Literarische Orte: Ossip Mandelstam – Wort und Schicksal in Heidelberg

1909 immatrikulierte sich Ossip Mandelstam an der Universität Heidelberg. Er blieb bis zum März 1910. Eine Ausstellung erinnerte an seinen Aufenthalt.

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Bild von skeeze auf Pixabay

War niemands Zeitgenosse, wars in keiner Weise,
solch Ehre ist zu hoch für mich.
Ein Greul, wer da so heißt, wie sie mich heißen,
das war ein andrer, war nicht ich.

Ossip Mandelstam in der Übertragung von Paul Celan (1959, Quelle: „Gedichte“, Fischer Taschenbuch Verlag, Ausgabe 1983).

Kein Zeitgenosse wollte er sein – und wurde zu einem Zeitlosen der Poesie: Ossip Mandelstam, 1891 – 1938, verstorben in einem Gulag. Die Sprache dieses „modernen Orpheus“ (Joseph Brodsky) sie trifft uns auch heute noch mitten ins Herz, packt den Verstand – einer, der den „ganzen“ Menschen meint.

„Auch unsere Zeit darf Mandelstams Poesie in Anspruch nehmen, deren lyrische Intensität und Klangmagie, die Kraft unerhörter Bilder, das weite Netz der kulturellen Assoziationen, die Tiefe eines Gedächtnisses ebenso wie eine bestürzende Widerständigkeit. Diese Poesie spricht von der Zerbrechlichkeit des Menschen in einer Zeit größter Gefährdung.“

Ralph Dutli, Herausgeber des Ossip-Mandelstam-Lesebuch „Bahnhofskonzert“, Fischer Taschenbuch, 2015.

Celan und Dutli, die beiden Übersetzer des russisch-jüdischen Dichters, auch sie waren in der Ausstellung „Wort und Schicksal“ vertreten, die 2016 in Heidelberg zu sehen war. Der Dichter lebte einige Zeit in der heutigen UNESCO-Literaturstadt.

Studium in Heideberg

Hier immatrikulierte sich Mandelstam 1909 für ein Studium der Romanistik und Kunstgeschichte, er blieb bis zum März 1910. In seiner russischen Heimat bestand zu jener Zeit eine Dreiprozentquote für jüdische Studenten, das Studium in der Heimat war ihm verschlossen. Schließlich, 1911, lässt Mandelstam sich christlich taufen, um dann doch noch an der Petersburger Universität studieren zu können.

Erste Gedichte in Briefen an Woloschin

Die ersten veröffentlichten Gedichte Mandelstams entstanden in der Stadt am Neckar: „Vom feuchten Stein herunterschauend …“, „Nur sprecht mir nicht von Ewigkeit…“, sie waren Briefen an seinen Freund, den russischen Maler und Dichter Maximilian Woloschin, beigelegt. Kopien des Autographs (das Original wird im Institut für russische Literatur, dem Puschkin-Haus in Moskau, aufbewahrt) waren in der Ausstellung ebenso zu sehen wie das „Studien- und Sittenzeugnis“ der Universität Heidelberg und einige wenige persönliche Gegenstände – ein Reisewecker, eine Dante-Ausgabe aus dem Besitz der Mandelstam-Witwe Nadeschda, ein Sofa, auf dem er ab und an nächtigte. Wie wenig von einem Leben bleibt, vor allem von einen unter diesem Umständen gelebten Leben, den Umständen der eigenen Rastlosigkeit, des Bewusstseins, ein Reisender zu sein, aber auch den Umständen der Verfolgung, verfolgt, weil Poet, Intellektueller, Seher, Jude, und unter den Umständen der Armut… Wie wenig also von einem Leben bliebe, wäre da nicht das Wort des Dichters, die Worte, die uns bis heute erreichen, obwohl sie teils von der Witwe nur durch Auswendiglernen gerettet werden konnten.

„Wie immer die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts aussehen werden – das Wort der Poesie wird noch lange nicht überflüssig sein“, schreibt dazu Dutli und zitiert Mandelstam: „Das Lied, das selbstlos ist, ist selbst sein Lob, und strahlt – Den Feinden: Teer, den Freunden: Trost, Erkennungsmal.“

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Bild: Birgit Böllinger

Wie man aus wenig viel machen kann – das verdeutlichte die Mandelstam-Ausstellung auf das Feinste. Sie zeichnet mit Originaldokumenten und Kopien (beispielsweise der KGB-Akten) das kurze Leben dieses Dichters nach, er selbst kommt mit einer der wenigen erhaltenen Tonaufnahmen zu Wort, die einzige Filmaufnahme der alten Nadeschda lassen deren ärmliche Lebensumstände in Moskau erahnen, sprechen aber ebenso von einer anhaltenden innigen Verbundenheit zu ihrem früh verstorbenen Mann.

Kooperation mit Heidelberg und Granada

Die Ausstellung „Wort und Schicksal“ war eine Kooperation des Staatlichen Literaturmuseums Moskau und der Mandelstam-Gesellschaft Moskau in Kooperation mit den UNESCO Cities für Literature Heidelberg und Granada. Für Heidelberg war es das internationale Auftaktprojekt als UNESCO-Literaturstadt, die Stadt ist seit Dezember 2014 Mitglied im „UNESCO Creative Cities Netzwerk“.  

Auch der Ausstellungsort in Heidelberg ist geschichtsträchtig – sie ist in der „Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte“ zu sehen. Ebert, das erste demokratische gewählte Staatsoberhaupt in Deutschland, wurde am 4. Februar 1871 in Heidelberg geboren. Der Sohn eines Schneidermeisters war das vierte von sechs Kindern. Die Familie lebte in sehr bescheidenen Verhältnissen – einen eigenen Eindruck davon kann man sich im Geburtshaus machen, das öffentlich zugänglich ist. Angeschlossen sind den Wohnräumen eine Ausstellung zu Leben und Werk und eine umfangreiche Bibliothek.

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

2 Gedanken zu „Literarische Orte: Ossip Mandelstam – Wort und Schicksal in Heidelberg“

  1. Die Tasse vorm Fenster mit Satzfehler: Es tut immer weh, wenn „iſt“ falsch „ist“ mit Schluß-s statt mit Lang-ſ gesetzt wird.

    Leiden der Zeit der Erstellung der Klischees durch Laien am PC.

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