Literarische Orte: Nördlingen – wo „Die Andere Bibliothek“ herkam

Sie kam einst aus der Provinz: „Die andere Bibliothek“, entstanden in der Kleinstadt Nördlingen, in der der Buchdruck ganz groß geschrieben wurde und wird.

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Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

Vor 15 Millionen Jahren schlug hier ein Meteorit ein. Und legte damit den Grundstein für eine herb-schöne Landschaft von besonderem Reiz: Den „Rieskrater“. Der „Schwabenstein“, der Suevit, ist eine der geologischen Besonderheiten, die das Nördlinger Ries in Bayerisch-Schwaben prägen.

Vor 400 Jahren gab es dort andere Einschläge: Nördlingen, damals freie Reichsstadt und einer der bekanntesten Handelsumschlagsplätze in Süddeutschland, fast so groß an Einwohnerzahl wie Frankfurt, hatte unter den Verwerfungen des Dreißigjährigen Krieges besonders zu leiden. Die Einwohnerzahl wurde um die Hälfte dezimiert – von den 8.500 Menschen lebten nach 1648 nur noch rund 4.000 in dieser mittelalterlich geprägten Stadt.

Erholt hat sich die Stadt davon nur mühsam – erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die 8.000- Einwohnergrenze wieder überschritten: Weil ab 1945 viele Heimatvertriebene hier eine neue Existenz gründeten. Heute zählt die Riesstadt übrigens knapp 20.000 Einheimische – und hat dafür eine stattliche Anzahl Buchhandlungen aufzuweisen.

Rund um das älteste Steingebäude Nördlingens – das Rathaus aus dem Jahre 1313 – kommt der Büchernarr voll auf seine Kosten. Eine gute Adresse ist „Café-Buch.de“: Hier gibt es nicht nur leckere hausgemachte Kuchen, sondern ich habe auch schon einige tolle antiquarische Schnäppchen dort gemacht.

Franz Greno, ein Buchbesessener

Aber die Buchhandlung, bei deren Namen Bibliophilen die Ohren klingeln, ist natürlich „Greno“: Franz Greno, ein Buchbesessener, der sich in den 80ern in Nördlingen mit einem Verlag niederließ, eine Druckerei erwarb und hier begann, gemeinsam mit Hans Magnus Enzensberger „Die andere Bibliothek“ herauszugeben – damals Wunderwerke der Buchdruckkunst. Die „AB“ wurde später verkauft, Greno ist inzwischen Privatier, doch die Buchhandlung wird von seiner Tochter weitergeführt.

Lange Buchdruck-Tradition in Nördlingen

Überhaupt, der Buchdruck: Auch er hat in der Riesstadt eine lange Tradition. Carl Gottlob Beck gründete seinen Verlag 1793 in Nördlingen – zwar ist der C.H.Beck-Verlagssitz inzwischen in München, die Druckerei blieb aber vor Ort.

Und so fände man bei einem Bummel durch Nördlingen noch viele weitere literarische Bezüge – der Märchenerzähler Wilhelm Hauff fand in der Riesstadt seine Frau, der „Schwäbische Bund“ beschloss hier, Götz von Berlichingen festzusetzen, was später bei Goethe in das berühmte Zitat mündete, usw….doch der berühmteste Sohn der Stadt ist und bleibt der „Bomber der Nation“: Gerd Müller kam hier zur Welt. Fußball schlägt die Literatur im öffentlichen Bewusstsein halt allemal.

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Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

Wer in Nördlingen noch mehr sehen will als Buchhandlungen und das Müller-Geburtshaus, wird hier fündig: http://www.noerdlingen.de/

Vom Daniel ein Blick über das Ries

So gibt es beim RiesKraterMuseum das Geopark-Informationszentrum – das Ries zählt mit seinen landschaftlichen und geologischen Eigenheiten zu einem der 14 deutschen Geoparks. Eine Besonderheit ist auch der „Daniel“: Der Turm der gotischen St.-Georgs-Kirche erhebt sich mächtig und weit über die Stadt. Tatsächlich gibt es noch einen Türmer, den „höchsten städtischen Angestellten“, der täglich abends zwischen 22.00 Uhr und Mitternacht halbstündlich den Wächterruf auf die Städter herabschreit: „So, G`sell, so!“. Innerhalb des mittelalterlichen Stadtkerns, der von einer intakten Mauer von rund 2,7 Kilometer Länge umgeben ist – sie entstand zwischen 1327 und 1400 – ist der Ruf noch gut zu hören. Die im Turm residierende Glückskatze „Wendelstein“ habe ich leider noch nie getroffen – ich bin nicht schwindelfrei. Aber die Katze gibt es, ich schwör – oder der nächste Meteorit soll mich treffen.

