
“Es gibt Erfindungen, die schwer zu verbessern sind, wie zum Beispiel den Löffel, das Fahrrad und das Buch. Man braucht sie nicht zu verteidigen. Sie sind nicht heilig, nur sehr brauchbar. Bücher zum Beispiel. Sie brauchen keine Chips, keine Bedienungsanleitung, keine Batterie, keine Antenne, kein Paßwort, und ihr Betriebssystem ist extrem dauerhaft; man braucht sie nicht alle paar Jahre durch neue Hart- und Weichwaren aufzurüsten.
Trotzdem bringt die Sprache und damit auch die Poesie manches hervor, was auf keiner Seite Platz hat. Das liegt daran, daß das Papier nur zwei Dimensionen hat. Wie wäre es also mit einer dritten? Dazu müßte man Objekte bauen, die einen anderen Gebrauch möglich machen. Zum Beispiel einen Poesie-Automaten oder allerhand komplizierte Wort-Spielzeuge. Das habe ich auch getan. Solche Sachen wurden sogar gebaut und ausgestellt, und hie und da hat sich ein Publikum gefunden, das daran Geschmack fand. Weniger Glück hatte ich mit meinem Fountain of Poetry.”
Hans Magnus Enzensberger, “Meine Lieblings-Flops”, 2011
Es gehört schon eine gewisse Größe dazu, mit seinen eigenen Reinfällen gelassen umzugehen. Vor allem, wenn man dies auch noch so humorig angeht, wie Hans Magnus Enzensberger in diesem unterhaltsamen Buch: Ganz locker zählt er seine Kino-, Opern- und Theaterflops auf, die verlegerischen und die literarischen Reinfälle. Das Wort “Flops” mag er besonders wegen dessen lautmalerischer Qualität – das kommt besonders schön beim einzigen “Etcetera-Flop” des Buches zur Geltung. Der “Etcetera-Flop”: Das ist jener “Fountain of Poetry”, ein Kunstwerk, das HME technisch schon komplett durchdacht hatte:
Eine Glasplatte, von Wasser überspült, auf die Texte projiziert werden. Fließ-Texte entstehen dabei, das Wasser spielt mit der Poesie. Fehlte nur noch das Geld zur Realisierung. Bei einem Treffen arabischer und deutscher Schriftsteller und Philosophen lernte HME den Scheich Bin Rashid al Maktoum kennen, der große Pläne für Kulturzentren in Dubai hatte, inklusive eines Poesiemuseums. Der Fountain of Poetry – perfekt für Dubai. Wasser das magische und poetische Element der Wüste. Die Pläne des Scheichs für den Brunnen wurden zwar immer gigantischer, aber ebenso engagiert vorangetrieben: “Am Tag unserer Abreise fehlte nur noch eine Unterschrift”, schreibt Enzensberger. Doch: “Wir haben nie wieder von Scheich Mohammed Bin Rashid gehört. Als ein paar Monate später die ersten Meldungen über die Kreditklemme des Emirats über den Ticker liefen, verstanden wir, warum. Keiner meiner Flops war so märchenhaft und so verrückt.”
“Fountain of poetry” – genial. Wirklich. Danke! 🙂
Man müsste Scheich sein und reich sein und ihn sprudeln lassen.
Aus jedem Flop gibt es etwas zu lernen! Mit Humor dazu wird ein Flop ja fast perfekt 🙂
Top of the Flop: Wenn man trotzdem lacht.
Den Poesieautomaten habe ich schon gesehen und bedient. Tolles Teil. Danke für diesen schönen Buchtipp!
Viele Grüße
Der Automat macht Spaß. Das Buch auch 🙂
Aber Buchseiten haben doch eine dritte Dimension. Nennt sich Leser.
Jetzt, mit dem Satz, bin ich sicherlich ein Spielverderber. Leser. Viel zu profan. Brunnen ist besser. Ich ziehe meine Annahme zurück.
Sprudeln Sie uns ein dreidimensionales Gedicht hervor?
Ein Gedicht? Von mir? Und in 3D dann auch noch? Dann wäre es ein Block-Buster-Gedicht? Eines für die große Leinwand? Ein Special-Effect-Gedicht?
Nein, ich kann nur für die kleine Leinwand zuhause Gedichte schreibe. Nur Home-Video-Gedichte, manchmal nicht mal in Farbe, sondern mehr so ein Schattenspiel-Gedicht mit Taschenlampe. Verlangen Sie also bitte kein Sprudeln von mir. Bin mehr so ein Stilles-Wasser-Typ. Und gerade fällt mir ein, meine Taschenlampe braucht neue Batterien………………..bis später.
Sehr interessant und witzig dieser Beitrag über die Flops von Hans Magnus Enzensberger. Ich glaube , dass es ganz gut ist, dass das Kulurzenrum in Dubai oder in der Geschichte nicht gebaut wurde , denn wer weiss, woher der Sand wieder gekommen wäre! L. G.
Vielleicht nicht Dubai, aber hier wäre der Brunnen schon eine Sache.