#MeinKlassiker (12): Das siebte Kreuz – ein Roman von aktueller Brisanz

Dagmar Eger-Offel ist davon überzeugt, dass „Das siebte Kreuz“ zu den epischen Werken zählt, die nie an politischer Aktualität verlieren.

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Bild von Lense_n_Pen auf Pixabay

Literatur im Fenster ist ein eingetragener Verein, der seit 2009 vielerlei Veranstaltungen im Bereich     Erwachsenenbildung organisiert. Das Projekt „Frauenakademie“ und das Projekt „Studium Generale“ sind Unterrichtsprogramme vom Baden-Württembergischen bzw. Bayrischen Volkshochschulverband. Darüber hinaus werden von dem Verein auch Schreibwerkstätten angeregt, Formate des offenen digitalen Lernens angeboten, und vieles mehr. Auf dem Blog des Vereins veröffentlicht dessen Vorsitzende, Dagmar Eger-Offel, ab und an auch Rezensionen, die stets mit feiner Feder verfasst sind. Ich habe sie gebeten, eine ihrer Besprechungen für die Reihe #MeinKlassiker um einige persönliche Worte zu ergänzen – weil auch mir dieser Roman ausgesprochen wichtig ist:

„Dieses Buch ist den toten und lebenden Antifaschisten Deutschlands gewidmet.“

Anna Seghers’ umfangreicher Roman „Das siebte Kreuz“ über die Verhältnisse im Hitler- Deutschland der späten dreißiger Jahre zählt zu den epischen Werken, die nie an politischer Aktualität verlieren. Ihre Widmung auf dem Vorsatzblatt ist gerade jetzt brandaktuell und zeigt, von welcher Brisanz die Thematik ist und von welcher Bedeutung, sich mit der Geschichte und der Literatur dieser Zeit auseinanderzusetzen.

Beinahe wäre eines der wichtigsten Bücher der Exilliteratur nie zur Veröffentlichung gekommen. Auf ihrer Odyssee von Paris über Madrid, Moskau, beendete sie 38/39 den Roman in Paris, flüchtete weiter über USA, Mexiko, Polen, USA, wo Das siebte Kreuz 1942, nachdem zwei Manuskripte verloren gegangen waren, erstmals erschien. Obwohl sie Deutschland bereits 1933, kurz nach Hitlers Machtergreifung verlassen und erst 1947 in Berlin wieder deutschen Boden betreten hat, konnte sie sich auf authentische Informationen von ehemals Inhaftierten aus dem KZ Sachsenhausen in ihrer Geschichte beziehen. Die Schicksale der politisch Inhaftierten werfen ein eindeutiges Licht auf die Struktur des Faschismus und seine Vollstrecker in den ersten Jahren des Nationalsozialismus. Und auf die Fähigkeit couragierter Menschen, diesem Machtgebaren zu jeder Zeit etwas entgegenzusetzen. Seine fesselnde Wirkung zieht der Roman nach wie vor aus der Botschaft, dass der Nationalsozialismus besiegbar sei.  Auch unter den Vorzeichen von Angst und Gewalt ist es die persönliche Haltung, die persönliche Entscheidung, die den Einzelnen zum Unbesiegbaren macht.

Es ist die Geschichte eines Ausbruchs von sieben Gefangenen aus einem KZ, von denen nur einer überlebt. Ein Entkommener wird zum Hoffnungsträger aller Antifaschisten und alle Helfer zu persönlichen Helden.

