Jutta Reichelt im Gespräch: Wie war der Weg vom Manuskript zum Buch?

Das Schreiben ist nur ein Teil der Arbeit. Wie aber kommt ein Manuskript zum Verlag? Die Schriftstellerin Jutta Reichelt im Interview über ihre Erfahrungen.

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Bild von StartupStockPhotos auf Pixabay

Jutta Reichelt, 1967 in Bonn geboren, studierte Jura und Soziologie in Bonn und Bremen. Freie Schriftstellerin, lebt und arbeitet in Bremen, unterrichtet Literarisches Schreiben, leitet diverse Literaturwerkstätten, gehört dem Masken-Ensemble des Bremer Blaumeier-Ateliers an. Bisher erschienen von ihr Erzählbände, die Romane „Nebenfolgen“ und „Wiederholte Verdächtigungen“. Jutta Reichelt erhielt mehrere renommierte Auszeichnungen, u. a. war sie Stipendiatin der „Bremer Romanwerkstatt“, Preisträgerin des Tübinger Würth-Literaturpreises sowie des Irseer Pegasus. Und in der Blogosphäre kennt man sie durch ihren eigenen Blog „Über das Schreiben von Geschichten“, auf dem sie wertvolle Schreibtipps teilt.

Höchste Zeit einmal für ein Interview mit Jutta zu der Geschichte ihres Romans: Wie wurde aus den wiederholten Verdächtigungen der wunderbare Roman, den ich nicht oft genug empfehlen kann?

Liebe Jutta, Du hast fast sechs Jahre an Deinem Roman „Wiederholte Verdächtigungen“ gearbeitet – wann kam der Punkt für Dich während dieser Zeit, als Du wusstest: Jetzt ist es soweit – ich will das Manuskript einem Verlag vorstellen?

Ich glaube nach etwa drei Jahren entwickelte sich bei mir (auch durch die Rückmeldungen anderer AutorInnen) die Einschätzung, dass die „Wiederholten Verdächtigungen“ sich auch in einem größeren Literaturverlag würden behaupten können. Von dem Zeitpunkt an habe ich das Manuskript immer mal wieder verschickt.

Wie geht man als Autorin dabei vor – einfach ein Manuskript einzuschicken, ist da wohl wenig erfolgsversprechend?

Nach allem, was ich höre, ist es der am wenigsten erfolgversprechende Weg – aber hin und wieder kommen wohl auch so Veröffentlichungen zustande. Das Problem ist, dass es gerade für „literarische AutorInnen“ generell schwierig ist – jedenfalls bilde ich mir ein, dass es erheblich einfacher wäre, wenn ich mal einer meiner Krimi-Ideen nachginge. Anders gesagt: eine gute Agentur zu finden ist ähnlich schwer, wie einen guten Verlag zu finden.

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Jutta Reichelt. Bild: Caro Dirscherl

Hast Du Dir gezielt mehrere Verlage ausgesucht und kontaktiert?

Ich habe in einer ersten Runde nacheinander Kontakt zu vier größeren Agenturen aufgenommen, bei denen ich mich auf Empfehlungen anderer AutorInnen beziehen konnte. Da gab es durchweg positive Reaktionen, allerdings  auch immer ein „aber“.

Ich erzähle mal von einer Absage,  weil es eine schöne Geschichte ist und weil sie mir tatsächlich sehr weitergeholfen hat: Ich erhielt von einem Agenten eine sehr knappe Absage (wofür man schon fast dankbar sein muss, weil manche Agenturen sich überhaupt nicht melden) und vom selben Agenten nochmals sechs Monate später eine weitere. Er entschuldigte sich, dass er so spät erst reagierte, wusste also offenbar nicht mehr von der früheren Absage. Er lobte dann sehr den Ton, die Sprache, die „fast makellose Prosa“, monierte aber, dass er in die Geschichte nicht richtig reingekommen wäre, dass ihm das alles zu lang gedauert hätte. Als ich das las, dachte ich: Das darf nicht wahr sein! Die Geschichte, die ich vor mir sehe, die ich in den „Wiederholten Verdächtigungen“ erzähle, ist so stark, es muss mir doch gelingen, dafür eine Form zu finden. Und dann habe ich jeden Absatz, jeden Satz daraufhin überprüft, welche Funktion er für den Text hat – und etwa 50 Seiten gestrichen…

 Wie war das emotional für Dich – ein Stück Arbeit, die ja auch ein Stück Deines Lebens ist, zur „Bewertung“ durch Lektoren und Verlagsmitarbeiter aus der Hand zu geben?

