
BÄR AUS DEM KÄFIG ENTKOMMEN
Was ist nun jetzt?
Wo sind auf einmal die Stangen,
an denen die wünschende Nase sich wetzt?
Was soll er nun anfangen?
Er schnuppert neugierig und scheu.
Wie ist das alles vor ihm so weit
Und so wunderschön neu!
Aber wie schrecklich die Menschheit schreit!
Und er nähert sich geduckt
Einem fremden Gegenstande.
– Plötzlich wälzt er sich im Sande,
Weil ihn etwas juckt.
Kippt ein Tisch. Genau wie Baum.
Aber eine Peitsche knallt.
Und der Bär flieht seitwärts, macht dann halt.
Und der Raum um ihn ist schlimmer Traum.
Läßt der Bär sich locken. Doch er brüllt.
Läßt sich treiben, läßt sich fangen.
Angsterfüllt und haßerfüllt
Wünscht er sich nach seines Käfigs Stangen.
Joachim Ringelnatz
Wenn jeweils im Februar bei der Berlinale die Bären verliehen werden, dann wissen wohl die wenigsten, so nehme ich an, wer die ursprüngliche Schöpferin dieses Berliner Wahrzeichens war: Renée Sintenis (1888 – 1965), eine der erfolgreichsten und „bedeutendsten Bildhauerinnen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ (Zitat auf der Homepage des Georg Kolbe Museums, das ihr eine Werkausstellung anlässlich des 125. Geburtstages gewidmet hatte).
Wie so viele andere weibliche Künstlerinnen, die sich in der Weimarer Republik entfalten konnten, wurde sie im Nationalsozialismus ihrer Möglichkeiten beraubt. Zwar wurde ihr Werk in der Nachkriegszeit wieder beachtet und nachgefragt (so wurde ihr 1932 entstandener „Junger Bär“ 1956 neu gestaltet als „Berliner Bär“ im Rahmen einer Werbekampagne für die Stadt), doch heute, wenig mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrem Tod, ist ihr Name kaum mehr bekannt.
Zumindest gab es zur Werkausstellung wieder einige Veröffentlichungen über die Künstlerin und ihre Skulpturen. Im Kunstmagazin „art“ fragte man sich:
„Was wohl Renée Sintenis von jenem Tier gehalten hätte, das seit dem 20. Juni 2001 als kitschiger “Buddy Bär” in Divisonsstärke, aus Polyester gegossen und bunt bekleidet, Berlin unter seiner Fuchtel hat? Verwechslung unmöglich: Während der Jungbär von Sintenis in verspielter Bewegung die Arme hebt und zu tänzeln scheint, steht der Plastik-Buddy starr wie vor einem unsichtbaren Feind, die Arme zur Kapitulation steif nach oben gereckt.“
Renée Sintenis` Buddy war übrigens der eingangs zitierte Ringelnatz. Der kleine, O-beinige, großnasige und – ja, sagen wir es direkt – auch etwas hässliche Dichter aus Wurzen hatte die elegante, attraktive Frau, die mit ihrer Körpergröße von 1,80 Meter eine auffallende Erscheinung war, 1922 kennengelernt. Und wie so oft entflammte der Herr aus Wurzen platonisch.
„Sie schenken einander ihre Werke, Sintenis modelliert eine expressive Portraitbüste des Dichters, unterstützt und fördert in als Maler und Zeichner, gestaltet nach seinem frühen Tod 1934 seine Grabplatte. Aus dem Nachlass von Joachim Ringelnatz editiert Sintenis 1949 den Band Tiere, eine Auswahl seiner schönsten Tiergedichte, versehen mit 13 ihrer kongenialen Zeichnungen.“
Zwischen den beiden entsteht eine intensive Freundschaft“, schreibt Matthias Reiner im Nachwort zum Insel-Band Nr. 1341: „Joachim Ringelnatz: Im Aquarium in Berlin. Mit Illustrationen von Renée Sintenis.“ Die Insel-Bücherei legte damit wieder auf, was eine Geste des Gedenkens der Künstlerin an ihren Freund war. Doch während Ringelnatz heute ein moderner Klassiker ist, ist „Renée Sintenis, der Stern am Kunsthimmel der Weimarer Republik, hingegen nur noch Spezialisten ein Begriff“, bedauert Reiner in seinem kurzen Essay. Sie war die Frau, die den Filmbären schuf…
Bislang habe ich von Renée Sintenis auch nichts gewusst. Es ist eins der Themen, das mich regelmässig zu Wallungen bringt: der Markt und die Künstlerinnen. Es gibt so viele wunderbare Künstlerinnen, die schlichtweg übersehen und überhört werden oder gleich nach ihrem Tod von der Bildfläche verschwinden. Da gibt es immer noch viel zu tun, auch wenn es ein kleines bisschen besser geworden ist!
Liebe Birgit, herzlichen Dank für deinen aufklärenden Artikel.
