Ulrich Peltzer: Das bessere Leben

Ein literarischer Trip durch die komplexe Welt der Manager mit Abstechern in die Kunstszene, zudem ein Parforceritt durch die Utopien des 20. Jahrhunderts.

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Bild: (c) Michael Flötotto

Please allow me to introduce myself
I’m a man of wealth and taste
I’ve been around for a long, long year
Stole many a man’s soul and faith…

Pleased to meet you: Es gibt Bücher, die entwickeln ihren eigenen Sound. Und manche setzen diesen Sound im Kopf frei, beim Lesen jagen Versatzstücke durchs Hirn, Stimmen, Sätze, Songs. „Das bessere Leben“ von Ulrich Peltzer ist ein derartiges Buch für mich. Ein vielstimmiger literarischer Trip durch die komplexe, unüberschaubare Welt der Manager, Global Player und Businesstypen, mit Abstechern in rheinländische Reihenhausbiederkeit und in die hippe Kunstszene, zudem ein Parforceritt durch die gescheiterten Utopien des 20. Jahrhunderts. Moskau, Wien, Rotterdam, London, Mailand, Frankfurt, Turin, China, Brasilien, USA – nur einige der Schauplätze, die im Roman eine Rolle spielen. Und die Sprache sitzt. Das Fragmentarische, Zersplitterte der Sätze, die ständigen Wechsel der Erzählerstimmen, das Gehetzte der Gedanken, die Gedankensprünge, ein stetiger Strom, ein Bewusstseinsstrom, die lose verknüpften Erzählstränge, die doch so dicht verwoben sind: Das alles macht das Buch zu einer Herausforderung. Ja, die ersten Seiten sind mühsam, aber dann entwickelt sich ein Sog des Erzählens, der das Buch herausfordernd und herausragend macht.

„Was möglich gewesen wäre, unter Umständen, aber nicht eingetreten ist. In der Wirklichkeit gibt es keinen Konjunktiv als Rettung, dachte Möhle, nur in der Kunst. Die aus einem einzigen Hätte-könnte-würde besteht und mit den Fakten macht, was sie will. Beziehungsweise … sich das Recht nimmt, zu entscheiden, wie eine Erzählung in Worten und Bildern zusammenhängen soll, solange die Wahrscheinlichkeit gewahrt bleibt. Sie nicht vollends ins Phantastische abdriftet, oder? Was ist denn schon wahrscheinlich? Eins so gut wie das andere, im Prinzip, in der Vorstellung. Nur leider mangelt`s an der oft im Leben, im Wirklichen. Wo man wie festgenagelt an Dingen festhält, die es nicht wert sind, die ihrer Bedeutung verlustig gegangen sind, manchmal von heut auf morgen.“

Zwei Typen stellt Peltzer aus der Armee moderner Geschäftsleute in seinem  Roman in den Mittelpunkt: Den Sachlichen, der im Getriebe weltweiter Geschäfte eher verfangen ist und den Strippenzieher, der vom Spiel an sich gefangen ist.

Sales Manager in der Midlife-Crisis

Jochen Brockmann, einer der beiden Hauptfiguren des Romans, steht vor dieser Situation: Der kühl denkende Ingenieur und Sales Manager, Anfang 50, geschieden, die Exfrau sucht ihr Heil in Yogaübungen und Zen, die Tochter in der Kunst, die Geliebten in der Flucht (resp. er in der Flucht vor ihnen), der Kontakt zu Geschwistern und Eltern lose und unterkühlt. Privat ist da nicht viel in diesem Leben, das auf Geschäftsreisen spielt. Und auch beruflich wird ihm der Boden unter den Füßen weggezogen: Das italienische Familienunternehmen wird von jungen Dynamikern überrollt, Brockmann ist ein Auslaufmodell. Midlife-Crisis setzt ein: War es dass, das gute Leben? Konsumkäufe auf Reisen und eine kleine Grafiksammlung?

Faust:

„Ich fühl`s, vergebens hab`ich alle Schätze
Des Menschengeists auf mich herbeigerafft,
Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
Bin dem Unendlichen nicht näher.“

Sein Gegenpart: Sylvester Lee Fleming, ebenfalls ein „global player“, Strippenzieher und Verstrickter zugleich – in undurchsichtige, nur scheinbar legale „Versicherungs“-geschäfte. Einer, der verführerisch ein besseres Leben verspricht – seinen Kunden, Jungmanagern, die er an der goldenen Leine hält, auch den wenigen Menschen, die er etwas weiter hineinlässt in seine private Gefahrenzone. Ein Mephisto mit Beschädigung: Sich unruhig in Hotelzimmer wälzend, an der Vergangenheit knabbernd, ein vereinsamter Höllenhund. Getrieben von Überdruss, Zynismus, scheinbarer Abgeklärtheit (auch da liegt eine buchstäbliche Leiche im Keller des Gewissens).

