Literarische Orte: Das Goethe-Haus in Weimar

Thomas Mann setzte ihm mit seiner „Lotte in Weimar“ ein Denkmal: Dem Haus am Frauenplan, in dem Goethe ab 1782 fast 50 Jahre lang lebte.

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Das Wohnhaus am Frauenplan. Bild: Klassik Stiftung Weimar

„Da war der unregelmäßige Kleinstadt-Platz, auf dessen Katzenköpfen die Räder rasselten, die Seifengasse, das gestreckte Haus mit leicht abbiegenden Seitenflügeln, an dem Charlotte mit Amalie Ridel schon mehrmals vorübergegangen war: Parterre, Bel-Etage und Mansardenfenster im mäßig hohen Dach, mit gelb gestreiften Einfahrtthoren in den Flügeln und flachen Stufen zur mittleren Hausthür hinauf.“

„Charlotte hörte nicht hin. Sie war beeindruckt von der Noblesse des Treppenhauses, in das man eingetreten war, dem breiten Marmorgeländer, den in splendider Langsamkeit sich hebenden Stufen, dem mit schönen Maß verteilten antiken Schmuck überall. Auf der Treppenruhe schon, wo in weißen Nischen Broncegüsse anmutiger Griechengestalten, davor auf marmornem Postament, ebenfalls in Bronce, ein in vortrefflich beobachteter Pose sich wendender Windhund standen, erwartete August von Goethe mit den Bedienten die Gäste, – (…)“

„Auch zu Häupten der Staatstreppe war´s edel-prächtig und kunstreich. Eine Gruppe, die Charlotte als „Schlaf und Tod“ zu bezeichnen gewohnt war, zwei Jünglinge darstellend, von denen einer dem andern den Arm um die Schulter legte, hob sich dunkel glänzend ab von der hellen Fläche der Wand zur Seite des Entree`s, welchem ein weißes Relief als Sopraport diente, und vor dem ein blau emailliertes „Salve“ in den Fußboden eingelassen war. „Nun also“ dachte Charlotte ermutigt. „Man ist ja willkommen. Was soll`s da mit taciturn und marode? Aber schön hat`s der Junge bekommen – !“

Alle Zitate: „Lotte in Weimar“, Thomas Mann, 1939

Der „Junge“, Johann Wolfgang von Goethe, ist da längst schon 67 Jahre alt.  Eine Dichterberühmtheit, Staatsdiener, staatstragend, repräsentierend. So trifft er auf seine einstige Jugendliebe, jene Lotte aus dem „Werther“. Thomas Mann griff den historisch verbürgten Besuch der Charlotte Kerner anno 1816 in Weimar auf und spann darum eine Mischung aus ironisch-gefärbtem Charakterbild des längst schon in den Poeten-Olymp entrückten Großmeisters, süffisanter Beobachtung seines Hofstaates, griff aber ebenso zur Selbstanalyse, eine Betrachtung des Schriftstellers zwischen Dichtung und Wahrheit und zugleich wurde der Roman zu einer Auseinandersetzung mit dem „Deutschsein“.

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Goethes Arbeitszimmer am Frauenplan. Bild: Klassik Stiftung Weimar

Was mich an diesem Buch über seinen Ton, seinen Stil hinaus fasziniert, ist die genaue Beobachtungsgabe Manns, seine Liebe zum Detail. Er schrieb „Lotte in Weimar“, das 1939 erschien, in den Jahren des Exils – und doch so, als sei er vor Ort, in der Stadt der Weimarer Klassik gewesen. Besonders deutlich machen dies die Beschreibungen des Hauses am Frauenplan.

