#MeinKlassiker (6): Buchpost auf der Sturmhöhe

Die wilde Geschichte von zwei Familien, die im einsamen Yorkshire wie Naturgewalten aufeinandertreffen: Der Klassiker von Literaturbloggerin Anna.

bayreuth-4248250_1280
Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

Bei Anna auf dem Blog Buchpost sind Klassiker Programm – mit viel Hintergrundinformationen gespickt, mit viel Fakten zu den Büchern und den Autoren widmet sie häufig ihre Aufmerksamkeit Büchern aus der Vergangenheit. Umso mehr freute es mich, dass sie auch hier über einen Klassiker schreibt – über ihren Klassiker.

Anna über “Sturmhöhe” von Emily Brontë:

Da hat Birgit mal wieder eine Idee gehabt und wir dürfen ran an die Arbeit. Diesmal wollte sie wissen, welches denn so unsere ganz persönlichen Klassiker seien.

Eine Frage, bei der man natürlich ins Grübeln kommen könnte. Das geht schon bei der Definition los, was ein Klassiker ist. Und welches von all den Büchern, die ich schon gelesen habe, soll nun hier den Ehrentitel bekommen? Und doch, Birgits Anfrage erreichte mich gerade, als ich nach ca. 20 Jahren ein ganz bestimmtes Buch las, wiederlas. Ich musste also gar nicht lange überlegen. Mein Klassiker ist Wuthering Heights von Emily Brontë, einigen vielleicht eher unter dem deutschen Titel Sturmhöhe bekannt.

Die passende Kulisse: Das einsame, wilde Yorkshire

Die wilde Geschichte von den zwei unterschiedlichen Familien, die irgendwo im einsamen und rauhen Yorkshire wie Naturgewalten aufeinandertreffen, wurde erstmals 1847 veröffentlicht. Da wären zum einen die Earnshaws samt Findelkind Heathcliff, eine Familie, die mit dysfunktional noch sehr freundlich umschrieben wäre, und  zum anderen die gesitteten Lintons. Es kommt zu unglückseligen Eheschließungen, Geburten, Liebesleid, Rache und Tod und schließlich zu einer milden Ruhe nach all dem stürmischen Gebaren.

Hab’s schon als Teenager gelesen, ohne die geringste Ahnung, dass das ein echter Klassiker ist. Später die Schwarzweiß-Verfilmung gesehen. Weitere Verfilmungen gingen spurlos an mir vorbei. Das Buch reicht mir völlig. Im Studium habe ich mich monatelang mit dem Buch beschäftigt und es aus allen möglichen und unmöglichen Richtungen analysiert, interpretiert und dabei fast auswendig gelernt. Doch das Werk hat all dem standgehalten und begeistert mich heute noch genauso wie beim allerersten Mal.

Staunende Bewunderung

Es bleibt bewunderndes Staunen oder staunende Bewunderung angesichts eines Werkes, bei dem ich bei jedem Lesen etwas Neues entdecke, man wird mit diesem Buch einfach nicht fertig. Da gibt es z. B. eine große psychologische Feinheit, mit der die Autorin zeigt, welche Verheerungen eine miese und brutale Erziehung anrichten kann.

Wie in einem Spiegellabyrinth muss man überlegen, wem man glauben kann. Die Erzählerfiguren, der Städter Lockwood und die Haushälterin Nelly Dean, die oft genug selbst ihre Finger im Spiel hatte, wollen uns von Anfang an ihre Sicht der Dinge unterjubeln.

Und erst die Hauptfiguren: Catherine, ihr Bruder Hindley, Heathcliff, Edgar und Isabelle Linton. Hier tobt in zwei Häusern ein archaischer Sturm, scheinbar weit entfernt vom nächsten Ort, die Handlung drängt vorwärts; am Ende bin ich fast ein wenig erschöpft und brauche ein paar Tage, bis ich mich wieder auf ein neues Buch einlassen kann. Und dann die Frage nach der Schuld, alle tragen ihren Teil, gewollt oder ungewollt, zum Chaos, zum Herzeleid bei.