Mephistopheles:

„Wer lange lebt, hat viel erfahren,
Nichts Neues kann für ihn auf dieser Welt geschehn.“

Ganz wie Mephistopheles trifft Fleming den Brockmann in der Phase seines größten Zweifels und der Resignation an, versucht ihn, in seine zwielichtigen Geschäfte zu verstricken, ist der Verführer. Brockmann widersteht. Das Ende bleibt offen. Das Flugzeug zum nächsten Geschäft hebt ohne ihn ab. Der letzte Satz eine Andeutung:

„Darf ich mich Ihnen vorstellen?“, sagt plötzlich der Mann auf dem Nebensitz. Warum nicht?

Mephisto alias Fleming verführt das nächste Opfer, money makes the world go round, die Kapitalismusmaschine dreht sich weiter.

Und Brockmann, findet er vielleicht das bessere Leben? Im Rückzug ins Private? Von den Boni an der Seite von Angelika lebend – jene durchaus kein naives Gretchen, sondern eine gestandene, kluge, welterfahrene Frau? Auch dies muss sich die Leserin, der Leser selbst zu Ende schreiben, diese nur „angezettelte“ Liebesgeschichte.

Leerstellen in den Lebensgeschichten

Vielfach wurde in den Rezensionen auf die „Leerstellen“ hingewiesen, die Peltzer in seinem Buch hinterlässt: Nicht „zu Ende“ erzählte Lebensgeschichten, lose verlaufende Erzählstränge. Scheinbare Erklärungen liefert die Politik am Fließband. Erklärungsversuche sind Sache der Philosophen. Die Literatur – wenn sie denn in so gelungener Form daherkommt – erfüllt eine andere Funktion: Sie erzählt von der Welt und zwingt im besten Falle zum Weiterdenken. Zum Selberdenken.

Und gerade dies ist eine der großen Stärken dieses Romans: Peltzer ist nicht nur ein hochverdichtetes Abbild unserer durchkapitalisierten Gegenwart gelungen, eine Darstellung des Hamsterrades, in dem sich Menschen bewegen. Die zahlreichen Bezüge und Hinweise auf vergangene und verlorene Utopien und Illusionen – jenen der Studentenbewegung, die im Terror der RAF endeten bis hin zu jenen des Sozialismus, die im Blut des real existierenden Stalinterrors versanken – münden alle in die Frage: Was ist es, „Das bessere Leben“?

„Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
Ist wert, daß es zugrunde geht;
Drum besser wär`s, daß nichts entstünde.“

Solch mephistophelischen Fatalismus hinterlässt der Peltzer-Roman dennoch nicht – aber er bedient auch nicht mit oberflächlichen Antworten in billiger Ratgeber-Manier.


Bibliographische Angaben:

Ulriche Peltzer
Das bessere Leben
S. Fischer Verlage, 2015
ISBN: 978-3-596-18742-3

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

27 Gedanken zu „Ulrich Peltzer: Das bessere Leben“

  1. Hallo Birgit, eine sehr ansprechende, neugierig machende Vorstellung eines Buches, das aufgrund seiner Thematik/Wahl der Protagonisten trotzdem erst mal nicht hier einziehen wird. Aber die Thematik, was ist es, das bessere Leben, ist natürlich schon spannend… Bietet das Buch denn Denkanstöße, die über die Tatsache hinausgehen, dass die Antwort wohl kaum in noch mehr Konsum und Hamsterrad liegen kann? Oder bleibt auch das völlig dem Leser überlassen? LG, Anna