Titelbild zum Download:
Bild 1, Titelbild
Bild 2, Fassade Fachwerk
Bild 3, Fachwerk rot
Bild 4, Daniel

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

44 Gedanken zu „Literarische Orte: Nördlingen – wo „Die Andere Bibliothek“ herkam“

      1. Na, Fussball ist nicht wirklich meins. Ich hab mich in Bibliotheken immer wohler gefühlt als auf dem Sportplatz. Aber der Gerd ist halt ein Teil meiner Jugend. Die Mannschaft der WM 74 ist die einzige, die ich heute noch zusammenbekomme. Aber danke für das Angebot 😉

      2. Na, vielleicht mach ich mal was über Paul Breitner und seine damalige Mao-Lektüre: Fußball literarisch 🙂 Aufzählen könnte ich die nicht vollständig, aber da brächte ich sogar ein paar Namen zusammen. Und ich kann mich noch gut an die Bilder erinnern: Schwarze Hosen, weiße T-Shirts, Bundesadler, seltsame Haarfrisuren und ganz laaaaaaange Koteletten 🙂

  1. Nördlingen ist echt toll, vor allem auch wegen der komplett intakten Stadtmauer, die uns damals während eines Besuchs total beeindruckt hat. Schön, dass Du hier einen Beitrag mit einigen Fotos eingestellt hast, so kann man sich ein Bild von der schönen Altstadt machen. Und bestimmt wird der Ort dadurch noch ein wenig bekannter im Netz.

    Liebe Grüße
    von Constanze

    1. Liebe Constanze,
      ja, ich bin auch immer wieder gern dort – witzigerweise unterscheiden die Nördlinger ihren Wohnort immer noch mit „drinnen“ (innerhalb der Mauer) und „draußen“ – die ganzen Häuser, die inzwischen um den Ring gewachsen sind. Aus der Luft wirkt das noch beeindruckender – aber wie geschrieben, ich bin nicht schwindelfrei, auf den Daniel steig ich also nicht für Fotos aus der Vogelperspektive :-). Liebe Grüße, Birgit

      1. Ich hab auch einmal eine Luftaufnahme von Nördlingen gesehen mit der Mauer von oben ganz um den Kern herum, das sah wirklich sehr beeindruckend aus, man bekommt da eine recht lebendige Vorstellung von einer mittelalterlichen Stadt, das findet man nicht an vielen anderen Orten in Deutschland.

        Nochmals Grüße an Dich!

  2. Liebe Birgit,
    wenn man von den Buchhandlungen liest, möchte man am liebsten gleich hin 🙂 und wie schön, über einen Ort mit einer GLÜCKSKATZE zu lesen! Das es so etwas gibt – auch wenn du ihr leider nicht leibhaftig begegnet bist. Nun musst du nur noch herausfinden, ob es noch andere Orte mit Glückskatzen oder -katern gibt 🙂
    Herzlichste Abendgrüße,
    Marlis

    1. Im Sommer ist das natürlich besonders schön … vor der Buchhandlung sitzen, Kaffee trinken und lesen. Und dann streicht einem noch eine GLÜCKSKATZE um die Beine. Das ist das mindeste, was ich von Städtereisen erwarte 🙂 Oder ein wenig Theater mit Elephanten. :-))))))))

  3. Ein schöner Stadtrundgang, reich bebildert und literarisch verziert – freue mich immer wieder über ein Impressum aus Nördlingen. Der Rundgang wäre mit 27 Kilometer Stadtmauer doch eine veritable Wanderung; 23 – 25 km Durchmesser soll der Nördlinger Ries-Krater haben. 2,7 km um die Stadt lassen sich leichter spazieren …

      1. Herzlich willkommen, wer mal die Nürnberger Stadtumwallung umrunden möchte – fast so komplett wie die Nördlinger oder die Rothenburger Stadtmauer. Außer Steinen gibt es freilich auch literarische „Bergwerke“, nicht nur Hans Sachs oder Hermann Kesten, auch Greno-Mitbegründer Enzensberger erlebte seine frühen Jahre in der Altstadt einschließlich der Stadtbibliothek …

      2. Stimmt, der HME in Kaufbeuren geboren, in Nürnberg Schüler – und dann ab in die große weite Welt. Aber Nürnberg ist wirklich immer wieder einen Ausflug wert (alle paar Monate hab ich Verpflichtungen dort) – Historie, wohin man den Fuß setzt. In literarischer Hinsicht seien auch die Kaspar Hauser- und Nussknacker-Vorlagen nicht unerwähnt. Und neulich las ich „Provisorium“ von Wolfgang Hilbig – im Grunde auch ein „Flüchtling“, ein „Flüchtender“ – der weder in Ost noch West eine Heimat fand. Ein sehr trauriges Buch, auch wegen seines unheilbaren Alkoholismus. Er wohnte, als er dieses schrieb, in Nürnberg, dass denn auch in dem sehr biographischen Roman vorkommt.

    1. Nö, eine Puppenstube ist das nicht, denn da wohnen echte Menschen – und wenn die beschließen, das historische Erbe zu erhalten (weil es nun mal auch so was wie öffentlich ansehbare Geschichte ist) und dann auch für die Touristen aufzuhübschen – dann muss ich das zumindest nicht überkritisch sehen. Die müssen dort leben – und dass man mit Denkmälern in Richtung Tourismus schielt, ist deren gutes Recht. Zumal ich heute erfahren habe, dass wieder ein größeres Unternehmen dort dicht macht und ein paar Hundert Arbeitsplätze verloren gehen – da bleibt nicht viel, als mit dem, was man an Geschichte hat zu punkten. Und auch Greno wird sich seinerzeit was gedacht haben, als er von München in die Provinz ging – warum soll es kreativ-intellektuelles nur in den großen Städten geben?

      1. du hast schon recht; ich kenn auch Leute, die dort für viel Geld ein Haus restauriert haben und nun darin wohnen, aber es hat was von einem lebenden Museum, find ich

  4. Jetzt möchte ich unbedingt Nördlichen weiter kennenlernen. Das war ein sehr schöner Ausflug an deiner Seite, Birgit.
    Ein schönes Wochenende dir,
    die vier aus Cley und Bonn,
    Dina

    1. Liebe Dina, ein süßer Verschreiber: Nördlingen ist zwar fast die nördlichste Kommune in Bay.-Schwaben, aber heißt eben Nördlingen und nicht Nördlichen 🙂 Ich freue mich aber, dass Du beim Ausflug mit dabei warst – hat Spaß gemacht! LG Birgit

      1. Ups, 😀 und: liebe Birgit, vielen Dank für dein Verständnis, argggrrrrrr. 🙂 Ich verzweifele manchmal an diese ungefragte Korrektur meine Schreibweise (nicht deine, sondern Mac). Tief drinnen im Rechner oder vielleicht nur bei WP(?) sitzt dieser übereifrige Nisse und versucht zu raten was ich schreiben möchte…. tzzzzz.
        Liebe Grüße aus Norwegen,
        Dina

  5. Ein tolles Reiseziel, liebe Birgit. Sollte es uns mal in den Süden Deutschlands verschlagen, werde ich auf jeden Fall versuchen, das Städtchen in den Reiseplan aufzunehmen – dann hoffentlich bei schönem Wetter, sodass wir vor dem Büchercafe sitzen können. Und während der kleine Entdecker mit der Glückskatze spielt, gehe ich auf Juwelensuche in den Bücherregalen. Hach, was für eine Vorstellung. Ich könnte gleich losfahren 😎

      1. Danke für diesen wertvollen Tipp, liebe Birgit. Dann kann ich ja meine beiden Eisenbahnfans im Museum abstellen und in Ruhe durch die Buchläden schlendern 😀

  6. So ein schöner Beitrag, liebe Birgit, da möchte ich am liebsten gleich den Rucksack packen, „drinnen“ und „draußen“ herumstromern, durch alle Buchläden schmökern, mich vom Hauch der Geschichte umwehen lassen und die Glückskatze suchen… Ganz herzliche Grüße!

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