Anna Seghers knüpft vielerlei Assoziationsbilder in ihre Geschichte, sie nimmt Anleihen bei Homer, Dante und der Bibel, um durch die Kraft der Symbolik das Zeitlose des Geschehens zu unterstreichen. Was aber am meisten beeindruckt, ist die Vielschichtigkeit der vorgestellten Charaktere. Es gibt aus allen Gesellschaftsschichten, aus allen Milieus Verräter. Ihre Gründe sind so unterschiedlich wie ihr Verhalten. Die einen denunzieren aus Angst, die anderen aus blinder Unterwürfigkeit, andere, um beruflich überleben zu können, wieder andere unter sozialem Druck und manche aus reiner Bosheit. Es wird kein einseitiges Bild der Denunzianten gezeichnet. Die meisten unterliegen ihrer Angst und das Gefühl des Entsetzens darüber, wie schrecklich Zustände sind, in denen man niemandem trauen kann, prägt sich tief ein. Genauso vielfältig sind aber auch die Gründe derjenigen, die dem Flüchtenden auf irgendeine Art helfen oder beistehen wollen. Es sind Charaktere, die nach wie vor ihrer politischen Überzeugung treu im Untergrund gegen das Regime arbeiten. Es sind aber auch Menschen dabei, die direkt aus dem Herzen heraus hilfsbereit reagieren und sich gegen die eigene Angst auflehnen. Menschen, die erst in der Notwendigkeit, welche die Situation gebietet, ihre politische Dimension des Handelns entdecken. Die Varietät der Wege des Humanen ist der eigentliche Gewinn an der Lektüre dieses Buches. Trotz aller wahrhaft erschreckenden Einblicke die das Buch in niederes menschliches Gebaren auf Seiten derer, die vermeintlich am längeren Hebel sitzen, gewährt, ist es doch ein Mutmachbuch und es endet mit einem auf ewig gültigen Satz: „Wir fühlten alle, wie tief und furchtbar die äußeren Mächte in den Menschen hineingreifen können, bis in sein Innerstes, aber wir fühlten auch, dass es im Innersten etwas gab, was unangreifbar war und unverletzbar.“

Das Buch habe ich erneut ausgegraben, weil es gerade jetzt wieder die gefährlichen Mechanismen einer faschistischen Einflussnahme unter die Lupe nimmt. Durch Populismus und Propaganda verblendete Menschen entziehen sich selbst und allen anderen den Blick auf das höchste Gut: die Freiheit. Und was mich wieder tief beeindruckt hat neben einer kunstvollen Komposition mehrerer Handlungsstränge ist vor allem die Komplexität der Charaktere. Anna Seghers gibt sich nirgends mit Stereotypen ab, sondern zeichnet Figuren, die sich durch ihre inneren Kämpfe ihrer Überzeugung immer wieder selbst vergewissern müssen. Was aber dann entsteht, geht weit über das Persönliche hinaus. Es ist die Kraft der Solidarität, die diese Menschen zu Unbesiegbaren macht.

Anna Seghers: Das siebte Kreuz. In Deutschland erstmals in Deutschland 1946 erschienen im Aufbau Verlag, Berlin. Neu erschienen ist 2015 im Aufbau Verlag, Berlin eine Ausgabe mit Originalillustrationen von 1942.

Dagmar Eger-Offel
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Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

19 Gedanken zu „#MeinKlassiker (12): Das siebte Kreuz – ein Roman von aktueller Brisanz“

  1. Vielen Dank für diesen Text! Leider ist die Lektüre bei mir wieder viel zu lange her und ich erinnere mich kaum noch an das Buch.
    Man bräuchte nicht nur eine Liste von Büchern, die man noch gerne lesen würde, sondern auch eine Liste von Büchern, die man gerne wieder lesen würde. Ein Jammer.

    1. Ich sag ja bei den Klassikern gerne: Unbedingt. Aber bei Anna Seghers muss ich sagen: Sehr unbedingt! Das siebte Kreuz und Transit haben mich beim ersten Mal so beeindruckt – wegen der Klarheit der Sprache, aber auch der Klarheit der Haltung der Autorin, ihrem Mut, ihrer Klarsicht. Ich kann nur sagen: Lies es sehr unbedingt.

  2. Ich hab’s vor langer Zeit gelesen und es ist mir stark in Erinnerung geblieben. Insgeheim habe ich mir ein paar Überlebenstricks gemerkt, die der Geflüchtete nutzt. „Die Last des Trägers rechtfertigt den Träger“. Steht ja alles noch dahin, ob wir es mal wieder brauchen.

    1. Obwohl vieles gerade sich in beängstigende Richtungen entwickelt – ich hoffe doch, dass die Zeiten nicht so dunkel werden. Das Zitat – ein eindrückliches Beispiel für diese Anna Seghers-Sprache.

  3. Einer meiner (ich darf es mal so ein einen Anglizismus fassen ) „All time favourites“. Eines der wenigen Bücher, die ich mehrmals gelesen habe. Und es gab erst letztens eine Radioeinlesung. Deshalb noch ganz frisch. Und ja: Unbedingt lesen!

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