Joachim Ringelnatz – Malerstunde

Joachim Ringelnatz war nicht nur ein begnadeter Dichter, Kabarettist und Wortjongleur. Sondern auch ein äußerst talentierter Maler.

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„Dachgarten der Irrsinnigen“, 1925, Öl auf Leinwand, Clemens-Sels-Museum Neuss.

Malerstunde

Mich juckt`s,
Doch ich kann mich nicht jucken,
Weil meine Finger voller Farbe sind.

Dabei habe ich den Schlucken.
Wenn ich den Pinsel – – Hupp schluckt`s.

In meinem Fliegenspind
Summt eine Fliege grollend,
Eingesperrt, hinauswollend.
Keine Fliege lebt von Worcester-Sauce.

Ach, Hunger tut weh.
Aber er schont die Hose
Und macht sie locker.

Ha! Jetzt habe ich eine Idee!
Weh! Aber keinen Lichten Ocker.

Joachim Ringelnatz in: „Gedichte dreier Jahre“

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„Kindheit“, 1928, Öl auf Leinwand, Privatbesitz

Reich (an Geld) war Ringelnatz in seinem Leben nie. Aber an Talenten. Und in der Zeit, als er sich mehr und mehr dem Malen zuwenden konnte, ging es ihm nicht ganz so schlecht wie dem armen Pinsel in der „Malerstunde“ – die Farbe Ocker konnte er sich leisten und er machte auch Gebrauch von ihr. Davon zeugt derzeit eine Ausstellung im erst im Dezember 2015 eröffneten „Zentrum für Verfolgte Künste“ im Kunstmuseum Solingen. Mit „Es war einmal ein Bumerang – Der Maler Joachim Ringelnatz kehrt zurück“ ist dort die erste Sonderausstellung zu sehen und zugleich die erste umfassende Werkschau zum malenden Ringelnatz. Da schlägt mein Herz im Muschelkalk gleich doppelt hoch.

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„Flugzeugblick“, 1928, Öl auf Leinwand, Privatbesitz

Die Gemälde des Malers doch noch einmal ein anderes Bild vom Menschen und Künstler Ringelnatz selbst, wie auch Jürgen Kaumkötter – neben Ringelnatz-Biograph Hilmar Klute – Kurator der Ausstellung im Vorwort zum Katalog hervorhebt:

„Am Ende seines Lebens überstrahlt der Maler Ringelnatz den Dichter. Als er im November 1934 stirbt, waren die Weichen des Vergessens seiner Bilder jedoch schon gestellt und wir können nicht nur den Nationalsozialisten und der »Aktion Entartete Kunst« alleine die Schuld in die Schuhe schieben, die natürlich die Auslöser des Verschwindens des Malergenies waren. Es ist auch die Nachkriegsgesellschaft und die jahrzehntelang ignorante Kulturlandschaft, die den ernsten Maler Ringelnatz nicht zur Kenntnis nehmen will. Zu anders, zu eigenständig, zu weit entfernt ist das, was er malt, von seiner beliebten Dichtung. Er liefert als Maler dem Publikum nicht den anarchistischen Entertainer. Wir wollen den lustigen, den tollkühnen Ringelnatz mit seinen feinfühligen Versen, wir wollen uns aufgehoben fühlen, nicht mit unseren Urängsten konfrontiert werden. Nun kehrt der Maler mit der ersten umfassenden Werkschau zurück.“

Als Ringelnatz-Leserin wußte ich schon, dass das tanzende Seepferdchen immer wieder auch den Zeichenstift zückte – seine „Kinderbücher“ sind ein Beweis für das begabte Multitalent, hier und dort waren in einzelnen Ausgaben auch Skizzen und Illustrationen aus seiner Hand eingestreut. Neben George Grosz sollte vor allem die enge, lebenslange Freundin Renée Sintenis (die auch die berühmte Ringelnatz-Büste anfertigte) ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass zum Talent die Technik hinzukam – sie unterstützt ihn in seiner Doppelbegabung, 1923 folgt die erste Ausstellung in Berlin, weitere Ausstellungen mit großem Erfolg schließen sich dem an, später gibt er im Telefonbuch als Berufsbezeichnung „Kunstmaler“ an.

Dennoch: Lange blieb Ringelnatz nur als der verspielte, humorvolle Wortschmied im kollektiven Gedächtnis (auch seine melancholische literarische Seite wurde kaum oder ungern wahrgenommen), der Maler Ringelnatz geriet ganz in Vergessenheit. Dabei umfasst das Werkverzeichnis – erst im Jahre 2000 wurde dank eines Forschungsprojektes an der Universität Göttingen ein erstes erstellt, unter www.ringelnatz.online wird dies seither fortgeschrieben) – knapp 250 Bilder! Viele davon jedoch verschollen, verloren, ver… – doch ein Ringelnatz verschwindet nicht, der Bumerang kehrt zurück… So sind in Solingen auch Reproduktionen verschollener Werke zu sehen.

