf Pixabay

Florian L. Arnold ist ein Multitalent. Zu seinen Fähigkeiten gehören: Zeichnung & Illustration, Satire, Schriftstellerei, Selbstausbeutung, fruchtloses Jammern und Ignorieren der herrschenden Verhältnisse.
Wer nun meint, ich stellte meinen Gastautoren etwas gröblich vor – Florian charakterisiert sich so auf seiner Homepage selbst: http://www.florianarnold.de/
Ich kenne ihn nicht fruchtlos jammernd, sondern äußerst anpackend: Unter anderem als Initiator der Literaturwoche Donau und neuerdings als Verleger gemeinsam mit Rasmus Schöll. Ihrem Verlag „Topalian & Milani“ habe ich – ich schrieb bereits davon – mein schönstes Buch des Jahres zu verdanken. Seinen Roman „Die Ferne“ habe ich in diesem Jahr mit Genuss gelesen – und war daher auch sehr gespannt auf seinen Klassiker:

„Wir drehen uns! : Auf der Stelle?“
Arno Schmidts „Die Gelehrtenrepublik“ ist „Mein Klassiker“

Mit 19 oder 20 las ich „Die Gelehrtenrepublik“ das erste Mal und  durchstieß die an der Oberfläche des Romans schillernden Gewebe von  Ironie und Kritik nicht, hatte auch noch zu wenig Sinn für die  sprachlichen Delikatessen, die der Autor so großzügig in seinen Texten  ausbreitet. Dennoch: das Buch ließ nicht los, wollte wieder gelesen und  verstanden werden.
Das neuerliche Lesen einige Jahre später entflammte eine Liebe zum Schmidtschen Kosmos, die mit jedem Jahr weiter wächst und mich unterdessen seine Bücher genießen läßt wie einer, der verdurstend eine Wüste durchwandert, sich an den ersten Schlucken Wasser nach der Tortur erfrischt. Warum, geht es mir bei jedem Satz des Meisters herum, findet sich heute kein solcher Schmidt mehr, der so virtuos mit Stoffen und Sprache zu spielen versteht?

Mag sein: Arno Schmidts „Die Gelehrtenrepublik“ ist keine „aktuelle“ Literatur, aber ihre Darstellung eines historischen Konflikts ist in diesen Tagen, da sich die Großmächte angiften wie zuletzt vor 40 Jahren, sehr eindrücklich und zeigt, daß Konflikte, die wir überwunden glaubten, jederzeit wieder aufbrechen können. Schmidts Roman aus den 50er Jahren ist, bei aller Zuspitzung auf den historischen Konflikt von Ostblock und Westen, heute wieder sehr passend. Seine abstrahierende, zugleich durch Humor, Skurrilität und Satire gewürzte Erzählung appelliert an das zeitlose Vernunftideal der Aufklärung. Zugleich wird deutlich, wie pessimistisch Schmidt die menschliche Entwicklung sieht. „Die Gelehrtenrepublik“ ist mit ihren Verweisen in die Vergangenheit ein wichtiges und künstlerisch hochrangiges Stück Literatur, das sich unverändert als dystopische Vision einer (unverändert: nahen) Zukunft liest.

Nach einem nicht näher beschriebenen Atomkrieg haben sich die Gräben zwischen den Systemen der USA und der Sowjetunion tiefer aufgetan als zuvor. Europa ist Geschichte, zerteilt durch Kleinkonflikte und Verseuchung. Die USA sind weitgehend unbewohnbar geworden, in unzugänglichen Korridoren hausen Kreuzungen von Mensch und Tier und der Mond – nun Müllhaufen der geschieterten Menschheit – ist von einem roten Fleck entweiht, der, ähnlich dem „Roten Fleck“ auf dem Jupiter, als  Sinnbild einer zerstörerischen und unbegreiflichen Macht zu verstehen ist: „In den Krater Wargentin, im Süden, hatten beide Staaten, USA und UDSSR, angeblich ihr ‚gesamtes spaltbares Material’ geschossen… Das Ergebnis war ein rechter Halemaumau in jener Wallebene gewesen, auch bei Neumond sichtbar (…), dabei konnte sich jedes Kind am Arsch abklavieren, daß man die Versuchsexplosionen bloß in den interplanetarischen Raum  verlegt hatte (..)“.

Schmidts sprachliche Kraft muß kaum noch einmal betont werden. Mit jedem Satz erschafft er Welten. In lakonischen Einschüben und seinen in die mitunter ungeheuerliche seelische Untiefen eröffnenden Dialoge einprasselnden Satzzeichen stecken meisterliche Andeutungswelten. Einmal mehr, wie in fast all seinen Werken, ist die Natur die einzige Macht, der alles sich beugen muß. Verheert, pervertiert und doch in  ihrer Mächtigkeit ungebrochen gebiert sie neues Leben – Mutationen, denen sich der Ich-Erzähler annähert, die er zuletzt sogar als „menschlicher“ begreift als die verbliebene Menschheit selbst. Die sich, eine dieser hellsichtig-ironischen Analysen Schmidts, unbelehrbar weiter allein um sich selbst dreht.