 Was ich schwierig finde, ist der Umstand, den ich eben angedeutet habe: Dadurch, dass die Agenturen und Verlage derart mit Manuskripten überschwemmt werden, gelingt es den wenigsten, den Ablauf zu gewährleisten, den sich vermutlich alle Beteiligten wünschen würden: Eingangsbestätigung und innerhalb von 6 – 8 Wochen eine Entscheidung. Manche Agenturen schreiben z. B. auf ihrer Homepage: „Wenn Sie nach 3 –6 Monaten nichts von uns gehört haben, können Sie davon ausgehen, dass wir kein Interesse haben.“ Da ist dann die Diskrepanz zwischen der Bedeutung, die das Manuskript für die Autorin, den Autor hat und der Bedeutung, die ihm vom Gegenüber entgegengebracht wird, schon frustrierend. Und, dass alles so lange dauert: Bei einem größeren Verlag sah es längere Zeit ganz gut aus – und dann wurde es doch nichts und es waren wieder insgesamt neun Monate vergangen, in denen ich auch nichts anderes hatte versuchen können.

Wie gingst Du mit Absagen um?

Das war ganz unterschiedlich. Es gab welche, die ich  recht sportlich nehmen konnte, bei denen ich mich wie eben geschildert auch gefreut habe, dass vieles offenbar stimmt und dann aber auch ein oder zwei, die mich wegen ihres Tons  geärgert haben. Und natürlich ist es eine Enttäuschung. Aber es waren für mich immer eher Tage als Wochen oder gar Monate, in denen sich das auf meine Stimmung ausgewirkt hat. Und man muss einfach auch sehen, dass es für den großen Aufwand, den es für einen Verlag bedeutet, ein Buch zu „machen“, einfach auch nicht reicht, es „nur“ gut oder sehr gut zu finden – es muss dann wirklich begeistern oder zumindest die Hoffnung wecken, es würde genug LeserInnen begeistern.

Veröffentlicht wurde „Wiederholte Verdächtigungen“ bei Klöpfer&Meyer, einem Verlag der sich neueren Stimmen der deutschen Literatur öffnet. Wie fandet ihr zusammen?

Ich habe 2008 den Preis der Jury des Irseer Pegasus erhalten, der in eben diesem Jahr sein zehntes Jubiläum feierte, weswegen eine schöne Anthologie erschien – im Klöpfer & Meyer Verlag. Huber Klöpfer, der Verleger, brachte die druckfrischen Exemplare direkt nach Irsee und es kam zu einer kurzen Begegnung zwischen uns, auf die ich mich dann berufen konnte, als ich ihn vor gut zwei Jahren anschrieb. Und dann gab es noch einen weiteren Anknüpfungspunkt nach Tübingen, wo der Verlag sitzt, der sicherlich ein „Türöffner“ war: Ich hatte 2001 den Würth-Preis der Tübinger Poetik-Dozentur erhalten, verbunden mit einer Laudatio von Herta Müller.

Vom Vertrag bis zur Veröffentlichung: Wie lange hast Du dann noch am Manuskript gearbeitet? Wie sah Deine Zusammenarbeit mit dem Verlagslektorat aus?