Und überhaupt, was ist eigentlich Liebe? Geht es wirklich um Liebe oder ist es eine schier unfassbare Selbsttäuschung, wenn Catherine beteuert:

„If all else perished, and he [Heathcliff] remained, I should still continue to be; and if all else remained, and he were annihilated, the Universe would turn to a mighty stranger. I should not seem a part of it. (…) my love for Heathcliff resembles the eternal rocks beneath – a source of little visible delight, but necessary. Nelly, I am Heathcliff – he’s always, always in my mind – not as a pleasure, any more than I am always a pleasure to myself – but, as my own being….“

Elena Ferrante beschreibt, was ein gutes Buch ihrer Meinung nach leistet. Nach dieser Definition ist Wuthering Heights ein phänomenal gutes Buch.

„Good books are stunning charges of vital energy. They have no need of fathers, mothers, godfathers and godmothers. They are a happy event within the tradition and the community that guards the tradition. They express a force capable of expanding autonomously in space and time.“

Elena Ferrante in einem Interview mit Sheila Heti, zitiert nach: ‘Be Silent, Recover My Strength, Start Again’: In Conversation with Elena Ferrante
Und jetzt wäre doch eine gute Gelegenheit, mal wieder „Wuthering Heights“ von Kate Bush zu hören.

Anna
https://buchpost.wordpress.com/


Der Musikwunsch wird gern erfüllt:

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen Aktuelle Rezensionen auf dem Literaturblog

17 Gedanken zu „#MeinKlassiker (6): Buchpost auf der Sturmhöhe“

  1. Anna und ich hatten neulich einen netten Dialog auf ihrer Seite – bei ihrer Besprechung zu Jane Austens “Stolz und Vorurteil” – es ging, kurz gesagt, darum, wer vorzuziehen sei als Mann: Heathcliff oder Mr. Darcy? Na, was meint ihr?

  2. Ach, es hat einfach wieder großen Spaß gemacht, bei deiner Reihe mitzutun und sie als Anlass zu nehmen, sich über den “eigenen Klassiker” Gedanken zu machen. Mir ging es beim Wiederlesen übrigens so, dass ich fast kein gutes Haar mehr an Catherine entdecken konnte… Freue mich schon auf die weiteren Beiträge in #MeinKlassiker.

    1. Cathy ging mir beim letzten Wiederlesen auch gewaltig auf den Zeiger. Ich hatte sie gar nicht so zickig in Erinnerung behalten und warum ihr Heathcliff so nachhing, war mir auf einmal schleierhaft. Aber der Roman ist auf jeden Fall ein Klassiker & deine Besprechung sehr gut.

      1. Danke dir. Ja, man kann die ganzen “Ich-bin-Heathcliff”-Metaphern durchaus als Illusionen einer kompromisslosen Egoistin deuten. Einfach ein spannendes, vielschichtiges Buch.

  3. Ich wurde zwar nicht gefragt, aber wen es interessiert, hier meine Gedanken zu “Wuthering Heights” 🙂

    https://achim-spengler.com/2016/09/11/emily-bronte-die-erde-der-himmel-und-der-grosse-rest/

    Und an Anna großen Dank.
    Für mich sind weder Heathcliff, noch Rochester und schon gar nicht Mr. Darcy die Männer meiner Wahl. ich hoffe doch, dass ich das als Mann so sagen darf 🙂 Obwohl es mir sehr schwer fällt, aus der englischen viktorianischen Literaturepoche überhaupt einen männlichen Protagonisten hervorzuheben. Dr. Jekyll vielleicht oder gar Silas Marner.

    Liebe Grüße

    Achim

    1. Lieber Achim, auch ungefragte Beiträge zu wohl zu #MeinKlassiker als auch zu den Artikeln sind willkommen 🙂 Wenn es Dich in den Fingern juckt, auch einen Klassiker beizusteuern, täte es mich freuen. Ach ja: Und bei der Männerwahl darfst Du natürlich auch mitsprechen. Silas Marner, der ewig Suchende … Liebe Grüße Birgit

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

%d Bloggern gefällt das: