Lesezeichen von: Isaac B. Singer

In „Eine Kindheit in Warschau“ erzählt Isaac B. Singer auch davon, wie die Liebe zum Lesen und zur Literatur in ihm erwachte.

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„Wenn ich jetzt unter dem Apfelbaum im Garten ein neues Buch anfing, hatte ich es bereits am nächsten Tag durchgelesen. Oft saß ich auf einem umgekippten Bücherregal in der Dachkammer und las zwischen alten Töpfen, kaputten Fässern und Stapeln von Seiten, die aus heiligen Büchern herausgerissen worden waren. Ich las alles: Erzählungen, Romane, Theaterstücke, Essays, Bücher in Jiddisch und Übersetzungen. Beim Lesen bestimmte ich für mich, was gut und was mittelmäßig war, was echt klang und was falsch. Zu dieser Zeit schickte Amerika uns Säcke mit Weizenmehl und Werke europäischer Schriftsteller in jiddischer Übersetzung. Diese Bücher faszinierten mich. Ich las Rejsen, Strindberg, Don Kaplanowitsch, Turgenjew, Tolstoj, Maupassant und Tschechow.“

In „Eine Kindheit in Warschau“ lässt Isaac B. Singer eine Welt wieder auferstehen, die untergegangen ist: Die des jüdischen Lebens im Polen vor dem Ersten Weltkrieg. Der spätere Literaturpreisträger wurde 1904 in Polen geboren, wanderte 1935 in die USA aus, wo er 1991 starb. Seine ersten Jahre verbrachte er in Warschau und, als mit dem Krieg in der polnischen Hauptstadt Hunger und Epidemien folgten, in Bilgoraj, von dem Singer im obigen Zitat erzählt.

Die Geschichten schildern Armut und Elend, aber ebenso eine Welt, wie Singer im Vorwort schreibt, „die kaum jemand mehr kennt: reich an Komischem und Tragischem, Besonderem und Weisem, voll Verrücktheit, Ursprünglichkeit und Redlichkeit.“

Und eine Welt voller Hunger nach Wissen, voller Mythen und Spiritualität, gesättigt von Bildung und Büchern, geprägt von Solidarität und Freundschaft:

„Nur die Zeit konnte uns trennen. Alles übrige besorgten die deutschen Mörder.“

„Eine Kindheit in Warschau“ gibt es bei youtube auch als Hörbuch.

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

5 Gedanken zu „Lesezeichen von: Isaac B. Singer“

  1. Lieber SätzeClaudio,
    ich dachte wirklich, ich würde von Isaac B. Singer alles kennen – aber dieses Buch hab ich nicht gelesen. Deshalb besonders herzlichen Dank für diese wunderbare Erinnerung. Ich habe Singer eine zeitlang rauf und runter gelesen, weil mir sein Stil und seine Geschichten so gut gefielen. Da ist die Kindheit in Warschau jetzt einfach ein Muss.
    Liebe Grüsse
    Kai

    1. Es ist ein sehr schmales Bändchen, aber ebenso reichhaltig. Singer erzählt so lebendig von seinen Kindheitsjahren. Ich dachte wirklich, ich kann mir die Figuren – die abgehärmte Wäschefrau, der Milchmann, die vielen Buben mit ihren Schläfenlocken usw. – imaginieren. Vieles von diesen Kindheitseindrücken findet sich in seinen späteren Büchern wieder, hier ist es aber in den Erzählungen gut verdichtet.

  2. Schön, an Singer zu erinnern. In Döblins Alexanderplatz lasen wir gerade von der zerstörten Welt des Ostjudentums in Berlin. Wie gut, dass Bücher die Erinnerung an diese Kultur bewahren.

    Von Singer las ich fasziniert die Geschichte des Sabbatai Zwi, „Satan in Gorey“, was sein allererster veröffentlichter Roman war. Ich weiss noch, wo „Meschugge“ deutsch erschien. Von Ted Hughes kann man auf der NYRB-Seite eine gute Würdigung von 1965 zu Singers Werk lesen. [unter „The Genius of Isaac Bashevis Singer“ suchen]. Unglaublich, was alles er danach noch geschrieben hatte.

    Mir fällt zu „Kindheit in Warschau“ noch die wunderbare und bewegende Autobiographie von Salomon Maimon ein, der sich später mit Karl-Philipp Moritz der Erforschung der Seelenkunde als Vorreiter der modernen Psychologie widtmete.

    PS: mir gefällt, dass für die Hintergrundinformation die Verlagsseite verlinkt ist.

  3. Danke für die weiterführenden HInweise. Ich wußte nicht, dass Hughes über Singer geschrieben hat, das interessiert mich sehr. Auch Salomon Maimon kenne ich noch nicht, auch ein sehr schöner Tipp, danke. Eine Empfehlung meinerseits ist Soma Morgenstern, ein enger Freund von Joseph Roth, der ebenfalls in jiddischer Sprache schrieb.

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