Das Haus am Frauenplan

Hier lebte Goethe ab 1782 fast 50 Jahre lang bis zu seinem Tod. Seinem Status gemäß war der vordere Teil der Zimmer repräsentativ eingerichtet – bis hierher und nicht weiter gelangt auch Charlotte bei dem Empfang, den ihr einstiger Jugendfreund ihr gewährte. In den privaten Gemächern ging es bescheidener zu, insbesondere waren diese Zimmer das Reich der Christiane von Goethe bis zu ihrem Tod 1816. Danach richtete Goethe hier seine Sammlungen ein, die auch heute zu einem kleinen Teil in dem als Museum zugänglichen Wohnhaus zu sehen sind.

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Ziemlich groß: Der Junokopf. Bild: Klassik Stiftung Weimar

Wenn man unversehens auf die riesige Juno trifft, dann kann man als unbedarfte Besucherin zunächst schon einen kräftigen Schrecken bekommen – sie ist für meinen Geschmack etwas zu kolossal, dieses Abbild griechischer Idealität. Doch Goethe war ganz stolz auf die Gute. So schrieb er 1787 aus Rom an Charlotte von Stein:

„Seit gestern hab ich einen kolossalen Junokopf in dem Zimmer oder vielmehr nur den Vorderteil, die Maske davon. Es war dieser meine erste Liebschaft in Rom und nun besitz ich diesen Wunsch. Stünd ich nur schon mit dir davor. Ich werde ihn gewiss nach Deutschland schaffen und wie wollen wir uns einer solchen Gegenwart erfreuen. Keine Worte geben eine Ahndung davon, er ist wie ein Gesang Homers.“

1823 erhielt er dann den Frauenkopf für sein Haus in Weimar geschenkt.

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Der Garten am Frauenplan. Bild: Klassik Stiftung Weimar.

Thomas Mann hatte erst zehn Jahre nach Erscheinen seines Romans wieder Gelegenheit, seine Detailgenauigkeit vor Ort zu überprüfen: 1949 hielt er sich erstmals nach dem Exil wieder für einige Tage in Weimar auf. Anlässlich des 200. Geburtstages von Goethe erwarteten ihn sowohl in Frankfurt (West-Sektor) und Weimar (Ost-Sektor) Ehrungen. In beiden Städten hielt er seine berühmte Goethe-Rede: Ein Plädoyer für die politische Vernunft und das Maßhalten im Sinne Goethes. Als Exilant, zudem als einer, der für die Einheit Deutschlands eintrat, war Mann aber längst selbst schon Objekt politischer Irrationalität geworden: „Das ist nicht Literaturkritik mehr, es ist der Zwist zwischen zwei Ideen von Deutschland, eine Auseinandersetzung, nur anläßlich meiner, über die geistige und moralische Zukunft dieses Landes.“

Logieren im Hotel Elephant

Für Thomas Mann hatte man bei seinem Besuch 1955 in Weimar eigens das „Hotel Elephant“ wiedereröffnet – jenes Traditionshaus, in dem er seine Roman-Lotte logieren ließ (die im echten Leben freilich bei den Verwandten in Weimar weilte). Eine stark gekürzte Theaterversion des Romans bringt das Deutsche Nationaltheater regelmäßig im Hotel Elephant selbst zur Vorstellung: Im Mittelpunkt steht dabei Lotte, die sich insgeheim doch erhofft, hinter der Werther-Dichtung noch ein Stück Wahrheit zu erhaschen – was war sie einst wohl für ihn, den damals jungen Verehrer? Das vergnügliche Zwei-Personen-Stück lässt die politische Seite des Romans zwar aus – aber für Weimar-Besucher ist es ein unterhaltsamer Auftakt und macht Lust, sich vor allem auch mit der Frage zu beschäftigen, wie man sich als unfreiwillige literarische Berühmtheit an Lottes Stelle wohl fühlen würde…

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

27 Gedanken zu „Literarische Orte: Das Goethe-Haus in Weimar“

  1. Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was verzählen. Gibt es etwas Schöneres, als den Spuren der Dichter zu folgen? Ein sehr interessanter Bericht, der mir den Morgen versüßt, neben dem tollen Wetter 😉
    Und Lotte in Weimar – muss ich dann doch wohl mal lesen …

