#MeinKlassiker (2): Jürgen Bauer über „Die Niederlage“

Für den Schriftsteller Jürgen Bauer ist ein Roman von Charles Jackson sein Klassiker: „Die Niederlage“ erschien 1946, ein Pendant zu Manns „Tod in Venedig“.

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Bild von S. Hermann & F. Richter auf Pixabay

Mit seinen beiden bisherigen Romanen „Das Fenster zur Welt“ (2013) und „Was wir fürchten“ (2015), beide erschienen im Septime Verlag, hat sich der Schriftsteller und Journalist Jürgen Bauer  eine treue Lesergemeinde geschaffen. Peter Pisa schrieb über „Was wir fürchten“ im Kurier: „Zur intensiven Literatur wird es. Zum österreichischen Geheimtipp des zu Ende gehenden Bücherfrühlings.” Mehr Information hält der Autor auf seiner Homepage bereit: http://www.juergenbauer.at/

Ich freue mich sehr, dass Jürgen uns hier seinen Klassiker-Geheimtipp vorstellt:

Charles Jackson: Die Niederlage (The Fall of Valor)

Seien wir ehrlich. Der sogenannte „Kanon“ ist meist die Entsprechung Donald Trumps in der Literaturszene: weiß, männlich, heterosexuell. Zwar hat man irgendwann akzeptiert, dass es da draußen auch noch andere Identitäten gibt – so genau kennenlernen möchte man diese jedoch nicht. Zugegeben: das ist überspitzt (aber nur ein wenig). Vielleicht sollte man deshalb im Kampf gegen eine solche Einschränkung statt von Literatur vielmehr von Literaturen sprechen. Eine dieser Literaturen ist jene, die sich mit queerem Leben auseinandersetzt und das weite Feld der LGBT-Identitäten zwischen zwei Buchdeckeln abbildet. Doch in Literaturlisten, Klassikeraufzählungen und Literaturkanons fehlen deren Meisterwerke fast immer. Dezidiert schwule oder lesbische Literatur? Fehlanzeige. Ganz allein ist die Literatur in diesem Scheuklappendenken nicht. „Wenn in einer Szenenanweisung steht: Ein Mensch betritt die Bühne, hat man automatisch einen weißen heterosexuellen Mann vor Augen“, hat der Regisseur René Pollesch einmal gesagt. Und zu Händl Klaus‘ Film „Kater“ titelte eine Zeitung vor kurzem: „Ein Menschenfilm, kein Schwulenfilm.“ Man versteht die Intention und denkt trotzdem: Sind Schwule denn keine Menschen? Gut gemeint – immer noch das Gegenteil von gut.

Tod in Nantucket

Charles Jacksons Roman „The Fall of Valor“, erschienen 1946, hat vermutlich auch aus diesen Gründen bis heute nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die er verdient. Immer noch ist er weit weniger bekannt als Jacksons Alkoholiker-Roman „Das verlorene Wochenende“, dabei steht er diesem von Billy Wilder verfilmten Werk in Qualität, Stil und Kraft in nichts nach. Worum es geht? Um einen unglücklich verheirateten New Yorker Literaturprofessor, der im Kriegssommer 1943 Urlaub auf der Insel Nantucket macht und sich dort in einen jungen Offizier verliebt, sich jedoch erst nach und nach seinen Gefühlen stellt. Gefühlen, die im Amerika der Zeit verpönt sind. Ein gewagtes Thema also und einer der ersten in den USA publizierten Romane, der Homosexualität ganz zentral zum Thema macht und das Gefühlsleben seines Protagonisten ernst nimmt. Immerhin kannte der Autor sein Thema hautnah, haderte er doch selbst lange mit seiner Homosexualität. Schon als intime Seelenstudie ist der Roman also eine Wucht, doch Jackson geht darüber noch hinaus. „The Fall of Valor“ ist Zeitportrait, ist Auseinandersetzung mit Krieg und Tod, mit der Sehnsucht nach Jugend und Schönheit. Er ist die amerikanische Variante von Thomas Manns „Tod in Venedig“, quasi Tod in Nantucket. Ein Meilenstein also.

Ein Muss: schwul oder nicht

Und doch blieb der ganz große Erfolg bis heute aus, die Kritik der Zeit war sowieso gespalten. Zwar wurden um die 75.000 Hardcover-Exemplare und 291.000 Taschenbücher des Romans verkauft, doch zum Klassiker fehlt ihm schlicht die breite Bekanntheit. Erst 2016 erschien die deutsche Übersetzung von Joachim Bartholomae unter dem Titel „Die Niederlage“ beim Männerschwarm-Verlag. Nur zum Vergleich: Die Neuübersetzung von Jacksons „Das verlorene Wochenende“ im Dörlemann Verlag wurde von beinahe alle großen Zeitungen rezensiert. „Die Niederlage“? Meist Fehlanzeige, siehe oben. Dabei hat es dieser Roman verdammt nochmal verdient, endlich zum Klassiker werden. Warum? Weil er – ganz einfach gesagt –so geistreich-witzig und so berührend ist, dass er jede Leserschaft bereichert. Schwul oder nicht.