Geniesse dein Wochenende
herzliche Grüsse
Ulli
Leider ist es so, dass Frauen es in der Kunst immer noch schwieriger haben – Stichwort Berlinale, da gibt es, soweit ich weiß, eine Initiative weiblicher Regisseurinnen, die immer noch in der Minderheit sind. Oder auch in der Literatur. Da habe ich dieser Tage einen interessanten Essay von Ulla Hahn gelesen, demnächst hier in diesem Theater dazu mehr.
Liebe Grüße, Birgit
Und wieder Ulla Hahn … ich muss mich doch mal kümmern … las einst ein Buch, lang ists her und nun lese ich immer wieder über sie- freue mich auf deins zu ihr!
Ich stöbere gerade in einem Gedichtband, bei dem sie Herausgeberin war – also leider kein Buch direkt von ihr. Auch bei mir lange her, dass ich eines von ihr las…
Danke für den tollen Beitrag. Die Künstlerin würde sich wahrscheinlich beim Anblick dieser das Stadtbild verschandelnden Plastebären im Grabe umdrehen.
Gerne … und weil die Plaste-Bären so überhand nehmen (auch wenn “mein” Haus-Fotograf das Motiv schön eingefangen hat), gerade deshalb war es mir wichtig, an die Künstlerin zu erinnern!
Vom Käfig in den Zirkus? Schlimmer kann’s ja gar nicht kommen… Ich weiss schon warum ich nicht in den Zoo gehe, aber Eisbär am tauenden Polar möchte man jetzt auch nicht sein…
p.s. ich fand den Ringelnatz schon immer sexy 🙂
Nö, ich möchte auch kein Eisbär sein. Die müssen immer weinen: http://www.vagalume.com.br/the-dresden-dolls/eisbar.html
Lieber brennen 🙂
Und JAJAJA: Ringelnatz war süpersexy. Aber es zöhlen ja auch die önneren Wörte … und der Scharme 🙂
Der Song zeigt, wie man mit wenig Worten wenig sagen kann, he he. Dem halbnacktem Schlagzeuger wurde ganz klar heiss dabei…
Du hast recht, auf die inneren Worte kommt es ganz besonders an und den Schmarn natürlich auch, und so geht es vergnügt ins Wochenendlich 🙂
Schmarrn und Scharme 🙂
Kaiserschmarrrrrrrrrrrrrn mit Scharmbolzen 🙂
Vorsicht: Mit mir ist nicht gut Kirschen essen, wenn einer an meinen Kaiserschmarrrrrrn will. Da haue ich selbst Scharmbolzen. So, jetzt Schluss mit lustig: ICH HABE PLÖTZLICH HEISSHUNGER! Bis bald!
Ich auch! und weisst du was es gleich bei mir gibt? Banana-buttermilk pancakes! ich denk an dich 🙂
Mjammjamm… woher weißt Du, dass ich auf Süßspeisen stehe??? Ich krieg heute abend jedoch: Schweinebraten. Daher heute mittag erstmal was kalorienarmes…
Den Berlin Bären gibt es bereits seit dem 13. Jahrhundert als Wappentier meiner Stadt. Also bitte hier keinen Bären aufbinden!
Der erste Satz des Beitrags ist evt. missverständlich, aber ich bin auch davon ausgegangen, dass allgemein bekannt ist, dass der Bär nicht vom Himmel fiel, sondern ähnlich wie der bayerische Löwe das Wappentier ist. Der Beitrag widmet sich jedoch nicht der Wappenhistorie, sondern Renée Sintenis, die, wie der letzte Satz ja wiederum deutlich sagt, Schöpferin der Skulptur ist, die a) Grundlage für den modernen Berliner Bären und b) für den Filmbären ist.
Also ich bin dieser sog. modernen Bären im Stadtbild langsam ehrlich gesagt leicht überdrüssig, aber für Touristen sicherlich ganz lustig immer wieder.
Ehre, wem Ehre gebührt – schön, dass du immer wieder an in Vergessenheit geratene Künstlerinnen erinnerst!
Das ist mir eine Ehrensache! Danke, Maren.
Liebe Birgit, mal wieder <3-lichen Dank für diese Wiederentdeckung!! LG, Bri
Gerne! Liebe Grüße Birgit
Hallo, gern würde ich den zitierten art-Artikel lesen, kann ihn aber nicht finden… Von wem ist er denn geschrieben und wann bzw. in welchem art-Heft erschienen? Danke für einen kurzen Hinweis und besten Gruß: J
Tut mir leid, aber das kann ich mittlerweile auch nicht mehr nachvollziehen, nachdem das Magazin seinen Onlineauftritt geändert hat und ich die älteren Hefte nicht mehr habe.
Danke, wie schade. Die alten Hefte hab ich noch, weiß nur nicht, wann ich suchen soll… Aber ich versuch’s noch mal.
… also ‘wann’ bezogen auf das Erscheinen der Hefte, nicht auf mich 😉