    1. Ich hoffe, ich langweile euch nicht mit meiner Weimar-Euphorie – aber da gibt es einfach so viele schöne Dichterspuren 🙂 Andere haben aus ihren Reisen ja gleich ganze Bücher gemacht (Italienische Reise). Ach, es ist einfach herrlich dort! Herzliche Sonnengrüße Birgit

    1. Das Bauhaus wurde zwar 1919 in Weimar eröffnet, aber das derzeitige Museum ist noch nicht so überwältigend … wenn der Gatte mitkommt nach Weimar, dann darf er sich davon noch nicht zuviel erwarten (aber es wird gerade ein ganz neues Bauhaus-Museum gebaut, soll 2018 eröffnet werden). So sieht es derzeit aus: https://www.klassik-stiftung.de/einrichtungen/museen/bauhaus-museum-weimar/ Aber: Da ist natürlich die Bauhaus-Universität mit einem Deckengemälde von meinem geliebten Oskar Schlemmer, ein Gropius-Zimmer. Und auf dem sehenswerten historischen Friedhof (jemand sagte mir, es sei der schönste Friedhof der WELT 🙂 ) ist ein Gropius-Denkmal für die März-Gefallenen. Na, ich schau mal, ob meine Bilder was hergeben…

  2. Wieder ein toller Beitrag von Dir mit wunderschönen Fotos! Das Buch kenne ich auch noch nicht, ist ein hübscher Lesetipp, ich werde es mal in der hiesigen Bibliothek ausleihen. Erst vergangenes Jahr weilten wir in Goethes Wohnhaus. Weimar hat ja so viel Schönes zu bieten, es ist immer eine Reise wert. Ab und zu auf Goethes Spuren zu wandeln, ja, das wurde mittlerweile zu einer unserer Lieblingsbeschäftigungen im Urlaub. Für Thüringen gibt es da ein schönes Bändchen, welches sich als Reisebegleiter anbietet. Der Autor heißt Heinz Stade und der Titel lautet: „Mit Goethe durch Thüringen“, erschienen im Sutton Verlag in Erfurt. Mit dieser Handreichung im Gepäck besuchten wir unter anderem auch das nahe Weimar gelegene Landgut von Christoph Martin Wieland in Oßmannstedt, wo Goethe einst neben Herder und Kleist ein gern gesehener Gast war. Heute kann man dort ein kleines Museum besichtigen sowie das Grab Wielands in der Parkanlage. Alles sehr interessant…

    Herzliche Grüße zum Wochenende
    von Constanze

    1. Herzlichen Dank für den Buchtipp – ich hoffe ja, dass es im Herbst nochmals mit mir und Thüringen klappt. Nach Oßmannstedt wurde ich von lieben Menschen geführt – ein sehr schöner, ruhiger Ort! Und für mich natürlich speziell: Wieland wurde unweit meiner Heimatstadt geboren, er kommt aus dem kleinen Dorf Oberholzheim …Danke für euren netten Kommentar – ja, Weimar ist wieder eine Reise wert! LG Birgit

  3. Liebe Birgit, das Buch klingt ja nach einer echten Bereicherung für die „klassische“ Bibliothek. Muss ich unbedingt haben, spätestens für die Weimar-Reise, die Du mir jetzt noch schmackhafter gemacht hast. Apropos schmackhaft – wir werfen auch gleich den Grill an… Liebe Grüße, Peggy

  4. Liebe Birgit, was für ein schöner Beitrag und so viel Interessantes und manchmal hatte ich beim Lesen fast das Gefühl, dabei gewesen zu sein! 🙂
    Herzlichste Grüße aus dem blühenden Thüringen von allen Wederwills

    1. Liebe Bilke, der Thomas Mann hat mich jetzt recht inspiriert und ich habe gleich im Anschluß noch die Leiden des jungen Werther gelesen … kann keiner sagen, Weimar bildet nicht 🙂 Liebe Grüße an Euch alle!