    1. Liebe Anna,
      dazu gibt es ein spannendes Interview in der Literaturbeilage der aktuellen Zeit: Die Rückkehr der engagierten Literatur – Trojanow, Erpenbeck und Peltzer (was ich vermisst habe in der deutschen Literatur – Autoren, die die Plätze der „großen alten Männer“ einnehmen in Nachfolge von Böll, Grass, Lenz). Peltzer bietet keine Rezepte – aber, so sagt er es auch im Interview: Der Roman stellt die Frage, wie Menschen sich in dieser Welt bewegen und miteinander verbunden sind – auch historisch. „Das 20. Jahrhundert war geprägt von den Kämpfen um ein besseres Leben“. Heute sehe man sich nur noch mit der Empirie der Probleme konfrontiert und suche nach praktischen, pragmatischen Lösungen. Der Roman bringt eben dieses auf den Punkt: Die alten Utopien gescheitert sind, im Neoliberalismus mangelt es an neuen. Welche Zukunftsentwürfe sich anbieten – das sagt Peltzer im Buch freilich nicht, aber das muss dieser Roman auch nicht leisten. Liebe Grüße, Birgit

  2. Liebe Birgit,
    Deine konsequente Verzahnung mit „Faust“ und Deine Deutung vor diesem Hintergrund gefällt mir sehr gut. Auch die Wette, ob es denn wohl möglich sei, Brockmann auf die „richtige“ Seite zu ziehen, ist ja – in neuem, streng kapitalistischem Gewand – erzählt. Und wenn man sich mal die Hauptfiguren anschaut, so hängen sie alle irgendwie an der langen Leine von Fleming. Es ist, als habe Fleming so sein (Schach-)Figuren, mit denen er nach belieben verfahren kann. Auch er ein moderner Mephistopheles, den seine Spiele und Trickserein zunehmend müde machen. – Ich habe nur eine Handvoll Buchpreisbücher gelesen, kann mir also kaum ein Urteil erlauben. Von den gelesenen aber ist für mich auch „Das bessere Leben“ der Favorit. Der Roman zeigt, was Literatur im besten Sinne zu leuten im Stande ist: eine spannende Geschichte auf der Oberfläche, eine dazu passendes erzählerisches Konzept und darunter noch weitere Schichten, die entdeckt werden können. Nämlich die Verknüpfung mit dem Faust-Motiv, überhaupt immer wieder die Zusammenhänge mit Kultur in den verschiedensten Formen, das offene Erzählen, das gerade Deutungsmöglichkeiten eröffnet (und eben nicht die komplett „auserzählte“ Geschichte), Figuren, die in ihrem Charakter auch zeitlos sind, sodass wir den Roman auch in einigen Jahren noch neugierig in die Hand nehmen können. – Dann lass uns doch am Montag ganz doll die Daumen für „Das bessere Leben“ drücken!
    Viele Grüße, Claudia

    1. Liebe Claudia,
      da gehen wir ganz konform: Genau dieses nicht komplett auserzählte ist ja das, was zum Denken anregt. Und wie schon in Antwort auf Anna (und da Du ja derzeit auch Erpenbeck liest) – ich empfehle das Interview in der Zeit…ein sehr intelligenter Autor, dem ich wirklich auch die Daumen drücke! Viele Grüße Birgit PS: Für etwas war die Quälerei durch den Faust während der Abiturzeit denn doch noch gut 🙂

  3. PS – Peltzer im dem Zeit-Interview:
    „Bis zur sogenannten Epochenwende 1989 waren Geschichte und Philosophie immer sehr stark verbunden. Alles, was wir politisch getan haben, war eingebettet in eine größere Erzählung. Zukunft war nicht nur etwas temporales, sondern war Ausdruck eines großen philosophisch-politischen Entwurfes. Es gibt Gründe dafür, warum man damit aufgehört hat, aber möglicherweise fehlt etwas. Und möglicherweise spürt man dieses Fehlen und delegiert dann an den Autor etwas, was dieses Fehlen zum Ausdruck hat oder kompensiert. Die Metaphysik für mein Leben: Das kann doch noch nicht alles gewesen sein.“

  4. Da war er wieder, der Faust, und die Erkenntnis, dass er mich heute noch genauso inspiriert wie damals, genau wie das Buch, das Du uns hier schmackhaft gemacht hast. Naja, schmackhaft ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort, aber wir haben gerade Mittag gegessen. 😀 Ich halte es für schwierig in unserer heutigen gesättigten Gesellschaft ein Buch über den Sinn des Lebens zu schreiben, weil wir eben keine großen umwälzenden Träume vom besseren Leben mehr haben. Liebe Grüße, Peggy