Jürgen Bauer
http://www.juergenbauer.at/

 

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

13 Gedanken zu „#MeinKlassiker (2): Jürgen Bauer über „Die Niederlage““

  1. Das klingt nach einem sehr interessanten Hinweiß, vielen Dank für den Tipp! Auch die Andeutungen zu dem zweiten Roman klingen spannend. Ach ja, die Liste der (noch) ungelesenen Bücher wird immer länger… Aber das Gute ist: Der hervorragende Lesestoff wird niemals ausgehen!

  2. Einen unkonventionellen Roman zur Konvention erklären. Das gefällt mir! Man sieht hier auch: LGBT reicht weiter zurück als die modischen Gender-Seminare an den Universitäten. Vergisst man manchmal. Ich würde gerne mehr darüber erfahren, also, gibt es noch weitere Bücher dieser Art (es gibt sie sicherlich, aber wo und von wem?)

    1. Als Verfasser des Beitrags: Ja, das war die Idee. Vorstellungen von Konvention hinterfragen! Wenn dich Bücher zum Thema interessieren, die sehr weit zurückreichen, dann empfehle ich:
      James Baldwin „Giovanni’s Room“
      Gore Vidal „The City and the Pillar“
      Thomas Mann Tod in Venedig“
      E.M. Forster „Maurice“
      Christopher Isherwood „A Single Man“
      Larry Kramer „Faggots“
      Jamie O’Neill „At Swim Two Boys“

      1. James Baldwin und E.M. Forster wären mir auch spontan eingefallen, Isherwood sagt mir auch was – aber dann bin ich auch schon am Ende. Ich habe gerade überlegt, was ich von der weiblichen Seite kenne: Ebenso wenig. Woran liegt das? Das ist das Thema, das mich derzeit bewegt – wie eben gute Literatur gar nicht wahrgenommen wird weil sie nicht in unsere klassischen Strukturen passt …

    2. Das hat mich an Jürgens Vorschlag eben auch so begeistert – lässt es eben doch auch nochmals einen anderen Blick auf den „Begriff“ Klassiker zu. Ein Thema, das mich derzeiten schon sehr umtreibt: Ein Kanon, Bestenlisten, aber auch Preisvergaben bilden immer auch gesellschaftliche Strukturen ab – wer entscheidet hier über die gute Literatur, wer veröffentlicht sie, wer kanonisiert sie? Was ich damit sagen will: Weil eben hier auch bestimmte Gruppen die Entscheider bilden, gelangen manche Bücher einfach nicht in den allgemeinen Fokus – schon unser Fokus als Leser liegt ja in der Regel auf der europäischen Kultur, allenfalls der amerikanischen Literatur, aber ganze Kontinente werden ausgeklammert. Und ebenso die Literatur, die bestimmte Themen zum Inhalt hat usw. Ich reite ja gerade etwas auf dem Frauenthema rum – siehe mein Beitrag mit den elf Büchern von Frauen. Das mag mancher belächeln, aber auch hier gibt es einfach Nachholbedarf – gerade in der öffentlichen Wahrnehmung und Wertschätzung: Frauen schreiben und das nicht schlechter, nur weil sie Frau sind. Selbst so Erzählerinnen wie Alice Munro werden jedoch oft in die Schublade „Frauenliteratur“ gesteckt. Dass ein aus den Werken der Vergangenheit bestehender Kanon jedoch überwiegend Werke von Männern beinhaltet, liegt ebenso wenig an der schlechteren Qualität weiblicher Autoren – sondern an den anderen Schreibbedingungen. So lange ist es nun ja auch nicht her, dass manche Frauen sich nur unter einem männlichen Pseudonym an die Öffentlichkeit wagten.
      Ich bin nun wirklich nicht für eine Quotenlösung – mir wäre es am liebsten, irgendwann wäre die Gesellschaft so weit, dass es gar keine Rolle mehr spielt, ob ein Roman von einer Frau geschrieben ist, ob er ein schwules Thema hat oder aus einem anderen Weltteil kommt. Dass einfach nur dieses zählt: Ist es ein gutes Buch? Ist es hervorragende Literatur? Aber ich habe eher den Eindruck, da entwickelt sich einiges eher rückwärts. Sehr gut gefallen hat mir der Vortrag von Britta Jürgs bei den Bücherfrauen – sie spricht über Bibliodiversität. Darüber, wie wichtig es ist, dass es die Indieverlage gibt, damit solche Bücher nicht verschwinden und vergessen werden. Auch das gehört zur Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt. Sonst haben wir irgendwann nur noch Literatur, die Mittelstandsproblematik älterer weißer Männer abbildet.

  3. Schon „Das verlorene Wochenende“ war mir gänzlich unbekannt, wurde aber ja, wie erwähnt, die Literaturseiten hoch und runter besprochen. Diese Buch hat schon durch den Verlag sicher wesentlich schlechtere Chancen. Ein „normaler“ Verlag hat sich (aus Rentabilitätsgründen) wohl nicht an dieses ach so heikle Thema herangewagt. Schön, dass es hier vorgestellt wird.

    1. Freut mich, wenn ich dem Buch etwas Aufmerksamkeit verschaffen konnte. Hat mich auch überrascht, dass der Dörlemann Verlag „Die Niederlage“ nicht ebenfalls gemacht hat. Aber das ist das Tolle an Verlagen wie Männerschwarm! Bei aller Problematik von thematischen Nischen – in Fällen wie diesen garantieren sie dann doch eine Präsenz.

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