Im  Frühjahr 2014 hatte ich die Zusage von Hubert Klöpfer, dass er das Buch verlegen wird, im Sommer haben wir uns dann in Tübingen getroffen und über Details gesprochen und dann war klar, dass der Text im Spätsommer ins Lektorat ginge und ich bis dahin Zeit hätte ihn nochmals zu überarbeiten. Zunächst dachte ich daraufhin: Ich habe den Text jetzt schon so oft überarbeitet, ich warte erstmal ab, was die Lektorin Petra Wägenbaur dazu sagt. Aber dann habe ich bei einer weiteren Lektüre des Textes festgestellt, dass ich mit dem letzten Drittel des Textes und auch mit dem unmittelbaren Ende noch nicht vollkommen zufrieden war und habe also den Sommer über nochmals sehr konzentriert an dem Text gearbeitet.

Die Zusammenarbeit mit der Lektorin war dann sehr entspannt, von wechselseitigem Respekt geprägt. Aber da war der Text auch schon in einer sehr „guten Verfassung“ – was ich auch den beiden wunderbaren Autoren-Kolleginnen Ulrike Ulrich und Kerstin Becker zu verdanken habe, die den Text über die Jahre mehrfach gelesen haben.

Und wieviel Einfluss hattest Du als Autorin auf die Buchgestaltung?

Ich hatte die Möglichkeit, Vorschläge zur Cover-Gestaltung zu formulieren, aber eher, um zur Ideenfindung beizutragen und weniger, um einen sehr konkreten Vorschlag zu machen, der dann übernommen wird. Aber ich hatte die Zusage, dass ich bei allem (Cover, Klappentext, Vorschau) eine Art Veto-Recht habe. Bei der Vorschau war es dann auch keine Frage, dass meine Änderungswünsche angenommen wurden, was oft vor allem ein Zeitproblem ist. Für mich war wichtig, dass es bei dem Titel bleibt und ansonsten kann ich sehr gut andere ihre Arbeit machen lassen und anerkennen, dass sie davon mehr verstehen als ich – zum Beispiel von Gestaltung.

Wiederholte Verdächtigungen ist Deine vierte Buchveröffentlichung – fängt für Dich mit dem fünften Buchprojekt dieses Procedere der Verlagssuche dann wieder von vorne an? Oder wird es von Buch zu Buch aufgrund wachsender Kontakte – so wie ja auch der Kontakt zu Klöpfer&Meyer durch ein persönliches Zusammentreffen entstand – einfacher?

Was den „neuen Roman“ betrifft, gibt es von meiner wie auch von Verlagsseite die Absicht, weiter miteinander zu arbeiten – was mich auch deswegen sehr freut, weil ich die Zusammenarbeit mit dem ganzen Verlagsteam als ungewöhnlich angenehm empfunden habe: sehr engagiert, qualitativ hochwertig und humorvoll. Aber ich habe mittlerweile auch noch ein paar andere Projekte, die nicht in das Profil von  Klöpfer & Meyer passen (ein Kinderbuch und einen „anderen“ Schreibratgeber um mal die zu nennen, die schon weit gediehen sind) – und da bin ich wieder auf der Suche und merke, dass ich jetzt schon in einer besseren Position bin, als noch vor einem Jahr – aber mal schauen, vielleicht versuche ich es auch noch mal mit einer Agentur …

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

15 Gedanken zu „Jutta Reichelt im Gespräch: Wie war der Weg vom Manuskript zum Buch?“

    1. Liebe Ingrid,
      im Grunde ist das immer noch P-Modus: Ich stelle Fragen und andere schreiben … aber nachdem sich das mit Gerald Drews ergeben hat, fand ich das einfach zu interessant, das aus Sicht einer Autorin zu lesen – und bin Jutta dankbar für ihre offenen Antworten.
      Naja, und mein Begriff von Pause ist irgendwie auch manchmal etwas …hmmm…. 🙂

  1. Liebe Birgit, liebe Jutta,
    ich finde diese Blicke auf die Arbeiten, die schriftstellerischen sowie auch die drum herum, sehr, sehr interessant. Und ein fertiges Buch in der Hand zu halten, hat dann auch noch einmal eine ganz andere Bedeutung: wie häufig – und manchmal sicherlich auch schmerzhaft – der Text überarbeitet worden ist, wie viele Menschen mit gelesen und beraten haben und sicherlich auch schon mal Dinge angemerkt haben, die einem selbst überhaupt nicht gefallen. Und wie schwer es dann ist, einen Verlag zu finden, wenn dann auch noch nach neun Monaten erst Klarheit entsteht, dass dieser viel versprechende Weg nicht weitergeht. Da braucht man wohl schon gute Nerven, um „am Ball“ zu bleiben.
    Viele Grüße, Claudia