Dies der Rahmen für den eigentlichen Witz, die Insel, irgendwie zusammengebaut aus allen Trauminseln der gesammelten Literatur, angefangen bei Schnabels „Felsenburg“, die Schmidt so sehr schätzte, bis  hin zu Gullivers fliegenden Inseln, die ja auch schon Sinnbild eines Eskapismus waren. Schmidts Trauminsel ist aus Metall, ist riesig,  verkommen, heißt IRAS („International Republic for Artists and  Scientists“). Man höre: Nicht die Politiker, die Reichen und die vermutet Wichtigen retten sich in Schmidts Utopie, sondern die Wissenschaftler, die Künstler, die Musen! IRAS ist der durchorganisierte Hort der Restvernunft, und bildet doch mit feiner Schmidt’scher Ironie die ganze Unvernunft des Menschen ab. Es gibt „Zonen“, es gibt  Überwachung, Mißtrauen, Soldaten, Ränke und Intrigen. Keiner könnte das in so wenigen wohlgesetzten Worten so geistreich zwischen deftiger  Satire, zarter Traurigkeit und visionärem Ausblick schweben lassen wie  Schmidt. IRAS ist ein einziges Scheitern, orientierungslos dahinschwimmend: „Wir drehen uns! : Auf der Stelle?“

Die Hauptfigur, ein Mann namens Winer, so viel sei verraten, bricht Tabus, und nicht wenige davon. Zentaurenstämme, Spinnenkolonien und Schmetterlingsmenschen, allesamt Mutationen, entstanden in der Folge des Atomaren Krieges, finden seine Sympathie. Das ist in dieser bizarren neuen Welt verwerflich. Aber er übertritt alle Gebote, als er sich in ein Zentaurenmädchen (Thalja) verliebt und sogar Sex mit ihr hat. Das  Ablehnen der Tiermenschen fällt Winer immer schwerer, am Ende verliert er sich an die „tierische Seite“, auch hier eine weitere liebevolle Referenz an „Gulliver“. Zugleich aber durchstrahlen die Ereignisse des Holocaust, des Kalten Krieges immer, selbst in den heitersten Momenten der „Gelehrtenrepublik“, den Text. Auch die Tiermenschen sind getrieben von Mordgier, Mißgunst, niederen Instinkten. Das Paradies, das Winer für kurze Augenblicke bei den Mutantenwesen zu finden meint, ist nur eine andere Form der menschengemachten Hölle. Die Möglichkeit einer besseren Realität kann nur ein Traum bleiben („Einmal lebt’ich wie Götter’ !!!“).

Nur einem so akribisch alle Bedeutungsgeflechte durchdringenden Autor wie Schmidt konnte es gelingen, ein Stück „utopischer Literatur“ zu schreiben, das den Leser mit schönen wie erschreckenden, mit eiskalten wie herzenswarmen Szenen in ständiger wohliger Unruhe hält. Die fieberige Sprache macht mit geradezu chirurgischer Präzision die größten Greuel sichtbar. Und Schmidts „veräußerte innere Monologe“ halten das  Beschriebene auf der menschlichen Ebene, im Gedankenkreis des Möglichen.

Ein Roman der Ungeheuerlichkeiten, der alle Möglichkeiten und Techniken neuzeitlicher Romankunst in sich vereint: etwa das mutwillige Spiel mit der Fiktion und das Erzählen über das Erzählen. Die unerschöpfliche Erfindungsgabe und Sprachkraft macht diesen gewiß nicht „einfach“ zu lesenden modernen Klassiker zu einem hinreißenden literarischen Spiel. Alle wirklichen und möglichen Welten sind im Universum dieses Romans  „Die Gelehrtenrepublik“ enthalten.

Florian L. Arnold
www.florianarnold.de
www.literaturport.de/Florian-L..Arnold/
www.wortknecht.com


Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

5 Gedanken zu „#MeinKlassiker (16): Florian L. Arnold reist in die Gelehrtenrepublik“

  1. oho – Arno Schmidt … so langsam aber sicher kriege ich durch die Klassiker hier auch meine Antworten zu den 10 Bücherfragen zusamenn 😉 Also Schmidt ist einer, vor dem ich persönlich Bammel habe … LG

      1. literarische Amazone – wow, das gefällt mir ,))) Aber doch, ja ich habe Bammel vor Arno Schmidt 😉 So ist das eben. LG

  2. Liebe Bri, auch „Tina“ von Arno Schmidt wäre ein guter (und amüsanter) Start. Man muß ihm etwas Zeit lassen, aber dann „hat“ er einen. Und läßt nicht mehr los;)

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