
Erklär mir, Liebe!
Wasser weiß zu reden,
die Welle nimmt die Welle an der Hand,
im Weinberg schwillt die Traube, springt und fällt.
So arglos tritt die Schnecke aus dem Haus!
Ein Stein weiß einen andern zu erweichen!
In einem 1971 geführten Interview erklärte Ingeborg Bachmann, worin der Grund für sie besteht, sich in lyrischer Form mit dem Begriff Liebe auseinanderzusetzen. Darin heißt es: „Für mich stellt sich nicht die Frage nach der Rolle der Frau, sondern nach dem Phänomen der Liebe – wie geliebt wird. (…) Liebe ist ein Kunstwerk.“
Quelle: Daniela Kramer, Ingeborg Bachmanns Liebeslyrik am Beispiel von “Erklär mir Liebe”, 2010.
Christa Wolf zu diesem Gedicht:
Dies, scheint mir, will das Ich und das Du des Gedichts, die ich mir gern zusammen denke, als Preis für Unversehrbarkeit nicht zahlen: fühllos sein. Der denkt, gedacht hat, Hunderte von Jahren, um sich abzuhärten: Er wird nun vermißt. Die Brüderlichkeit, Natürlichkeit, Arglosigkeit, die er sich weggedacht, sie fehlen ihm nun doch. Merkt er noch, gestählt und gepanzert, wie er ist, ob es Feuer oder Kälte sind, durch die er geht? Er wird Instrumente mit sich führen, die Temperatur zu messen, denn was ihn umgibt, muß eindeutig sein. Dies bedenkend, bedauernd, beklagend auch, gibt das Gedicht selbst ein Beispiel von genauester Unbestimmtheit, klarster Vieldeutigkeit. So und nicht anders, sagt es, und zugleich – was logisch nicht zu denken ist –: So. Anders. Du bist ich, ich bin er, es ist nicht zu erklären. Grammatik der vielfachen gleichzeitigen Bezüge.
Christa Wolf, aus: Christa Wolf: Kassandra. Vier Vorlesungen. Eine Erzählung, Luchterhand Literaturverlag, 1983
In vollständiger Länge bei Planetlyrik.
Liebe ist nur möglich, wenn sich zwei Menschen aus der Mitte ihrer Existenz heraus miteinander verbinden, wenn also jeder sich selbst aus der Mitte seiner Existenz heraus erlebt. Nur dieses Leben aus der Mitte ist menschliche Wirklichkeit, nur hier ist Lebendigkeit, nur hier ist die Basis für die Liebe. Die so erfahrene Liebe ist eine ständige Herausforderung; sie ist kein Ruheplatz, sondern bedeutet, sich zu bewegen, zu wachsen, zusammenzuarbeiten. Ob Harmonie waltet oder ob es Konflikte gibt, ob Freude oder Traurigkeit herrscht, ist nur von sekundärer Bedeutung gegenüber der grundlegenden Tatsache, daß zwei Menschen sich vom Wesen ihres Seins her erleben, daß sie miteinander eins sind, indem sie mit sich selbst eins sind, anstatt vor sich selber auf der Flucht zu sein. Für die Liebe gibt es nur einen Beweis: die Tiefe der Beziehung und die Lebendigkeit und Stärke in jedem der Liebenden. Das allein ist die Frucht, an der die Liebe zu erkennen ist.
Erich Fromm, „Die Kunst des Liebens“, 1956
Danke für das Erinnern und den Link zu Christa Wolf. Ich glaube, Kassandra und die Poetikvorlesungen müssen mal wieder auf meine Leseliste.
Bestimmt gibt es schlechtere Lektüren 🙂
Über dieses Gedicht habe ich eine Interpretation im Deutsch-Abitur schreiben dürfen. Es ist mir ans Herz gewachsen. Eines der wenigen Gedichte, die ich auch heute noch vollständig aufsagen kann. Und etwas ganz Grandioses in der modernen deutschen Lyrik.
Gruß
Achim
Ingeborg Bachmann kam zu mir ebenfalls über das Deutsch-Abitur – mit der gestundeten Zeit. Eine Sprache, die einen ein Leben lang nicht loslässt – aber vom Auswendig-Können bin ich meilenweit entfernt…
Müsste ich wählen zwischen Bachmann und Fromm: Bachmann! Bachmann!
Aber es ist schön an 1980 erinnert zu werden, als der schmale grau-violette Ullsteinband so viele Liebes-Sehnsüchtige in die Herdersche Buchhandlung zog, wo ich auf der Empore in der Theologischen Abteilung arbeitete, in der auch die Geisteswissenschaften zu Hause waren.
Die klugen Gedanken von Christa Wolf lassen mich sehen, wie sehr ich sie vermisse.
Danke.
Nun, glücklicherweise muss man nicht wählen – und beide sind ja ganz unterschiedlicher literarischer und formaler Herkunft, daher auch nicht vergleichbar. Aber sowohl Fromm als auch Bachmann können einem viel geben – und Christa Wolf erst recht. Ja, ihre Stimme vermisse ich auch, ihre Haltung, ihre Art – ich hoffe, da wachsen solche Schriftstellerinnen noch nach…
das ist die so gesuchte bedingungs-lose liebe. toll!
Es ist was es ist.
Und es isst was es isst 🙂
Liebe fressen Herzen auf, gefrässige Monster 🙂
Ha ha! Aber die Liebe macht das nicht, Angst essen Seele (und Herz) auf…
Gefressen werden eh nur die Halbherzigen 🙂 Der Herr Di ist seit heute morgen auf dem Weg nach London … ich hoffe, er kommt rechtzeitig zum Espresso…
Genau liebe Birgit, uns Ganzherzige frisst so schnell niemand, besonders nicht die Angst 🙂
Ach der Di, hoffentlich hat er eine gute Reise, ich hab auch Tee falls er für Neues nicht so offen ist…
So ist es … mit dem ganzen Herzen 🙂 Aus vollem Herzen grüßt dich Birgit (und: der Di ist ein höflicher Chinese, der trinkt, was man ihm auftischt).
danke sehr! dieses gedicht von i. bachmann mag ich sehr.
was für ein schöner in sich runder beitrag über die liebe!
Ich schwinge mit Erich Fromm und lese jetzt das ganze Gedicht! Danke dir
Wie ich dieses Gedicht doch mag….und dazu hast du ein wunderbares Bild gewählt!
Jaja….das Kunstwerk Liebe…..es macht eben dieses bzw das “WIE” aus!
Sehr schön, dein Beitrag ! <3
Danke Dir! Ja, die österreichischen Dichterinnen haben halt den Dreh raus 🙂
Liebe als Kunstwerk, Liebe als Lebenswerk, Liebe als existentielle Erfahrung – und, und, und, und, und. Was für ein Geschenke allemal!
Ihr braucht die Liebe keinem Dieb wegzunehmen, ihr braucht euch keine Gedanken zu machen, sie zu kaufen: Sie kostet nichts. Haltet sie fest, umfangt sie! Es gibt nichts, was köstlicher wäre als sie. Aurelius Augustinus
Danke für diesen wunderbaren Beitrag über das trotz aller guten Erklärungen Unverständlichste (und doch Schönste) der Welt!
Herzlichst,
Birgit
Liebe B.,
ja, es gibt so viele Definitionsversuche – ein schöner von Ricarda Huch: „Liebe ist das einzige, was wächst, indem wir es verschwenden.”
Hab einen verschwenderischen Tag!
Liebe Grüße, Birgit
Na dann hau’n wir doch mal rein, liebe Birgit und lassen uns das nicht zweimal sagen 🙂
Verschwenderin 🙂