  5. Wunderschöne Eindrücke, sowohl die Bilder als auch der Text! Ich habe gute Erinnerungen an Goethes Haus in Weimar und den tollen Garten. Aber stimmt, die Juno fand ich auch deutlich zu groß 😉

  6. … über dem Schreibtisch eine alte Zeichnung des Gartenhauses im Park an der Ilm mit vielerlei Erinnerungen. Zur Dialektik gehört seit meinem ersten Besuch in Weimar die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Buchenwald …

    1. Obwohl ich erst „Nackt unter Wölfen“ gelesen habe und das Buch noch frisch in meinem Gedächtnis ist – dennoch habe ich einen Besuch in Buchenwald dieses Mal ausgespart. Ich wollte das nicht in den paar Tagen auf eine Liste meiner „Sehenswürdigkeiten“ setzen – da will ich mir Zeit nehmen, da brauche ich ein wenig Vorbereitung.
      Dass dies jedoch – ebenso wie das Thälmann-Denkmal, das „Gauforum“ oder aber auch die perverse Einvernahme von Schiller (!) und Goethe durch die Nazis – zur Dialektik bzw. zur anderen Seite der Weimarer (und deutschen) Geschichte gehört – es ist gut und wichtig, dass daran erinnert wird.
      Ich stieg am 1. Mai aus dem Bahnhof – und stieß auf einige Nazis, sichtlich in Vorfreude auf Randale. Allerdings wurden sie heuer abgedrängt – nachdem sie im vergangenen Jahr ja noch die Bühne der 1. Mai-Kundgebung in Weimar stürmten. Diese Unverbesserlichen – wie kann man, gerade auch angesichts eines Konzentrationslagers – so fanatisch und dumm sein? Etwas, dass ich nie, nie begreifen werde – hier die Weimarer Klassik, der Dichter der Freiheit – und dann in diesem Land diese Barbarei.

  7. „Lotte in Weimar“ habe ich gelesen. Für mich war das besonders interessant, weil ich aus Wetzlar komme. Die Stadt in der der Werther spielt. Hier vor Ort kann man natürlich viel über die „wahre“ Geschichte von Lotte und Goethe erfahren kann. Wetzlar lebt ja von dieser Legende um die Beiden. Wenn man so will ist Wetzlar der Gegenpol zu Weimar in der Goethehistorie und an beiden Orten wird eines klar: Goethe mag ein Schriftstellergott gewesen sein, aber auch ein Egomane vor dem Herrn.

    1. Da ich gerade den Werther wiedergelesen habe, macht mich das auf die Wetzlarer „wahre“ Geschichte neugierig – denn, wenn man davon ausgeht, dass der Werther auch stark autobiographische Züge hat, dann zeigt sich das auf sich selbst bezogene Wesen Goethes schon in diesem Frühwerk mehr als deutlich …

  8. Goethe war ja nur ein halbes Jahr in Wetzlar. Er sollte sich hier beruflich als Jurist etablieren und war deswegen am Reichskammergericht. Allerdings hat er das alles nicht ernst genommen und hat lieber in Kneipen gesessen und sich herumgetrieben. Die Begegnungen mit der realen Lotte spiegeln sich im Werther als überhöhte Darstellungen wieder. Es war wohl eher eine romantische Schwärmerei für das arme Mädchen, als das er wirklich in sie verliebt war. Und als das alles nicht so lief, wie Goethe es sich gewünscht hat, hat er Hals über Kopf Wetzlar verlassen und ward nie mehr gesehen….

    1. Ja, da ist er fremdironisch (was Goethe anbelangt), aber auch mal selbstironisch… für Mann-Fans wie dich: Ich lese gerade das neu erschienene TB bei Piper, „Dichterkinder“ von Armin Strohmeyr. Lohnt sich!

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