      1. Liebe Martina, das ist in der Tat eine Vision, der sich zu folgen lohnt. Aber ich habe den Eindruck, dass es auch Natur- und Klimaschützer immer schwieriger finden, so viele Menschen zu mobilisieren, dass es eine Art Gesellschaftsvision wird. Ich glaube, heutzutage schafft sich jeder seine individuelle Vision vom besseren Leben und versucht sie mit den Gegebenheiten des Alltags in Einklang zu bringen. Ganz liebe Grüße und einen schönen Sonntag, Peggy

      2. Das hast du schön gesagt, liebe Peggy, und ich denke, dass diese Visionen auch mit dem jeweiligen Lebensabschnitt im Zusammenhang stehen. Mein Mann und ich haben uns jedenfalls monatelang mit dieser Frage befasst und jetzt unsere innere Entscheidung in Richtung mehr Natur getroffen, obwohl der Abschied von der jetzigen Welt nicht schmerzlos vor sich gehen wird. Lieben Dank und eine ganz gute Woche. Martina

    1. Genau auf diese Wunde legt der Peltzer den Finger…muss es so sein, dass wir nur noch verlorenen gesellschaftlichen Utopien hinterher weinen? Wo bleibt das, eine übergreifende Vision von einer „besseren Welt“?

  5. Wäre ich nicht schon zu der Erkenntnis gekommen, dass ich das Buch selbst lesen muss, weil ich die Technik durchblicken will, die Peltzer benutzt 😉 – jetzt wäre es soweit. Danke Birgit, für diese großartige Analyse … LG, Bri

    1. Nun, Fleming ist in meinen Augen ein Mephisto…und wenn Du das Lied der Stones anhörst…wer war dabei, als man den Zaren in Petersburg ermordete, wer tötete die Kennedys? Da gibt es Referenzen, historische Bezüge im Buch, „persönliche“ – die einzige Frau, für die er wohl so etwas wie Verliebtheit empfand, wurde bei einer Studentendemo in den USA erschossen, usw. Und, wie der Klappentext ein wenig „windig“ sagt – ein metaphysischer Thriller…

      1. Alles klar. Das Lied selsbt ist ja großartig. Nur hätte ich bei den bisheringen Rezensionen nicht auf Bezüge darauf getippt. Tja, was soll ich sagen … ich bin gespannt. LG, Bri

  6. Gerade weil Peltzer so unentschieden war, kann sich jeder etwas persönliches hineindenken. Dir ist es anscheinend gelungen, ich fand das Buch zu unkonkret und Peltzer zu faul um seine persönliche Meinung hineinzuschreiben. Nur Beschreibung hat mir nicht ausgereicht, nur um alle Themen herumschänzeln heißt nicht sich den Themen zu widmen. Genauso empfand ich es bei dem Schreibstil, alles ein wenig so wie Politik sich heutzutage bewegt, nichts Klares, nichts griffiges. Aber danke für eine gute teuflische Rezi. 🙂

  7. So jetzt kann ich auch was dazu sagen, nachdem „Das bessere Leben“ jetzt Buch siebzehn meines Longlistenlesens ist und ich fürchte, ich muß mich eher der Tobias Nazemi Fraktion anschließen. Das heißt, ich hab es nicht abgebrochen, da tue ich aus Prinzip nicht, aber um es zu verstehen, müßte ich es nochmals lesen und das will ich auch nicht.
    Außerdem fürchte ich, daß der Inhalt ohnehin schon im Klappentext erklärt und eigentlich ganz klar ist und, daß die vierhundertvierundvierzig Seiten, die dann folgen, dieses höchst komplizierte Beziehungs- und Erklärungsgeflecht, dann die l àrt pour l`art, für die schon zitierten Germanistenseminare ist, während die Durchschnittsleser, das Buch wegschmeißen, weil sie keine Geduld haben, weiterzulesen, was sie nicht verstehen.
    So habe ich auch den Faust-Mephisto-Vergleich nicht ganz nachvollziehen können, beziehungsweise wird der Teufel ja im Klappentext angedeutet und, daß viele, die mit Idealen die Uni verließen, korrupt und enttäuscht in Pension gehen, hätte ich schon vorher vermutet und kann es hier in Österreich auch an ein paar Politikerschicksalen deutlich nachvollziehen.
    Für mich ist es nicht das beste Buch, das ist bis jetzt der Setz https://literaturgefluester.wordpress.com/2015/10/10/die-stunde-zwischen-frau-und-gitarre/.
    Macht ja nichts, ich habe noch zwei Peltzer-Büchern auf meinen Stapeln und bin gespannt, wie es mir mit ihnen gehen wird, denn ich gebe das Lesen nicht auf!

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