    1. Liebe Claudia,
      ich bewundere Jutta – und andere Autoren – auch für ihren Mut: Soviel Arbeit, Zeit und auch eben viel von seinem Leben in ein „Produkt“ zu stecken, das sich dann auf dem „Markt“ bewähren muss … dazu gehört Mut und Durchhaltevermögen. Und dabei auch vom eigenen Schreiben überzeugt zu sein, sich nicht von Selbstzweifeln überrennen zu lassen, weil der x-te Verlag vielleicht absagt – das ist bewundernswert. Daher gilt mein Respekt den mutigen Schreibenden – und ich fand es schön, dass Jutta uns den Einblick gewährt hat! Einen schönen Abend Dir, Birgit

      1. Liebe Birgit, weil ich morgen einen Workshop zum Thema „Autorenmarketing“ leite, tauche ich erst jetzt aus dem Kampf mit Folien, Leserunden und Effectuation-Grundsätzen auf (erkläre ich dann alles demnächst mal auf meinem Blog 😉 und komme dazu mich bei dir wiederum zu bedanken – für die klugen Fragen, dein Interesse und natürlich auch fürs Weiterempfehlen der „Wiederholten Verdächtigungen“! Sehr herzliche Grüße aus Bremen (der Stadt, deren ruhmreicher SVW gerade unfassbarer Weise Gladbach geschlagen hat …)

      2. Ich kann es selbst kaum glauben: das Thema „Autorenmarketing“ beginnt mir allmählich richtig Spaß zu machen und an „Effectuation“ ist nur der Name blöd – der dafür aber so richtig 😉

  2. Danke, ihr beiden.
    Ich denke als freischaffend Tätige ist es unumgänglich zu lernen, mit Absagen umzugehen und nicht die Energie beim Bewerben zu verlieren.
    Prozentual bekomme ich 1% Zusage auf meine Bewerbungen für Ausstellungen. Ich nehme die Absagen nie persönlich.
    Ich habe dieselbe Erfahrung gemacht wie du, Jutta. Es funktioniert nur richtig, wenn die entsprechenden Kontakte vorhanden sind. Und das ist ja die eigentliche Arbeit bei der Vermarktung: die Kontaktpflege. Oft hatte ich auch Glück, mein Lektor hat mich angesprochen und gefragt, ob ich für den Edition Fischer Verlag ein Buch schreiben will. Vielleicht, weil gerade das Schreiben nicht mein Hauptthema ist sondern das Zeichnen. Beim Bewerben braucht es eine gewisse Lockerheit! Und die hat man bei so intimen Produkten wie Kunst und Literatur schwer.
    Einen schönen Dienstag wünscht euch Susanne

    1. Liebe Susanne,
      danke für Deine Antwort – ich hoffe und wünsche Dir, dass Du die Lockerheit beibehälst. Und Dein Herr Braun ist wirklich klasse! Ich glaube, ich muss ihn auch dringend mal interviewen! Herzliche Grüße, Birgit

    1. Danke Dir! Juttas Roman (https://saetzeundschaetze.com/2015/02/23/jutta-reichelt-wiederholte-verdachtigungen/) ist ebenso sehr eine Empfehlung wie die Erzählungen von Ulrike Schäfer aus demselben Verlag (https://saetzeundschaetze.com/2016/02/28/ulrike-schaefer-nachts-weit-von-hier-2015/). Nein, ich habe nichts mit denen zu tun 🙂 – aber mich begeistert das Händchen des Verlegers für „neuere“, feine Stimmen der deutschsprachigen Literatur. Momentan lese ich von Manuela Fuelle den Debütroman „Fenster auf, Fenster zu“: http://www.manuelafuelle.com/buch/

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