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„Auf dem Kohlendampfer“, 1926, Öl auf Leinwand, Privatbesitz

Wo die Werke des Malers geblieben sind, darüber schreibt Jürgen Kaumkötter im Katalog:
„Die Blaupause des Vergessens und Übersehens ist klar und deutlich. Die Zeit als aktiver Künstler war zu kurz. Die damaligen Verkäufe gingen fast ausschließlich in Privatsammlungen. Heute ist die Hälfte des bekannten Werkes verschollen oder zerstört und aus den Privatsammlungen gelangte nur wenig in öffentliche Institutionen. Wenn jemand einen Ringelnatz hatte, gab man ihn nicht wieder her. Die Nationalsozialisten und ihr zerstörerisches Echo in beiden Deutschlands besorgten den Rest. Zwei Jahre lebt Ringelnatz noch unter der nationalsozialistischen Diktatur, die sich auch an seinem schmalen bildkünstlerischen Werk verging, dann starb Ringelnatz und das Werk des Malers geriet in Vergessenheit. Das Bild »11 Uhr nachts« wurde aus der Berliner Nationalgalerie entfernt, aufgekauft vom Kunsthändler Wolfgang Gurlitt. Die letzte Spur hinterlässt das Bild auf der Rückseite eines Fotos aus den 1930er-Jahren: jetzt sei es in Düsseldorf. Es ist bis heute verschwunden.“

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„Elefant im Sturm“, 1927, Öl auf Leinwand, Privatbesitz

Was macht den Maler Ringelnatz nun so besonders? Im leider bereits vergriffenen Ausstellungskatalog kann man sich ein ungefähres Bild davon machen – Gemälde wie „Flucht“, „Nächtliches Gelage“ oder auch „Herbstgang“ sind von einer eigenartigen düstereren Wucht, trotz der teils naiv-verspielten Figurenzeichnung. Namhafte Kunstexperten und Schriftsteller – darunter Alain Claude Sulzer, Peter Wawerzinek und Stefan Koldehoff – würdigen in ihren Katalogtexten den malenden Ringelnatz, Jürgen Kaumkötter schreibt sehr treffend über ihn:

„Ringelnatz ist seine eigene Insel. Die Bilder reflektieren nicht die äußere Welt. Die damals üblichen Motive streift er noch nicht einmal. Auch wenn der Mensch klein wird vor der Urgewalt der Natur und der Ohnmacht gegenüber seinem Unbewussten, sind Ringelnatz’ Bilder kein Manifest des Misstrauens. Sie zeigen, dass der Mensch mit seinem Weltschmerz alleine bleibt.“

Für alle Abbildungen liegt das Copyright beim Zentrum für verfolgte Künste.

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„Treibende Schollen“, 1928, Öl auf Leinwand, Privatbesitz

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

21 Gedanken zu „Joachim Ringelnatz – Malerstunde“

  1. Das ist eine tolle Werbung der Ringelnatz-Expertin für eine nicht gerade alltägliche Ausstellung und eine bemerkenswerte Einrichtung, nämlich das Solinger Zentrum für verfolgte Künste. – Danke für den Link.

    1. Liebe Ingrid, ich bin schon ein wenig traurig, dass ich das selbst nicht schaffe – aber Solingen ist halt doch ein Eck weg. Ich hoffe mal, die Ringelnatz-Ausstellung wird noch woanders gezeigt … und das Zentrum lohnt sich auch so, wie ich auch Deiner Post entnahm.

    2. Vielen Dank für den schönen Artikel zu unserer Ausstellung „War einmal ein Bumerang. Der Maler Joachim Ringelnatz kehrt zurück“.
      Kleiner Trost für alle, die die Ausstellung nicht sehen konnten und/ oder die keinen Katalog mehr erhalten haben: Wir planen die Herausgabe eines ebooks. 🙂

      Ein schönes Wochenende wünscht:

      Das Team vom Zentrum für verfolgte Künste

      1. Vielen Dank für diese nette Rückmeldung, über die ich mich sehr freue!
        Herzliche Grüße zurück an das Team und bei der Gelegenheit auch an die Stadt, in der ich lange gelebt habe …

    1. Sehr gerne … Aber einäschern musst Du Dich deswegen nicht 🙂 Der MALER Ringelnatz ist wirklich bislang nur wenigen bekannt, leider – aber das Zentrum, die Herren Kaumkötter & Klute, sie sorgen nun ja für die Wiederentdeckung…

  2. Würde so gern nach Solingen, aber das ist zeitlich bis zum Ausstellungsende leider nicht mehr möglich, umso mehr Danke für diesen Artikel. LG, Anna

  3. Danke für diesen umfassenden Überblick, Birgit. Es ist eine Schande, wie so viele Künstler und Wissenschaftler auch noch in der Nachkriegszeit nicht wieder in die Gedächtnisse aufgenommen wurden. Liebe Grüße von Susanne

    1. Liebe Susanne,
      das stimmt – sie wurden im mehrfachen Sinne „ausgelöscht“. Wobei Ringelnatz irgendwie schon immer da war – aber es wurde eben nur die komische Seite wahrgenommen. Lange galt er nicht als ernstzunehmender Literat, das änderte sich auch, und jetzt wird der Maler wieder entdeckt.
      Einen schönen Sonntag, Birgit

  4. Gerade noch mal diesen Artikel und die Bilder dazu besehen, wirklich hochinteressant! Und Ringelnatz kannte ich gar nicht als Maler. Was eine richtige Lücke ist, wie deine Bildauswahl zeigt. Zur Ausstellung werde ich es auch nicht schaffen, aber der Katalog … Liebe Grüße
    Petra

  5. Liebe Birgit,
    danke für die interessanten EINBLICKE, die mir Dein Bericht gewährt.
    Ich traue mich kaum zuzugeben, daß ich es nicht in die Ausstellung geschafft habe, obwohl ich in nur zehnminütiger Fußwegentfernung vom Solinger Kunstmuseum wohne.

    Nachtaktive Grüße von der kunstbanausigen Ulrike 😉

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